»Am 9. Februar 1931 wird Thomas Bernhard in Heerlen (Niederlande) geboren. Die Nachgeburt hat die Form Österreichs.« - so beginnt die Biografie Bernhards aus der Zeichenfeder von Comic-Künstler Nicolas Mahler. In 99 rasant-komischen Bildern gibt der Großmeister des Minimalismus, der bereits Bernhards Alte Meister und Der Weltverbesserer »kongenial« adaptiert hat, eine witzig-böse Tour durch das Leben des berühmten Übertreibungskünstlers - vom Aufwachsen ohne Vater, über die enge Beziehung zu seinem Großvater Johannes Freumbichler bis zu ersten literarischen Erfolgen und Aufführungen seiner Theaterstücke. Bernhards Preise und Skandale fehlen dabei ebenso wenig wie seine Krankheit, sein Lebensmensch Hedwig Stavianicek oder das Verhältnis zu seinem Verleger Siegfried Unseld - eine Lebensgeschichte in Schlaglichtern, wie sie nur Nicolas Mahler in Szene setzen kann
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Ralph Trommer hat mächtig Spaß mit dieser gezeichneten Thomas-Bernhard-Biografie aus der Feder von Nicolas Mahler. Das noch von Raimund Fellinger initiierte Buch besticht laut Kritiker vor allem durch den Verzicht auf jegliche "Korrektheit". Auf großflächigen Panels zeichnet Mahler in 99 Anekdoten Jugend, Krankheit, Misanthropie, die vielen Eigenheiten und wenigen Freundschaften des Schriftstellers nach, resümiert der Kritiker, der laut lachen muss, wenn Bernhards Kopf wie ein "riesenhafter Dämon über Wien" schwebt. Dass sich der ein oder andere, im Anhang erläuterte "Fake" in diese Biografie geschlichen hat, findet Trommer nur folgerichtig.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2021Österreich hat er ja doch nicht gehasst
Zum neunzigsten Geburtstag erinnern zwei Bücher an den Schriftsteller Thomas Bernhard: die Erinnerungen des Halbbruders und eine "unkorrekte Geschichte" in Bildern
Thomas Bernhard sagte einmal, das Schöne an seinen Büchern sei, dass es überhaupt nicht darin vorkomme: So entstehe es von selbst. Seinen Geschwistern verbot er, nach seinem Tod von ihm zu erzählen, und schrieb vorbeugend eine fünfbändige Autobiographie. Bernhards "lieber Bruder", der 82 Jahre alte Mediziner und Nachlassverwalter Peter Fabjan, hat sich jetzt dem Verbot widersetzt und in seinem Buch über das "Leben an der Seite von Thomas Bernhard" auch das Schöne festgehalten. Aber man soll ja, auch mit Bernhard gesprochen, immer dorthin gehen, wo ein Kontrast ist.
Bernhard saß gern im Café Bräunerhof und dachte an das Übel dieser Welt, darunter die Menschen am Nebentisch. Er grantelt, weil er begreift, dass er letztendlich selbst "Die Ursache" ist, wie ein Band seiner Autobiographie hieß. Nach Mallorca reiste er zum Schreiben, weil er das Klima mag und kein Spanisch spricht. Auch gibt es dort kaum Österreicher: zwar lauter liebe Leute, aber bösartig, unwichtig, und katholisch.
Das ist Allgemeingut zu Thomas Bernhard, dessen Geburtstag sich gerade zum neunzigsten Mal jährte. Im Bilderbuch von Nicolas Mahler steht es aber ganz anders: "Die Bernhard-Forschung hat mittlerweile herausgefunden: Der Autor hat sein Land und dessen Bewohner gar nicht gehasst." Das Land jedoch musste sich erst an ihn gewöhnen, ehe er zum kanonischen Autor avancieren durfte. Es machte immerhin 1988 noch einen Aufstand, als er im Stück "Heldenplatz" im Auftrag Claus Peymanns am Burgtheater die jubelnden Menschenmassen wieder heraufbeschwor, welche 1938 auf diesem Platz Hitlers Einzug gefeiert hatten.
