Raymond Chandler was among the most original and enduring crime novelists of the twentieth century. Yet much of his pre-writing life, including his unconventional marriage, has remained shrouded in mystery. In this compelling, wholly original book, Judith Freeman sets out to solve the puzzle of who Chandler was and how he became the writer who would create in Philip Marlowe an icon of American culture. Visiting Chandler's many homes and apartments, Freeman uncovers vestiges of the Los Angeles that was Chandler's terrain and inspiration for his imagination. She also uncovers the life of Cissy Pascal, the older, twice-divorced woman Chandler married in 1924. A revelation of a marriage that was a wellspring of need, illusion, and creativity, The Long Embrace provides us with a more complete picture of Raymond Chandler's life and art than any we have had before.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2009Drink der Unmöglichkeit
Raymond Chandler hatte meistens schlechte Laune und immer einen guten Stil. Er verabscheute die populäre Kultur - und befeuerte sie. Vor fünfzig Jahren ist er gestorben
Vor fünfzig Jahren starb in einer Klinik des südkalifornischen Badeortes La Jolla ein Mann, der, in der zweiten Hälfte seines Lebens, vielleicht der übellaunigste Bewohner dieser heiteren und sonnigen Gegend gewesen war. Er starb an einer Lungenentzündung, am Alter und vermutlich auch am Kummer über den Tod seiner Frau, die fünf Jahre zuvor gestorben war. Am Alkohol ist er nicht gestorben, mit viel zu viel Alkohol im Blut hat er jahrzehntelang gelebt, und im Rausch hat er, wie seine Biographin Judith Freeman berichtet, gelegentlich den Lauf einer Schusswaffe an seinen Kopf gehalten, was anscheinend aber nur die camusschen Momente des Raymond Chandler waren. Die Möglichkeit, sich umzubringen, ließ ihn weiterleben - auch wenn die Lage und die Laune immer übler wurden und der Alkohol ihn nicht heiterer stimmte; nur müder und im Glücksfall gleichgültig.
Raymond Chandler mochte seine Gegenwart nicht besonders, und von der Zukunft versprach er sich noch weniger. Er verabscheute schon in den dreißiger Jahren das, was aus der blutjungen Stadt Los Angeles geworden war. Er hatte nichts übrig für Massenkultur und Massenproduktion, und die Bestände an Moral und Haltung sah er unaufhaltsam schrumpfen. Als er von einer Zeitung in San Diego um eine Kolumne gebeten wurde, schrieb er, Sex werde überschätzt.
Schon als junger Mann, so erzählt Judith Freeman, habe er im Kino immer im falschen Moment gelacht und darauf gewartet, dass andere es ihm nachmachen würden; so offenbare sich, was für ein lächerliches und manipulatives Ding das Kino sei. Später, als er von der Paramount eine extrem gute Gage fürs Drehbuch von "Double Indemnity" bekam, hasste er die lässigen Manieren seines Co-Autors Billy Wilder; und dass der Film, der da entstand, irgendetwas zu bedeuten habe, konnte ihm auch keiner erzählen. Die Illusionen aus Licht und Schatten und Tönen waren ihm nur der deutlichste Ausdruck des falschen Bewusstseins - und als der Regisseur Howard Hawks und sein Drehbuchautor William Faulkner an der Verfilmung von Chandlers "Großem Schlaf" arbeiteten und irgendwo auf eine Leiche stießen, der sie den Mörder nicht zuordnen konnten, riefen sie Chandler an, damit der das Rätsel löse. Er wisse es auch nicht, sagte Chandler. Was die reine Obstruktion war.
Er mochte Mozart und schwarzen Kaffee. Er las, anscheinend, gern Hemingway und Fitzgerald, und ganz bestimmt verehrte er Dashiell Hammett, der das Genre des Detektivromans revolutioniert hatte. Er liebte seine Frau Cissy, die, als er sie kennenlernte, acht Jahre älter war. Wann genau er entdeckte, dass es in Wirklichkeit achtzehn Jahre waren, ist ungewiss, weil Cissy Chandler, eine schöne und sehr kapriziöse Frau, ihr wahres Alter selbst ihrem Mann verschwieg.
