Elizabeth Stoddard's 'The Morgesons' is a groundbreaking novel that delves into the complexities of 19th-century American society, focusing on the lives of women and the constraints placed upon them. Stoddard's literary style is characterized by its exploration of psychological depth and societal norms, making the novel a revealing portrait of the time period. With elements of Gothic literature and feminist themes, 'The Morgesons' stands out as a unique and thought-provoking work that continues to resonate with readers today. Stoddard's skilled use of language and vivid imagery creates a compelling narrative that captivates readers from start to finish. Elizabeth Stoddard, a relatively unknown writer during her time, drew inspiration from her own experiences as a woman living in a patriarchal society, lending authenticity and emotional depth to 'The Morgesons'. Her groundbreaking approach to storytelling and her willingness to challenge societal norms make her a significant figure in American literature. I highly recommend 'The Morgesons' to readers interested in exploring the complexities of 19th-century America through the lens of feminist literature. Stoddard's narrative skill and her insightful commentary on gender roles make this novel a must-read for anyone interested in the history of women's rights and the evolution of American society.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2012Ich war ganz Taille, meine Hände waren rot
Da erzittert das religiös zementierte Gefüge der neuenglischen Gesellschaft: Elizabeth Stoddards unzeitgemäßer Bildungsroman "The Morgesons" von 1862 ist endlich übersetzt.
In zwei feministischen Klassikern der amerikanischen Literatur lässt sich nachlesen, welche Energien um 1900 noch mobilisiert werden mussten, um weibliche Befreiungsphantasien zu inszenieren: Während die Protagonistin in Charlotte Perkins Gilmans Erzählung "Die gelbe Tapete" (1892) nur im Wahnsinn über ihren Arzt und Ehemann triumphieren kann, eröffnet sich der einzige Ausweg für die ehebrechende Heldin in Kate Chopins "Das Erwachen" (1899) in die Fluten des Golfs von Mexiko. Nicht zuletzt weil auch die Forschung sich immer noch gern an vielgedeuteten Schlüsseltexten abarbeitet, blieb mit Elizabeth Stoddards schon 1862 veröffentlichtem Roman "The Morgesons" ein Werk bis heute nahezu unbekannt, mit dem eine amerikanische Autorin schon dreißig Jahre vor Gilman und Chopin eine verblüffend nüchterne Erkundung weiblicher Autonomie unter den Bedingungen der puritanischen Gesellschaft Neuenglands um 1860 unternommen hat.
Elizabeth Stoddard wurde 1823 in einem ehemaligen Walfanghafen an der amerikanischen Ostküste geboren. Sie schrieb Romane, Kurzgeschichten und scharfzüngige Kolumnen, deren souveräner Ton ihren zeitgenössischen Lesern und schreibenden Konkurrenten fremd blieb. Durch die verdienstvolle Übersetzung von Susanne Opfermann und Helmbrecht Breinig haben deutsche Leser nun die Gelegenheit, Stoddards unzeitgemäßen Bildungsroman kennenzulernen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Cassandra, die als verheiratete Frau auf ihr Leben zurückblickt. Der Mikrokosmos der durch maritime Geschäfte zu vorübergehendem Wohlstand gelangenden Morgesons ist auf symbolträchtigem Terrain angesiedelt: Ihr Haus liegt zwischen der "Gleichförmigkeit" des Landes und der "betörenden" Schönheit der See. An diesem Übergangsort entwickelt sich die Geschichte einer Heldin, die früh Grenzen sucht und überschreitet. Schon mit zehn Jahren erscheint sie ihrer Tante "besessen"; ihr Großvater empfiehlt, ihr "ungebärdiges" Wesen zu "bändigen" und "abzurichten". Cassandra liest leidenschaftlich, verweigert sich aber der religiösen Erbauung; sie lernt segeln und reiten und isst für eine viktorianische Protagonistin bemerkenswert heißhungrig. Sie verwickelt ihre Eltern in Gespräche über puritanisches Eiferertum und konfrontiert ihre Mutter mit achtzehn Jahren mit der keinesfalls platonischen Liebe zu ihrem verheirateten Cousin, dessen Witwe nach seinem Unfalltod und dem Tod von Cassandras Mutter schließlich ihren Vater ehelicht.
