Zu Beginn wird Hochzeit gefeiert in dem Walliser Weiler Terroua. Marcellines ältester Bruder heiratet eine Frau aus einem anderen Dorf, Theoda, eine Fremde, eine, die stets aussieht, als ginge sie auf ein Fest. Marceline ist eingeschüchtert und fasziniert zugleich von dieser aparten, so gar nicht bäuerlichen jungen Frau. Eines Tages wird sie unfreiwillige Zeugin von Theodas Ehebruch, was sie in tiefste Gewissenskonflikte stürzt. Fortan trägt sie schwer an diesem ungeheuren Geheimnis, das allmählich das ganze Dorf in Aufruhr versetzt und für die Liebenden schließlich, die nicht vor einem Mord zurückschrecken, den Gang zum Schafott bedeutet. In ihrem ersten Roman, der Corinna Bille vor siebzig Jahren bekannt machte, erzählt sie die Geschichte einer leidenschaftlichen Liebe - bis zu ihrem bitteren Ende. Gleichzeitig hält die preisgekrönte Autorin in unvergleichlich eindringlicher und poetischer Sprache das Leben der Walliser Bauern in der extremen Bergwelt fest, ihr Nomadentum im Rhythmus der Jahreszeiten, ihre Verrichtungen und Feste und nicht zuletzt das Ende einer Kindheit.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.05.2014Jede Floskel
eine Sünde
Weltliteratur neu aufgelegt:
„Theoda“ von S. Corinna Bille
„Nennt mir das Land, so wunderschön, / das Land wo ich geboren bin, / wo himmelhoch die Berge stehn / und Mannskraft wohnt bei schlichtem Sinn.“ Ob die Schweizer Schriftstellerin S. Corinna Bille (1912-1979) in den Refrain einfallen würde: „Das ist das Land am Rhonestrand / das Wallis, unser Heimatland“? Wahrscheinlich schon, auch wenn die französischsprachige Walliserin ihre eigenen Hymnen auf die Landschaft des Wallis und seine Menschen geschrieben hat. Ihr Werk ist eine Hommage, die der Volkskunst durchaus verbunden bleibt, sich aber im Gegensatz zur zitierten Walliser Hymne dem „heimisch trauten“ Idyll der Alpendörfer verweigert: Abgründe öffnen sich eben auch in einer Nussschale, wenn eine Autorin von Weltrang erzählt. Und die ist S. Corinna Bille, deren Werk seit 2011 auf Deutsch im Zürcher Rotpunkt Verlag erscheint. Ihr Debüt-Roman „Theoda“ von 1944 wurde jetzt von Gabriela Zehnder neu übersetzt.
Anders als die Figuren ihres Romans wurde Stéphanie Bille 1912 nicht in eine der armen, bäuerlichen Familien geboren, die ihr Vater, der Maler Edmond Bille, in so kräftigen Farben gemalt hat. Bille wuchs im Wallis in einer märchenhaften Villa namens „Le Paradu“ auf. Sie verkehrte früh in Künstler- und Intellektuellenkreisen und nahm in den Dreißiger- und Vierzigerjahren nach einer gescheiterten Ehe mit dem Pariser Schauspieler Vital Geymond mit ihrem zweiten Ehemann, dem Schriftsteller Maurice Chappaz, das Nomaden- und Kommuneleben der Hippies vorweg. Als ihr Romandebüt erschien, war Bille bereits seit einigen Jahren zurück aus Paris und hatte sich nach dem Geburtsdorf ihrer Mutter den Namen Corinna gegeben.
Mit „Theoda“ streife Bille noch das Genre des Bergromans, schrieb Peter Hamm anlässlich ihres 100. Geburtstags vor zwei Jahren. Das klingt, als würden da mit Lederhosen bekleidete und in Alpenhörner stoßende Männer naive Bauernmädchen in der Scheune schwängern. Weit gefehlt: Billes Theoda ist eine der machtvollsten und verlorensten Frauengestalten der Literatur. Eine Leerstelle, um die sich alle anderen Figuren des Romans wie Magnetsplitter ordnen, ein Dämon: betörend schön, glanzvoll und vollkommen unschuldig in seinem Wunsch zu leben.
Theodas Geschichte spielt sich unter Nomaden ab: „Wir hatten nicht nur ein Dorf. Wir hatten zwei. Eines in der Nähe des Flusses, zwischen den Weinbergen und den Gemüsegärten: Pragnin. Das andere zwei Wegstunden weiter oben: Terroua. (. . . ) Zwei Namen, die zu ihnen passen. Pragnin, am Abhang gebaut, stufenförmig angelegt, unstabil. Terroua wuchtig und schwer, fest im Boden verankert, ein Ort, der sich weigert, mit dem Himmel zu verschmelzen.“ Zwischen diesen Dörfern zieht Marceline mit ihren Leuten den Jahreszeiten hinterher und erzählt so stolz und bestimmt davon, als wäre jedes überflüssige Wort, jede Floskel eine Sünde. Theoda ist ihre Schwägerin. Als die schöne Fremde ins Dorf kommt, ist Marceline im „Alter der Vernunft“, wie sie schreibt und auch beweist, hört und sieht die Siebenjährige doch mehr und weiter als die Erwachsenen.
