1981 herrscht in Mailand Angst vor linksextremem Terrorismus. Ein Politiker der Christdemokraten wird umgebracht, der junge Staatsanwalt Colnaghi soll die Mörder jagen. Schon bald gelingt ihm ein Coup: die Verhaftung des Topterroristen Gianni Meraviglia. Doch je länger sich Colnaghi mit dessen Motiven und mit der Frage der Schuld beschäftigt, desto mehr will er diese merkwürdige Ethik verstehen, die das Vernichten von Menschenleben rechtfertigt. Warum wählen zwei Menschen, die, wie er und Meraviglia, von Gerechtigkeit träumen, zwei so gegensätzliche Wege? Mit vibrierender Intensität lässt Fontanas kluger und hochspannender Roman das Italien der "bleiernen Jahre" wiederauferstehen.
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Im Fadenkreuz
In seinem Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ wagt sich
Giorgio Fontana an ein heißes Eisen – den Terror in Italien um 1980
VON MAIKE ALBATH
Zuerst verroht die Sprache. Junge Leute beschimpfen die Repräsentanten des Staates als Faschisten, im rechten Lager der Politik ist von Rache die Rede, überall herrscht eine martialische Rhetorik. Als Staatsanwalt Colnaghi im Sommer 1981 einen spektakulären Coup landet und den gerade zweiundzwanzigjährigen Terroristen Gianni Meraviglia festsetzt, schuldig an der Ermordung eines Christdemokraten, sucht er das Gespräch mit dem charismatischen Anführer. Er will verstehen, wieso Kinder aus bürgerlichen Elternhäusern zu Waffen greifen. Die Wut könne er nachvollziehen, aber wieso diese grausamen Hinrichtungen? Worte ohne Taten seien nichts wert, entgegnet ihm Meraviglia, außerdem habe der italienische Staat die Spirale der Gewalt überhaupt erst in Gang gesetzt: Die Bomben in Mailand, Brescia und Bologna, der Terror von rechts, die Ermittlungen im linken Milieu, die ungeklärte Rolle der Geheimdienste.
Und deshalb müssten jetzt Unschuldige sterben?, fragt Colnaghi zurück. Seine Loyalität zu einem faschistischen Staat habe ihn blind gemacht, er diene nur als Alibi, erwidert der Gefangene und beruft sich auf den Partisanenkampf während des Zweiten Weltkrieges. Ausgerechnet Giacomo Colnaghi gegenüber, dessen Vater in der Mailänder Provinz im Widerstand war und mit dem Leben bezahlte.
Giorgio Fontana, 1981 geboren, aufgewachsen in einem Industriestädtchen bei Varese, Absolvent der Philosophischen Fakultät, Schriftsteller, Journalist und Essayist, zielt mit seinem zweiten Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ auf eine der schwierigsten und folgenreichsten Phasen der jüngeren Zeitgeschichte Italiens. Tatsächlich war es seit 1969 aus Angst vor einer Übermacht der Kommunistischen Partei zu Allianzen zwischen in- und ausländischen Geheimdiensten, hochrangigen Militärs, Politikern und Neofaschisten gekommen, auf deren Konto die „stragi di stato“ gingen, blutige Anschläge auf Banken, Schnellzüge und den Bahnhof von Bologna. Es war, anders als jetzt in Frankreich, ein Terrorismus mit besten Verbindungen zu den Eliten in Politik und Ökonomie.
Das Ausmaß dieser „Strategie der Spannung“ kam erst nach dem Ende des Kalten Krieges ans Licht. Gleichzeitig hatten sich Teile der Studentenbewegung radikalisiert; ein mörderischer Linksterrorismus entstand. Zwischen 1979 und 1981 kulminierte die Gewalt in Exekutionen von Kriminologen, Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten – mehrmals traf es ausgerechnet liberalere Vertreter dieser Berufsgruppen, die den Dialog mit der Gegenseite suchten. Genau darauf läuft auch Giorgio Fontanas Roman zu, was bereits der Titel „Tod eines glücklichen Menschen“ antizipiert – Giacomo Colnaghi gerät ins Fadenkreuz der Terroristen. Fontanas Held, katholisch geprägt und von einem tiefen Ethos durchdrungen, ahnt die fanatische Zwangsläufigkeit, mit der seine Gegner agieren. Den Tod im Nacken lässt ihn der Schriftsteller über seine Herkunft nachdenken und sein Leben rekapitulieren. Das Ergebnis ist ein spannungsreicher Roman mit philosophischem Tiefgang.