Die Liebeserklärung an das, was ihm am allerliebsten war, hat er, im "Langen Abschied", den traurigen Helden Terry Lennox sagen lassen. "Ich liebe Bars, kurz nachdem sie aufgemacht haben für den Abend. Wenn die Luft drinnen noch kühl ist und rein und alles glänzt und der Barmann einen letzten Blick in den Spiegel wirft, um zu sehen, ob seine Krawatte grade sitzt und sein Haar glatt ist. Ich mag die Flaschenreihen hinter der Theke und die liebenswert schimmernden Gläser und die Erwartung. Ich mag es, dem Mann dabei zuzusehen, wie er den ersten Drink des Abends mixt und ihn auf einen frischen Untersatz stellt und eine kleine gefaltete Serviette daneben legt. Ich mag es, ihn langsam zu kosten. Der erste stille Drink des Abends in einer stillen Bar - das ist wundervoll."
Das waren die drei Dinge, die Reinheit, die Drinks - und dann, zuerst und vor allem, diese Sprache, welche den ganzen Zauber erst beschwor, die Sprache, in welche Chandler so verliebt war, dass er einem, weil diese Verliebtheit immer eine Selbstverliebtheit war, auch manchmal ganz schön auf den Wecker gehen kann, was ihm, weil er ohnehin zur Selbstreflexion neigte, natürlich selber auch bewusst war. Einmal hat er sogar eine Liste mit Chandlerismen angelegt.
"Die nächste Stunde kroch vorüber wie eine fußkranke Küchenschabe", so heißt es einmal im "Langen Abschied", und als Leser weiß man auch nicht so recht, ob das noch Anschaulichkeit ist oder schon Angeberei. "Alte Männer mit Gesichtern wie verlorene Schlachten", schreibt Chandler woanders; und wenn Eileen Wade, wieder im "Langen Abschied", zum ersten Mal die Bar des "Beverly Ritz"-Hotels betritt, weiß Chandler wohl selber nicht, was ihn mehr erregt: diese Frau, groß, blond, mit ihren kühlen blauen Augen. Oder die Worte, die er für ihre Wirkung findet: ". . . und genau in diesem Moment kam ein Traum zur Tür herein. Für einen Moment war es, als hätte in der ganzen Bar der Ton ausgesetzt, als hätten die schlauen Jungs aufgehört, schlau zu sein, und der Betrunkene auf dem Barhocker hörte auf zu quasseln, und es war, wie wenn der Dirigent ans Pult geklopft hat, und jetzt erhebt er die Arme und verharrt in dieser Position."
Diese Sprache, ihren Sound und Rhythmus und den Metaphernüberschuss: das alles wird man nicht verstehen, wenn man Chandlers Selbsterklärungen, seine Briefe und Notizen beim Nennwert nimmt. Er habe doch nur seiner Wirklichkeit zugehört, der großen, unübersichtlichen Stadt Los Angeles und auch jenen unter ihren Bewohnern, die man in den schäbigeren Bars der schäbigeren Viertel trifft, aber ganz bestimmt nicht in der Literatur: So, ungefähr, geht das populäre Missverständnis, das sich womöglich auch aus der Sehnsucht speist, dass man, als Fan und Leser, auch gern eine Wirklichkeit bewohnte, die einem Sätze wie diesen hier zuflüsterte: "Es war so still in Victors Bar, dass man beim Hereinkommen sogar die Temperatur fallen hörte."
