In Persian myth, it is said that Akbar the Great once built a palace which he filled with newborn children, attended only by mutes, in order to learn whether language is innate or aquired. As the year passed and the chidren grew into their silent and difficult world, this palace became known as the Gang Mahal, or Dumb House. In his first novel, John Burnside explores the possibilites inherent in a modern-day repetition of Akbar`s investigations. Following the death of his mother, the unnamed narrator creates a twisted varient of the Dumb House, finally using his own chidren as subjects in a bizarre experiment. When the children develop a musical language of their own, however, their gaoler is the one who is excluded, and he extracts an appalling revenge.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.2014Dunkler Fürst mit Zange und Skalpell
Der Forscher ist das Monster, das er schuf: John Burnsides erster Roman "Haus der Stummen" von 1997 fragt nach dem Ursprung der Sprache. Jetzt erscheint das Buch erstmals auf Deutsch.
Ist Luke ein braves Kind? Er liebt seine Mutter, vielleicht etwas zu sehr, erträgt geduldig seinen Vater, vielleicht etwas zu herablassend, geht zur Schule und verhält sich alles in allem eher unauffällig. Aber Luke ist kein normales Kind. Er ist der Bewohner eines "geheimen Reiches", zu dem er sich mit Zange und Skalpell Einlass verschafft hat. Hier wächst er zu einem jungen Mann heran, zum Alleinherrscher im Fürstentum einer pervertierten Wissenschaft, der alles, was lebt, als Forschungsmaterial zu dienen hat. Das Lebendige wie das Tote ist dem Wissensdurst eines geisteskranken Autodidakten unterworfen, der am Ende des Experiments, dem er sein Leben gewidmet hat, sogar seine eigenen Nachkommen tötet.
Luke ist den Geheimnissen der Existenz auf der Spur. Er beginnt mit toten Tieren, die er im Wald findet, geht aber rasch zu lebenden Objekten über, deren Körper er öffnet, um einen Blick auf das letzte Pochen der Herzen zu erhaschen und den Ausdruck in den brechenden Augen zu studieren. Was er in diesen Momenten verspürt, hält er für Erfüllung: "Lange war ich glücklich. Ich spürte, mit einiger Anstrengung müsste es möglich sein, die Wahrheit zu entdecken."
Um welche Art von Wahrheit geht es hier? Der Schotte John Burnside, Jahrgang 1955, hat sich zunächst als Lyriker einen Namen gemacht, bevor er 1997 mit "Haus der Stummen" seinen ersten Roman schrieb, der jetzt auch auf Deutsch vorliegt, geschmeidig übersetzt von Bernhard Robben. Man kann dieses Buch in der Tradition von Mary Shelleys "Frankenstein" lesen: Dann hat man das Psychogramm eines besessenen Forschers, der den Menschen erforscht und darüber inhuman wird. Aber warum müssen wir Luke dann schon als Kind kennenlernen? Weil Burnside uns zeigen will, dass der Wissensdurst seines Ich-Erzählers nie kindlich und unschuldig war.
Von kleinauf ist Luke ein willenloser Diener seiner abnormalen Leidenschaften und Affekte, zu deren Erfüllung und Rechtfertigung er das Reich seiner Pseudowissenschaft errichtet, in dem er sich als Herrscher fühlen darf. Identität betrachtet er als Illusion, als "Kunsthandwerk der Seele". Für ihn ist der Mensch nicht frei in seinen Entscheidungen, sondern determiniert durch eine Art Urverlangen, das etwas vage als "anfänglicher Impuls" bezeichnet wird. Er war Luke von Anfang an eingeschrieben, "so sehr Teil von mir wie meine Liebe zu Mutter".
Wer will, kann Lukes Bindung zu der vergötterten Mutter, die inzestuöse und nekrophile Gelüste in ihm weckt, ebenso als Erklärung heranziehen wie die auffallend beiläufig erwähnte Begegnung des Jungen mit einem zudringlichen Fremden im Wald. Aber Lukes Verhalten auf eine Missbrauchserfahrung zurückzuführen wäre zu simpel. Deshalb gesteht Burnside seinem Ich-Erzähler eine Vielzahl von Schlüsselerlebnissen zu. Jedes für sich genommen ist ein schlüssiges Indiz in einer Kette, die sich nicht schließen lässt und sich nicht schließen lassen darf. Denn die irritierende Faszination, die von Lukes tiefgestörter Persönlichkeit ausgeht, beruht darauf, dass seiner Rationalität ein irrationaler Kern innewohnt, der sich weder benennen noch herausschälen lässt.
