Dieses Buch ist ein Geniestreich, der alle Genregrenzen sprengt! Declan Burke ist zurück - mit The Big O, der den Leser nach Luft schnappen lässt, vor Spannung und vor Lachen. Ein perfekt austarierter Plot, irrwitzige verbale Schusswechsel und Figuren, die so überzeichnet wie unverwechselbar sind: Karen ist eine Sprechstundenhilfe mit notorisch schlechter Laune. Zum Monatsende unternimmt sie regelmäßig Raubüberfälle unter virtuosem Einsatz ihrer .44er Magnum. Karens Chef, Frank, ist ein Schönheitschirurg mit Geldsorgen und einer Frau, die bald seine Ex-Frau sein wird, Madge. Sie will er entführen lassen, um das Lösegeld von der Versicherung zu kassieren. Hier kommt Ray ins Spiel, den Karen kennengelernt hat, als sie ihn bei einem Überfall versehentlich fast erschossen hätte. Hauptberuflich malt Ray Wandbilder, aber nebenbei ist er Auftrags-Kidnapper. Nur leider ist Madge, auf die er angesetzt wird, Karens beste Freundin. Und dann ist da noch Karens Ex Rossi, der gerade aus dem Knast kommt und sich an ihre Fersen heftet, denn sie hat noch ein Motorrad und eine Knarre, die ihm gehören … Die Übersetzung des Folgebands, in aller Konsequenz Crime Always Pays betitelt, ist in Arbeit.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Bereits 2007 veröffentlicht, ist Declan Burkes grandiose Krimi-Groteske nun auch auf Deutsch erschienen, freut sich Rezensent Christopher Schmidt. Burke beherrscht nicht nur die Kunst des Genre-Mix aus Crime und Comedy, Screwball und Noir, sondern spielt auch derart genial mit den verschiedenen Erzählperspektiven, dass der Leser während der Lektüre selbst zum Detektiv wird, schwärmt der Kritiker. Und so folgt er gebannt dem Figurenensemble, das sich immer tiefer in Liebes- und Geschäftsbeziehungen verwickelt und durch Dublin, allerdings noch vor der Finanzkrise, irrt. Dass Burke Tarantino, James Cagney, Bruce Springsteen, Rossini und vielen anderen seine Reverenz erweist, macht das Buch vollends zum Ereignis, schließt Schmidt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2016Ein Haufen Verrückter unter sich
Nicht hasenrein: Declan Burke liefert mit "The Big O" eine Screwballkomödie
Diese Geschichte ist ein einziger Wahnsinn. Entsprechend ist ihr Personal ein Satz von Verrückten, wie sie im echten Leben in Reinform kaum vorkommen und schon gar nicht realistischerweise zusammengeführt werden.
Eine gewisse Ordnung stiften die sieben Kapitel, die nach den Wochentagen Mittwoch bis Dienstag heißen, in denen sich die wirre Handlung verdichtet, außerdem sind die einzelnen Absätze jeweils mit den Namen der dramatis personae überschrieben. Die da wären (in der Reihenfolge ihres Erscheinens): Karen, eine Frau Anfang dreißig mit schiefgehauenem Unterkiefer, aber einer Menge Sex und Grips; Ray, ein Typ mit Tolle und knackigem Hintern, den man sich irgendwie wie den britischen Sänger Morrissey vorzustellen hat, aber jünger; Frank, ein Schönheitschirurg, den schlechte Schnipseleien an optimierungswilligen Frauen in Verruf und an den Rand des Ruins gebracht haben.
Dann folgt Rossi, ein gerade entlassener Kleingangster, mit einem überlebensgroßen Ego, einem viel zu weiten Nadelstreifenanzug und geringem Verstand; Madge, Franks Noch-Ehefrau, die den Gatten nicht schlecht abzockt und ansonsten scharf auf jüngere Männer ist; Doyle, eine liebestolle Polizistin mit eher beschränktem Horizont; und Anna, eine einäugige Mischung aus Husky und Wolf. Anna ist die eigentliche Sympathieträgerin in dem absurden Spiel - neben Karen und Ray, wenn man das so sagen darf, wo es doch ständig um Gaunereien größeren oder kleineren Ausmaßes geht. Dann sind da noch ein paar weitere Figuren unterwegs, um das Chaos perfekt zu machen.