Nein, Chandler hatte wohl ein heroischeres Projekt. Er, der, bevor er als 44-Jähriger zum Schriftsteller wurde, der gutbezahlte Direktor einer Ölfirma gewesen war (und wegen der Weltwirtschaftskrise, seines Alkoholkonsums und seines Hangs, Sekretärinnen zu verführen, den Job verlor), er, der, als Mensch mit altmodischen Vorlieben, mitten in der Hauptstadt der popkulturellen Massenproduktion lebte, er arbeitete mit aller Kraft an der Verteidigung der Sprache gegen jene Massenkultur, die er als dumm, billig und verlogen empfand. Und als mächtig, weshalb auch er sich mächtig anstrengen musste. Seine Metaphern wollten sich behaupten gegen die riesigen Bilder auf den Leinwänden, der Klang seiner Sprache wollte konkurrieren mit den Songs, die aus den Jukeboxes kamen.
So wurde Raymond Chandler zu einer der besten Inspirationsquellen für diese Kultur, die er doch verabscheute. Seine Bücher waren Hits. Seine Geschichten wurden zu Hollywoodfilmen. Sein Held, der Privatdetektiv Philip Marlowe, machte sich selbständig und nahm mal die Gestalt von Humphrey Bogart, mal die von Dick Powell und Robert Mitchum an. Seinen Stil, seine forciert männliche und, wie man so sagt, hartgesottene Romantik übersetzten die Beleuchter und Set-Designer der großen Studios ohne Skrupel in das schwarz-weiße Licht-und-Schatten-Spiel der halbgeschlossenen Jalousien, der regennassen Straßen und vom Hauch der Raucher verzauberte Interieurs. Seine Sätze klangen sogar in fremden Sprachen wie Versprechen.
Und genau das ist der Moment, in dem dieser Text hier einen ganzen Kontinent und den Ozean überqueren und kurz Station machen muss in Bamberg, der kleinen und sehr schönen, von Krieg und Nachkrieg weitgehend unversehrten Stadt in Süddeutschland, wo, am Hang eines ihrer sieben Hügel, umgeben von Dom und Abtei, gotischen Kirchen und barocken Palästen, um die Mitte der siebziger Jahre herum der ernste Schriftsteller Hans Wollschläger saß und träumte von Los Angeles. Er verstand von Arno Schmidt mehr als von Amerika, aber von der Sprache, der deutschen und der englischen, verstand er genug, um sich zuzutrauen, dass er den "Langen Abschied", Chandlers besten Roman, der nur in einer stark gekürzten und routiniert herunterübersetzten Fassung vorlag, kongenial ins Deutsche übertragen könne.
Viel ist schon darüber gespottet worden, dass Wollschläger, wenn der Text auf den Gimlet zu sprechen kommt, in welchen keine "bitters" gehören, vom "Bitterbier" schreibt. Auch dass er, wenn Fitzgeralds "Last Tycoon" zitiert wird, einen "Letzten Schogun" herbeiphantasiert, ist schon dem einen oder anderen aufgefallen. Viel interessanter ist aber, dass Wollschlägers Sehnsucht offenbar so stark war und die Entfernung, auch die geistige, so groß, das ihm die Übersetzung zur Überwältigung geriet. Wo Chandler, ganz knapp, von einem "plastic job" spricht, hat man, auf Deutsch, Terry Lennox "im Gesicht herumgeschnipselt". Man kann das für chandleresker als Chandler halten oder für provinziell; das Buch ist voll von solchen Beispielen. Es ist als Übersetzung eine Katastrophe - und als Dokument ein Glücksfall. Ein doppelt belichteter Text gewissermaßen, einerseits Chandler und andererseits der Kommentar dazu: wie man sich in Deutschland einst das ferne, das geliebte, hartgesottene und unverständliche Amerika verständlich machte: indem man es noch einmal erfand. Alles in allem ist das eines der schönsten Komplimente, die man Raymond Chandler machen kann: Wir haben ihn nicht nur gelesen. Wir haben ihn selbst erfunden.