Die Ich-Perspektive dieses alten Kindes verleiht Billes Erzählung eine besondere Präsenz und Intimität. Nicht der historisch belegte Plot – Theoda wird ihre Ehe brechen, ihren Mann töten und hingerichtet werden – nimmt einen für Tage gefangen, sondern Marcelines Erzählweise, in der vom ersten Satz an eine heilige Todesahnung mitschwingt und das Wissen, dass mit Theoda etwas Großes in die archaische Gemeinschaft eingebrochen ist. Die poetische Weisheit, mit der hier von der Liebe und dem Tod erzählt wird, erinnert an Meisterstücke wie Robert Musils Todeserzählung „Grigia“, die magischen und zugleich hyperrealistischen Bilder des harten Alltags an die Filme von Edgar Reitz.
Erdgebunden ist dieser Roman und lebensklug. Faszinierend wahrhaftig, zeitlos und genau schreibt Bille von den inneren Bewegungen der Massen auf dem Hinrichtungsplatz, aber auch von den Gefühlen einer unsentimental aufs Überleben ausgerichteten Gesellschaft. Bille verfügte nicht nur über eine besondere Beobachtungsgabe, sondern auch über die Fähigkeit, „inwendig“ zu sehen. Erst dadurch wächst ihre Prosa, die so genau weiß, wo der Atem sitzt, über die Autorin hinaus.
„Theoda“ erschien im vorletzten Jahr des Zweiten Weltkriegs, den die Schweiz sich vom Hals zu halten versuchte. Welche Wellen schwappten damals dennoch in die abgeschiedenen Täler des Wallis? Welche Erfahrungen hatte die damals 32-jährige S. Corinna Bille aus Paris mitgebracht? Fernab vom Morden, von den Flüchtlingsströmen und Luftangriffen, mitten im verwüsteten Europa, entstand diese düstere Parabel über eine zerstörerische Leidenschaft und eine Gemeinschaft, die sich am Fremden in ihrer Mitte verging und damit selbst zugrunde richtete. Die Wucht dieser Ur-Erzählung wirkt bis heute ungeheuerlich.
INSA WILKE
S. Corinna Bille: Theoda. Roman. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. Rotpunktverlag, Zürich 2014, 200 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 16,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
eine Sünde
Weltliteratur neu aufgelegt:
„Theoda“ von S. Corinna Bille
„Nennt mir das Land, so wunderschön, / das Land wo ich geboren bin, / wo himmelhoch die Berge stehn / und Mannskraft wohnt bei schlichtem Sinn.“ Ob die Schweizer Schriftstellerin S. Corinna Bille (1912-1979) in den Refrain einfallen würde: „Das ist das Land am Rhonestrand / das Wallis, unser Heimatland“? Wahrscheinlich schon, auch wenn die französischsprachige Walliserin ihre eigenen Hymnen auf die Landschaft des Wallis und seine Menschen geschrieben hat. Ihr Werk ist eine Hommage, die der Volkskunst durchaus verbunden bleibt, sich aber im Gegensatz zur zitierten Walliser Hymne dem „heimisch trauten“ Idyll der Alpendörfer verweigert: Abgründe öffnen sich eben auch in einer Nussschale, wenn eine Autorin von Weltrang erzählt. Und die ist S. Corinna Bille, deren Werk seit 2011 auf Deutsch im Zürcher Rotpunkt Verlag erscheint. Ihr Debüt-Roman „Theoda“ von 1944 wurde jetzt von Gabriela Zehnder neu übersetzt.
Anders als die Figuren ihres Romans wurde Stéphanie Bille 1912 nicht in eine der armen, bäuerlichen Familien geboren, die ihr Vater, der Maler Edmond Bille, in so kräftigen Farben gemalt hat. Bille wuchs im Wallis in einer märchenhaften Villa namens „Le Paradu“ auf. Sie verkehrte früh in Künstler- und Intellektuellenkreisen und nahm in den Dreißiger- und Vierzigerjahren nach einer gescheiterten Ehe mit dem Pariser Schauspieler Vital Geymond mit ihrem zweiten Ehemann, dem Schriftsteller Maurice Chappaz, das Nomaden- und Kommuneleben der Hippies vorweg. Als ihr Romandebüt erschien, war Bille bereits seit einigen Jahren zurück aus Paris und hatte sich nach dem Geburtsdorf ihrer Mutter den Namen Corinna gegeben.
