Dichter und Denker. Todesfuge und Schwarze Hefte - das Treffen in Todtnauberg Ein langjähriger Antisemit und der einzige Holocaust-Überlebende seiner Familie: Drei Mal begegneten sich Paul Celan und Martin Heidegger, zu Spaziergängen, zum Kaffee, zu Gesprächen. Was verband einen der wirkungsmächtigsten deutschen Philosophen und den bedeutendsten jüdischen Lyriker deutscher Sprache im 20. Jahrhundert, der dem ersten Treffen eines seiner bekanntesten Gedichte widmete: »Todtnauberg«? Diese drei Begegnungen sind in der deutschen Geistesgeschichte einzigartig. Hans-Peter Kunisch erzählt sie so dicht, so lebendig und anschaulich, wie dies erst neue Recherchen und Quellen möglich machen. So nah sind wir Paul Celan und Martin Heidegger bislang nicht gekommen. - Erstmals in einem Buch nacherzählt: die Lebensgeschichten, verbunden mit der besonderen Beziehung zwischen Celan und Heidegger - recherchiert in bislang unbekannten Quellen und bei den letzten Zeitzeugen - Aufwendig gestaltet, mit bedrucktem Vorsatzpapier - Mit Lesebändchen
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2020An den Worten würgte nur Einer
Epochal schweigen: Hans-Peter Kunisch beschreibt, wie es gewesen sein könnte, als Paul Celan hoch im Schwarzwald Martin Heidegger besuchte, und Thomas Rohkrämer legt eine Biographie des Philosophen vor.
Unheimlich ist vieles, und wenig ist unheimlicher als das, was sich am 25. Juli 1967 im Schwarzwald zutrug. Ein Philosoph, der seine Nazivergangenheit unter den Teppich kehrte, und ein Dichter, der seine Eltern im Holocaust verloren hatte, fuhren in einem beigen VW-Käfer, chauffiert von einem jungen Germanisten, von Freiburg nach Todtnauberg, wanderten dort durch die Blumenwiesen, saßen in der Hütte zusammen, holten sich im Moor nasse Füße, aßen im Wirtshaus "Adler" zu Mittag und gingen in aufgeräumter Stimmung auseinander.
Die beiden wussten viel voneinander, als sie sich trafen. "Ich kenne alles von ihm", sagte Martin Heidegger vor dem Treffen, und Paul Celans emsige, penible Heidegger-Lektüre schlug sich in zahllosen Notizen nieder, die in der fast vollständigen Sammlung von dessen Schriften in seiner Bibliothek überliefert sind. Gut vorbereitet gingen sie in dieses Treffen, heftig nachbereitet wurde es auch. Celan schickte Heidegger sein Gedicht "Todtnauberg", das die "Hoffnung, heute, auf eines Denkenden kommendes Wort" zum Ausdruck brachte, und erhielt von ihm eine Antwort, die als Geste ins Ungefähre an Lahmheit nicht zu überbieten ist: "Ich denke, daß einiges noch eines Tages im Gespräch aus dem Ungesprochenen gelöst wird." Dazu kam es nicht.
Worüber Celan und Heidegger an jenem Julitag gesprochen haben, weiß man nicht genau. Der einzige Zeuge des Gesprächs während der Autofahrt hoch in den Schwarzwald, der Chauffeur Gerhard Neumann, nannte es später "epochal". Es sei über Heideggers Stellung zum Nationalsozialismus gesprochen, aber die meiste Zeit geschwiegen worden. Ihr Treffen rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit all derer, auf deren Gehirnen der Alb des zwanzigsten Jahrhunderts lastet, doch ist es eine leere Mitte.