"Ich zündete mir eine Zigarette an. Mein Mund schmeckte wie das Taschentuch eines Klempners."
CLAUDIUS SEIDL
Der Diogenes-Verlag bringt zum Todestag eine schöne Kassette mit allen Romanen heraus sowie die Notizbücher, die Briefe und Erzählungen.
Judith Freeman: "The Long Embrace - Raymond Chandler and the Woman He Loved". Pantheon, 354 Seiten
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Raymond Chandler hatte meistens schlechte Laune und immer einen guten Stil. Er verabscheute die populäre Kultur - und befeuerte sie. Vor fünfzig Jahren ist er gestorben
Vor fünfzig Jahren starb in einer Klinik des südkalifornischen Badeortes La Jolla ein Mann, der, in der zweiten Hälfte seines Lebens, vielleicht der übellaunigste Bewohner dieser heiteren und sonnigen Gegend gewesen war. Er starb an einer Lungenentzündung, am Alter und vermutlich auch am Kummer über den Tod seiner Frau, die fünf Jahre zuvor gestorben war. Am Alkohol ist er nicht gestorben, mit viel zu viel Alkohol im Blut hat er jahrzehntelang gelebt, und im Rausch hat er, wie seine Biographin Judith Freeman berichtet, gelegentlich den Lauf einer Schusswaffe an seinen Kopf gehalten, was anscheinend aber nur die camusschen Momente des Raymond Chandler waren. Die Möglichkeit, sich umzubringen, ließ ihn weiterleben - auch wenn die Lage und die Laune immer übler wurden und der Alkohol ihn nicht heiterer stimmte; nur müder und im Glücksfall gleichgültig.
Raymond Chandler mochte seine Gegenwart nicht besonders, und von der Zukunft versprach er sich noch weniger. Er verabscheute schon in den dreißiger Jahren das, was aus der blutjungen Stadt Los Angeles geworden war. Er hatte nichts übrig für Massenkultur und Massenproduktion, und die Bestände an Moral und Haltung sah er unaufhaltsam schrumpfen. Als er von einer Zeitung in San Diego um eine Kolumne gebeten wurde, schrieb er, Sex werde überschätzt.
Schon als junger Mann, so erzählt Judith Freeman, habe er im Kino immer im falschen Moment gelacht und darauf gewartet, dass andere es ihm nachmachen würden; so offenbare sich, was für ein lächerliches und manipulatives Ding das Kino sei. Später, als er von der Paramount eine extrem gute Gage fürs Drehbuch von "Double Indemnity" bekam, hasste er die lässigen Manieren seines Co-Autors Billy Wilder; und dass der Film, der da entstand, irgendetwas zu bedeuten habe, konnte ihm auch keiner erzählen. Die Illusionen aus Licht und Schatten und Tönen waren ihm nur der deutlichste Ausdruck des falschen Bewusstseins - und als der Regisseur Howard Hawks und sein Drehbuchautor William Faulkner an der Verfilmung von Chandlers "Großem Schlaf" arbeiteten und irgendwo auf eine Leiche stießen, der sie den Mörder nicht zuordnen konnten, riefen sie Chandler an, damit der das Rätsel löse. Er wisse es auch nicht, sagte Chandler. Was die reine Obstruktion war.
Er mochte Mozart und schwarzen Kaffee. Er las, anscheinend, gern Hemingway und Fitzgerald, und ganz bestimmt verehrte er Dashiell Hammett, der das Genre des Detektivromans revolutioniert hatte. Er liebte seine Frau Cissy, die, als er sie kennenlernte, acht Jahre älter war. Wann genau er entdeckte, dass es in Wirklichkeit achtzehn Jahre waren, ist ungewiss, weil Cissy Chandler, eine schöne und sehr kapriziöse Frau, ihr wahres Alter selbst ihrem Mann verschwieg.