Shelley kettet Frankenstein und seine Kreatur aneinander, indem sie zeigt, dass der Wissenschaftler und sein Geschöpf Opfer und Täter zugleich sind. Burnsides Luke ist bindungslos und bindungsunfähig, ein Solipsist ohne das Bedürfnis nach Nähe, dessen sexuelle Begegnungen gewalttätig und machtorientiert verlaufen. Ein selbsternannter Seelenkundler ohne jede Spur von Einfühlungsvermögens muss über kurz oder lang paranoid werden, und in einer Mischung aus Paranoia und Enttäuschung über sein fehlgeschlagenes Experiment tötet Luke schließlich die Versuchsobjekte, zu denen er seine eigenen Kinder gemacht hatte. Das Monster, das dieser Forscher erschaffen hat, ist er selbst.
"Haus der Stummen" ist keine Lektüre für zarte Gemüter und Eltern kleiner Kinder. Das Experiment des Großmoguls Akbar, das Lukes Mutter ihrem Sohn erzählt, als handelte es sich um ein Märchen, galt der Frage, ob die Gabe der Sprache angeboren oder erlernt sei. Deshalb ließ Akbar etliche Neugeborene aus allen Teilen seines Reiches in ein Haus bringen, das er fernab von allen menschlichen Behausungen errichtet hatte. In diesem Haus der Stummen wuchsen die Kinder auf, ohne jemals die Laute einer menschlichen Stimme zu vernehmen. Luke glaubt, dass die Kinder dort umgeben waren von Phänomenen und Dingen, die sie weder definieren noch benennen konnten, die also so namenlos blieben, wie sie es waren, bevor Adam ihnen Namen gab. Diese Kinder kannten die Welt so, "wie Gott sie kannte".
Von Kleist stammt der Gedanke, dass wir einmal um die Erde reisen müssten, um zu sehen, ob nicht noch ein Hintereingang zum Paradies zu finden sei. John Burnsides Bücher schließen diese Hoffnung aus. Wenn es überhaupt einen Weg zurück zur Paradiesesunschuld gibt, dann führt er bei Burnside mitten durch die Hölle.
HUBERT SPIEGEL
John Burnside: "Haus der Stummen". Roman.
Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2014. 256 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Forscher ist das Monster, das er schuf: John Burnsides erster Roman "Haus der Stummen" von 1997 fragt nach dem Ursprung der Sprache. Jetzt erscheint das Buch erstmals auf Deutsch.
Ist Luke ein braves Kind? Er liebt seine Mutter, vielleicht etwas zu sehr, erträgt geduldig seinen Vater, vielleicht etwas zu herablassend, geht zur Schule und verhält sich alles in allem eher unauffällig. Aber Luke ist kein normales Kind. Er ist der Bewohner eines "geheimen Reiches", zu dem er sich mit Zange und Skalpell Einlass verschafft hat. Hier wächst er zu einem jungen Mann heran, zum Alleinherrscher im Fürstentum einer pervertierten Wissenschaft, der alles, was lebt, als Forschungsmaterial zu dienen hat. Das Lebendige wie das Tote ist dem Wissensdurst eines geisteskranken Autodidakten unterworfen, der am Ende des Experiments, dem er sein Leben gewidmet hat, sogar seine eigenen Nachkommen tötet.
Luke ist den Geheimnissen der Existenz auf der Spur. Er beginnt mit toten Tieren, die er im Wald findet, geht aber rasch zu lebenden Objekten über, deren Körper er öffnet, um einen Blick auf das letzte Pochen der Herzen zu erhaschen und den Ausdruck in den brechenden Augen zu studieren. Was er in diesen Momenten verspürt, hält er für Erfüllung: "Lange war ich glücklich. Ich spürte, mit einiger Anstrengung müsste es möglich sein, die Wahrheit zu entdecken."