Mit „Theoda“ streife Bille noch das Genre des Bergromans, schrieb Peter Hamm anlässlich ihres 100. Geburtstags vor zwei Jahren. Das klingt, als würden da mit Lederhosen bekleidete und in Alpenhörner stoßende Männer naive Bauernmädchen in der Scheune schwängern. Weit gefehlt: Billes Theoda ist eine der machtvollsten und verlorensten Frauengestalten der Literatur. Eine Leerstelle, um die sich alle anderen Figuren des Romans wie Magnetsplitter ordnen, ein Dämon: betörend schön, glanzvoll und vollkommen unschuldig in seinem Wunsch zu leben.
Theodas Geschichte spielt sich unter Nomaden ab: „Wir hatten nicht nur ein Dorf. Wir hatten zwei. Eines in der Nähe des Flusses, zwischen den Weinbergen und den Gemüsegärten: Pragnin. Das andere zwei Wegstunden weiter oben: Terroua. (. . . ) Zwei Namen, die zu ihnen passen. Pragnin, am Abhang gebaut, stufenförmig angelegt, unstabil. Terroua wuchtig und schwer, fest im Boden verankert, ein Ort, der sich weigert, mit dem Himmel zu verschmelzen.“ Zwischen diesen Dörfern zieht Marceline mit ihren Leuten den Jahreszeiten hinterher und erzählt so stolz und bestimmt davon, als wäre jedes überflüssige Wort, jede Floskel eine Sünde. Theoda ist ihre Schwägerin. Als die schöne Fremde ins Dorf kommt, ist Marceline im „Alter der Vernunft“, wie sie schreibt und auch beweist, hört und sieht die Siebenjährige doch mehr und weiter als die Erwachsenen.
Die Ich-Perspektive dieses alten Kindes verleiht Billes Erzählung eine besondere Präsenz und Intimität. Nicht der historisch belegte Plot – Theoda wird ihre Ehe brechen, ihren Mann töten und hingerichtet werden – nimmt einen für Tage gefangen, sondern Marcelines Erzählweise, in der vom ersten Satz an eine heilige Todesahnung mitschwingt und das Wissen, dass mit Theoda etwas Großes in die archaische Gemeinschaft eingebrochen ist. Die poetische Weisheit, mit der hier von der Liebe und dem Tod erzählt wird, erinnert an Meisterstücke wie Robert Musils Todeserzählung „Grigia“, die magischen und zugleich hyperrealistischen Bilder des harten Alltags an die Filme von Edgar Reitz.
Erdgebunden ist dieser Roman und lebensklug. Faszinierend wahrhaftig, zeitlos und genau schreibt Bille von den inneren Bewegungen der Massen auf dem Hinrichtungsplatz, aber auch von den Gefühlen einer unsentimental aufs Überleben ausgerichteten Gesellschaft. Bille verfügte nicht nur über eine besondere Beobachtungsgabe, sondern auch über die Fähigkeit, „inwendig“ zu sehen. Erst dadurch wächst ihre Prosa, die so genau weiß, wo der Atem sitzt, über die Autorin hinaus.
„Theoda“ erschien im vorletzten Jahr des Zweiten Weltkriegs, den die Schweiz sich vom Hals zu halten versuchte. Welche Wellen schwappten damals dennoch in die abgeschiedenen Täler des Wallis? Welche Erfahrungen hatte die damals 32-jährige S. Corinna Bille aus Paris mitgebracht? Fernab vom Morden, von den Flüchtlingsströmen und Luftangriffen, mitten im verwüsteten Europa, entstand diese düstere Parabel über eine zerstörerische Leidenschaft und eine Gemeinschaft, die sich am Fremden in ihrer Mitte verging und damit selbst zugrunde richtete. Die Wucht dieser Ur-Erzählung wirkt bis heute ungeheuerlich.
INSA WILKE
S. Corinna Bille: Theoda. Roman. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. Rotpunktverlag, Zürich 2014, 200 Seiten, 19,90 Euro, E-Book 16,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Auf Insa Wilke wirkt die Wucht dieser urigen Erzählung von Corinna Bille, die die Rezensentin mitnichten zu den Bergromanen zählt, bis heute ungeheuerlich. Für Wilke liegt das daran, dass die Autorin ihrer Wallisischen Heimat darin zwar treu bleibt, doch keine Idyllik betreibt. Darüber hinaus stellt Billes Debütroman von 1944 eine für Wilke betörend schöne, machtvolle wie verlorene Frauengestalt ins Zentrum, die den Plot an Magie weit überflügelt. Billes ahnungsvolle Erzählweise und poetische Weisheit erinnert die Rezensentin an Robert Musils "Grigia" und die Filme von Edgar Reitz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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