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"Historisch beeindruckend genau, aber vor allem ein Bravourstück von außergewöhnlicher Vorstellungskraft." -- THE TIMES
"Schatten im Land der aufgehenden Sonne - meisterhaft!" -- LE FIGARO
"Man wird kopfüber in den Dreck einer kaputten Gesellschaft geschmissen." -- SAN FRANCISCO CHRONICLE
"David Peace hat etwas Einzigartiges geschaffen." --THE GUARDIAN
"Ein unerbittliches Porträt von Tokio am Ende des Zweiten Weltkrieges."-- THE INDEPENDENT
"Ein kraftvoller, aufreibender und verstörender Roman. Man kann nicht aufhören zu lesen." -- FINANCIAL TIMES
"Eine schwarze Symphonie des Grauens." -- LOS ANGELES TIMES
"Brillant, klaustrophobisch und doppelbödig. Einfach atemberaubend." -- NEW YORK TIMES
"Viele Bilder bleiben im Gedächtnis, als wäre es ein Film." -- LIBÉRATION
Chiku-taku, Chiku-taku: David Peace belauscht Tokio
David Peace ist besessen von der Zeit. Die Titel seines "Red-Riding-Quartetts", das den 1967 geborenen britischen Autor bekannt machte, bestanden allein aus Jahreszahlen, beginnend im Jahr 1974 und endend 1983. Diese vier hartgesottenen Kriminalromane über den sogenannten "Yorkshire Ripper" verzeichneten eine Chronologie der Grausamkeit, die sich vordergründig auf eine reale Mordserie berief, gleichzeitig jedoch ihre getriebenen Erzähler und die Gesellschaft ins Zentrum rückte. Die schlichte Datumsangabe bezeichnete zwar die fiktive Gegenwart, schloss indes wie ein "Date Painting" von On Kawara Vergangenheit und Zukunft mit ein, so dass ein Begriff von Zeitgeschichte entstehen konnte.
In Peaces neuem, abermals auf einem historisch verbürgten Fall basierenden Kriminalroman "Tokio im Jahr null", der den Auftakt einer Trilogie bildet, bricht eine neue Zeit an: Japan kapituliert, und die traditionelle Zeitrechnung, die sich an der Regentschaft der Kaiser ausrichtet, weicht in den Kapitelüberschriften den Eintragungen eines westlichen Kalenders. Die Mechanismen und Rituale des alten Regimes sind längst noch nicht passé, während die sich mühsam etablierende Demokratie misstrauisch beäugt wird. An der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, das sich der alten Lasten entledigen will, gibt es zudem Säuberungsaktionen im Polizeiapparat, in dem keiner der ist, der er zu sein vorgibt. Denn zur Stunde null werden auch die Lebensläufe umgeschrieben, zerfällt das Ich in ein Vorher und ein Nachher.
Niemand weiß das besser als Inspektor Minami, der die albtraumhafte Erinnerung an sein Dasein während des Zweiten Weltkriegs als Soldat in China nur vorübergehend durch die Einnahme von Schlaftabletten verdrängen kann. Er muss im stickig heißen August 1946 die Morde mehrerer kaum zu identifizierender Frauen aufklären, deren Todeszeitpunkt zumeist nicht zweifelsfrei bestimmt werden kann. Sie wurden vergewaltigt und stranguliert. Doch nicht allein die unzureichende Ausstattung der Polizei, bei der Mitarbeiter genauso schnell verschwinden wie kompromittierende Akten, erschwert die Aufklärungsarbeit. Durch Minamis Kopf hämmert der Wiederaufbau der Stadt ebenso unerbittlich wie das Vergehen der Sekunden: "Chiku-taku", die japanische Entsprechung des lautmalerischen Tick-tack, peinigt den Ich-Erzähler ähnlich wie seine nicht verstummen wollende innere Stimme oder jene Läuse, die ihn dazu zwingen, sich unaufhörlich zu kratzen, die eigene Hautoberfläche zu verletzen, bis eine neue Wunde zum Vorschein kommt.
