The idea of finding a 'third way' in politics has become a focus of discussion across the world. Political leaders, in the US, Europe, Asia and Latin America claim to be following its principles. Yet the notion has also attracted much criticism. Some say it is an empty concept without any real content. Critics from the more traditional left argue that it is a betrayal of left-wing ideals. Anthony Giddens's The Third Way (Polity Press, 1998) is regarded by many as the key text of third way politics. Translated into twenty-five languages, it has shaped the development of the third way. In this new book Giddens responds to the critics, and further develops the ideas set out in his earlier volume. Far from being unable to deal with inequalities of wealth and power, he shows, third way politics offers the only feasible approach to these issues. The work is indispensable for anyone who wants to understand the most important political debate going on today. Anthony Giddens is the Director of the London School of Economics and Political Science. He is the author or editor of over thirty books. His previous works, especially Beyond Left and Right (Polity Press, 1994) have influenced debates about the future of social democracy in many countries across the world. Frequently referred to in the UK as Tony Blair's guru, Giddens has made a strong impact on the evolution of New Labour.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.1998Die Deutschen sollen sich wohlfühlen
Stollmann ist schon abgebogen, aber Giddens marschiert weiter auf dem Dritten Weg
Es ist noch keine zehn Jahre her, daß Tyll Necker angesichts von Reformbestrebungen in der untergehenden DDR warnte: "Der Dritte Weg führt in die Dritte Welt." Heute beginnt der Dritte Weg in der Ersten Welt, genauer gesagt in London, und führt geradeaus zur "Erneuerung der Sozialdemokratie". Dies wird zumindest auf dem Umschlag von Anthony Giddens' wegweisendem Werk "The Third Way" angekündigt. Der bekannte Soziologie ist als "Guru" von Tony Blair noch bekannter geworden. Die London School of Economics, einst Flaggschiff sozialreformerischen Denkens unter den Fabians Sidney und Beatrice Webb, segelt wieder vor dem politischen Wind, seit Giddens dort als Direktor agiert und direkte ideologische Funksignale zur Downing Street sendet (siehe auch F.A.Z. vom 4. Juli).
Wie Neoliberale dieser Tage besorgt feststellen, sind zum ersten Mal seit 1929 linke Parteien in Großbritannien, Frankreich und Deutschland gleichzeitig an der Macht - und dazu in Griechenland, Schweden und Italien: Alle sechs Parteien sind auf der Suche nach einem ideologischen Vordenker. Denn ganz ohne Ideologie geht es nicht, erklärt auch Giddens gleich zu Beginn seines Bändchens: "Das politische Leben ist nichts ohne Ideale, aber Ideale sind leer, wenn sie sich nicht mit realen Möglichkeiten verbinden."
Von Blair lernen heißt siegen lernen, haben deutsche Sozialdemokraten lange gedacht. Giddens spielt den Ball nun auf den Kontinent zurück: Von Erhard Eppler, vom alten Grundsatzprogramm der SPD, und von Ulrich Beck lernen heißt zumindest ökumenisch schreiben lernen. Denn Giddens möchte all of the good things and none of the bad, wie dies ein amerikanischer Politiker einmal formuliert hat: Bürgerrechte, aber auch Bürgerpflichten, individuelle Freiheit, aber ebenso "soziale Gemeinschaft", dazu die "demokratische Familie", auch Autorität, aber nicht ohne Demokratie, Vielfalt, aber auch Gleichheit, Wohlfahrtsstaat schon, aber einen "positiven", dazu den "sozialen Investitionsstaat", und eine neue "radikale Mitte" im "Staat ohne Feinde": Das alles steht gleichberechtigt auf dem Wunschkatalog. Was die Gegensätze verbindet, ist einfach das kategorisch "Neue" an der "Neuen Politik" und die unermüdliche Suche nach dem Neologismus, der dem politischen Feind den Begriff entwendet.
Politische "Néomanie" möchte man dieses neue Phänomen nennen, um einen Begriff von Paul Valéry zu borgen. Am Ende steht das Leitbild der "kosmopolitischen Nation", die laut Giddens eine "aktive Nation ist". Deutschland ist hier der Testfall: "Um Vorreiter einer kosmopolitischen Identität zu sein, müssen die Gesetze zur Staatsbürgerschaft geändert und eine große kulturelle Veränderung vollzogen werden. Eine kosmopolitische Nation braucht Werte, zu denen sich alle bekennen, und eine Identiät, mit der sich Bürger wohlfühlen, aber sie muß auch Vieldeutigkeit und kulturelle Vielfalt akzeptieren." Auch daran ist nichts auszusetzen, aber die Losung könnte auch anders lauten, und der Weg bliebe doch derselbe. Wie seine Vorschläge umzusetzen wären, verrät Giddens nicht.
