This is a modern-day adventure story featuring Paulo's supernatural encounter with angels - who appear as warrior women and travel through the Mojave desert on their motorbikes.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2011Wenn sich Walküren einen Magier zur Brust nehmen
Gottesboten und Zauber-Hetären, die Valhalla heißen: Paulo Coelho veranstaltet in seinem Roman "Schutzengel" einen kuriosen Mythenzirkus. Himmel hilf!
Dass es Engel gibt und wie sie aussehen, ist kein Geheimnis. Wie Cameron Diaz, Drew Barrymore oder Lucy Liu. Sie machen Kung-Fu-Faxen, wirbeln durch die Luft, sind unfassbar sexy und lösen nebenbei idiotische Kriminalfälle. Für Paulo Coelho stimmt davon vor allem eines: das mit dem Sex-Appeal. Die Engelsbotinnen sind bei ihm kurvige Schönheiten, einen Hauch lesbisch und laufen gern mit nackten Brüsten herum. Engelserotik, wie sie schon das Mittelalter liebte. Coelho weiß überdies, dass die Lichtwesen hienieden nicht als Privatdetektive agieren, sondern als Lotsen: "Nur sie können uns den Weg zeigen, sonst niemand." Doch den Weg wohin? Dumme Frage: zum Endsieg natürlich. Die Situation ist nämlich die: Es findet gegenwärtig ein vierter Weltkrieg statt zwischen denen, "die noch an den Menschen und seine okkulten Kräfte glauben", und jenen, "die die Zukunft leugnen, die glauben, dass das Leben mit der Materie endet". So steht es im Epilog zu Paulo Coelhos bereits 1992 im Original erschienenen und jetzt ins Deutsche übersetzten Roman "Schutzengel".
Die Engel kämpfen also auf Seiten der Okkultisten gegen die finsteren Mächte der Aufklärung, und zwar nicht mit Kung-Fu-Methoden, sondern schön nostalgisch mit Schwert und Schild, wobei "die Schlachten zumeist auf der Astralebene geführt werden". Dieser gnostische Urkampf aber braucht nicht weiter zu irritieren, denn es existiert eine Abkürzung zu Gottes Weisheit: "Man muss nur das Channeling zulassen." Dabei handelt es sich um so etwas wie die DSL-Verbindung zum Transzendenten. Außerdem müsse der Mensch lernen, seine Fehler zu akzeptieren. Auf diese Weise öffne er "ein riesiges Fenster, durch das die Liebe hereinströmen kann". Das "Wachsen der individuellen Gaben" werde der nächste Schritt sein. Dabei kann sogar der ziemlich abgehalfterte Germane Wotan helfen. Zahlreiche weitere Versatzstücke aus Religion, Mythos und Psychoanalyse werden hier eklektisch und raunend zu einer esoterischen Lehre verschmolzen, die das Heil in einer Selbstüberwindung sieht, die der Selbstvergottung gleichkommt.
Der Himmel weiß, wie der Verkünder solcher Botschaften zum meistübersetzten Autor der Welt werden konnte. An der literarischen Qualität kann es nicht liegen. Ganz besonders unbeholfen stolpert "Schutzengel" voran: Der Spannungsbogen liegt platt auf dem Wüstenboden, eindimensional introspektiv ist die Erzählhaltung des sich autobiographisch gebenden Buches.
Vor den direkten Leser-Appellen im Abgang handelt der Roman von einem vierzig Tage währenden Selbsterfahrungstrip. Der "Magier" Paulo hat die Absicht, in der Mojave-Wüste seinen Engel zu finden. Paulos Frau Chris, mitgekommen in erster Linie, weil sie um die Ehe fürchtet, scheint diesem Vorhaben zu Beginn kritisch gegenüberzustehen, macht sogar den einen oder anderen Witz, doch alle Hoffnung des unverstrahlten Lesers, in ihr eine Verbündete zu besitzen, zerstiebt, sobald sich ihre Seele bis zum Horizont weitet. Von da an geht es auch Chris darum, das "zweite Bewusstsein" zu überlisten, um Kontakt zu ihrem Engel aufzunehmen.
Coelho hat Humor genug, seine Figuren an einem Sonnenstich laborieren zu lassen. Überwältigt von den tiefen Weisheiten, die ihnen der jugendliche Meister Took eröffnet hat - "um in die unsichtbare Welt einzudringen, die eigenen Kräfte zu entwickeln, musst du in der Gegenwart leben" -, werfen Paulo und Chris in der Wüste alle Kleider von sich und werden völlig dehydriert von einem Lastwagenfahrer gerettet. Den aber, lernen wir, hat natürlich ein Schutzengel geschickt.