Hans-Peter Kunisch hat ein Buch geschrieben, das um diese leere Mitte kreist und ein weites Netz auswirft, um deren Vor- und Nachgeschichte einzufangen. Kenntnisreich verfasst und kunstvoll komponiert, gleicht diese Doppelbiographie einem Thriller, der Trauer trägt. Das Drama dieser Begegnung entfaltet sich langsam über viele Kapitel hinweg und wird durch Rückblenden und Vorblicke ergänzt. Im Falle Heideggers geht Kunisch zum Beispiel zurück auf das "Wissenschaftslager", das dieser im Oktober 1933 mit NS-begeisterten Studenten in Todtnauberg abhielt, oder auf das Gespräch mit dem "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein, das ebendort 1966 stattfand. Im Falle Celans wird dessen Liebesgeschichte mit Ingeborg Bachmann eingeflochten, die schon 1949 mit einer kritischen Arbeit über Heidegger promoviert worden war, oder Celans Besuch bei Friedrich Dürrenmatt, der ihn noch Anfang der sechziger Jahre als "wilden, gesunden, übermütigen Burschen" erlebte, der stundenlang Tischtennis spielte, Schnaps zum Essen trank und rumänische Volkslieder sang. Es wird aber auch geschildert, dass Celan während seines Besuchs 1967 eine Art Freigänger war: probeweise entlassen aus der psychiatrischen Klinik St. Anne in Paris, in der er 1967 nach einem Selbstmordversuch mehrere Monate verbracht hatte. Zitiert wird auch der Entwurf des Briefes an Heidegger, den man drei Jahre später, als Celan sich das Leben genommen hatte, in seiner Wohnung fand und in dem es heißt, "daß Sie durch Ihre Haltung das Dichterische und, so wage ich es zu vermuten, das Denkerische, in beider erstem Verantwortungswillen, entscheidend schwächen".
Um die unheimliche Geschichte dieser Begegnung wirklich erzählen zu können, muss Kunisch Verbürgtes und Erfundenes kombinieren, so tun, als wisse er, was den Beteiligten durch den Kopf ging, worauf sie es abgesehen hatten, wann sie lächelten oder mit dem Kopf schüttelten. Diese Mischung aus Fakten und Fiktionen wirkt bei Kunisch immerhin nie gekünstelt. "So könnte es gewesen sein" - dies ist seine vorsichtige Klausel.
Den Deutungen, die Jean Bollack, James Lyon, Helmut Böttiger und viele andere der Heidegger-Celan-Beziehung gewidmet haben, verdankt Kunisch viel, sie fließen freilich eher unauffällig in seinen Text ein. Wählerisch muss er dabei bleiben, denn die Bandbreite dieser Deutungen reicht von der These, dass Celan das Treffen mit Heidegger als privates Strafgericht minutiös durchgeplant habe, bis zu der Vermutung, Celan habe sich in geistiger Zerrüttung mit dem Aggressor identifiziert. Solche extremen Thesen wirken nach Kunischs Darstellung fragwürdig. Zu verwundet war diese Seele, als dass sie das Kommando hätte übernehmen können, zu misstrauisch war dieser Mensch, als dass er sich hätte einlullen lassen.
Unterschätzt hat Celan freilich die Asymmetrie, die zwischen ihm und dem Philosophen, zwischen Opfer und Täter bestand. Heidegger sei, so schrieb er 1959 an Bachmann, immerhin jemand, "der an seinen Verfehlungen würgt". In einem Entwurf zum "Todtnauberg"-Gedicht griff er dieses Wort auf und notierte: "...seit ein Gespräch wir sind, an dem wir würgen, an dem ich würge". Nach allem, was man heute weiß, würgte tatsächlich nur Celan an der Vergangenheit, während Heidegger sie stur verdaute und sich in seiner geistigen Gesundheit einmauerte. Es gibt ein äußeres Zeichen für diese Ungerührtheit: Heidegger, der in seinem Leben sehr oft "Heil Hitler" gesagt und geschrieben hatte, befürchtete, der Dichter sei "unheilbar krank", meinte aber, "es wäre heilsam, P.C. auch den Schwarzwald zu zeigen". Diese Bemerkung verdient als Preis die goldene Himbeere für den schlechtesten Therapievorschlag der Geistesgeschichte.
Die Doppelgestalt aus Mitmischen und Absondern, aus Zeitgenossenschaft und Verschlossenheit spielt auch eine zentrale Rolle in der Heidegger-Biographie, die Thomas Rohkrämer gerade vorgelegt hat. Er zeigt Heidegger als einen Menschen, der "Trends und auch Plattitüden der Zeit folgte", dabei aber seine eigenen "Themen und Fragen geradezu mit Besessenheit immer weiterverfolgte". Hierzu prägt er das treffende Wort von Heideggers "Selbstfestlegungsgeschichte".