Bereits in seinem Debüt „Im Namen der Gerechtigkeit“ (2013) hatte Giorgio Fontana von einem Staatsanwalt namens Doni erzählt, der kurz vor seiner Pensionierung mit den Widersprüchen des Rechtsstaates konfrontiert wird und erkennt, das die Gesetze den Problemen eines Einwanderungslandes nicht mehr entsprechen. In seinem neuen Roman wählt Fontana erneut Mailand als Schauplatz, greift einige der Figuren aus seinem Erstling auf und liefert deren Vorgeschichte. Seine Protagonisten sind fiktiv, aber von authentischen Figuren der Zeitgeschichte inspiriert.
Für Colnaghi standen die Richter Emilio Alessandrini und Guido Galli Modell, 1979 und 1980 von der linksradikalen Terrorvereinigung Prima Linea ermordet. Die historischen Hintergründe sind exakt recherchiert; in einer Nachbemerkung nennt der Autor seine Quellen und weist auf einige Sachbücher zu dem Thema hin.
„Tod eines glücklichen Menschen“ liefert nicht nur eine Momentaufnahme aus der Spätphase des italienischen Terrorismus, sondern resümiert den Partisanenkampf in Saronno, über den man kaum etwas wusste. In Rückblenden taucht nämlich die Geschichte von Colnaghis Vater auf, Arbeiter in einer Schraubenfabrik, der sich mit Anfang zwanzig für den Widerstand rekrutieren ließ. Ohne jede Glorifizierung wird vermittelt, wie die Politisierung in der Fabrik um sich griff, nach 1943 die Republik von Salò die Bevölkerung spaltete und das gegenseitige Niedermetzeln begann. Der junge Autor verarbeitet Material, das aus Gesprächen mit Zeitzeugen in seinem Heimatort stammt und zeichnet den Zwiespalt nach, den der Aktivismus mit sich brachte.
Fontanas literarische Mittel sind nicht sonderlich avanciert, aber sein Roman ist klug konstruiert und entwickelt einen starken Sog. Karin Krieger, deren Übertragung von Andrea Camilleris „Die Revolution des Mondes“ zu den besten Übersetzungen aus dem Italienischen des vergangenen Jahres zählt, liefert die gewohnte Qualität. Irritierend ist allenfalls ihr Versuch, die dialektalen Verkürzungen, die sich dem Original zwanglos einfügen, im Deutschen nachzubilden. Formulierungen wie „Soller sich den Rotz doch an sei’m Schwarzhemd abwischen“, „Kümmer‘ dich gefälligst um dein‘ eig’nen Scheiß“, „biste“, „wollnse“, hamse“, „kannste“ entfalten ein eher unpassendes Gerhart-Hauptmann-Flair. Aber das fällt nicht sehr ins Gewicht.
„Der Tod eines glücklichen Menschen“, 2014 mit dem Premio Campiello ausgezeichnet, ist kein moralisierender Nachhilfeunterricht in Geschichte. Giorgio Fontana packt einen Stoff an, der wie kaum ein anderer der Aufarbeitung bedarf, und er tut es auf mitreißende Weise. Vor allem mit Colnaghi, der von den Sorgen eines jungen Familienvaters und der Zähigkeit des Justizapparates geplagt wird, gelingt ihm eine einprägsame Figur. Dass ein Autor, dessen Generation den Terrorismus häufig eher wie ein Pop-Phänomen behandelt, eine so fundierte Auseinandersetzung mit den ideologisch besetzten Verwerfungen wagt, ist bemerkenswert. Bis in die Gegenwart hinein laboriert Italien an den Folgen jener bleiernen Jahre.
Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2015. 255 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Im Sommer 1981 sucht
Staatsanwalt Colnaghi den Dialog
mit einem Terroristen
Die Wurzeln des aktuellen
Geschehens reichen in die Zeit
des Faschismus zurück
Geehrt am Mailänder Justizpalast: Die Terror-Opfer Emilio Alessandrini (Mitte) und Guido Galli (rechts), deren Fälle Fontanas Roman aufgreift, und der von der Mafia ermordete Anwalt Giorgio Ambrosoli (links).
Foto: imago
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In seinem Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ wagt sich
Giorgio Fontana an ein heißes Eisen – den Terror in Italien um 1980
VON MAIKE ALBATH
Zuerst verroht die Sprache. Junge Leute beschimpfen die Repräsentanten des Staates als Faschisten, im rechten Lager der Politik ist von Rache die Rede, überall herrscht eine martialische Rhetorik. Als Staatsanwalt Colnaghi im Sommer 1981 einen spektakulären Coup landet und den gerade zweiundzwanzigjährigen Terroristen Gianni Meraviglia festsetzt, schuldig an der Ermordung eines Christdemokraten, sucht er das Gespräch mit dem charismatischen Anführer. Er will verstehen, wieso Kinder aus bürgerlichen Elternhäusern zu Waffen greifen. Die Wut könne er nachvollziehen, aber wieso diese grausamen Hinrichtungen? Worte ohne Taten seien nichts wert, entgegnet ihm Meraviglia, außerdem habe der italienische Staat die Spirale der Gewalt überhaupt erst in Gang gesetzt: Die Bomben in Mailand, Brescia und Bologna, der Terror von rechts, die Ermittlungen im linken Milieu, die ungeklärte Rolle der Geheimdienste.
Und deshalb müssten jetzt Unschuldige sterben?, fragt Colnaghi zurück. Seine Loyalität zu einem faschistischen Staat habe ihn blind gemacht, er diene nur als Alibi, erwidert der Gefangene und beruft sich auf den Partisanenkampf während des Zweiten Weltkrieges. Ausgerechnet Giacomo Colnaghi gegenüber, dessen Vater in der Mailänder Provinz im Widerstand war und mit dem Leben bezahlte.
Giorgio Fontana, 1981 geboren, aufgewachsen in einem Industriestädtchen bei Varese, Absolvent der Philosophischen Fakultät, Schriftsteller, Journalist und Essayist, zielt mit seinem zweiten Roman „Tod eines glücklichen Menschen“ auf eine der schwierigsten und folgenreichsten Phasen der jüngeren Zeitgeschichte Italiens. Tatsächlich war es seit 1969 aus Angst vor einer Übermacht der Kommunistischen Partei zu Allianzen zwischen in- und ausländischen Geheimdiensten, hochrangigen Militärs, Politikern und Neofaschisten gekommen, auf deren Konto die „stragi di stato“ gingen, blutige Anschläge auf Banken, Schnellzüge und den Bahnhof von Bologna. Es war, anders als jetzt in Frankreich, ein Terrorismus mit besten Verbindungen zu den Eliten in Politik und Ökonomie.
Das Ausmaß dieser „Strategie der Spannung“ kam erst nach dem Ende des Kalten Krieges ans Licht. Gleichzeitig hatten sich Teile der Studentenbewegung radikalisiert; ein mörderischer Linksterrorismus entstand. Zwischen 1979 und 1981 kulminierte die Gewalt in Exekutionen von Kriminologen, Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten – mehrmals traf es ausgerechnet liberalere Vertreter dieser Berufsgruppen, die den Dialog mit der Gegenseite suchten. Genau darauf läuft auch Giorgio Fontanas Roman zu, was bereits der Titel „Tod eines glücklichen Menschen“ antizipiert – Giacomo Colnaghi gerät ins Fadenkreuz der Terroristen. Fontanas Held, katholisch geprägt und von einem tiefen Ethos durchdrungen, ahnt die fanatische Zwangsläufigkeit, mit der seine Gegner agieren. Den Tod im Nacken lässt ihn der Schriftsteller über seine Herkunft nachdenken und sein Leben rekapitulieren. Das Ergebnis ist ein spannungsreicher Roman mit philosophischem Tiefgang.
