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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Wer herrschen will, braucht Rituale: Karl-Joachim Hölkeskamp legt eine Studie zur politischen Kultur in der römischen Republik vor.
Die Inszenierung von Politik in ritualisierter Gestalt genießt keinen guten Ruf. Sie ist weitgehend dem Imperativ der Rationalität in einer sich rational gebenden Moderne zum Opfer gefallen. Bilderfolgen zu Staatsbesuchen erscheinen nichtssagend, und politische Kommunikation im Bierzelt gilt aktuell wieder als verdächtige Brutstätte von Populismus. Wie sehr jedoch die schlichte Scheidung von Fassade und "Wirklichkeit" trügt, haben Forschungen zur Herstellung des Politischen durch teilnehmende Gegenwart zahlreicher Akteure in der Vormoderne gezeigt. Danach verfehle, so formuliert es der Kölner Althistoriker Karl-Joachim Hölkeskamp in seiner Studie zur politischen Kultur in der römischen Republik, eine reinliche Unterscheidung oder gar Kontrastierung von Schein und Sein, von Pomp und Politik, von zeremoniellen, symbolisch-expressiven Formen und zweckrationalen, technisch-instrumentellen Verfahren politischen Entscheidens und Handelns die Komplexität vergangener Lebenswelten.
Besonders dicht erscheint die Interaktion in Stadtstaatskulturen, wie sie Hellas und Rom in der Antike oder die italienischen Stadtrepubliken seit dem Mittelalter darstellten. Was so nur dort möglich war: Akteure und Adressaten der rituellen Interaktionen sahen sich in komplementären Rollen miteinander verschränkt und begegneten einander immer wieder, zu bestimmten Zeiten, in festgelegten Räumen. Wer im republikanischen Rom das Wagnis einer Kandidatur für das Konsulat auf sich nahm, musste sich der Öffentlichkeit aussetzen, schüttelte Hände, stellte sich der Bürgerschaft vor und verwies mit Worten und Gesten auf seine eigenen Verdienste und die seiner Familie um das Gemeinwesen. Es folgte der ebenfalls genauen Regeln gehorchende Wahltag, an dem die nunmehr strikt gegliederte Bürgerschaft jährlich Ämter und Prestige unter den miteinander konkurrierenden Aristokraten verteilte. Das gleiche Volk, auch wenn es jeweils andere Personen waren, gab der feierlichen Amtseinführung Bedeutung. Wurde der neue Konsul vom Senat auf einen Kriegsschauplatz beordert, trat er als Befehlshaber vor die Bürgersoldaten, die nunmehr zu striktem Gehorsam ihm gegenüber verpflichtet waren, rief sie zum Dienst, sprach zu ihnen und kommandierte sie im Feld, zeichnete aus und bestrafte. War der Sieg errungen und groß genug, begegnete man einander wieder, diesmal im durchchoreographierten Ritual des Triumphzuges, in dem Feldherr und Soldaten, bejubelt von Volk und Senatoren, ihren Erfolg der Bürgerschaft und dem Jupiter auf dem Kapitol präsentierten.
Damit endete der ideale Zyklus. Er konnte bereichert werden durch einen Prozess wegen Vergehen im Amt oder anderer Delikte, wieder ein spektakuläres Ereignis, das den Alltag für gewisse Zeit verblassen ließ, weil die rhetorische Rauferei zwischen Anklägern und Verteidigern, bereichert um den Anblick eines hohen Herren im Sturm, immer etwas zum Hören, Staunen und Weitererzählen bot. Ähnliches galt für die anderen Prozessionen ("pompae"), die stets religiös aufgeladenen Feste sowie die Begegnungen im Circus und Theater. Schließlich: So unausweichlich der Tod für einen jeden ist, so sicher bildete das Begräbnis eines Nobilis samt Prozession mit den Ahnenbildnissen und rühmender Rede des Sohnes auf dem Forum den würdigen Abschluss eines Lebens, das sich stets im Gesichtsfeld der Bürger abgespielt hatte.