Die Liebeserklärung an das, was ihm am allerliebsten war, hat er, im "Langen Abschied", den traurigen Helden Terry Lennox sagen lassen. "Ich liebe Bars, kurz nachdem sie aufgemacht haben für den Abend. Wenn die Luft drinnen noch kühl ist und rein und alles glänzt und der Barmann einen letzten Blick in den Spiegel wirft, um zu sehen, ob seine Krawatte grade sitzt und sein Haar glatt ist. Ich mag die Flaschenreihen hinter der Theke und die liebenswert schimmernden Gläser und die Erwartung. Ich mag es, dem Mann dabei zuzusehen, wie er den ersten Drink des Abends mixt und ihn auf einen frischen Untersatz stellt und eine kleine gefaltete Serviette daneben legt. Ich mag es, ihn langsam zu kosten. Der erste stille Drink des Abends in einer stillen Bar - das ist wundervoll."
Das waren die drei Dinge, die Reinheit, die Drinks - und dann, zuerst und vor allem, diese Sprache, welche den ganzen Zauber erst beschwor, die Sprache, in welche Chandler so verliebt war, dass er einem, weil diese Verliebtheit immer eine Selbstverliebtheit war, auch manchmal ganz schön auf den Wecker gehen kann, was ihm, weil er ohnehin zur Selbstreflexion neigte, natürlich selber auch bewusst war. Einmal hat er sogar eine Liste mit Chandlerismen angelegt.
"Die nächste Stunde kroch vorüber wie eine fußkranke Küchenschabe", so heißt es einmal im "Langen Abschied", und als Leser weiß man auch nicht so recht, ob das noch Anschaulichkeit ist oder schon Angeberei. "Alte Männer mit Gesichtern wie verlorene Schlachten", schreibt Chandler woanders; und wenn Eileen Wade, wieder im "Langen Abschied", zum ersten Mal die Bar des "Beverly Ritz"-Hotels betritt, weiß Chandler wohl selber nicht, was ihn mehr erregt: diese Frau, groß, blond, mit ihren kühlen blauen Augen. Oder die Worte, die er für ihre Wirkung findet: ". . . und genau in diesem Moment kam ein Traum zur Tür herein. Für einen Moment war es, als hätte in der ganzen Bar der Ton ausgesetzt, als hätten die schlauen Jungs aufgehört, schlau zu sein, und der Betrunkene auf dem Barhocker hörte auf zu quasseln, und es war, wie wenn der Dirigent ans Pult geklopft hat, und jetzt erhebt er die Arme und verharrt in dieser Position."
Diese Sprache, ihren Sound und Rhythmus und den Metaphernüberschuss: das alles wird man nicht verstehen, wenn man Chandlers Selbsterklärungen, seine Briefe und Notizen beim Nennwert nimmt. Er habe doch nur seiner Wirklichkeit zugehört, der großen, unübersichtlichen Stadt Los Angeles und auch jenen unter ihren Bewohnern, die man in den schäbigeren Bars der schäbigeren Viertel trifft, aber ganz bestimmt nicht in der Literatur: So, ungefähr, geht das populäre Missverständnis, das sich womöglich auch aus der Sehnsucht speist, dass man, als Fan und Leser, auch gern eine Wirklichkeit bewohnte, die einem Sätze wie diesen hier zuflüsterte: "Es war so still in Victors Bar, dass man beim Hereinkommen sogar die Temperatur fallen hörte."
Nein, Chandler hatte wohl ein heroischeres Projekt. Er, der, bevor er als 44-Jähriger zum Schriftsteller wurde, der gutbezahlte Direktor einer Ölfirma gewesen war (und wegen der Weltwirtschaftskrise, seines Alkoholkonsums und seines Hangs, Sekretärinnen zu verführen, den Job verlor), er, der, als Mensch mit altmodischen Vorlieben, mitten in der Hauptstadt der popkulturellen Massenproduktion lebte, er arbeitete mit aller Kraft an der Verteidigung der Sprache gegen jene Massenkultur, die er als dumm, billig und verlogen empfand. Und als mächtig, weshalb auch er sich mächtig anstrengen musste. Seine Metaphern wollten sich behaupten gegen die riesigen Bilder auf den Leinwänden, der Klang seiner Sprache wollte konkurrieren mit den Songs, die aus den Jukeboxes kamen.