Die Konfrontation des sich selbst beobachtenden Dramatikers, die in "Heldenplatz" steckt, war absolut notwendig: Ein Geistesmensch spielt mit Suizidgedanken, weil der Rechtsextremismus sein Land nie verlassen hat - und der herrschende Katholizismus der große Zerstörer der Kinderseele ist. In Mahlers "unkorrekter Biografie" wird aus dem Hitlerportrait an der Schulwand ein gekreuzigter Christus, darunter macht der Bursche brav die Hausaufgaben. Seine Hassliebe zu Österreich beschrieb Bernhard gern über die Metapher seines Herzens, das er für immer ans Heimathaus gehängt hat und welches dort nun langsam verschimmelt.
Während Mahler die Lebensstationen in Form eines Bilderbuchs in Wiener Schmäh verpackt, reicht Fabjans "Rapport" von komplizierter Familiengeschichte über Archivsammelsurien bis zu trockenen Listen ("Die Krankengeschichte in groben Teilstationen"). Bei Mahler wird die innere Zerrissenheit des Autors in chronologischen Bildern lebendig.
Vom leiblichen Vater im Stich gelassen, wurde Thomas Bernhard als Säugling ins Heim gesteckt, wo die Mutter ihn kaum umarmen durfte, später landete er in einem nationalsozialistischen Erziehungsheim, das nach dem Krieg katholisch wurde. Die Schule war für Bernhard in beiderlei Form eine Geistesvernichtungsanstalt, weshalb er sie schließlich abbrach, um für einen Kolonialladen im Armenviertel zu arbeiten. Dort erkrankte er an Lungentuberkulose, der Beginn einer langen Leidensgeschichte.
Für Bernhard bedeuten die Krankheiten auch das frühe Ende einer Sängerkarriere. Mit siebzehn singt er Wagner, mit achtzehn Mozart, mit zwanzig "begnügt" er sich mit Bach. Höhepunkt seiner musikalischen Laufbahn ist das "Ave Maria" von Bruckner in der Veitskirche in Sankt Veit im Pongau. Dort singt er gegen Gott an, ihm kommen die Tränen. In diesem Moment selbstverliebten Hochmuts sieht er später den Kern seines seelischen Verderbens. Den Geistesüberdruss muss er sich fortan vom Leib schreiben, dabei bleibt er musikalisch. Jedes Wort ein Treffer. Jedes Kapitel eine Weltanklage.
Um solche Passionsgeschichten geht es bei Fabjan nicht. Schon der Titel eines Kapitels, "Für Thomas Bernhard wichtige Menschen, die ich mit ihm erlebt habe", deutet an, dass der Bruder auch sanfte Korrekturen an Bernhards Erzählungen vornehmen möchte. So klärt er etwa darüber auf, wie aus einem windstillen Nachmittag am Traunsee mit dem manisch-depressiven Paul Wittgenstein bei Bernhard ein erfolgreicher Segelturn wird. Dem guten Freund und Pianist hat der Autor später ein Buch gewidmet und es charmant "Wittgensteins Neffe" betitelt. Im Zentrum steht nicht Paul, sondern die Form als Grenze des Sagbaren, ganz wie im berühmten "Tractatus".
Aus Fabjans Bericht erahnt man, dass Bernhard zwar unausstehlich sein konnte, sich aber im Innersten nach tiefer Geschwisterliebe sehnte. Der Arzt kommentiert dies lapidar: "Die Schwester und ich erlebten ihn als den in eine ferne Welt entrückten, uns in Zuneigung wie Distanzbedürfnis verbundenen Bruder. Unsere Zuneigung durften wir ihm nicht schenken, sie wurde verlangt und musste ein Leben lang bewiesen werden. Eine schwierige Situation."
