Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Thomas Mann ist gefragt. Seine Bücher finden nach wie vor ein breites Lesepublikum, seine Biographie (und die seiner Familie) fasziniert, als sei er Deutschlands Kennedy, und die Thomas-Mann-Forschung findet immer wieder neue Zugänge zum Werk: So überraschte jüngst der italienische Literaturwissenschaftler Luca Crescenzi mit der fulminanten These, beim "Zauberberg" handle es sich um einen einzigen, langen Traum Hans Castorps - und damit sei dieses Werk der "sicher großartigste surrealistische Roman im zwanzigsten Jahrhundert". Der Brunnen des "Zauberers" ist also nach wie vor tief, und so wundert es nicht, dass immer wieder Bücher erscheinen, die auch Unkundigen die komplexe Roman- und Lebenswelt Manns näherbringen wollen. "Ein Porträt für seine Leser" nennt Hermann Kurzke seine Thomas-Mann-Einführung in hundert kurzen Kapiteln. Braucht man das? Klare Sache: ja. Besser als Kurzke, der 1999 die fantastische Biographie "Das Leben als Kunstwerk" vorgelegt hat, kennt niemand die Verschränkungen von Leben und Werk Thomas Manns. Und so ist dieses Buch auch nur äußerlich eines, das Werk für Werk abschreitet, von "Tonio Kröger" bis zu den "Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull". Kurzke begeht ebenso den Lebensweg, zeigt, wie aus Kenntnis und Leidenschaft, Glücksfällen und Katastrophen Weltliteratur entsteht. Er zieht hinein in die Thomas-Mann-Welt von Außenseitern und Künstlern, von Ironie und Sprachmagie und erklärt mit leichter Hand, was man benötigt, um das alles noch ein wenig tiefer als auf eigene Faust zu durchdringen. (Hermann Kurzke: "Thomas Mann". Ein Porträt für seine Leser. C. H. Beck Verlag, München 2009. 250 S., geb., 16,90 [Euro].) till
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Hermann Kurzke porträtiert Thomas Mann als Literaturbeamten
Den Roman „Lotte in Weimar” eröffnet Thomas Mann mit einer Szene, die das Verhältnis von Leben und Werk eines Dichters thematisiert. Im Hotel „Zum Elefanten” in Weimar empfängt der Kellner Mager, ein leidenschaftlicher Verehrer und Leser Goethes, die Hofrätin Kestner, eine dreiundsechzigjährige Dame, die als Vorbild der Lotte in den „Leiden des jungen Werthers” berühmt wurde. Charlotte Kestner ist verstört von so viel Verehrung, vor allem, da sie in der literarischen Figur so wenig von sich selbst zu entdecken vermag. Diese Konstellation dient Thomas Mann dazu zu zeigen, wie unvergleichlich eine lebende Person und eine literarische Figur sind. Ehe noch Thomas Mann mit dieser Szene den Roman beginnt, setzt er also ein ironisches Fragezeichen vor die Gleichung Literatur und Leben.
Auch Thomas Manns eigenem Leben und Werk ist solche Gleichsetzung oft genug widerfahren, und der Germanist Hermann Kurzke hat daran keinen geringen Anteil. Kurzkes Monographien über Thomas Mann – mit dem eben erschienenen neuesten „Porträt für seine Leser” sind es drei einander ähnelnde Bücher – stellen offenbare Lebensumstände wie verborgene Wunschträume des Schriftstellers dar und bilden sie auf Figuren, Szenen, Themen seiner Romane ab.
Die Ausbeutung des Lebens
Diese älteste und schlichteste aller literaturhistorischen Methoden, die biographische Erläuterung des Werks, forciert Kurzke in seinem neuen Buch noch einmal, und zwar nicht ohne Bedacht, soll es doch diesmal ein Porträt des Autors ausdrücklich „für seine Leser” sein, mit deren Neugier Kurzke durchaus rechnen darf. „Das Herz lag ihm nicht auf der Zunge”, sagt der Biograph über den Autor, der gleichwohl sein Leben ausgiebig genug dokumentiert hat, und leitet daraus die Verpflichtung ab, hinter die honette bürgerliche Fassade zu schauen. In einem poetisch gehöhten Stil, der sich im Fortgang des Buches gottlob verliert, bezeichnet Kurzke Thomas Mann als „personifizierte Bügelfalte”, die gleichwohl im Innersten ein „scheues Reh” sei, und stellt ihn als einen Menschen dar, der „seinem Leben einen so überkorrekten Anstrich” geben musste, weil dahinter „Abgründe von Leidenschaften” verborgen waren.
