Worum geht’s?
Vinzent Kluger, alternder Chefredakteur des Massenblattes „Die Gute“, wittert, nach einem Eklat im Wiener Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud die letzte (?) Sensationsstory seines Lebens. Obwohl er das Business und die Machenschaften darin wie kaum ein Zweiter kennt, tappt er in
die Falle wie ein Anfänger. Er lässt sich korrumpieren, ist zu vielem (auch Illegalem bereit) und…mehrWorum geht’s?
Vinzent Kluger, alternder Chefredakteur des Massenblattes „Die Gute“, wittert, nach einem Eklat im Wiener Wachsfigurenkabinett der Madame Tussaud die letzte (?) Sensationsstory seines Lebens. Obwohl er das Business und die Machenschaften darin wie kaum ein Zweiter kennt, tappt er in die Falle wie ein Anfänger. Er lässt sich korrumpieren, ist zu vielem (auch Illegalem bereit) und geht auf gewisse Weise auch über Leichen.
Meine Meinung:
Dieser 936 Seiten starke Roman gibt düstere Einblicke in den (Boulevard)Journalismus. Autor Thomas Schrems nennt sein Buch „Medien-Kriminaloman“. Als ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der auflagenstärksten Zeitung Österreichs, weiß er, worüber er schreibt. Daher habe ich mich auf einen fesselnden Krimi aus dem Milieu der Zeitungsmacher gefreut und bin mit der Umsetzung nicht ganz zufrieden.
Warum?
Der Roman ist eine sauber recherchierte Milieustudie. Wir Leser erfahren einiges über die Verflechtung von Journalisten und Politik, die nicht erst seit dem „Ibiza-Skandal“, in dem der damalige Vize-Kanzler, die „Kronen-Zeitung“ kaufen wollte, bekannt ist. Vor allem Chefredakteur Kluger ist ein „alter Hase“ und mit der Polit-Prominenz auf Du und Du. Ja es werden einige sogar namentlich genannt. Allerdings verlangt das Buch Kenntnis der österreichischen Innenpolitik - was aber genau der Grund war, warum ist dieses Buch lesen wollte.
Die Charaktere sind sehr gut ausgefeilt. Besonders Vinzent Kluger hat viele Facetten. Er wirkt geerdet, doch erkennt er die Zeichen der Zeit in dem sein Job wackelt. Daher tappt er, der auf seinen täglichen Alkoholspiegel achten muss, um zu funktionieren, letztlich in die Ego-Trip-Falle als er seine letzte, große Enthüllungsstory wittert.
Manchmal kann es einem richtig übel werden, wenn man erfährt, wie angeblich objektive Berichterstattung in den Medien zustandekommt. Da ist von Pressereisen die Rede, von mehr Inseraten bei wohlwollenden Berichten über die eigene Partei und abfälligen bis falschen für die Opposition. Oder von der Androhung von Entzug von entgeltlichen Einschaltungen, wenn die Journalisten nicht im Sinne des „Auftraggebers“ schreiben. Also Erpressung pur, moderne Schutzgeldzahlung.
Wir erhalten Einblick in den Boulevardjournalismus, wie Redaktionssitzungen ablaufen und wie griffige Schlagzeilen entstehen.
Für mein Empfinden passt der grundsätzlich tolle, ausgefeilte Schreibstil nicht ganz zu dieser Milieustudie im Journalismus. Die langen Schachtelsätze kommen wunderbar gedrechselt daher und wären vermutlich in einem literarischen Roman besser aufgehoben. Der Sarkasmus und die Selbstkritik von Kluger, die sich wie ein innerer Monolog lesen, wirken ein wenig aus dem Rahmen gefallen. Dieses Stilmittel (der Innere Monolog) passt zwar gut zu Klugers persönlicher leicht depressiver Stimmung, die einer Achterbahnfahrt gleicht, aber nicht zu einem Krimi, zumal es hier auch um die Frage geht, ob - wie im Krieg und der Liebe - auch im Journalismus alles erlaubt sein dürfe. Für eine gute Story sprichwörtlich über Leichen gehen? Ist das moralisch gerechtfertigt? Wie geht der Journalist damit um?
Sehr gut gefallen hat mir die Recherche zu Madame Tussaud und der Herstellung der Wachsfiguren, auch wenn manche Figuren in den diversen Wachsfigurenkabinetten dem lebendigen Original nicht immer ganz ähnlich sehen.
Der Titel ist sehr gut gewählt, denn sind „Randnotizen“ nur flüchtige Bemerkungen, die auch als Kollateralschaden billigend in Kauf genommen werden (müssen)?
Ich liebe ja dicke Wälzer und die 936 Seiten haben mich regelrecht angefixt. Trotzdem wäre hier eine Straffung durchaus wünschenswert. Denn, nicht alles, was der Autor weiß, muss dem Leser zugemutet werden.
Fazit:
Wer lange Schachtelsätze, die oft in einem Inneren Monolog münden, sowie Sarkasmus eines spiegeltrinkenden Journalisten nicht scheut, ist in diesem Wälzer, der Einblick in die Verflechtung von Politik und Journalismus gut aufgehoben. Dafür gibt es von mir 3,5 Sterne, die ich hier auf 4 Sterne aufrunde.