Etwas wie einen Plot hat sich der in seiner irischen Heimat erfolgreiche Krimiautor Declan Burke auch einfallen lassen: Frank will seine Ex Madge entführen lassen, um so die Versicherung um eine halbe Million Euro zu betrügen und damit abzuhauen aus Dublin, wo die Chose ihren Lauf nimmt. In diesen Plan werden, auf verqueren Umwegen, eben Karen und Ray verwickelt. Wobei festzuhalten ist, dass Karen im Hauptberuf die Sprechstundenhilfe von Frank ist (im Nebenberuf macht sie ab und an kleinere Überfälle), obendrein die beste Freundin von Madge und das Frauchen von Anna. Und dass Ray (der im Hauptberuf Wandmaler ist) just seine Karriere als Entführungsspezialist hatte beenden wollen (oder auch nicht), als er auf Karen trifft und sie zu mögen beginnt. Dazwischen funkt nun aber Rossi, Karens ehemaliger Lover, der sich bei ihr "die sechzig Riesen" (aus seinem bisher letzten Überfall) zurückholen möchte, außerdem seine Ducati und seine 44er Magnum (Dinge, die Karen für ihren Lebensstil und ihre Freizeittätigkeit an sich genommen hat). Es ist leicht zu erkennen, dass das nicht glattgehen kann.
Was aber hat der geneigte Leser damit zu tun? Der muss so einen Zirkus wollen, um auf seine Kosten zu kommen. Eine abstruse Situation jagt die nächste, ständig plappern die Protagonisten dazu in ihrem an Zoten und Vulgaritäten reichen Umgangston. Der Übersetzer Robert Brack hat ganze Arbeit geleistet, nicht nur was das extrabreite Spektrum von Wörtern angeht, die nicht zwingend im kultivierten Thesaurus vorkommen. Hinter allem steht ein rabiat unterkomplexes Frauen-(allerdings auch Männer-)Bild, das dem Autor freilich keinesfalls unterlaufen ist, sondern im Gegenteil als entscheidendes Stilmittel fungiert. Hat sich der Leser also erst einmal dieser literarischen Strategie zugeneigt, kann er sich durchaus amüsieren. Im Kern sind es die Qualitäten der klassischen Screwballkomödie mit ihren zugespitzten Dialogen besonders im Feld der Paarbeziehung, die Burke zur Dynamisierung seiner Handlung einsetzt. Es gibt jede Menge Anspielungen, auf Musik und auf Filme; Ray hört ständig Bruce Springsteen im Auto, und Frank steht auf Opern, besonders von Rossini (was irgendwann zu einem kurzzeitig dramatischen Missverständnis führt).
"The Big O" erschien in Irland bereits 2007, daher gibt es ein paar kleine Antiquiertheiten. Allerdings ist diese Story sowieso als Kriminalroman nicht hasenrein, sie tendiert in Richtung Fantasy Fiction, eine Parodie des Genres ist sie jedenfalls. Irgendwann, sehr spät, erfährt man dann auch, was "The Big O" eigentlich bedeutet, natürlich wieder mit doppeltem Boden. Und den allerletzten Biss hat Anna.
ROSE-MARIA GROPP
Declan Burke: "The Big O". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 317 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nicht hasenrein: Declan Burke liefert mit "The Big O" eine Screwballkomödie
Diese Geschichte ist ein einziger Wahnsinn. Entsprechend ist ihr Personal ein Satz von Verrückten, wie sie im echten Leben in Reinform kaum vorkommen und schon gar nicht realistischerweise zusammengeführt werden.