Es ist nicht schwer, aus Tagebüchern und Notizheften Thomas Manns Alltag zu erfahren. Kurzke ist unermüdlich darin, dort nach Anspielungen auf das Werk zu suchen. Auch noch das kleinste Detail ist ihm wichtig genug, die poetische Inspiration von Lebensumständen abzuleiten; so etwa spiegelt sich Thomas Manns Zigarren- und Zigarettenkonsum in der entsprechenden Passion Hans Castorps im „Zauberberg”. „Lebensausbeutung” nennt Kurzke diese literarische Taktik Thomas Manns – und sie rechtfertigt auch Kurzkes eigene biographische Methode.
Die detektivische Aufmerksamkeit des Biographen beschäftigt sich vorwiegend, und sicherlich sehr zum Vergnügen des Lesers, mit den „Gefühlsabenteuern” im Leben des Dichters. Kurzke richtet sein Augenmerk vor allem auf die homoerotische Disposition Thomas Manns, die seit längerem kein Geheimnis mehr ist. Auch Heinrich Detering und Michael Maar haben sie als verborgenes, aber tragendes Motiv der Romankonstruktion analysiert. Im mittleren Teil seiner Biographie erstellt Kurzke eine Liste mit zwölf Personen, umschwärmte Jünglingen zumeist, deren Abglanz er dann in den Werken des Autors ausfindig zu machen sucht.
Die Qualität einer Biographie, die das Bild eines Autors aus kleinen Mosaiksteinen zusammensetzt, liegt in der Farbenvielfalt der Teile. Kurzkes erste, große Biographie „Thomas Mann – Das Leben als Kunstwerk” (1999) fesselte deshalb durch immer neue Eröffnungen seltsamer Lebensumstände. In der Kurzfassung, die er nun „für den Leser” vorlegt, bändigt Kurzke sein Wissen und schneidet es ganz auf die Interpretation der Werke zu. Die Ordnung der einzelnen Kapitel folgt daher nicht dem Leben, sondern einer Chronologie der Werke, sie beginnt mit der Erzählung „Tonio Kröger” (1903) und endet mit dem früh begonnenen, aber erst 1954 vollendeten Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull”.
Das Brevier des Lesers
Zum Teil leiten literaturwissenschaftliche Begriffe die Einteilung der Werkanalysen in Unterkapitel, etwa „Inspiration”, „Schreibtechnik”, „Lesetechnik”, „Leitmotiv”, „lange Sätze”. Daneben versprechen amüsantere Titel dem Laien unter den Thomas Mann-Lesern Nachrichten aus einem Leben, das seinem Tages- und Lebenslauf nicht so fern steht wie die Kunst des Schreibens: „Süßer Schlaf”, „Telefon”, „Ehrgeiz”, „Zigarre”, „Gott”, „Slums”, „Süßer Tod”. Diese Abschnitte, alle etwa zwei bis drei Seiten lang, ließen sich als Teile eines Breviers für eine tägliche Thomas Mann-Andacht auswählen.
Kurzke aber ist nicht nur Causeur, er nimmt den Dienst an seinem Autor ernst und hängt deshalb seiner kleinen, in unterhaltsame Kapitelchen gegliederten Biographie einen minutiösen chronologischen Abriss an. So tritt denn schließlich hinter dem erzählfreudigen Biographen jener „Literaturbeamte” hervor, den Kurzke auch in Thomas Mann selbst erkennt. Beide zusammen ergeben „für den Leser” eine Autorität, die ihm ein vertrauenswürdige Lektüre vorgelegt hat.
HANNELORE SCHLAFFER
HERMANN KURZKE: Thomas Mann. Ein Porträt für seine Leser. C. H. Beck Verlag, München 2009. 250 Seiten, 16,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
»Hermann Kurzke lässt dem Dichter, dem man schon zu Lebzeiten dieses Prädikat abzusprechen beliebte, (endlich!) die Gerechtigkeit widerfahren, die ihm gebührt.« (Süddeutsche Zeitung)