Genauso schwierig wie die Frage, wie man mit dem Nachlass eines Menschen umgeht, der so von der Welt verschwinden wollte, wie er auf sie gekommen ist: ohne Aufsehen. Siebzig Jahre Aufführungsverbot stehen im Testament, sein von der Akademie der Wissenschaften digitalisiertes Werk ist nicht frei zugänglich. Auf dem Totenbett hat Bernhard kein Lustspiel mehr auf die Tragikomödie seiner Existenz geschrieben. Dabei hätte es sich vermutlich besser verkauft als ein Buch, das den Titel "Verstörung" trägt, wie Mahler anmerkt. Die Botschaft ist trotzdem klar: Bernhard beschreibt das Furchtbare, damit wir es vermeiden.
HELENA RASPE
Peter Fabjan, "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard" (195 Seiten, 24 Euro), Nicolas Mahler, "Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie" (119 Seiten, 16 Euro). beide erschienen im Suhrkamp Verlag.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zum neunzigsten Geburtstag erinnern zwei Bücher an den Schriftsteller Thomas Bernhard: die Erinnerungen des Halbbruders und eine "unkorrekte Geschichte" in Bildern
Thomas Bernhard sagte einmal, das Schöne an seinen Büchern sei, dass es überhaupt nicht darin vorkomme: So entstehe es von selbst. Seinen Geschwistern verbot er, nach seinem Tod von ihm zu erzählen, und schrieb vorbeugend eine fünfbändige Autobiographie. Bernhards "lieber Bruder", der 82 Jahre alte Mediziner und Nachlassverwalter Peter Fabjan, hat sich jetzt dem Verbot widersetzt und in seinem Buch über das "Leben an der Seite von Thomas Bernhard" auch das Schöne festgehalten. Aber man soll ja, auch mit Bernhard gesprochen, immer dorthin gehen, wo ein Kontrast ist.
Bernhard saß gern im Café Bräunerhof und dachte an das Übel dieser Welt, darunter die Menschen am Nebentisch. Er grantelt, weil er begreift, dass er letztendlich selbst "Die Ursache" ist, wie ein Band seiner Autobiographie hieß. Nach Mallorca reiste er zum Schreiben, weil er das Klima mag und kein Spanisch spricht. Auch gibt es dort kaum Österreicher: zwar lauter liebe Leute, aber bösartig, unwichtig, und katholisch.
Das ist Allgemeingut zu Thomas Bernhard, dessen Geburtstag sich gerade zum neunzigsten Mal jährte. Im Bilderbuch von Nicolas Mahler steht es aber ganz anders: "Die Bernhard-Forschung hat mittlerweile herausgefunden: Der Autor hat sein Land und dessen Bewohner gar nicht gehasst." Das Land jedoch musste sich erst an ihn gewöhnen, ehe er zum kanonischen Autor avancieren durfte. Es machte immerhin 1988 noch einen Aufstand, als er im Stück "Heldenplatz" im Auftrag Claus Peymanns am Burgtheater die jubelnden Menschenmassen wieder heraufbeschwor, welche 1938 auf diesem Platz Hitlers Einzug gefeiert hatten.
Die Konfrontation des sich selbst beobachtenden Dramatikers, die in "Heldenplatz" steckt, war absolut notwendig: Ein Geistesmensch spielt mit Suizidgedanken, weil der Rechtsextremismus sein Land nie verlassen hat - und der herrschende Katholizismus der große Zerstörer der Kinderseele ist. In Mahlers "unkorrekter Biografie" wird aus dem Hitlerportrait an der Schulwand ein gekreuzigter Christus, darunter macht der Bursche brav die Hausaufgaben. Seine Hassliebe zu Österreich beschrieb Bernhard gern über die Metapher seines Herzens, das er für immer ans Heimathaus gehängt hat und welches dort nun langsam verschimmelt.
Während Mahler die Lebensstationen in Form eines Bilderbuchs in Wiener Schmäh verpackt, reicht Fabjans "Rapport" von komplizierter Familiengeschichte über Archivsammelsurien bis zu trockenen Listen ("Die Krankengeschichte in groben Teilstationen"). Bei Mahler wird die innere Zerrissenheit des Autors in chronologischen Bildern lebendig.