Eine gewisse Ordnung stiften die sieben Kapitel, die nach den Wochentagen Mittwoch bis Dienstag heißen, in denen sich die wirre Handlung verdichtet, außerdem sind die einzelnen Absätze jeweils mit den Namen der dramatis personae überschrieben. Die da wären (in der Reihenfolge ihres Erscheinens): Karen, eine Frau Anfang dreißig mit schiefgehauenem Unterkiefer, aber einer Menge Sex und Grips; Ray, ein Typ mit Tolle und knackigem Hintern, den man sich irgendwie wie den britischen Sänger Morrissey vorzustellen hat, aber jünger; Frank, ein Schönheitschirurg, den schlechte Schnipseleien an optimierungswilligen Frauen in Verruf und an den Rand des Ruins gebracht haben.
Dann folgt Rossi, ein gerade entlassener Kleingangster, mit einem überlebensgroßen Ego, einem viel zu weiten Nadelstreifenanzug und geringem Verstand; Madge, Franks Noch-Ehefrau, die den Gatten nicht schlecht abzockt und ansonsten scharf auf jüngere Männer ist; Doyle, eine liebestolle Polizistin mit eher beschränktem Horizont; und Anna, eine einäugige Mischung aus Husky und Wolf. Anna ist die eigentliche Sympathieträgerin in dem absurden Spiel - neben Karen und Ray, wenn man das so sagen darf, wo es doch ständig um Gaunereien größeren oder kleineren Ausmaßes geht. Dann sind da noch ein paar weitere Figuren unterwegs, um das Chaos perfekt zu machen.
Etwas wie einen Plot hat sich der in seiner irischen Heimat erfolgreiche Krimiautor Declan Burke auch einfallen lassen: Frank will seine Ex Madge entführen lassen, um so die Versicherung um eine halbe Million Euro zu betrügen und damit abzuhauen aus Dublin, wo die Chose ihren Lauf nimmt. In diesen Plan werden, auf verqueren Umwegen, eben Karen und Ray verwickelt. Wobei festzuhalten ist, dass Karen im Hauptberuf die Sprechstundenhilfe von Frank ist (im Nebenberuf macht sie ab und an kleinere Überfälle), obendrein die beste Freundin von Madge und das Frauchen von Anna. Und dass Ray (der im Hauptberuf Wandmaler ist) just seine Karriere als Entführungsspezialist hatte beenden wollen (oder auch nicht), als er auf Karen trifft und sie zu mögen beginnt. Dazwischen funkt nun aber Rossi, Karens ehemaliger Lover, der sich bei ihr "die sechzig Riesen" (aus seinem bisher letzten Überfall) zurückholen möchte, außerdem seine Ducati und seine 44er Magnum (Dinge, die Karen für ihren Lebensstil und ihre Freizeittätigkeit an sich genommen hat). Es ist leicht zu erkennen, dass das nicht glattgehen kann.
Was aber hat der geneigte Leser damit zu tun? Der muss so einen Zirkus wollen, um auf seine Kosten zu kommen. Eine abstruse Situation jagt die nächste, ständig plappern die Protagonisten dazu in ihrem an Zoten und Vulgaritäten reichen Umgangston. Der Übersetzer Robert Brack hat ganze Arbeit geleistet, nicht nur was das extrabreite Spektrum von Wörtern angeht, die nicht zwingend im kultivierten Thesaurus vorkommen. Hinter allem steht ein rabiat unterkomplexes Frauen-(allerdings auch Männer-)Bild, das dem Autor freilich keinesfalls unterlaufen ist, sondern im Gegenteil als entscheidendes Stilmittel fungiert. Hat sich der Leser also erst einmal dieser literarischen Strategie zugeneigt, kann er sich durchaus amüsieren. Im Kern sind es die Qualitäten der klassischen Screwballkomödie mit ihren zugespitzten Dialogen besonders im Feld der Paarbeziehung, die Burke zur Dynamisierung seiner Handlung einsetzt. Es gibt jede Menge Anspielungen, auf Musik und auf Filme; Ray hört ständig Bruce Springsteen im Auto, und Frank steht auf Opern, besonders von Rossini (was irgendwann zu einem kurzzeitig dramatischen Missverständnis führt).