Rohkrämer betont, dass er sich seinem Gegenstand als Historiker zuwende, und kündigt an, "eine Art Mentalitäten-Geschichte eines charismatischen Denker und die engeren und weiteren Kreise, die sich um ihn bildeten, zu schreiben". Diese Ankündigung ist nicht nur grammatisch verunglückt, sondern auch mit Blick auf das Buch irreführend. Allzu oft bezeichnet er Heidegger als "exzeptionell". Und für eine "Mentalitäten-Geschichte" hat das Netz der Bezüge, das Rohkrämer knüpft, zu weite Maschen. Die frühe Verortung im Katholizismus, die semantischen und diskursiven Parallelen zwischen der harten NS-Propaganda, den Texten Heideggers sowie denen von Arnold Gehlen, Hans Freyer, Helmut Schelsky, Carl Schmitt, Gottfried Benn, den Brüdern Jünger, den Sumpfblüten des George-Kreises und so fort werden eher beiläufig abgehandelt.
Wenn der Leser sich von Rohkrämers Irreführung mit der "Mentalitäten-Geschichte" erholt hat, dann allerdings kann er diesem Buch einiges abgewinnen. Neue Archivfunde, mit denen sich Historiker sonst gerne hervortun, werden nicht geboten, Rohkrämer erzählt vieles nach, was an anderer Stelle schon aufbereitet worden ist. Aber das Material wird in einer Ausgewogenheit und Nüchternheit bearbeitet, die überaus wohltuend wirken. Souverän sind Rohkrämers Überlegungen zu Heideggers Antisemitismus, der eklatant und doch merkwürdig gebremst wirkt, sowie auch die Deutung der NS-Texte Heideggers in der diffusen ideologischen Gemengelage, die mit Ernst Bloch als "Glaubensraum" des Nationalsozialismus beschrieben wird. Die "konservative Revolution" dient als wichtige Referenz, die Formel vom "heroischen Realismus" wird angeführt, dann aber weniger analysiert als unnötig oft wiederholt. Rohkrämer überzeugt als Philosoph, seltsamerweise weniger als Historiker, denn seine zeitgeschichtlichen Einordnungen, bei denen eine große Vorliebe für Umfragen zutage tritt, wirken gelegentlich unbeholfen. Doch wer durch Kunischs Buch über Celan und Heidegger neugierig auf Letzteren wird, ist mit Rohkrämers Biographie gut bedient.
DIETER THOMÄ.
Hans-Peter Kunisch: "Todtnauberg".
Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung. dtv, München 2020, 350 S., geb., 24,- [Euro].
Thomas Rohkrämer: "Martin Heidegger".
Eine politische Biographie. Schöningh, Paderborn 2020. 297 S., geb., 39,90 [Euro].
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Epochal schweigen: Hans-Peter Kunisch beschreibt, wie es gewesen sein könnte, als Paul Celan hoch im Schwarzwald Martin Heidegger besuchte, und Thomas Rohkrämer legt eine Biographie des Philosophen vor.
Unheimlich ist vieles, und wenig ist unheimlicher als das, was sich am 25. Juli 1967 im Schwarzwald zutrug. Ein Philosoph, der seine Nazivergangenheit unter den Teppich kehrte, und ein Dichter, der seine Eltern im Holocaust verloren hatte, fuhren in einem beigen VW-Käfer, chauffiert von einem jungen Germanisten, von Freiburg nach Todtnauberg, wanderten dort durch die Blumenwiesen, saßen in der Hütte zusammen, holten sich im Moor nasse Füße, aßen im Wirtshaus "Adler" zu Mittag und gingen in aufgeräumter Stimmung auseinander.
Die beiden wussten viel voneinander, als sie sich trafen. "Ich kenne alles von ihm", sagte Martin Heidegger vor dem Treffen, und Paul Celans emsige, penible Heidegger-Lektüre schlug sich in zahllosen Notizen nieder, die in der fast vollständigen Sammlung von dessen Schriften in seiner Bibliothek überliefert sind. Gut vorbereitet gingen sie in dieses Treffen, heftig nachbereitet wurde es auch. Celan schickte Heidegger sein Gedicht "Todtnauberg", das die "Hoffnung, heute, auf eines Denkenden kommendes Wort" zum Ausdruck brachte, und erhielt von ihm eine Antwort, die als Geste ins Ungefähre an Lahmheit nicht zu überbieten ist: "Ich denke, daß einiges noch eines Tages im Gespräch aus dem Ungesprochenen gelöst wird." Dazu kam es nicht.