Blairs weiser Mann hat einen gesamtgesellschaftlichen Genscherismus gefunden, ein Sowohl-als-Auch zum Wohlfühlen, das die Sorgen, die Giddens am Anfang seines Büchleins beschwört - besonders Globalisierung, Individualismus und ökologische Probleme - in soziologischer Heißluft auflöst. Die wirklich harten Fragen, die gemäß Ralf Dahrendorfs Analyse eine "Quadratur des Kreises" verlangen würden, läßt Giddens auf seinem schnurgeraden Dritten Weg einfach links und rechts liegen. Gleichzeitig ist seine Vorgehensweise zu clever - oder, in Giddens' Sprache, zu "reflexiv" -, um diesen Vorwurf, die Klage über "Designer-Sozialismus" und die vieldeutige Begriffsgeschichte des "Dritten Wegs" nicht schon mitgedacht zu haben. Niemand kann sich dieser Ideologie entziehen, denn alle Gegensätze sind schon vereinnahmt, alle Begriffe besetzt - in einem früheren ideologiekritischen Leben hätte man dies wohl "kulturelle Hegemonie" genannt.
Obwohl Giddens auch die Theorie der "Risikogesellschaft" ganz und gar aufgesogen hat und sich eine Regierung als "Risk Manager" wünscht, geht er mit seinen gefällig im Stil von Grundsatzpapieren formulierten Rezepten politisch keinerlei Risiko ein: "unbequem" ist dieser Vordenker nicht, auch nicht für Konservative, deren Ahnherrn Edmund Burke er gleich mit auf den Dritten Weg nimmt. Sollte es wider Erwarten jemals versucht werden, Giddensismus wirklich zu verwirklichen, würde das Programm an seiner eigenen Leere scheitern oder aber zum "government by oxymoron" ausarten.
Vor einem Jahr starb Isaiah Berlin. Die Botschaft seines philosophischen Pluralismus lautete: Man kann nicht alle guten Dinge gleichzeitig haben. Genau das aber will Giddens - und insofern ist die von ihm herbeigeschriebene Neugeburt der Sozialdemokratie, trotz aller pragmatischen rhetorischen Beigaben, eine Wiedergeburt aus dem Geist der Utopie. JAN MÜLLER
Anthony Giddens: "The Third Way". The Renewal of Social Democracy. Polity Press, London 1998. 166 S., br., 6,95 brit. Pfund.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Stollmann ist schon abgebogen, aber Giddens marschiert weiter auf dem Dritten Weg
Es ist noch keine zehn Jahre her, daß Tyll Necker angesichts von Reformbestrebungen in der untergehenden DDR warnte: "Der Dritte Weg führt in die Dritte Welt." Heute beginnt der Dritte Weg in der Ersten Welt, genauer gesagt in London, und führt geradeaus zur "Erneuerung der Sozialdemokratie". Dies wird zumindest auf dem Umschlag von Anthony Giddens' wegweisendem Werk "The Third Way" angekündigt. Der bekannte Soziologie ist als "Guru" von Tony Blair noch bekannter geworden. Die London School of Economics, einst Flaggschiff sozialreformerischen Denkens unter den Fabians Sidney und Beatrice Webb, segelt wieder vor dem politischen Wind, seit Giddens dort als Direktor agiert und direkte ideologische Funksignale zur Downing Street sendet (siehe auch F.A.Z. vom 4. Juli).
Wie Neoliberale dieser Tage besorgt feststellen, sind zum ersten Mal seit 1929 linke Parteien in Großbritannien, Frankreich und Deutschland gleichzeitig an der Macht - und dazu in Griechenland, Schweden und Italien: Alle sechs Parteien sind auf der Suche nach einem ideologischen Vordenker. Denn ganz ohne Ideologie geht es nicht, erklärt auch Giddens gleich zu Beginn seines Bändchens: "Das politische Leben ist nichts ohne Ideale, aber Ideale sind leer, wenn sie sich nicht mit realen Möglichkeiten verbinden."