"The Big O" erschien in Irland bereits 2007, daher gibt es ein paar kleine Antiquiertheiten. Allerdings ist diese Story sowieso als Kriminalroman nicht hasenrein, sie tendiert in Richtung Fantasy Fiction, eine Parodie des Genres ist sie jedenfalls. Irgendwann, sehr spät, erfährt man dann auch, was "The Big O" eigentlich bedeutet, natürlich wieder mit doppeltem Boden. Und den allerletzten Biss hat Anna.
ROSE-MARIA GROPP
Declan Burke: "The Big O". Kriminalroman.
Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 317 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2016Kaliber
durchgeknallt
Irisch gut: Declan Burkes Krimi-Groteske
„The Big O“ aus dem Dublin der fetten Boomjahre
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Irland, die grüne Insel – in diesem Buch ist sie durch und durch schwarz, schwarz wie schwarzes Geld und schwarzer Humor. Denn aus einem abgekarteten Spiel – Entführe deine Noch-Ehefrau, um von der Versicherung das Lösegeld einzusacken und dich auf die Malediven abzusetzen – wird in Declan Burkes „The Big O“ bald ein Doppel- und dann ein Dreifach- und Vierfachspiel, sodass am Ende keiner der Zinker und Zocker mehr so recht weiß, wer eigentlich wen umgedreht und hinter dem Rücken der anderen auf seine Seite gebracht hat und welcher von allen der Drahtzieher ist, auf den man beim Showdown die Waffe richten sollte.
Wo Karen und Ray, Madge und Frank, Rossi und Doyle längst die Übersicht verloren haben über ihre Loyalitäten, behält allein Anna den Durchblick – und das obwohl oder eben gerade weil sie kein Mensch ist, sondern eine Mischlingsdame, halb Wolf, halb Husky, und noch dazu auf einem Auge blind. Allerdings nicht auf dem Auge, mit dem sie ihren einstigen Peiniger in den Blick nimmt, der ihr zu der schwarzen Piratenklappe verholfen hat. Eine traumatisierte Freibeuterin ist auch Annas Besitzerin Karen, deren schiefer Unterkiefer ihr dieses wölfische Lächeln verleiht. Vor Jahren hatte sie mit dem Kinn ein Waschbecken zertrümmert, damit ihr die Polizei glaubt, dass sie von ihrem Vater regelmäßig vergewaltigt wird und ihm deshalb eine Gabel in den Brustkorb gerammt hat.
In ihrer Freizeit überfällt Karen Tankstellen und Wettbüros, um ihr Gehalt als Sprechstundenhilfe aufzubessern. Das nötige Zubehör, eine 44er Magnum und eine Ducati, hat sie von ihrem Ex übernommen, der bald aus dem Knast entlassen werden soll. „Bash ’n’ Cash“ nennt sie ihr Geschäftsmodell. Doch bei einem ihrer Beutezüge läuft ihr Ray in die Schusslinie (zum Glück ist die Waffe nicht geladen), ein hübscher Schlaks mit Morrissey-Tolle und ebenfalls kriminellem Nebenerwerb. Ray transportiert in seinem Ford Transit beileibe nicht nur Farbeimer für seinen Job als Raumgestalter, sondern auch die Opfer diverser Entführungen, die er auf Freelance-Basis und nach Auftragslage erledigt. Diese Doppelbegabung mit Kleisterquast und Kabelbinder beschert dem Buch schön schräge Tarantino-Momente, da Ray noch bei unpassendster Gelegenheit über Rollos und Farbmustertafeln fachsimpeln kann.