Vom leiblichen Vater im Stich gelassen, wurde Thomas Bernhard als Säugling ins Heim gesteckt, wo die Mutter ihn kaum umarmen durfte, später landete er in einem nationalsozialistischen Erziehungsheim, das nach dem Krieg katholisch wurde. Die Schule war für Bernhard in beiderlei Form eine Geistesvernichtungsanstalt, weshalb er sie schließlich abbrach, um für einen Kolonialladen im Armenviertel zu arbeiten. Dort erkrankte er an Lungentuberkulose, der Beginn einer langen Leidensgeschichte.
Für Bernhard bedeuten die Krankheiten auch das frühe Ende einer Sängerkarriere. Mit siebzehn singt er Wagner, mit achtzehn Mozart, mit zwanzig "begnügt" er sich mit Bach. Höhepunkt seiner musikalischen Laufbahn ist das "Ave Maria" von Bruckner in der Veitskirche in Sankt Veit im Pongau. Dort singt er gegen Gott an, ihm kommen die Tränen. In diesem Moment selbstverliebten Hochmuts sieht er später den Kern seines seelischen Verderbens. Den Geistesüberdruss muss er sich fortan vom Leib schreiben, dabei bleibt er musikalisch. Jedes Wort ein Treffer. Jedes Kapitel eine Weltanklage.
Um solche Passionsgeschichten geht es bei Fabjan nicht. Schon der Titel eines Kapitels, "Für Thomas Bernhard wichtige Menschen, die ich mit ihm erlebt habe", deutet an, dass der Bruder auch sanfte Korrekturen an Bernhards Erzählungen vornehmen möchte. So klärt er etwa darüber auf, wie aus einem windstillen Nachmittag am Traunsee mit dem manisch-depressiven Paul Wittgenstein bei Bernhard ein erfolgreicher Segelturn wird. Dem guten Freund und Pianist hat der Autor später ein Buch gewidmet und es charmant "Wittgensteins Neffe" betitelt. Im Zentrum steht nicht Paul, sondern die Form als Grenze des Sagbaren, ganz wie im berühmten "Tractatus".
Aus Fabjans Bericht erahnt man, dass Bernhard zwar unausstehlich sein konnte, sich aber im Innersten nach tiefer Geschwisterliebe sehnte. Der Arzt kommentiert dies lapidar: "Die Schwester und ich erlebten ihn als den in eine ferne Welt entrückten, uns in Zuneigung wie Distanzbedürfnis verbundenen Bruder. Unsere Zuneigung durften wir ihm nicht schenken, sie wurde verlangt und musste ein Leben lang bewiesen werden. Eine schwierige Situation."
Genauso schwierig wie die Frage, wie man mit dem Nachlass eines Menschen umgeht, der so von der Welt verschwinden wollte, wie er auf sie gekommen ist: ohne Aufsehen. Siebzig Jahre Aufführungsverbot stehen im Testament, sein von der Akademie der Wissenschaften digitalisiertes Werk ist nicht frei zugänglich. Auf dem Totenbett hat Bernhard kein Lustspiel mehr auf die Tragikomödie seiner Existenz geschrieben. Dabei hätte es sich vermutlich besser verkauft als ein Buch, das den Titel "Verstörung" trägt, wie Mahler anmerkt. Die Botschaft ist trotzdem klar: Bernhard beschreibt das Furchtbare, damit wir es vermeiden.
HELENA RASPE
Peter Fabjan, "Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard" (195 Seiten, 24 Euro), Nicolas Mahler, "Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie" (119 Seiten, 16 Euro). beide erschienen im Suhrkamp Verlag.
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»Erstaunlich, wie gut sich der österreichische Autor als knollennasige Comicfigur macht und wie mühelos sich das Desaster seiner Existenz in Witz verwandeln lässt.« Richard Kämmerlings DIE WELT 20210522