So wurde Raymond Chandler zu einer der besten Inspirationsquellen für diese Kultur, die er doch verabscheute. Seine Bücher waren Hits. Seine Geschichten wurden zu Hollywoodfilmen. Sein Held, der Privatdetektiv Philip Marlowe, machte sich selbständig und nahm mal die Gestalt von Humphrey Bogart, mal die von Dick Powell und Robert Mitchum an. Seinen Stil, seine forciert männliche und, wie man so sagt, hartgesottene Romantik übersetzten die Beleuchter und Set-Designer der großen Studios ohne Skrupel in das schwarz-weiße Licht-und-Schatten-Spiel der halbgeschlossenen Jalousien, der regennassen Straßen und vom Hauch der Raucher verzauberte Interieurs. Seine Sätze klangen sogar in fremden Sprachen wie Versprechen.
Und genau das ist der Moment, in dem dieser Text hier einen ganzen Kontinent und den Ozean überqueren und kurz Station machen muss in Bamberg, der kleinen und sehr schönen, von Krieg und Nachkrieg weitgehend unversehrten Stadt in Süddeutschland, wo, am Hang eines ihrer sieben Hügel, umgeben von Dom und Abtei, gotischen Kirchen und barocken Palästen, um die Mitte der siebziger Jahre herum der ernste Schriftsteller Hans Wollschläger saß und träumte von Los Angeles. Er verstand von Arno Schmidt mehr als von Amerika, aber von der Sprache, der deutschen und der englischen, verstand er genug, um sich zuzutrauen, dass er den "Langen Abschied", Chandlers besten Roman, der nur in einer stark gekürzten und routiniert herunterübersetzten Fassung vorlag, kongenial ins Deutsche übertragen könne.
Viel ist schon darüber gespottet worden, dass Wollschläger, wenn der Text auf den Gimlet zu sprechen kommt, in welchen keine "bitters" gehören, vom "Bitterbier" schreibt. Auch dass er, wenn Fitzgeralds "Last Tycoon" zitiert wird, einen "Letzten Schogun" herbeiphantasiert, ist schon dem einen oder anderen aufgefallen. Viel interessanter ist aber, dass Wollschlägers Sehnsucht offenbar so stark war und die Entfernung, auch die geistige, so groß, das ihm die Übersetzung zur Überwältigung geriet. Wo Chandler, ganz knapp, von einem "plastic job" spricht, hat man, auf Deutsch, Terry Lennox "im Gesicht herumgeschnipselt". Man kann das für chandleresker als Chandler halten oder für provinziell; das Buch ist voll von solchen Beispielen. Es ist als Übersetzung eine Katastrophe - und als Dokument ein Glücksfall. Ein doppelt belichteter Text gewissermaßen, einerseits Chandler und andererseits der Kommentar dazu: wie man sich in Deutschland einst das ferne, das geliebte, hartgesottene und unverständliche Amerika verständlich machte: indem man es noch einmal erfand. Alles in allem ist das eines der schönsten Komplimente, die man Raymond Chandler machen kann: Wir haben ihn nicht nur gelesen. Wir haben ihn selbst erfunden.
"Ich zündete mir eine Zigarette an. Mein Mund schmeckte wie das Taschentuch eines Klempners."
CLAUDIUS SEIDL
Der Diogenes-Verlag bringt zum Todestag eine schöne Kassette mit allen Romanen heraus sowie die Notizbücher, die Briefe und Erzählungen.
Judith Freeman: "The Long Embrace - Raymond Chandler and the Woman He Loved". Pantheon, 354 Seiten
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