Von Blair lernen heißt siegen lernen, haben deutsche Sozialdemokraten lange gedacht. Giddens spielt den Ball nun auf den Kontinent zurück: Von Erhard Eppler, vom alten Grundsatzprogramm der SPD, und von Ulrich Beck lernen heißt zumindest ökumenisch schreiben lernen. Denn Giddens möchte all of the good things and none of the bad, wie dies ein amerikanischer Politiker einmal formuliert hat: Bürgerrechte, aber auch Bürgerpflichten, individuelle Freiheit, aber ebenso "soziale Gemeinschaft", dazu die "demokratische Familie", auch Autorität, aber nicht ohne Demokratie, Vielfalt, aber auch Gleichheit, Wohlfahrtsstaat schon, aber einen "positiven", dazu den "sozialen Investitionsstaat", und eine neue "radikale Mitte" im "Staat ohne Feinde": Das alles steht gleichberechtigt auf dem Wunschkatalog. Was die Gegensätze verbindet, ist einfach das kategorisch "Neue" an der "Neuen Politik" und die unermüdliche Suche nach dem Neologismus, der dem politischen Feind den Begriff entwendet.
Politische "Néomanie" möchte man dieses neue Phänomen nennen, um einen Begriff von Paul Valéry zu borgen. Am Ende steht das Leitbild der "kosmopolitischen Nation", die laut Giddens eine "aktive Nation ist". Deutschland ist hier der Testfall: "Um Vorreiter einer kosmopolitischen Identität zu sein, müssen die Gesetze zur Staatsbürgerschaft geändert und eine große kulturelle Veränderung vollzogen werden. Eine kosmopolitische Nation braucht Werte, zu denen sich alle bekennen, und eine Identiät, mit der sich Bürger wohlfühlen, aber sie muß auch Vieldeutigkeit und kulturelle Vielfalt akzeptieren." Auch daran ist nichts auszusetzen, aber die Losung könnte auch anders lauten, und der Weg bliebe doch derselbe. Wie seine Vorschläge umzusetzen wären, verrät Giddens nicht.
Blairs weiser Mann hat einen gesamtgesellschaftlichen Genscherismus gefunden, ein Sowohl-als-Auch zum Wohlfühlen, das die Sorgen, die Giddens am Anfang seines Büchleins beschwört - besonders Globalisierung, Individualismus und ökologische Probleme - in soziologischer Heißluft auflöst. Die wirklich harten Fragen, die gemäß Ralf Dahrendorfs Analyse eine "Quadratur des Kreises" verlangen würden, läßt Giddens auf seinem schnurgeraden Dritten Weg einfach links und rechts liegen. Gleichzeitig ist seine Vorgehensweise zu clever - oder, in Giddens' Sprache, zu "reflexiv" -, um diesen Vorwurf, die Klage über "Designer-Sozialismus" und die vieldeutige Begriffsgeschichte des "Dritten Wegs" nicht schon mitgedacht zu haben. Niemand kann sich dieser Ideologie entziehen, denn alle Gegensätze sind schon vereinnahmt, alle Begriffe besetzt - in einem früheren ideologiekritischen Leben hätte man dies wohl "kulturelle Hegemonie" genannt.
Obwohl Giddens auch die Theorie der "Risikogesellschaft" ganz und gar aufgesogen hat und sich eine Regierung als "Risk Manager" wünscht, geht er mit seinen gefällig im Stil von Grundsatzpapieren formulierten Rezepten politisch keinerlei Risiko ein: "unbequem" ist dieser Vordenker nicht, auch nicht für Konservative, deren Ahnherrn Edmund Burke er gleich mit auf den Dritten Weg nimmt. Sollte es wider Erwarten jemals versucht werden, Giddensismus wirklich zu verwirklichen, würde das Programm an seiner eigenen Leere scheitern oder aber zum "government by oxymoron" ausarten.
Vor einem Jahr starb Isaiah Berlin. Die Botschaft seines philosophischen Pluralismus lautete: Man kann nicht alle guten Dinge gleichzeitig haben. Genau das aber will Giddens - und insofern ist die von ihm herbeigeschriebene Neugeburt der Sozialdemokratie, trotz aller pragmatischen rhetorischen Beigaben, eine Wiedergeburt aus dem Geist der Utopie. JAN MÜLLER
Anthony Giddens: "The Third Way". The Renewal of Social Democracy. Polity Press, London 1998. 166 S., br., 6,95 brit. Pfund.
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