Ewige Liebe ist für den Helden der Geschichte Voraussetzung, endlich zu heiraten. Eine Bedingung, die einzulösen er sich nicht in der Lage fühlt. Bis er zufällig eine alte Liebe wieder trifft und über Umwege erfährt, dass sie todkrank ist und nur noch wenige Monate zu leben hat. Ihr also kann er ewige Liebe schwören; sie heiraten. Doch dann stellt sich ihm ein Problem: Sie will einfach nicht sterben. Monzós Geschichten verknüpfen das alltägliche mit dem einmalig Besonderen: Eine Frau, die mit der Schere auf ihre Erinnerungen losgeht. Zwei Männer, die sich neben einem angesagten Club eine Wohnung leisten, um mit dem neuesten Flirt sofort ins Bett steigen zu können. Das Nachdenken über die angeblich spießigste aller menschlichen Beschäftigungen: dem aus dem Fenster schauen. Ein berühmter Schriftsteller, der durch ein unbedachtes Lob einem jungen Kollegen zum Ruhm verhilft und später von ihm vernichtet wird. In seinen 19 Kurz- und Kürzestgeschichten zeigt sich Quim Monzó, der bekannteste katalanische Gegenwartsautor, auf der Höhe seiner Erzählkunst: Geschichten, für die Monzó berühmt ist - energiegeladen, pointiert und humorvoll, aber auch von einer dunklen Schönheit; meisterhaft, makaber, schnörkellos.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.09.2009Tapetenwechsel
Eine Frau räumt auf. Zuerst schneidet sie sorgfältig aus allen Fotos ihren Mann heraus, zerstückelt seine Bilder und wirft sie als winzige Schnipsel in den Müll. Dann entsorgt sie seine Kleider, danach den Kleiderschrank und alle anderen Möbel. Es wird schon Nacht, als sie Toilettenschüssel und Badewanne aus der Wand bricht und die Fliesen abschlägt. Im Morgengrauen kratzt sie die Farbe von den Wänden. Dann setzt sie sich auf den Boden und zieht Stück für Stück ihre eigene Haut ab. "Am Samstag" heißt dieser Text. Er ist exemplarisch für die Kurzgeschichten in Quim Monzós Band "Tausend Trottel". Monzó erzählt Alltagsgeschichten auf eine Weise, die das Vertraute fremd erscheinen lässt. Da wird ein Mann, der Anzeigen an Häuserwände klebt, von einer Frau verfolgt, die sie sofort wieder abreißt. Der Prinz schafft es nicht, Dornröschen wachzuküssen, und schläft erschöpft neben ihr ein. Und die Jungfrau Maria treibt ab. Indem er den Plot ins Absurde kippen lässt, ermöglicht Monzó einen klaren Blick auf seine Protagonisten und deren Geschichten, die zugleich witzig und todtraurig sind. (Quim Monzó: "Tausend Trottel". Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 142 S., geb., 17,90 [Euro]) edie
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Frau räumt auf. Zuerst schneidet sie sorgfältig aus allen Fotos ihren Mann heraus, zerstückelt seine Bilder und wirft sie als winzige Schnipsel in den Müll. Dann entsorgt sie seine Kleider, danach den Kleiderschrank und alle anderen Möbel. Es wird schon Nacht, als sie Toilettenschüssel und Badewanne aus der Wand bricht und die Fliesen abschlägt. Im Morgengrauen kratzt sie die Farbe von den Wänden. Dann setzt sie sich auf den Boden und zieht Stück für Stück ihre eigene Haut ab. "Am Samstag" heißt dieser Text. Er ist exemplarisch für die Kurzgeschichten in Quim Monzós Band "Tausend Trottel". Monzó erzählt Alltagsgeschichten auf eine Weise, die das Vertraute fremd erscheinen lässt. Da wird ein Mann, der Anzeigen an Häuserwände klebt, von einer Frau verfolgt, die sie sofort wieder abreißt. Der Prinz schafft es nicht, Dornröschen wachzuküssen, und schläft erschöpft neben ihr ein. Und die Jungfrau Maria treibt ab. Indem er den Plot ins Absurde kippen lässt, ermöglicht Monzó einen klaren Blick auf seine Protagonisten und deren Geschichten, die zugleich witzig und todtraurig sind. (Quim Monzó: "Tausend Trottel". Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 142 S., geb., 17,90 [Euro]) edie
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.03.2010Mängelwesen Mensch
Quim Monzó und sein neuer Erzählungsband „Tausend Trottel”
Wir kennen alle die Szene, aus dem Museum oder direkt aus der Bibel: Der Engel besucht Maria und kündigt ihr eine jungfräuliche Geburt an – was Maria erstaunt, aber demütig zur Kenntnis nimmt. In Quim Monzós Neufassung der Episode tritt Maria selbstbestimmter auf und antwortet dem Engel abschließend: „Ich will nicht. Ich werde dieses Kind nicht bekommen.” Da Monzós 17-Zeilen-Erzählung den Titel „Das Blut des kommenden Monats” trägt, muss man davon ausgehen, dass Maria ihren Willen durchsetzt, was bedeutet: Der Heiland kommt nicht auf die Welt und trägt folglich niemandes Sünden. Weil Maria meint, es besser zu wissen als Gott im Himmel.