Um welche Art von Wahrheit geht es hier? Der Schotte John Burnside, Jahrgang 1955, hat sich zunächst als Lyriker einen Namen gemacht, bevor er 1997 mit "Haus der Stummen" seinen ersten Roman schrieb, der jetzt auch auf Deutsch vorliegt, geschmeidig übersetzt von Bernhard Robben. Man kann dieses Buch in der Tradition von Mary Shelleys "Frankenstein" lesen: Dann hat man das Psychogramm eines besessenen Forschers, der den Menschen erforscht und darüber inhuman wird. Aber warum müssen wir Luke dann schon als Kind kennenlernen? Weil Burnside uns zeigen will, dass der Wissensdurst seines Ich-Erzählers nie kindlich und unschuldig war.
Von kleinauf ist Luke ein willenloser Diener seiner abnormalen Leidenschaften und Affekte, zu deren Erfüllung und Rechtfertigung er das Reich seiner Pseudowissenschaft errichtet, in dem er sich als Herrscher fühlen darf. Identität betrachtet er als Illusion, als "Kunsthandwerk der Seele". Für ihn ist der Mensch nicht frei in seinen Entscheidungen, sondern determiniert durch eine Art Urverlangen, das etwas vage als "anfänglicher Impuls" bezeichnet wird. Er war Luke von Anfang an eingeschrieben, "so sehr Teil von mir wie meine Liebe zu Mutter".
Wer will, kann Lukes Bindung zu der vergötterten Mutter, die inzestuöse und nekrophile Gelüste in ihm weckt, ebenso als Erklärung heranziehen wie die auffallend beiläufig erwähnte Begegnung des Jungen mit einem zudringlichen Fremden im Wald. Aber Lukes Verhalten auf eine Missbrauchserfahrung zurückzuführen wäre zu simpel. Deshalb gesteht Burnside seinem Ich-Erzähler eine Vielzahl von Schlüsselerlebnissen zu. Jedes für sich genommen ist ein schlüssiges Indiz in einer Kette, die sich nicht schließen lässt und sich nicht schließen lassen darf. Denn die irritierende Faszination, die von Lukes tiefgestörter Persönlichkeit ausgeht, beruht darauf, dass seiner Rationalität ein irrationaler Kern innewohnt, der sich weder benennen noch herausschälen lässt.
Shelley kettet Frankenstein und seine Kreatur aneinander, indem sie zeigt, dass der Wissenschaftler und sein Geschöpf Opfer und Täter zugleich sind. Burnsides Luke ist bindungslos und bindungsunfähig, ein Solipsist ohne das Bedürfnis nach Nähe, dessen sexuelle Begegnungen gewalttätig und machtorientiert verlaufen. Ein selbsternannter Seelenkundler ohne jede Spur von Einfühlungsvermögens muss über kurz oder lang paranoid werden, und in einer Mischung aus Paranoia und Enttäuschung über sein fehlgeschlagenes Experiment tötet Luke schließlich die Versuchsobjekte, zu denen er seine eigenen Kinder gemacht hatte. Das Monster, das dieser Forscher erschaffen hat, ist er selbst.
"Haus der Stummen" ist keine Lektüre für zarte Gemüter und Eltern kleiner Kinder. Das Experiment des Großmoguls Akbar, das Lukes Mutter ihrem Sohn erzählt, als handelte es sich um ein Märchen, galt der Frage, ob die Gabe der Sprache angeboren oder erlernt sei. Deshalb ließ Akbar etliche Neugeborene aus allen Teilen seines Reiches in ein Haus bringen, das er fernab von allen menschlichen Behausungen errichtet hatte. In diesem Haus der Stummen wuchsen die Kinder auf, ohne jemals die Laute einer menschlichen Stimme zu vernehmen. Luke glaubt, dass die Kinder dort umgeben waren von Phänomenen und Dingen, die sie weder definieren noch benennen konnten, die also so namenlos blieben, wie sie es waren, bevor Adam ihnen Namen gab. Diese Kinder kannten die Welt so, "wie Gott sie kannte".
Von Kleist stammt der Gedanke, dass wir einmal um die Erde reisen müssten, um zu sehen, ob nicht noch ein Hintereingang zum Paradies zu finden sei. John Burnsides Bücher schließen diese Hoffnung aus. Wenn es überhaupt einen Weg zurück zur Paradiesesunschuld gibt, dann führt er bei Burnside mitten durch die Hölle.
HUBERT SPIEGEL
John Burnside: "Haus der Stummen". Roman.
Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Knaus Verlag, München 2014. 256 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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