Über viele Talente verfügt ebenso der irische Autor Declan Burke, der diesen knalligen Genremix aus Crime und Comedy, Screwball und Noir angerührt hat: Da gibt es den Knacki Rossi, der, gerade erst wieder auf freiem Fuß, seine Schritte in eine Oxfam-Filiale lenkt, wo er sich als Mobster einkleidet. Oder einen verirrten Golfball, an dessen Wucht beinahe der Traum von einem sorgenfreien Leben zerbricht. Und eine mannstolle Polizistin, die den Hauptverdächtigen lieber in ihr Bett bekäme als in eine Gefängniszelle. Denn Sex, der allerdings meist nur verbal vollzogen wird, hat sowieso seinen festen Platz im Repertoire des Declan Burke, der bei uns 2014 mit seinem Roman „Absolute Zero Cool“ entdeckt wurde. Das ist der Grund, weshalb „The Big O“ erst jetzt auf Deutsch herauskommt, obwohl das gleichnamige Original bereits 2007 erschienen ist.
Leser, die das nicht wissen, könnten irritiert sein, denn das Dublin, das Burke beschreibt, ist nicht das der Finanzkrise und Sparrunden, sondern die vormalige Boomtown, Steuerparadies der New Economy. Und auf diesen fiebrigen Zeitgeist zielt der Roman, wenn er den Kick des schnellen Geldes ins Visier nimmt. Irland erscheint hier als moralische Offshore-Oase triebgesteuerter Raubritter, für die das Leben eine Spekulationsblase ist und Glück ein ungedeckter Kredit.
Personifiziert wird der frivole Zeitgeist von Frank, einem Schönheitschirurgen, in dessen Golfclub die Ehefrauen mit jedem Mann ins Bett gehen, dessen Handicap nicht höher ist als zwölf. Da er nach einer Reihe von Kunstfehlern seine Zulassung verloren hat und ihm das Geld ausgeht, um den gewohnten Luxuslebensstandard zu halten, verfällt er, kurz bevor die Scheidung durch ist, auf die Idee mit der Entführung. Doch zufällig ist Madge, die ihren Ex mit der Hingabe einer Hyäne ausnimmt und deren Spaziergänge nie weiter führen als bis zur Hausbar, solange ein knackiger „Toyboy“ fürs Schlafzimmer auf sich warten lässt, die beste Freundin von Karen – und Frank einerseits im bürgerlichen Teil von Karens Berufsleben als Sprechstundenhilfe der Arbeitgeber, andererseits auch im unbürgerlichen Teil von Rays Berufsleben als Kidnapper. Und Karen und Ray sind mittlerweile ein Paar. Als wäre das noch nicht kompliziert genug, lässt Frank sich zu allem Überfluss sein Handy klauen, was sowohl Karens eifersüchtigen Freund Rossi auf seine Spur führt als auch die Polizei. Muss man noch eigens erwähnen, dass fast alle Beteiligten Pillen einwerfen, die ihnen die Welt so richtig schön bunt machen?
Declan Burke choreografiert die Twists der Romanhandlung, indem er das Geschehen aus wechselnder Perspektive schildert: Jedes Kapitel ist mit dem Namen der jeweiligen Erzählstimme überschrieben. Dadurch wird dem Leser immer gerade so viel Information vorenthalten, wie nötig ist, um ihn selber zum Detektiv zu machen. In seinem synkopischen Drive erinnert das Buch an „Get Shorty“ von Elmore Leonard, den Burke eingangs zitiert.
Dabei ist dieser Roman schon fast sein eigenes Drehbuch, nicht nur weil Burke seine Geschichte überwiegend in Dialogen erzählt – deren zumeist nicht jugendfreie Pointen lenkt die Übersetzung treffsicher ins Deutsche –, sondern auch weil er filmische Referenzen von James Cagney bis zu „Taxi Driver“ gleich mitliefert sowie Soundtrack-Anregungen, die von Bruce Springsteen über Rossini bis zu den Tindersticks reichen. Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll eben. Declan Burke stürzt seine Figuren in eine abgründige Gemengelage aus Liebes- und Geschäftsbeziehungen. Die ganze Doppelbödigkeit kommt schon im Titel zum Ausdruck, der so aufgelöst wird: „ . . . dann formte Karens Mund sich zu einem großen O, neben dem die Mündung von Rossis Waffe wie ein Nadelöhr wirkte“. Doch welche der beiden Öffnungen mehr Feuerkraft besitzt, bleibt hier so ungewiss wie nur je ein Open End.