Worüber Celan und Heidegger an jenem Julitag gesprochen haben, weiß man nicht genau. Der einzige Zeuge des Gesprächs während der Autofahrt hoch in den Schwarzwald, der Chauffeur Gerhard Neumann, nannte es später "epochal". Es sei über Heideggers Stellung zum Nationalsozialismus gesprochen, aber die meiste Zeit geschwiegen worden. Ihr Treffen rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit all derer, auf deren Gehirnen der Alb des zwanzigsten Jahrhunderts lastet, doch ist es eine leere Mitte.
Hans-Peter Kunisch hat ein Buch geschrieben, das um diese leere Mitte kreist und ein weites Netz auswirft, um deren Vor- und Nachgeschichte einzufangen. Kenntnisreich verfasst und kunstvoll komponiert, gleicht diese Doppelbiographie einem Thriller, der Trauer trägt. Das Drama dieser Begegnung entfaltet sich langsam über viele Kapitel hinweg und wird durch Rückblenden und Vorblicke ergänzt. Im Falle Heideggers geht Kunisch zum Beispiel zurück auf das "Wissenschaftslager", das dieser im Oktober 1933 mit NS-begeisterten Studenten in Todtnauberg abhielt, oder auf das Gespräch mit dem "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein, das ebendort 1966 stattfand. Im Falle Celans wird dessen Liebesgeschichte mit Ingeborg Bachmann eingeflochten, die schon 1949 mit einer kritischen Arbeit über Heidegger promoviert worden war, oder Celans Besuch bei Friedrich Dürrenmatt, der ihn noch Anfang der sechziger Jahre als "wilden, gesunden, übermütigen Burschen" erlebte, der stundenlang Tischtennis spielte, Schnaps zum Essen trank und rumänische Volkslieder sang. Es wird aber auch geschildert, dass Celan während seines Besuchs 1967 eine Art Freigänger war: probeweise entlassen aus der psychiatrischen Klinik St. Anne in Paris, in der er 1967 nach einem Selbstmordversuch mehrere Monate verbracht hatte. Zitiert wird auch der Entwurf des Briefes an Heidegger, den man drei Jahre später, als Celan sich das Leben genommen hatte, in seiner Wohnung fand und in dem es heißt, "daß Sie durch Ihre Haltung das Dichterische und, so wage ich es zu vermuten, das Denkerische, in beider erstem Verantwortungswillen, entscheidend schwächen".
Um die unheimliche Geschichte dieser Begegnung wirklich erzählen zu können, muss Kunisch Verbürgtes und Erfundenes kombinieren, so tun, als wisse er, was den Beteiligten durch den Kopf ging, worauf sie es abgesehen hatten, wann sie lächelten oder mit dem Kopf schüttelten. Diese Mischung aus Fakten und Fiktionen wirkt bei Kunisch immerhin nie gekünstelt. "So könnte es gewesen sein" - dies ist seine vorsichtige Klausel.
Den Deutungen, die Jean Bollack, James Lyon, Helmut Böttiger und viele andere der Heidegger-Celan-Beziehung gewidmet haben, verdankt Kunisch viel, sie fließen freilich eher unauffällig in seinen Text ein. Wählerisch muss er dabei bleiben, denn die Bandbreite dieser Deutungen reicht von der These, dass Celan das Treffen mit Heidegger als privates Strafgericht minutiös durchgeplant habe, bis zu der Vermutung, Celan habe sich in geistiger Zerrüttung mit dem Aggressor identifiziert. Solche extremen Thesen wirken nach Kunischs Darstellung fragwürdig. Zu verwundet war diese Seele, als dass sie das Kommando hätte übernehmen können, zu misstrauisch war dieser Mensch, als dass er sich hätte einlullen lassen.
