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Der Mensch ist ein Tier besonderer Art. Das ist keine Einsicht, die sich erst Darwin verdankt. Schließlich reicht die Tradition, den Menschen durch Abgrenzungen vom Tier zu bestimmen, weit zurück. Aber die Etablierung des Evolutionsgedankens brachte in dieser Geschichte menschlicher Selbstbetrachtung im Spiegel des Tieres eine entscheidende Wendung. Ähnlichkeiten genauso wie Unterschiede zwischen den mentalen und sozialen Fähigkeiten von Mensch und Tier erhielten nun als entwicklungsgeschichtliche Übergänge eine neue Bedeutung. Darwin selbst strich diesen Schritt im "Ursprung der Arten" gebührend hervor: "Die Psychologie wird auf einer neuen Grundlage weiterbauen: dass jedes geistige Vermögen und jede Fähigkeit notwendig nur stufenweise erlangt werden kann. Licht wird auch fallen auf den Menschen und seine Geschichte."
Dieser Grundsatz der Entwicklung auch der mentalen Fähigkeiten entlang evolutionärer Bahnen ist uns heute selbstverständlich. Auf den ersten Blick könnte das die Vermutung nahelegen, dass die einst heftig debattierte Frage, ob und welche Art von Geist den Tieren zukomme, erledigt sei. Doch dieser Eindruck täuscht, sie hat an Reiz eher noch gewonnen. Vor allem deshalb, weil an die Stelle von vielen Vermutungen und Spekulationen über tierisches Verhalten mittlerweile solide und faszinierende Befunde getreten sind, denen es gerecht zu werden gilt.
Man kann sich davon anhand einer exzellenten Einführung in die "Tierphilosophie" überzeugen, die der in Berlin an der Humboldt-Universität unterrichtende Philosoph Markus Wild geschrieben hat ("Tierphilosophie zur Einführung". Junius Verlag, Hamburg 2008. 232 S., br., 14,90 [Euro]). Im Zentrum stehen darin die miteinander verklammerten Fragen nach den mentalen Fähigkeiten der Tiere und nach den menschlichen Alleinstellungsmerkmalen.
Die programmatischen Maximen, nach denen Wild dabei verfährt, sind gut überlegt. Sie sichern den Anschluss an relevante Forschungsergebnisse aus den Naturwissenschaften und hängen die Zielvorgaben nicht zu niedrig. Zum einen werden Mensch und Tier hinreichend nahe aneinandergerückt. Nicht nur ist der Mensch ein Tier, es kommen ihm auch bereits als Tier mentale Fähigkeiten zu - was damit natürlich auch für andere Tiere gilt. Auf diese Weise wird die Herausbildung geistiger Merkmale gut naturalistisch verankert. Gleichzeitig wird die offensichtliche Sonderstellung des Menschen aber nicht nivelliert. Sie ist bloß anders zu erklären als durch den Hinweis, dass man zwar bei Menschen von Denken, Bewusstsein oder Sinn für Handlungen sprechen kann, prinzipiell aber nicht bei Tieren.
Am Leitfaden dieser Vorgaben bekommt es der Autor mit einer prominenten Gegenposition zu tun, die geistige Fähigkeiten in triftigem Sinn an sprachliche Praxis knüpft. Das war schon bei Descartes ein eher grob hingesetztes Knock-out-Argument. Ein zeitgenössischer Philosoph wie Donald Davidson hat es dagegen fein zugeschliffen, um vom gedanklichen Inhalt zum notwendigen Begriff zu kommen, der bei genauerer Betrachtung schon ein Netz von Begriffen impliziert, wie es nur Sprache organisieren kann.
So erhellend das für unsere Art von Geist sein mag: Es läuft für Wild darauf hinaus, die sprachliche Qualität des Mentalen bereits in die Ausgangsbedingungen der Überlegung einfließen zu lassen. Er selbst muss dagegen auf ein schwächeres Konzept von Denken setzen, das bereits mit internen Repräsentationen zwecks Verhaltenssteuerungen sein Auslangen findet. Das hat einen Vorzug, den bereits Darwin anvisierte, nämlich die stufenweisen Übergänge in der Entfaltung geistiger Fähigkeiten im Blick zu behalten.
Diese Unterschiede und Übergänge zu verstehen bleibt dann für Tierforscher, kognitive Ethologen oder evolutionäre Anthropologen immer noch eine harte Nuss. Vor allem natürlich, wenn es um die Unterschiede geht, die den Menschen auf die Bahn der kulturellen Evolution und damit der vollständigen Durchformung seiner eigenen Entwicklungsumwelt gebracht haben. Der Vorschlag, dass wir als einzige Tiere Handlungsabsichten unserer Artgenossen erkennen können, musste wieder revidiert werden. Ob die Modifikation hält, dass wir als einzige Spezies mit unseren Artgenossen Absichten und Ziele in Formen sozialer Kooperation teilen können, wird sich noch herausstellen. Dann wären wir als die Tiere zu bestimmen, die sich zeigend auf eine gemeinsame Umwelt beziehen können.
Dass es dem Menschen wesentlich sei, ein Zeigender zu sein, hatte auch Heidegger festgestellt. Ihn zieht Wild heran, um unsere Form der kulturellen Nischenbildung zu erläutern, bevor mit Jacques Derrida die philosophische Obsession der Abgrenzung vom Tier noch einmal gegen den Strich gelesen wird. Es sind weite Bögen, die der Autor schlägt, umsichtig und ohne jede akademische Schwerfälligkeit. Es bleibt vor Augen, dass das Nachdenken über Tiere immer eines über uns selbst ist.
HELMUT MAYER
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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