Declan Burke: The Big O.
Kriminalroman. Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 320 Seiten, 18 Euro.
E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
durchgeknallt
Irisch gut: Declan Burkes Krimi-Groteske
„The Big O“ aus dem Dublin der fetten Boomjahre
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Irland, die grüne Insel – in diesem Buch ist sie durch und durch schwarz, schwarz wie schwarzes Geld und schwarzer Humor. Denn aus einem abgekarteten Spiel – Entführe deine Noch-Ehefrau, um von der Versicherung das Lösegeld einzusacken und dich auf die Malediven abzusetzen – wird in Declan Burkes „The Big O“ bald ein Doppel- und dann ein Dreifach- und Vierfachspiel, sodass am Ende keiner der Zinker und Zocker mehr so recht weiß, wer eigentlich wen umgedreht und hinter dem Rücken der anderen auf seine Seite gebracht hat und welcher von allen der Drahtzieher ist, auf den man beim Showdown die Waffe richten sollte.
Wo Karen und Ray, Madge und Frank, Rossi und Doyle längst die Übersicht verloren haben über ihre Loyalitäten, behält allein Anna den Durchblick – und das obwohl oder eben gerade weil sie kein Mensch ist, sondern eine Mischlingsdame, halb Wolf, halb Husky, und noch dazu auf einem Auge blind. Allerdings nicht auf dem Auge, mit dem sie ihren einstigen Peiniger in den Blick nimmt, der ihr zu der schwarzen Piratenklappe verholfen hat. Eine traumatisierte Freibeuterin ist auch Annas Besitzerin Karen, deren schiefer Unterkiefer ihr dieses wölfische Lächeln verleiht. Vor Jahren hatte sie mit dem Kinn ein Waschbecken zertrümmert, damit ihr die Polizei glaubt, dass sie von ihrem Vater regelmäßig vergewaltigt wird und ihm deshalb eine Gabel in den Brustkorb gerammt hat.
In ihrer Freizeit überfällt Karen Tankstellen und Wettbüros, um ihr Gehalt als Sprechstundenhilfe aufzubessern. Das nötige Zubehör, eine 44er Magnum und eine Ducati, hat sie von ihrem Ex übernommen, der bald aus dem Knast entlassen werden soll. „Bash ’n’ Cash“ nennt sie ihr Geschäftsmodell. Doch bei einem ihrer Beutezüge läuft ihr Ray in die Schusslinie (zum Glück ist die Waffe nicht geladen), ein hübscher Schlaks mit Morrissey-Tolle und ebenfalls kriminellem Nebenerwerb. Ray transportiert in seinem Ford Transit beileibe nicht nur Farbeimer für seinen Job als Raumgestalter, sondern auch die Opfer diverser Entführungen, die er auf Freelance-Basis und nach Auftragslage erledigt. Diese Doppelbegabung mit Kleisterquast und Kabelbinder beschert dem Buch schön schräge Tarantino-Momente, da Ray noch bei unpassendster Gelegenheit über Rollos und Farbmustertafeln fachsimpeln kann.
Über viele Talente verfügt ebenso der irische Autor Declan Burke, der diesen knalligen Genremix aus Crime und Comedy, Screwball und Noir angerührt hat: Da gibt es den Knacki Rossi, der, gerade erst wieder auf freiem Fuß, seine Schritte in eine Oxfam-Filiale lenkt, wo er sich als Mobster einkleidet. Oder einen verirrten Golfball, an dessen Wucht beinahe der Traum von einem sorgenfreien Leben zerbricht. Und eine mannstolle Polizistin, die den Hauptverdächtigen lieber in ihr Bett bekäme als in eine Gefängniszelle. Denn Sex, der allerdings meist nur verbal vollzogen wird, hat sowieso seinen festen Platz im Repertoire des Declan Burke, der bei uns 2014 mit seinem Roman „Absolute Zero Cool“ entdeckt wurde. Das ist der Grund, weshalb „The Big O“ erst jetzt auf Deutsch herauskommt, obwohl das gleichnamige Original bereits 2007 erschienen ist.