So leicht also lässt sich dieser Mystik-Zirkus nicht entschärfen, auch wenn die folgenden Geschehnisse durchaus Fieberträumen ähneln. Es ist jedoch keineswegs metaphorisch gemeint, wenn die Anderswelt plötzlich in Form einer Nymphen-Reiterstaffel hereinbricht. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Gruppe junger, liebesbereiter Frauen, welche predigend durch die Gegend zieht. In Wahrheit aber - man schämt sich, es hinzuschreiben - sind es "Walküren", unterwegs im Namen des Erzengels Michael, der ihnen aufgab, elfmal die Wüste zu umrunden. Die Oberwalküre trägt den gänzlich unvorbelasteten Namen Valhalla, ist unserem Helden magiekarrieretechnisch überlegen und schafft es schließlich in einem stillgelegten Bergwerk, den an die nackte Brust gedrückten, schluchzenden Paulo von einem Pakt zu lösen, den er einst mit der Niederlage geschlossen hat. Ermannung ist das Ziel. Daraufhin entspinnt sich zwischen Valhalla und Chris, beide in Paulo verliebt, ein Konkurrenzkampf, was ganz normal ist, wie der Erzähler weiß: "denn sie waren Frauen, waren gewohnt, um Liebe zu kämpfen". Seinen Höhepunkt erreicht diese Auseinandersetzung während des "Rituals, das die Rituale umstürzt", eine Art heiliges Theater, das an Softpornos erinnert. Die jüngste der Walküren wird Paulo mit zerrissener Bluse als Strafe erbettelndes Opfer vorgeworfen, um Dämonen in ihm zu provozieren. Am Ende steht die Versöhnung aller Beteiligten, die Konkurrentinnen küssen sich, die Walküren hoppeln davon. Chris hat darauf eine typologische Vision: Paulo ist ein Jäger, sie eine Ackerbäuerin. Gendertheorie aus dem Neolithikum. Die übrigen Tage in der Wüste übt sich das geläuterte Paar im Channeling, nebelhaft nie besuchte Kathedralen betrachtend, bis sich Paulo eines Nachts allein aufmacht und, man hat es befürchtet, seinem Engel begegnet. Dieser besteht natürlich aus Licht und diktiert ihm tatsächlich Jesaja 62 in den Schreibblock, die herrliche Zukunft Zions beschwörend.
Nach Israels Schicksal aber kräht hier kein Hahn, es ging lediglich um eine Machtdemonstration: "Paulo spürte einen Knoten in der Kehle. Das war ein Wunder, und er dankte dem Herrn." Paulo erbittet flugs den Schutz des Engels für seine Arbeit, der Engel schickt zur Bestätigung einen Schmetterling ("Paulo rührte sich nicht, denn dies war ein weiteres Wunder"). Damit wäre also zumindest diese Frage beantwortet: Der Himmel weiß nicht nur, warum Coelho ein solcher Erfolg beschieden ist, er ist daran schuld.
OLIVER JUNGEN
Paulo Coelho: "Schutzengel". Roman.
Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes Verlag, Zürich 2011. 200 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Gottesboten und Zauber-Hetären, die Valhalla heißen: Paulo Coelho veranstaltet in seinem Roman "Schutzengel" einen kuriosen Mythenzirkus. Himmel hilf!
Dass es Engel gibt und wie sie aussehen, ist kein Geheimnis. Wie Cameron Diaz, Drew Barrymore oder Lucy Liu. Sie machen Kung-Fu-Faxen, wirbeln durch die Luft, sind unfassbar sexy und lösen nebenbei idiotische Kriminalfälle. Für Paulo Coelho stimmt davon vor allem eines: das mit dem Sex-Appeal. Die Engelsbotinnen sind bei ihm kurvige Schönheiten, einen Hauch lesbisch und laufen gern mit nackten Brüsten herum. Engelserotik, wie sie schon das Mittelalter liebte. Coelho weiß überdies, dass die Lichtwesen hienieden nicht als Privatdetektive agieren, sondern als Lotsen: "Nur sie können uns den Weg zeigen, sonst niemand." Doch den Weg wohin? Dumme Frage: zum Endsieg natürlich. Die Situation ist nämlich die: Es findet gegenwärtig ein vierter Weltkrieg statt zwischen denen, "die noch an den Menschen und seine okkulten Kräfte glauben", und jenen, "die die Zukunft leugnen, die glauben, dass das Leben mit der Materie endet". So steht es im Epilog zu Paulo Coelhos bereits 1992 im Original erschienenen und jetzt ins Deutsche übersetzten Roman "Schutzengel".
Die Engel kämpfen also auf Seiten der Okkultisten gegen die finsteren Mächte der Aufklärung, und zwar nicht mit Kung-Fu-Methoden, sondern schön nostalgisch mit Schwert und Schild, wobei "die Schlachten zumeist auf der Astralebene geführt werden". Dieser gnostische Urkampf aber braucht nicht weiter zu irritieren, denn es existiert eine Abkürzung zu Gottes Weisheit: "Man muss nur das Channeling zulassen." Dabei handelt es sich um so etwas wie die DSL-Verbindung zum Transzendenten. Außerdem müsse der Mensch lernen, seine Fehler zu akzeptieren. Auf diese Weise öffne er "ein riesiges Fenster, durch das die Liebe hereinströmen kann". Das "Wachsen der individuellen Gaben" werde der nächste Schritt sein. Dabei kann sogar der ziemlich abgehalfterte Germane Wotan helfen. Zahlreiche weitere Versatzstücke aus Religion, Mythos und Psychoanalyse werden hier eklektisch und raunend zu einer esoterischen Lehre verschmolzen, die das Heil in einer Selbstüberwindung sieht, die der Selbstvergottung gleichkommt.