Unterschätzt hat Celan freilich die Asymmetrie, die zwischen ihm und dem Philosophen, zwischen Opfer und Täter bestand. Heidegger sei, so schrieb er 1959 an Bachmann, immerhin jemand, "der an seinen Verfehlungen würgt". In einem Entwurf zum "Todtnauberg"-Gedicht griff er dieses Wort auf und notierte: "...seit ein Gespräch wir sind, an dem wir würgen, an dem ich würge". Nach allem, was man heute weiß, würgte tatsächlich nur Celan an der Vergangenheit, während Heidegger sie stur verdaute und sich in seiner geistigen Gesundheit einmauerte. Es gibt ein äußeres Zeichen für diese Ungerührtheit: Heidegger, der in seinem Leben sehr oft "Heil Hitler" gesagt und geschrieben hatte, befürchtete, der Dichter sei "unheilbar krank", meinte aber, "es wäre heilsam, P.C. auch den Schwarzwald zu zeigen". Diese Bemerkung verdient als Preis die goldene Himbeere für den schlechtesten Therapievorschlag der Geistesgeschichte.
Die Doppelgestalt aus Mitmischen und Absondern, aus Zeitgenossenschaft und Verschlossenheit spielt auch eine zentrale Rolle in der Heidegger-Biographie, die Thomas Rohkrämer gerade vorgelegt hat. Er zeigt Heidegger als einen Menschen, der "Trends und auch Plattitüden der Zeit folgte", dabei aber seine eigenen "Themen und Fragen geradezu mit Besessenheit immer weiterverfolgte". Hierzu prägt er das treffende Wort von Heideggers "Selbstfestlegungsgeschichte".
Rohkrämer betont, dass er sich seinem Gegenstand als Historiker zuwende, und kündigt an, "eine Art Mentalitäten-Geschichte eines charismatischen Denker und die engeren und weiteren Kreise, die sich um ihn bildeten, zu schreiben". Diese Ankündigung ist nicht nur grammatisch verunglückt, sondern auch mit Blick auf das Buch irreführend. Allzu oft bezeichnet er Heidegger als "exzeptionell". Und für eine "Mentalitäten-Geschichte" hat das Netz der Bezüge, das Rohkrämer knüpft, zu weite Maschen. Die frühe Verortung im Katholizismus, die semantischen und diskursiven Parallelen zwischen der harten NS-Propaganda, den Texten Heideggers sowie denen von Arnold Gehlen, Hans Freyer, Helmut Schelsky, Carl Schmitt, Gottfried Benn, den Brüdern Jünger, den Sumpfblüten des George-Kreises und so fort werden eher beiläufig abgehandelt.
Wenn der Leser sich von Rohkrämers Irreführung mit der "Mentalitäten-Geschichte" erholt hat, dann allerdings kann er diesem Buch einiges abgewinnen. Neue Archivfunde, mit denen sich Historiker sonst gerne hervortun, werden nicht geboten, Rohkrämer erzählt vieles nach, was an anderer Stelle schon aufbereitet worden ist. Aber das Material wird in einer Ausgewogenheit und Nüchternheit bearbeitet, die überaus wohltuend wirken. Souverän sind Rohkrämers Überlegungen zu Heideggers Antisemitismus, der eklatant und doch merkwürdig gebremst wirkt, sowie auch die Deutung der NS-Texte Heideggers in der diffusen ideologischen Gemengelage, die mit Ernst Bloch als "Glaubensraum" des Nationalsozialismus beschrieben wird. Die "konservative Revolution" dient als wichtige Referenz, die Formel vom "heroischen Realismus" wird angeführt, dann aber weniger analysiert als unnötig oft wiederholt. Rohkrämer überzeugt als Philosoph, seltsamerweise weniger als Historiker, denn seine zeitgeschichtlichen Einordnungen, bei denen eine große Vorliebe für Umfragen zutage tritt, wirken gelegentlich unbeholfen. Doch wer durch Kunischs Buch über Celan und Heidegger neugierig auf Letzteren wird, ist mit Rohkrämers Biographie gut bedient.
DIETER THOMÄ.
Hans-Peter Kunisch: "Todtnauberg".
Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung. dtv, München 2020, 350 S., geb., 24,- [Euro].
Thomas Rohkrämer: "Martin Heidegger".
Eine politische Biographie. Schöningh, Paderborn 2020. 297 S., geb., 39,90 [Euro].
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Ein philosophischer Thriller der Sonderklasse. Harald Klauhs Die Presse 20200627