Die Liebesgeschichte von Thérèse und Isabelle galt im Frankreich der sechziger Jahre als skandalös und wurde nur zensiert veröffentlicht. Erst kürzlich ist die Originalfassung erschienen, die jetzt auf Deutsch vorliegt: Ein katholisches Internat, zwei Schülerinnen, die sich jede Nacht heimlich besuchen und mit ihren jungen Körpern auf Entdeckungsreise gehen. In einem mutigen, lyrischen, kraftvollen Ton schreibt Violette Leduc von der erotischen Mädchenliebe wie es keine Autorin vor und nach ihr vermocht hat. Zu ihren größten Bewunderinnen gehörte Simone de Beauvoir, mit der sie eine enge Freundschaft verband. Leducs Erzählung ist ein einziger Rausch, ein radikales Eintauchen in den Moment der Lust.
"Thérèse und Isabelle" ist eine Wiederentdeckung, die jeden Nachttisch erleuchten wird. „Der Roman sollte in keinem Kanon feministischer Literatur fehlen. Ein überwältigender Knaller.“ Literarische Welt.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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Erstmals ungekürzt: Violette Leducs einst zensierter Liebesroman „Thérèse und Isabelle“
Die menschliche Existenz ist eine Frechheit. Dass es Leid gibt, dass es Eifersucht gibt, dass man verlassen wird oder verlässt. Dass den einen ihr Erfolg zufällt, während andere ihn der Welt abringen müssen. Die französische Schriftstellerin Violette Leduc war eine von jenen, denen nichts zufiel. Drei Jahre kämpfe sie mit „Thérèse und Isabelle“, dem ersten Teil ihres Romans „Ravages“.
Sie erzählte darin die Liebesgeschichte zweier Internatsschülerinnen auf eine Weise, wie lesbische Liebe noch nie zuvor erzählt worden war. Ihr Ziel war, „das Empfinden bei der körperlichen Liebe so präzise, so minutiös wie möglich wiederzugeben.“ Das Ergebnis schockte 1954 nicht nur ihre Verleger, sondern sogar Simone de Beauvoir, die sie ermutigt hatte.
„Einige Seiten sind exzellent, stellenweise kann sie schreiben, doch man kann das unmöglich veröffentlichen. Es ist eine Geschichte über lesbische Sexualität, die so direkt daherkommt wie Genet“, erklärte sie Nelson Algren. Erst im Jahr 2000 wurde „Thérèse et Isabelle“ in Frankreich unzensiert veröffentlicht, und erst 2021 erscheint im Aufbau Verlag diese deutsche Übersetzung der unzensierten Fassung. In der Ausgabe von Piper von 1967 war Leducs Erzählung 98 Seiten lang, in der Ausgabe von Aufbau bringt sie es (ohne Nachwort) auf 159 Seiten. Nicht nur die Länge, sondern auch die Übersetzung von Sina de Malafosse unterscheidet sich deutlich von der ihres Vorgängers Nickolaus Klocke - bei Klocke siezten sich die Liebenden noch, wenn sie sich in einer Schultoilette aufeinander stürzten. Die Liebenden sind - der Titel lässt es ahnen - Thérèse und Isabelle, zwei Schülerinnen. Sie begegnen sich in den Fluren ihres Internats, ihre Schlafnischen, oder, wie Thérèse es nennt, Gräber. „Gewaschen und gekämmt, tadellos in unseren Betten liegend präsentierten wir uns der Aufseherin. Manche Schülerinnen schenkten ihr Süßigkeiten, hielten sie mit platten Schmeicheleien auf, während Isabelle sich in ihr Grab zurückzog.“ Thérèse und Isabelle hassen sich, bis sie die erste heimliche Nacht miteinander verbringen. „Isabelle streichelte meine Hüfte. Mein berührter Leib wurde Berührung, meine gestreichelte Hüfte strahlte in meine berauschten Beine, in meine weichen Waden aus. Zärtlich wurde mein Bauch gefoltert.“ Der Stil ist intensiv. Als würde Leduc versuchen, aus den Wörtern eine körperliche Erfahrung zu bauen. Manchmal fühlt man eher, wovon sie spricht, als dass man es versteht. Das Ergebnis ist explizit, nah und rauschhaft, zugleich aber auch Avantgardepulp. Der eine spezielle Komik hat, bei der man sich nie ganz sicher ist, ob sie Absicht oder unfreiwillig ist. Einmal ist Thérèse beleidigt, weil ihre Liebhaberin eingeschlafen ist, bevor sie kommen konnte (Noch so eine Frechheit.) Ein andermal beklagt sie sich über Isabelles Vulva: „Sie spreizte ihre Schenkel. ,Wenn du nicht willst, sag es.’ Ich versank in ihrem Geschlecht, das ich mir einfacher gewünscht hätte. Am liebsten hätte ich es überall zugenäht.” In die manische Poesie werden aber auch nüchterne Realitätspartikel aus dem Schulalltag eingeflochten, was die Erzählung immer wieder erdet, an eine Außenwelt rückbindet. Doch auch die Zwischenszenen erinnern an einen Fiebertraum, jene absolute Entgrenzung, die man manchmal mit einem anderen Menschen teilen kann. Die die Grenze zum Verrücktsein schrammt, kaum auszuhalten ist. In Leducs Prosa konstituiert sich die gesamte Welt aus Begehren in Sprache. Die Sprache wird andererseits geknetet, als solle sie Körper werden. Diese gegenläufige poetische Bewegung prägt den gesamten Text.
Aber auch der Sex wird, obwohl sie ihn teilweise bis ins Extrem poetisiert, nie idealisiert. Er ist immer auch eine anstrengende, verzehrende Angelegenheit. Es ist nicht überraschend, dass Leducs Zeitgenossen das verstörend fanden. „Ein gutes Drittel dieses Buches ist von gewaltiger und detaillierter Obszönität – was uns Ärger mit der Justiz einbringen wird. (…) Eine Veröffentlichung in diesem Zustand würde einen Skandal auslösen“, wie ihre Verleger bei Gallimard es formulierten.
Beauvoir tröstete Leduc in einem Brief: „Ich bin entrüstet über ihre Prüderie, ihren Mangel an Mut. Sartre auch. Lasst dich nicht brechen. Du musst dich wehren und wir werden dir helfen. Es gibt noch andere Verlage als Gallimard ...“ Leduc erschien die gekürze Fassung, die schließlich veröffentlicht wurde, vor wie eine Amputation. Sie litt körperlich und seelisch. Es hat nicht Jahre, sondern Jahrzehnte gedauert, bis „Thérèse und Isabelle“ in seiner ursprünglichen Form erscheinen konnte. Aber es ist auch heute noch ein höchst ungewöhnliches Buch, das in seinen Wagnissen und Merkwürdigkeiten besticht.
JULIANE LIEBERT
Violette Leduc: Thérèse und Isabelle. Roman. Aus dem Französische von sina de Malafosse. Aufbau Verlag, Berlin 2021.
169 Seiten, 20 Euro.
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