Der Himmel weiß, wie der Verkünder solcher Botschaften zum meistübersetzten Autor der Welt werden konnte. An der literarischen Qualität kann es nicht liegen. Ganz besonders unbeholfen stolpert "Schutzengel" voran: Der Spannungsbogen liegt platt auf dem Wüstenboden, eindimensional introspektiv ist die Erzählhaltung des sich autobiographisch gebenden Buches.
Vor den direkten Leser-Appellen im Abgang handelt der Roman von einem vierzig Tage währenden Selbsterfahrungstrip. Der "Magier" Paulo hat die Absicht, in der Mojave-Wüste seinen Engel zu finden. Paulos Frau Chris, mitgekommen in erster Linie, weil sie um die Ehe fürchtet, scheint diesem Vorhaben zu Beginn kritisch gegenüberzustehen, macht sogar den einen oder anderen Witz, doch alle Hoffnung des unverstrahlten Lesers, in ihr eine Verbündete zu besitzen, zerstiebt, sobald sich ihre Seele bis zum Horizont weitet. Von da an geht es auch Chris darum, das "zweite Bewusstsein" zu überlisten, um Kontakt zu ihrem Engel aufzunehmen.
Coelho hat Humor genug, seine Figuren an einem Sonnenstich laborieren zu lassen. Überwältigt von den tiefen Weisheiten, die ihnen der jugendliche Meister Took eröffnet hat - "um in die unsichtbare Welt einzudringen, die eigenen Kräfte zu entwickeln, musst du in der Gegenwart leben" -, werfen Paulo und Chris in der Wüste alle Kleider von sich und werden völlig dehydriert von einem Lastwagenfahrer gerettet. Den aber, lernen wir, hat natürlich ein Schutzengel geschickt.
So leicht also lässt sich dieser Mystik-Zirkus nicht entschärfen, auch wenn die folgenden Geschehnisse durchaus Fieberträumen ähneln. Es ist jedoch keineswegs metaphorisch gemeint, wenn die Anderswelt plötzlich in Form einer Nymphen-Reiterstaffel hereinbricht. Auf den ersten Blick handelt es sich um eine Gruppe junger, liebesbereiter Frauen, welche predigend durch die Gegend zieht. In Wahrheit aber - man schämt sich, es hinzuschreiben - sind es "Walküren", unterwegs im Namen des Erzengels Michael, der ihnen aufgab, elfmal die Wüste zu umrunden. Die Oberwalküre trägt den gänzlich unvorbelasteten Namen Valhalla, ist unserem Helden magiekarrieretechnisch überlegen und schafft es schließlich in einem stillgelegten Bergwerk, den an die nackte Brust gedrückten, schluchzenden Paulo von einem Pakt zu lösen, den er einst mit der Niederlage geschlossen hat. Ermannung ist das Ziel. Daraufhin entspinnt sich zwischen Valhalla und Chris, beide in Paulo verliebt, ein Konkurrenzkampf, was ganz normal ist, wie der Erzähler weiß: "denn sie waren Frauen, waren gewohnt, um Liebe zu kämpfen". Seinen Höhepunkt erreicht diese Auseinandersetzung während des "Rituals, das die Rituale umstürzt", eine Art heiliges Theater, das an Softpornos erinnert. Die jüngste der Walküren wird Paulo mit zerrissener Bluse als Strafe erbettelndes Opfer vorgeworfen, um Dämonen in ihm zu provozieren. Am Ende steht die Versöhnung aller Beteiligten, die Konkurrentinnen küssen sich, die Walküren hoppeln davon. Chris hat darauf eine typologische Vision: Paulo ist ein Jäger, sie eine Ackerbäuerin. Gendertheorie aus dem Neolithikum. Die übrigen Tage in der Wüste übt sich das geläuterte Paar im Channeling, nebelhaft nie besuchte Kathedralen betrachtend, bis sich Paulo eines Nachts allein aufmacht und, man hat es befürchtet, seinem Engel begegnet. Dieser besteht natürlich aus Licht und diktiert ihm tatsächlich Jesaja 62 in den Schreibblock, die herrliche Zukunft Zions beschwörend.
Nach Israels Schicksal aber kräht hier kein Hahn, es ging lediglich um eine Machtdemonstration: "Paulo spürte einen Knoten in der Kehle. Das war ein Wunder, und er dankte dem Herrn." Paulo erbittet flugs den Schutz des Engels für seine Arbeit, der Engel schickt zur Bestätigung einen Schmetterling ("Paulo rührte sich nicht, denn dies war ein weiteres Wunder"). Damit wäre also zumindest diese Frage beantwortet: Der Himmel weiß nicht nur, warum Coelho ein solcher Erfolg beschieden ist, er ist daran schuld.
OLIVER JUNGEN
Paulo Coelho: "Schutzengel". Roman.
Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann. Diogenes Verlag, Zürich 2011. 200 S., geb., 19,90 [Euro].
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