In diesem protofreudianischen Familienroman überlässt Stoddard ihre rebellische Heldin keineswegs einer auf schauderndes Mitfühlen spekulierenden Isolation. Cassandra agiert vielmehr in einem Tableau wortgewandter und exzentrischer Frauenfiguren, die ihre Unterdrückung beim Namen nennen, sich intellektuell und ökonomisch emanzipieren und darüber nicht zu erotisch benachteiligten Blaustrümpfen werden: Die jüngere Schwester Veronica eliminiert alle femininen Elemente aus der Einrichtung ihres Zimmers, legt dort einen tropischen Garten an und bleibt am Ende mit dem behinderten Kind aus ihrer Ehe mit einem liebenswerten Alkoholiker zurück.
Stoddards Figuren erschüttern leichthändig das religiös zementierte Gefüge der neuenglischen Gesellschaft. Die Schilderung des ,unbotmäßigen' Begehrens der jungen Protagonistin spielt zudem mit romantischen Konstellationen der Romankunst des neunzehnten Jahrhunderts. Der fast vollzogene Ehebruch führt hier indes nicht zu Schande oder Entsagung der Heldin, sondern zum Tod des älteren, aber nicht diabolisch gezeichneten Verführers, wodurch Cassandra eine spätere Liebesehe eingehen kann. Noch ungewöhnlicher als die Variation romantischer Topoi ist der Erzählton des Romans, dessen schwebende Sperrigkeit in der deutschen Übersetzung gut getroffen ist. Stoddard vermeidet es, zu moralisieren; Cassandras Erzählung oszilliert zwischen schwärmerischen Beschreibungen und schlagfertiger Konversation, zwischen dem Aufbegehren des gewitzten Kindes und dem selbstironischen Rückblick der erwachsenen Frau. In Cassandras Sprache lösen Offenheit und Distanz einander ab; sie riskiert schonungslose Kritik, aber gibt sich nicht der Illusion hin, ihre engsten Verwandten wirklich zu kennen. Stoddard entwirft damit eine Ich-Erzählerin, die sich gerade nicht offenbart, sondern ähnlich unberechenbar bleibt wie andere Figuren im Roman.
Die Distanz, aus der sich Cassandras Autonomie ebenso speist wie aus ihrer Offenheit, hindert die Erzählerin nicht daran, immer wieder skeptische Blicke auf sich selbst zu werfen. Im Spiegel erkennt sie: "Ich war ganz Taille, Hüften hatte ich nicht hervorgebracht. Meine Hände waren rot und meine Nägel eingerissen"; später sieht sie mit den Augen von Vater und Schwester "ein hochgewachsenes Mädchen in Grau, dessen tiefe, beherrschte Stimme in ihren Ohren klang wie die fernen Geräusche, die wir des Nachts aus den Wäldern oder vom Meer hören". Solche Schlüsselszenen fügen sich gerade nicht zu einem bruchlosen weiblichen Bildungsgang. Die Erzählerin verweist vielmehr darauf, dass ihr Leben "nicht nach dem Plan der Natur verlief".
Stoddards kühne Kombination romantischer und realistischer Erzählstrategien sperrt sich gegen sentimentale Effekte und lässt den Roman frappierend modern wirken. Dies zeigt sich auch in der Bildsprache, in der eine auf den Ozean ausgerichtete Leitmotivik weiblicher Befreiung immer wieder durch trockene Detailbeobachtungen konterkariert wird. Es überrascht daher nicht, dass Cassandra am Ende, anders als Gilmans verhinderte Autorin, in ihrem alten Zimmer mit Blick aufs Meer sitzt und schreibt. Im Unterschied zu Chopins in den Ozean flüchtender Heldin erwägt Cassandra, dass selbst das Meer ihr gehören könnte, und nimmt daher ihr Elternhaus mit nüchternem Blick in Besitz: "Endlich war ich allein in meinem eigenen Haus. Und ich gewann die absolute Verfügungsgewalt über mich zurück und das Gefühl, eine Aufgabe zu haben, was mir lange fremd geworden war. Mein neuer Status als Eigentümerin belastete mich fast, weil es so viele Freiheiten zu verwirklichen gab." JULIKA GRIEM
Elizabeth Stoddard: "Die Morgesons".