Im schlaflosen Präsens der Dringlichkeit hetzt Peace seinen Protagonisten, der die Hölle sein Zuhause nennt, durch Büros mit Ventilatoren, die sich nicht mehr drehen, zu seiner Frau, die er betrügt, durch eine Stadt, die keine mehr ist, die nach Fäkalien und Kapitulation riecht und in der kaum etwas reibungslos funktioniert, abgesehen von den tradierten Verbindungen zwischen Staatsgewalt und organisiertem Verbrechen, zwischen Schwarzmarkt und provisorischem Polizeirevier. Dabei muss der zwischen Pflichtbewusstsein, Gewaltphantasien und Todessehnsucht schwankende Antiheld stets fürchten, dass seine wahre Existenz ans Licht kommt oder dass er im Konkurrenzkampf mit seinen zum Teil mehr als verdächtigen Kollegen versagt und zum Opfer einer kaltblütigen Intrige wird.
Das atemlose, zuweilen manierierte Stakkato der Sätze, die rhythmischen Wiederholungen, die prosaische Darstellung des Schreckens, das manische Kreisen um Minamis paranoide Gedankenwelt, das gekonnte Unterlaufen von Genrekonventionen - rasch verwandelt Peace, der selbst fünfzehn Jahre in Tokio lebte, seinen Thriller in das präzise Psychogramm einer Stadt, einer Ära und eines einzelnen, in sich gespaltenen Individuums. Vor Schwarzmalerei schreckt er dabei nicht zurück, weder hinsichtlich der zum Fremdschämen geeigneten Unterwürfigkeit seiner Hauptfigur gegenüber Vorgesetzten noch bezüglich der korrupten Machenschaften nahezu des gesamten Romanpersonals. Für Peace bilden diese Charaktereigenschaften sowie das Geflecht unterschiedlicher Abhängigkeitsverhältnisse den Nährboden der Kriminalität. Schließlich spricht es Bände, dass sich auch der später überführte Mörder die ärmlichen, oft ausbeuterischen Bedingungen, unter denen gerade Frauen zu leiden hatten, zunutze machte.
Peace, der als einziger Krimischriftsteller in die renommierte "Granta's List of Best Young British Novelists" aufgenommen wurde, gelingt es ausgerechnet durch seine extreme Stilisierung, durch die kreidebleiche, beinahe bewegungsunfähige Prosa, das so glaubwürdige wie verstörende Porträt eines widersprüchlichen Mannes zu zeichnen, in dem sich die Verunsicherung einer ganzen demoralisierten und traumatisierten Nation widerspiegelt. Wie im "Red-Riding-Quartett" dient der geschichtliche Kontext also nicht als bloße Kulisse; er wird vielmehr Bestandteil des gesamten Plots und vermittelt sich noch im kleinsten sprachlichen Detail; der Methode des Inspektors, der sich den Tathergang nach und nach vor Augen führt, entspricht derweil Peaces Verfahren der Rekonstruktion einer ihm ursprünglich fremden Kultur. Auf den vorliegenden Fall sei er durch Zufall gestoßen, verriet er während einer Lesung. Eine winzige Passage in Edward Seidenstickers Stadtgeschichte "Tokyo Rising: The City Since the Great Earthquake" habe ihn zur Recherche inspiriert.
Der Blick auf die Zukunft bleibt angesichts seiner Fixierung auf den Nullpunkt, auf das Moment der Niederlage, und durch die rastlos durch die Zeilen schimmernde Hoffnungslosigkeit verstellt. Aber es ist wohl das Privileg eines derart versierten Autors wie David Peace, dessen zerrüttete Erzähler freilich Gefahr laufen, irgendwann zum Klischee zu gerinnen, nur die dunkelsten Seiten der menschlichen Seele ins Auge zu fassen.
ALEXANDER MÜLLER
David Peace: "Tokio im Jahr null". Roman. Aus dem Englischen von Peter Torberg. Liebeskind Verlag, München 2009. 416 S., geb., 22,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
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