Hölkeskamp durchmustert die Inszenierungen und Gelegenheiten, bei denen durch "Ko-Präsenz" und Zusammenwirken der Akteure mit den Zuschauern in "strukturierter Sequenz" eingeschärft wurde, was gelten sollte: die Ordnung schlechthin, eine politische Ideologie, ein "Programm der Macht". Folgerichtig bildet Augustus den Flucht- und Endpunkt. Seitenblicke auf vergleichbare Phänomene im antiken Athen, in Montpellier oder am Hof Ludwigs des Vierzehnten präparieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Doch "auch bei den Prozessionen des Dogen im Venedig der Renaissance ging es zweifellos um die symbolische Konstruktion von Hierarchien, Autorität und Macht - nämlich die zeremonielle Inszenierung der sozioinstitutionellen Grundstruktur der Verfassung der Republik und ihrer ebenso differenzierten wie strikt hierarchischen Gliederungen".
Wer mit dem Sound des Autors nicht vertraut ist, mag die Lektüre bisweilen anstrengend finden. Forschungsparadigmen stehen voran; die einschlägigen Szenen und Schilderungen in den Quellen paradieren in einiger Vollständigkeit vorbei, dienen aber weitgehend zur Illustration. Wie komplex der Gegenstand, verflochten die Beziehungen und vielschichtig die wissenschaftlichen Arbeiten dazu sind, bildet sich auch in der Sprache ab.
Zweifellos liegt hier eine für lange Zeit definitive Synthese vor. Hölkeskamp vermag zu erklären, wie in der Tiberstadt, wo schon zu Beginn der Republik nicht mehr jeder jeden kannte, durch theatralische Inszenierungen die res publica als alles überwölbende Größe immer wieder vor Augen gestellt und eingeschärft wurde, während im Alltag der Bürger eher die Autonomie des Hauses und die jeweils eigenen Interessen im Vordergrund standen. Diese integrative Wirkung vermochten die Römer durch Denkmäler und Gedächtnisorte in einem sinngeladenen Raum auf Dauer zu stellen. Die symbolische und performative Teilhabe der vielen beeinflusste auch das Agieren der Mächtigen erheblich, und der Autor zeigt, wie Integration gelingt, wenn jeder ernsthaft seine Rolle spielt.
An Grenzen stößt diese funktionale Erklärung eines Sozialen und Politischen, weil die hier so erschöpfend behandelten Phänomene fast ausschließlich in der Stadt Rom angesiedelt waren. Als die Macht in die Fläche ausgriff, dehnten sich die Bindungen und konnte viel schiefgehen, wie der Autor an einigen Fällen von Übergriffen römischer Amtsträger und Privatleute in unterworfenen oder verbündeten Städten demonstriert. Irgendwann schlug die Diskrepanz eben doch durch, als die durch persönliche Teilnahme Integrierten nur noch einen kleinen Bruchteil aller politisch relevanten Akteure im wachsenden Herrschaftsgebiet Roms ausmachten.
Die Kulturgeschichte des Politischen, die hierzulande auf den Spuren Christian Meiers ganz maßgeblich Karl-Joachim Hölkeskamp mit großem Ertrag in der Alten Geschichte etabliert hat, vermochte die klassische Sozialgeschichte aufzubrechen, sofern diese nur nach Interessen und ihren Formierungen fragte. Doch ganz ohne diese geht es eben auch nicht, und in der späten römischen Republik funktionierte der Satz "Sie verlangen Land und Brot, also gebt ihnen Politik!" nicht länger. UWE WALTER
Karl-Joachim Hölkeskamp: "Theater der Macht". Die Inszenierung der Politik in der römischen Republik.
C. H. Beck Verlag, München 2023. 710 S., Abb., geb., 48,- Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung, Uwe Walter
"Mit Zirkus, Arena und Theater wird der Plebs, dem 'einfachen Volk', der Eindruck vermittelt, sie wäre aktiver Mitspieler bei den Inszenierungen der Macht. Eindrucksvoll schildert der Autor Szenen der Teilhabe, wie man sie heute von großen Sportevents kennt."
Falter, Thomas Leitner
"Eine lesenswerte und methodisch reflektierte Kulturgeschichte der Römischen Republik"
Berliner Morgenpost
"eröffnet ein grundlegendes Verständnis jener Epoche und der Wurzeln von Politik."
PM History
"Ein umfangreiches, komplexes, reiches Buch über die vielfältigen politischen Rituale und deren integrative Kraft im alten Rom."
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Peter Korte
"A detailed and ambitious book. ... This book will be the definitive treatment of the approach that Hölkeskamp has pioneered."
Sehepunkte, Harriet I. Flower
"Der Kölner Althistoriker bietet Erkenntnisse zu Propaganda-Kampagnen und Triumphzügen, die hochaktuell sind."
WELT am Sonntag, Richard Kämmerlings