Aus dem Englischen von Susanne Opfermann und Helmbrecht Breinig. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2012. 335 S., br., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Da erzittert das religiös zementierte Gefüge der neuenglischen Gesellschaft: Elizabeth Stoddards unzeitgemäßer Bildungsroman "The Morgesons" von 1862 ist endlich übersetzt.
In zwei feministischen Klassikern der amerikanischen Literatur lässt sich nachlesen, welche Energien um 1900 noch mobilisiert werden mussten, um weibliche Befreiungsphantasien zu inszenieren: Während die Protagonistin in Charlotte Perkins Gilmans Erzählung "Die gelbe Tapete" (1892) nur im Wahnsinn über ihren Arzt und Ehemann triumphieren kann, eröffnet sich der einzige Ausweg für die ehebrechende Heldin in Kate Chopins "Das Erwachen" (1899) in die Fluten des Golfs von Mexiko. Nicht zuletzt weil auch die Forschung sich immer noch gern an vielgedeuteten Schlüsseltexten abarbeitet, blieb mit Elizabeth Stoddards schon 1862 veröffentlichtem Roman "The Morgesons" ein Werk bis heute nahezu unbekannt, mit dem eine amerikanische Autorin schon dreißig Jahre vor Gilman und Chopin eine verblüffend nüchterne Erkundung weiblicher Autonomie unter den Bedingungen der puritanischen Gesellschaft Neuenglands um 1860 unternommen hat.
Elizabeth Stoddard wurde 1823 in einem ehemaligen Walfanghafen an der amerikanischen Ostküste geboren. Sie schrieb Romane, Kurzgeschichten und scharfzüngige Kolumnen, deren souveräner Ton ihren zeitgenössischen Lesern und schreibenden Konkurrenten fremd blieb. Durch die verdienstvolle Übersetzung von Susanne Opfermann und Helmbrecht Breinig haben deutsche Leser nun die Gelegenheit, Stoddards unzeitgemäßen Bildungsroman kennenzulernen.
Im Mittelpunkt des Romans steht Cassandra, die als verheiratete Frau auf ihr Leben zurückblickt. Der Mikrokosmos der durch maritime Geschäfte zu vorübergehendem Wohlstand gelangenden Morgesons ist auf symbolträchtigem Terrain angesiedelt: Ihr Haus liegt zwischen der "Gleichförmigkeit" des Landes und der "betörenden" Schönheit der See. An diesem Übergangsort entwickelt sich die Geschichte einer Heldin, die früh Grenzen sucht und überschreitet. Schon mit zehn Jahren erscheint sie ihrer Tante "besessen"; ihr Großvater empfiehlt, ihr "ungebärdiges" Wesen zu "bändigen" und "abzurichten". Cassandra liest leidenschaftlich, verweigert sich aber der religiösen Erbauung; sie lernt segeln und reiten und isst für eine viktorianische Protagonistin bemerkenswert heißhungrig. Sie verwickelt ihre Eltern in Gespräche über puritanisches Eiferertum und konfrontiert ihre Mutter mit achtzehn Jahren mit der keinesfalls platonischen Liebe zu ihrem verheirateten Cousin, dessen Witwe nach seinem Unfalltod und dem Tod von Cassandras Mutter schließlich ihren Vater ehelicht.
