Nach einer französisch-burgundischen Vorlage überträgt 1456 der Berner Politiker Thüring von Ringoltingen die 'Melusine' in Prosa und widmet sie Markgraf Rudolf IV. von Hachberg-Röteln, einem geschätzten Bündnispartner Berns, der über gute Beziehungen zu Burgund und Habsburg verfügt. Als hochadliger Widmungsadressat hat Rudolf von Hachberg-Röteln dem Werk nicht nur hohes Ansehen verschafft, sondern auch aktiv an der Verbreitung der 'Melusine' in der Manuskriptkultur und dem aufkommenden Buchdruck mitgewirkt. Christa Bertelsmeier-Kierst untersucht im Kontext sozial- wie mediengeschichtlicher Fragestellungen die persönlichen und sozialen Netzwerke, unter denen dieser Kulturtransfer im deutschen Südwesten im 15. Jahrhundert stattfindet. Verwandtschaftliche und lehnsrechtliche Beziehungsgeflechte spielen hierbei ebenso eine Rolle wie persönliche Kontakte durch Adelsreisen, höfische Feste, Turniergesellschaften und Herrenstuben. Das breite Spektrum an Identifikationsmöglichkeiten, das Thüring den höfischen und städtischen Eliten mit seiner 'Melusine' bot, dürfte der Grund für die erstaunliche Popularität des Textes über Jahrhunderte sein. Der Autor, der eigentlich kein Schriftsteller war, hat damit einen der erfolgreichsten Bestseller der Frühen Neuzeit geschrieben. Christa Bertelsmeier-Kierst studierte Germanistik, Anglistik, Philosophie und Kunstgeschichte an der Universität Bonn. Neben ihrer Lehrtätigkeit in Köln war sie von 1999-2018 Professorin am Institut für Deutsche Philologie des Mittelalters in Marburg.
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