"The Gracekeepers" ist ein Buch, das die verschiedensten Reaktionen hervorruft: Leser auf der ganzen Welt sind bezaubert, begeistert, ergriffen, verwirrt, enttäuscht, sogar wütend... Manchmal mehreres davon auf einmal.
Sowohl positive als auch negative Stimmen sprechen von der traumgleichen
Absonderlichkeit der Geschichte, und ich denke, vor allem daran scheiden sich die Geister. Es ist kein…mehr"The Gracekeepers" ist ein Buch, das die verschiedensten Reaktionen hervorruft: Leser auf der ganzen Welt sind bezaubert, begeistert, ergriffen, verwirrt, enttäuscht, sogar wütend... Manchmal mehreres davon auf einmal.
Sowohl positive als auch negative Stimmen sprechen von der traumgleichen Absonderlichkeit der Geschichte, und ich denke, vor allem daran scheiden sich die Geister. Es ist kein handlungsgetriebenes Buch mit einem zentralen Konflikt, einem linearen Handlungsbogen und einer sauberen, klaren Auflösung am Schluss. Die Geschichte lebt von ihren ungewöhnlichen Charakteren und ihrer dichten Atmosphäre, und diese hat tatsächlich etwas von einem Traum, der sich oft an der Grenze zum Albtraum bewegt. Wie in einem Traum springt die Handlung hin und her zwischen den Charakteren, manchmal auch zwischen den Zeiten. Vieles wird angesprochen, nicht alles wird aufgeklärt, das meiste muss man zwischen den Zeilen lesen oder sich selber weiterspinnen.
Dadurch war es für mich vielleicht kein spannendes Buch, aber ein seltsam hypnotisches, das mich nicht mehr losgelassen hat.
Meiner Meinung nach kann dieses unstete Hin und Her in einem Buch mächtig schief gehen, aber in diesem passt es perfekt. Denn eines der wiederkehrenden Themen ist Schein und Sein: der ewige Konflikt zwischen Wahrnehmung und Wahrheit. Keiner der Charaktere präsentiert der Welt sein wahres Gesicht, und so ergeben erst die kleinen Einblicke aus verschiedenen Blickwinkeln ein Bild, das der Wahrheit nahe kommt. Mich hat das sehr angesprochen, und ich war beeindruckt davon, wie die Autorin mit den Erwartungen der Leser spielt.
Das Buch ist in einer unbestimmten Zukunft angesiedelt, in der die Polkappen geschmolzen sind und die Landmasse der Erde daher bis auf wenige Inseln überflutet wurde. Die wenigen Landbewohner, die "Landlockers", leben in relativem Wohlstand, während die große Mehrheit der Menschen, die sogennanten "Damplings", ein hartes Leben in Booten auf See lebt.
Daraus ergeben sich zwei weitere wichtige Themen des Buches: 1) Tod und Vergänglichkeit, denn die Lebenserwartung ist so gering, dass es fast schon als Wunder angesehen wird, wenn man als erwachsener Mensch noch beide Eltern hat, und 2) die Ausgrenzung des "Anderen", denn die Landlockers und Damplings betrachten sich gegenseitig mit fast abergläubischem Misstrauen, manchmal sogar Hass.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei junge Frauen:
Callanish lebt als "Gracekeeper" ganz alleine auf einer kleinen Insel. Ihre Aufgabe ist es, die Leichen auf See verstorbener Menschen nach einem festgelegten Ritus dem Meer zu übergeben. Von Geburt her ist sie eine Landbewohnerin, aber sie verbirgt ein Geheimnis, das sie gleichermaßen vor den Landgewohnern und den Seefahrern verstecken muss - außerdem hat sie durch einen fatalen Fehler (vermeintlich) Schuld auf sich geladen.
North ist das "Bärenmädchen" des Zirkus Excalibur. Sie teilt sich mit ihrem Bären ein Boot, und obwohl das ein ständiges Spiel mit ihrem Leben ist (immerhin ist ein Bär trotz allem ein Wildtier), ist das Tier alles für sie: Familie und Heimat. Aber auch sie verbirgt etwas, das ihre Existenz, wie sie sie bisher kannte, gefährdet.
Beides suchen im Grunde nach einer Heimat, wissen aber selber nicht, was (oder wer) diese Heimat tatsächlich sein könnte.
Das Buch lässt sich nur schwer einem Genre zuordnen. Postapokalyptischer magischer Realismus mit Märchenelementen? Ich fand es unglaublich originell, wie die Autorin Elemente verschiedener Genres verbindet! Man muss sich auf jeden Fall darauf einlassen und es auf sich einwirken lassen, aber ich würde sagen: es lohnt sich. Am besten wirft man erstmal alle Erwartungen über Bord!
Der Schreibstil hat eine ganz besondere, fließende "Stimme", mit wunderbaren Bildern. Ich fand ihn unwiderstehlich und konnte mich der Atmosphäre einfach nicht entziehen - und die ist es auch, die in meinen Augen das ganze Buch zusammenhält.