Der katalanische Erzähler Quim Monzó schlägt bereits seit langem Kapital aus einem fundamentalen Missverhältnis: Dass der Mensch, so klug er sein mag, immer dumm bleibt in der Welt, denn wenn ihn nicht schon die Welt böse reinlegt, dann spätestens der eigene Verstand, dem er immer zu viel zutraut. Im 800-Seiten-Mammut-Sammelband „Hundert Geschichten” konnte man vor zwei Jahren chronologisch verfolgen, wie Monzó zunächst eher amüsiert mit den Absurditäten des Alltags spielte, dann immer schneidendere Kabinettstückchen über die kleinen Systemfehler des großen Bausatzes Mensch+Welt schrieb, bis er schließlich mit Storys zum Meister wurde, in denen das kalte Lachen und die heiße Verzweiflung über die heillose Existenz kaum noch voneinander zu unterscheiden waren.
Im neuen, schmalen Erzählungsband „Tausend Trottel” geht er noch einen kleinen Schritt weiter in Richtung Trostlosigkeit. Der Tod tritt nun häufiger auf denn je. Zwei Geschichten spielen im Altersheim, und beide Male steht ein Sohn im Mittelpunkt, der weiß, dass Vater und Mutter sterben wollen, er ihnen aber weder beim Leben noch beim Sterben wird behilflich sein können. In diesem finalen familiären Nichtstun inszeniert Monzó das existentiell Absurde so bitter und konkret wie nie zuvor. Ohne Klage selbstverständlich, gegen wen auch?
Welche Schwäche, Bösartigkeit oder Zwangsvorstellung er auch ausbuchstabiert, nie geht es um Schuld oder Moral, stets um die verflixten Schaltkreise des Mängelwesens, das wir selbst sind. Die feinste Versuchsanordnung ist dabei vermutlich jene aus „Die Liebe ist ewig”, in der ein Mann seine (Ex-)Freundin gutwillig heiratet, um ihr, der angeblich Todkranken, die letzten Lebensmonate zu versüßen. Doch dann stirbt sie nicht. Unfair?
Manchmal grantelt es arg
„Tausend Trottel” besteht aus zwei Teilen. Die ganz kurzen Geschichten (eine halbe bis vier Seiten) stehen im zweiten, die etwas längeren im ersten Teil. Das hat den Vorteil, dass man gleich zu Beginn, bei den ersten drei Geschichten, jeden Zweifel an Monzós erzählerischer Reichweite verliert. Es hat allerdings auch einen Nachteil. Man rechnet dann kaum noch mit schwachen Stücken. Die folgen aber im zweiten Teil. Hier muss man Monzó ein paar Mal als (alternden?) Grantler erleben, der meint, dass der gemeine Mensch vor lauter Internet nicht mehr ordentlich zum Gespräch beisammensitzen oder vor lauter Digitalfotografie nicht mehr den Moment genießen kann.
Diese bieder mahnenden Mini-Erzählungen mag man sich noch gerade als Tageszeitungs-Besinnstück vorstellen, und vielleicht sind sie einmal so entstanden. Im größeren Zusammenhang jedoch drücken sie den Durchschnitt und bringen das Buch auf eine schiefe Bahn. Bevor man allerdings mit dem Autor hadert, sollte man vielleicht einfach zum ersten Teil zurückkehren und sich dort wieder mit dem großen Monzó versöhnen. Geht ganz schnell. MERTEN WORTHMANN
QUIM MONZÓ: Tausend Trottel. Erzählungen . Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 142 Seiten, 17,90 Euro.
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Quim Monzó und sein neuer Erzählungsband „Tausend Trottel”
Wir kennen alle die Szene, aus dem Museum oder direkt aus der Bibel: Der Engel besucht Maria und kündigt ihr eine jungfräuliche Geburt an – was Maria erstaunt, aber demütig zur Kenntnis nimmt. In Quim Monzós Neufassung der Episode tritt Maria selbstbestimmter auf und antwortet dem Engel abschließend: „Ich will nicht. Ich werde dieses Kind nicht bekommen.” Da Monzós 17-Zeilen-Erzählung den Titel „Das Blut des kommenden Monats” trägt, muss man davon ausgehen, dass Maria ihren Willen durchsetzt, was bedeutet: Der Heiland kommt nicht auf die Welt und trägt folglich niemandes Sünden. Weil Maria meint, es besser zu wissen als Gott im Himmel.
