Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,7, Ludwig-Maximilians-Universität München (Institut für Deutsche Philologie), Veranstaltung: Hauptseminar: Das Spätwerk Thomas Manns 1939-1955, Sprache: Deutsch, Abstract: Ein alternder Schriftsteller, der sich in einen jungen Knaben verliebt, auf der einen Seite, eine wechseljahrsgeplagte Naturliebhaberin, die sich in einen jungen Amerikaner verliebt, auf der anderen Seite. Die Erkenntnis, dass zum Wesen der Kunst nicht nur der Geist, sondern auch das Sinnliche gehört, als Pendant zur Erkenntnis, dass zum Wesen der Natur nicht nur das Schöne, sondern auch der Verfall gehört. Auf der einen Seite der Tod durch Cholera, auf der anderen Seite der Tod durch Gebärmutterkrebs: Kaum etwas liegt auf den ersten Blick wohl näher, als in den Novellen Der Tod in Venedig (1912) und Die Betrogene (1953) von Thomas Mann motivgleiche Erzählungen zu erkennen, auch wenn ihr Verfasser sich stets gegen Vergleiche dieser Art gewehrt hat. So schreibt Mann zu Die Betrogene: Es sind törichte Vergleiche damit angestellt worden. Mit dem „Tod in Venedig“ hat es gar nichts zu tun, weder nach seinem Gewicht, noch nach seiner Thematik. Es hat mit ihm nur gemein, daß es eben auch von mir ist, und zwar unverkennbar von mir. Gewisse Parallelen zwischen der wohl bekanntesten Erzählung von Manns Frühwerk und seiner letzten Novelle sind jedoch nicht von der Hand zu weisen. So bricht in beiden Erzählungen die Liebe rauschhaft-dionysisch in das bürgerliche Leben ein und führt zu einem Verhalten der beiden Hauptfiguren, das im großen Maße von der gesellschaftlichen Norm abweicht. So verläuft das Leben des Schriftstellers Aschenbach in Der Tod in Venedig zunächst in sehr geregelten Bahnen. Nichts irritiert ihn in seinem immer gleichen Tagesablauf und seinem Glauben an die Macht des Geistes. Mit seiner fleißigen Arbeitsweise des „Durchhaltens“ wird er von der Gesellschaft hoch anerkannt, ja mit 50 Jahren sogar geadelt. Im Grunde weiß Aschenbach jedoch, dass es seinem Werk an Lebendigkeit mangelt respektive dass wahre Kunst nur unter Beteiligung des Sinnlichen entstehen kann. Als er dann eines Tages am Münchener Nordfriedhof einen etwas wild und exotisch aussehenden Wanderer trifft, brechen Aschenbachs unterdrückte Gefühle und Sehnsüchte hemmungslos hervor. Er entschließt sich zu einer Reise nach Venedig, wo er dem wunderschönen Knaben Tadzio verfällt. Mit dieser Liebe isoliert sich Aschenbach von der Gesellschaft. Nicht nur, dass der vierzehnjährige Tadzio vom Alter her sein Enkel sein könnte. Auch das homoerotische Moment ist von der Gesellschaft tabuisiert.