Leser, die das nicht wissen, könnten irritiert sein, denn das Dublin, das Burke beschreibt, ist nicht das der Finanzkrise und Sparrunden, sondern die vormalige Boomtown, Steuerparadies der New Economy. Und auf diesen fiebrigen Zeitgeist zielt der Roman, wenn er den Kick des schnellen Geldes ins Visier nimmt. Irland erscheint hier als moralische Offshore-Oase triebgesteuerter Raubritter, für die das Leben eine Spekulationsblase ist und Glück ein ungedeckter Kredit.
Personifiziert wird der frivole Zeitgeist von Frank, einem Schönheitschirurgen, in dessen Golfclub die Ehefrauen mit jedem Mann ins Bett gehen, dessen Handicap nicht höher ist als zwölf. Da er nach einer Reihe von Kunstfehlern seine Zulassung verloren hat und ihm das Geld ausgeht, um den gewohnten Luxuslebensstandard zu halten, verfällt er, kurz bevor die Scheidung durch ist, auf die Idee mit der Entführung. Doch zufällig ist Madge, die ihren Ex mit der Hingabe einer Hyäne ausnimmt und deren Spaziergänge nie weiter führen als bis zur Hausbar, solange ein knackiger „Toyboy“ fürs Schlafzimmer auf sich warten lässt, die beste Freundin von Karen – und Frank einerseits im bürgerlichen Teil von Karens Berufsleben als Sprechstundenhilfe der Arbeitgeber, andererseits auch im unbürgerlichen Teil von Rays Berufsleben als Kidnapper. Und Karen und Ray sind mittlerweile ein Paar. Als wäre das noch nicht kompliziert genug, lässt Frank sich zu allem Überfluss sein Handy klauen, was sowohl Karens eifersüchtigen Freund Rossi auf seine Spur führt als auch die Polizei. Muss man noch eigens erwähnen, dass fast alle Beteiligten Pillen einwerfen, die ihnen die Welt so richtig schön bunt machen?
Declan Burke choreografiert die Twists der Romanhandlung, indem er das Geschehen aus wechselnder Perspektive schildert: Jedes Kapitel ist mit dem Namen der jeweiligen Erzählstimme überschrieben. Dadurch wird dem Leser immer gerade so viel Information vorenthalten, wie nötig ist, um ihn selber zum Detektiv zu machen. In seinem synkopischen Drive erinnert das Buch an „Get Shorty“ von Elmore Leonard, den Burke eingangs zitiert.
Dabei ist dieser Roman schon fast sein eigenes Drehbuch, nicht nur weil Burke seine Geschichte überwiegend in Dialogen erzählt – deren zumeist nicht jugendfreie Pointen lenkt die Übersetzung treffsicher ins Deutsche –, sondern auch weil er filmische Referenzen von James Cagney bis zu „Taxi Driver“ gleich mitliefert sowie Soundtrack-Anregungen, die von Bruce Springsteen über Rossini bis zu den Tindersticks reichen. Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll eben. Declan Burke stürzt seine Figuren in eine abgründige Gemengelage aus Liebes- und Geschäftsbeziehungen. Die ganze Doppelbödigkeit kommt schon im Titel zum Ausdruck, der so aufgelöst wird: „ . . . dann formte Karens Mund sich zu einem großen O, neben dem die Mündung von Rossis Waffe wie ein Nadelöhr wirkte“. Doch welche der beiden Öffnungen mehr Feuerkraft besitzt, bleibt hier so ungewiss wie nur je ein Open End.
Declan Burke: The Big O.
Kriminalroman. Aus dem Englischen von Robert Brack. Edition Nautilus, Hamburg 2016. 320 Seiten, 18 Euro.
E-Book 14,99 Euro.
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