In diesem protofreudianischen Familienroman überlässt Stoddard ihre rebellische Heldin keineswegs einer auf schauderndes Mitfühlen spekulierenden Isolation. Cassandra agiert vielmehr in einem Tableau wortgewandter und exzentrischer Frauenfiguren, die ihre Unterdrückung beim Namen nennen, sich intellektuell und ökonomisch emanzipieren und darüber nicht zu erotisch benachteiligten Blaustrümpfen werden: Die jüngere Schwester Veronica eliminiert alle femininen Elemente aus der Einrichtung ihres Zimmers, legt dort einen tropischen Garten an und bleibt am Ende mit dem behinderten Kind aus ihrer Ehe mit einem liebenswerten Alkoholiker zurück.
Stoddards Figuren erschüttern leichthändig das religiös zementierte Gefüge der neuenglischen Gesellschaft. Die Schilderung des ,unbotmäßigen' Begehrens der jungen Protagonistin spielt zudem mit romantischen Konstellationen der Romankunst des neunzehnten Jahrhunderts. Der fast vollzogene Ehebruch führt hier indes nicht zu Schande oder Entsagung der Heldin, sondern zum Tod des älteren, aber nicht diabolisch gezeichneten Verführers, wodurch Cassandra eine spätere Liebesehe eingehen kann. Noch ungewöhnlicher als die Variation romantischer Topoi ist der Erzählton des Romans, dessen schwebende Sperrigkeit in der deutschen Übersetzung gut getroffen ist. Stoddard vermeidet es, zu moralisieren; Cassandras Erzählung oszilliert zwischen schwärmerischen Beschreibungen und schlagfertiger Konversation, zwischen dem Aufbegehren des gewitzten Kindes und dem selbstironischen Rückblick der erwachsenen Frau. In Cassandras Sprache lösen Offenheit und Distanz einander ab; sie riskiert schonungslose Kritik, aber gibt sich nicht der Illusion hin, ihre engsten Verwandten wirklich zu kennen. Stoddard entwirft damit eine Ich-Erzählerin, die sich gerade nicht offenbart, sondern ähnlich unberechenbar bleibt wie andere Figuren im Roman.
Die Distanz, aus der sich Cassandras Autonomie ebenso speist wie aus ihrer Offenheit, hindert die Erzählerin nicht daran, immer wieder skeptische Blicke auf sich selbst zu werfen. Im Spiegel erkennt sie: "Ich war ganz Taille, Hüften hatte ich nicht hervorgebracht. Meine Hände waren rot und meine Nägel eingerissen"; später sieht sie mit den Augen von Vater und Schwester "ein hochgewachsenes Mädchen in Grau, dessen tiefe, beherrschte Stimme in ihren Ohren klang wie die fernen Geräusche, die wir des Nachts aus den Wäldern oder vom Meer hören". Solche Schlüsselszenen fügen sich gerade nicht zu einem bruchlosen weiblichen Bildungsgang. Die Erzählerin verweist vielmehr darauf, dass ihr Leben "nicht nach dem Plan der Natur verlief".
Stoddards kühne Kombination romantischer und realistischer Erzählstrategien sperrt sich gegen sentimentale Effekte und lässt den Roman frappierend modern wirken. Dies zeigt sich auch in der Bildsprache, in der eine auf den Ozean ausgerichtete Leitmotivik weiblicher Befreiung immer wieder durch trockene Detailbeobachtungen konterkariert wird. Es überrascht daher nicht, dass Cassandra am Ende, anders als Gilmans verhinderte Autorin, in ihrem alten Zimmer mit Blick aufs Meer sitzt und schreibt. Im Unterschied zu Chopins in den Ozean flüchtender Heldin erwägt Cassandra, dass selbst das Meer ihr gehören könnte, und nimmt daher ihr Elternhaus mit nüchternem Blick in Besitz: "Endlich war ich allein in meinem eigenen Haus. Und ich gewann die absolute Verfügungsgewalt über mich zurück und das Gefühl, eine Aufgabe zu haben, was mir lange fremd geworden war. Mein neuer Status als Eigentümerin belastete mich fast, weil es so viele Freiheiten zu verwirklichen gab." JULIKA GRIEM
Elizabeth Stoddard: "Die Morgesons".
Aus dem Englischen von Susanne Opfermann und Helmbrecht Breinig. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2012. 335 S., br., 29,95 [Euro].
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