Der katalanische Erzähler Quim Monzó schlägt bereits seit langem Kapital aus einem fundamentalen Missverhältnis: Dass der Mensch, so klug er sein mag, immer dumm bleibt in der Welt, denn wenn ihn nicht schon die Welt böse reinlegt, dann spätestens der eigene Verstand, dem er immer zu viel zutraut. Im 800-Seiten-Mammut-Sammelband „Hundert Geschichten” konnte man vor zwei Jahren chronologisch verfolgen, wie Monzó zunächst eher amüsiert mit den Absurditäten des Alltags spielte, dann immer schneidendere Kabinettstückchen über die kleinen Systemfehler des großen Bausatzes Mensch+Welt schrieb, bis er schließlich mit Storys zum Meister wurde, in denen das kalte Lachen und die heiße Verzweiflung über die heillose Existenz kaum noch voneinander zu unterscheiden waren.
Im neuen, schmalen Erzählungsband „Tausend Trottel” geht er noch einen kleinen Schritt weiter in Richtung Trostlosigkeit. Der Tod tritt nun häufiger auf denn je. Zwei Geschichten spielen im Altersheim, und beide Male steht ein Sohn im Mittelpunkt, der weiß, dass Vater und Mutter sterben wollen, er ihnen aber weder beim Leben noch beim Sterben wird behilflich sein können. In diesem finalen familiären Nichtstun inszeniert Monzó das existentiell Absurde so bitter und konkret wie nie zuvor. Ohne Klage selbstverständlich, gegen wen auch?
Welche Schwäche, Bösartigkeit oder Zwangsvorstellung er auch ausbuchstabiert, nie geht es um Schuld oder Moral, stets um die verflixten Schaltkreise des Mängelwesens, das wir selbst sind. Die feinste Versuchsanordnung ist dabei vermutlich jene aus „Die Liebe ist ewig”, in der ein Mann seine (Ex-)Freundin gutwillig heiratet, um ihr, der angeblich Todkranken, die letzten Lebensmonate zu versüßen. Doch dann stirbt sie nicht. Unfair?
Manchmal grantelt es arg
„Tausend Trottel” besteht aus zwei Teilen. Die ganz kurzen Geschichten (eine halbe bis vier Seiten) stehen im zweiten, die etwas längeren im ersten Teil. Das hat den Vorteil, dass man gleich zu Beginn, bei den ersten drei Geschichten, jeden Zweifel an Monzós erzählerischer Reichweite verliert. Es hat allerdings auch einen Nachteil. Man rechnet dann kaum noch mit schwachen Stücken. Die folgen aber im zweiten Teil. Hier muss man Monzó ein paar Mal als (alternden?) Grantler erleben, der meint, dass der gemeine Mensch vor lauter Internet nicht mehr ordentlich zum Gespräch beisammensitzen oder vor lauter Digitalfotografie nicht mehr den Moment genießen kann.
Diese bieder mahnenden Mini-Erzählungen mag man sich noch gerade als Tageszeitungs-Besinnstück vorstellen, und vielleicht sind sie einmal so entstanden. Im größeren Zusammenhang jedoch drücken sie den Durchschnitt und bringen das Buch auf eine schiefe Bahn. Bevor man allerdings mit dem Autor hadert, sollte man vielleicht einfach zum ersten Teil zurückkehren und sich dort wieder mit dem großen Monzó versöhnen. Geht ganz schnell. MERTEN WORTHMANN
QUIM MONZÓ: Tausend Trottel. Erzählungen . Aus dem Katalanischen von Monika Lübcke. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2009. 142 Seiten, 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Mit großer Begeisterung bespricht Katharina Granzin diese Erzählungen, an denen sie die geradezu "radikale Genauigkeit der Beobachtungen" besonders fasziniert: wie dabei durch das Gitter des Realen plötzlich auch das Surreale drängt. Die "Grundierungen" dieser Erzählungen bilden den Informationen der Rezensentin zufolge im ersten Teil des Buches Alter und Tod, Schmerz und Krankheit, und zwar "so brutal", dass es der Rezensentin oft ans Herz greift. Die Texte in Teil zwei seien etwas leichter im Ton. Alle Erzählungen des ehemaligen Kriegsberichterstatters unterliegen Granzins Beobachtung zufolge dabei dem gleichen Prinzip, nämlich "existenzielle Sachgassen so auf die Spitze zu treiben", dass sie zur "auswegslosen Lebensfalle" werden. Auch der Übersetzerin Monika Lübcke wird großer Anteil an der Qualität dieses Buchs bescheinigt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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