Bereits in seinem Debüt „Im Namen der Gerechtigkeit“ (2013) hatte Giorgio Fontana von einem Staatsanwalt namens Doni erzählt, der kurz vor seiner Pensionierung mit den Widersprüchen des Rechtsstaates konfrontiert wird und erkennt, das die Gesetze den Problemen eines Einwanderungslandes nicht mehr entsprechen. In seinem neuen Roman wählt Fontana erneut Mailand als Schauplatz, greift einige der Figuren aus seinem Erstling auf und liefert deren Vorgeschichte. Seine Protagonisten sind fiktiv, aber von authentischen Figuren der Zeitgeschichte inspiriert.
Für Colnaghi standen die Richter Emilio Alessandrini und Guido Galli Modell, 1979 und 1980 von der linksradikalen Terrorvereinigung Prima Linea ermordet. Die historischen Hintergründe sind exakt recherchiert; in einer Nachbemerkung nennt der Autor seine Quellen und weist auf einige Sachbücher zu dem Thema hin.
„Tod eines glücklichen Menschen“ liefert nicht nur eine Momentaufnahme aus der Spätphase des italienischen Terrorismus, sondern resümiert den Partisanenkampf in Saronno, über den man kaum etwas wusste. In Rückblenden taucht nämlich die Geschichte von Colnaghis Vater auf, Arbeiter in einer Schraubenfabrik, der sich mit Anfang zwanzig für den Widerstand rekrutieren ließ. Ohne jede Glorifizierung wird vermittelt, wie die Politisierung in der Fabrik um sich griff, nach 1943 die Republik von Salò die Bevölkerung spaltete und das gegenseitige Niedermetzeln begann. Der junge Autor verarbeitet Material, das aus Gesprächen mit Zeitzeugen in seinem Heimatort stammt und zeichnet den Zwiespalt nach, den der Aktivismus mit sich brachte.
Fontanas literarische Mittel sind nicht sonderlich avanciert, aber sein Roman ist klug konstruiert und entwickelt einen starken Sog. Karin Krieger, deren Übertragung von Andrea Camilleris „Die Revolution des Mondes“ zu den besten Übersetzungen aus dem Italienischen des vergangenen Jahres zählt, liefert die gewohnte Qualität. Irritierend ist allenfalls ihr Versuch, die dialektalen Verkürzungen, die sich dem Original zwanglos einfügen, im Deutschen nachzubilden. Formulierungen wie „Soller sich den Rotz doch an sei’m Schwarzhemd abwischen“, „Kümmer‘ dich gefälligst um dein‘ eig’nen Scheiß“, „biste“, „wollnse“, hamse“, „kannste“ entfalten ein eher unpassendes Gerhart-Hauptmann-Flair. Aber das fällt nicht sehr ins Gewicht.
„Der Tod eines glücklichen Menschen“, 2014 mit dem Premio Campiello ausgezeichnet, ist kein moralisierender Nachhilfeunterricht in Geschichte. Giorgio Fontana packt einen Stoff an, der wie kaum ein anderer der Aufarbeitung bedarf, und er tut es auf mitreißende Weise. Vor allem mit Colnaghi, der von den Sorgen eines jungen Familienvaters und der Zähigkeit des Justizapparates geplagt wird, gelingt ihm eine einprägsame Figur. Dass ein Autor, dessen Generation den Terrorismus häufig eher wie ein Pop-Phänomen behandelt, eine so fundierte Auseinandersetzung mit den ideologisch besetzten Verwerfungen wagt, ist bemerkenswert. Bis in die Gegenwart hinein laboriert Italien an den Folgen jener bleiernen Jahre.
Giorgio Fontana: Tod eines glücklichen Menschen. Roman. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Verlag Nagel & Kimche, Zürich 2015. 255 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro.
Im Sommer 1981 sucht
Staatsanwalt Colnaghi den Dialog
mit einem Terroristen
Die Wurzeln des aktuellen
Geschehens reichen in die Zeit
des Faschismus zurück
Geehrt am Mailänder Justizpalast: Die Terror-Opfer Emilio Alessandrini (Mitte) und Guido Galli (rechts), deren Fälle Fontanas Roman aufgreift, und der von der Mafia ermordete Anwalt Giorgio Ambrosoli (links).
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