Eine Reise in das Shanghai der 30er- und 40er-Jahre - mit Stadtplänen, Zeittafel, Literaturverzeichnis und Glossar.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Die offene Stadt: Susanne Hornfecks bewegender Roman über eine Jugend im jüdischen Exil in Schanghai
Zwischen 1938 und 1941 war Schanghai der letzte "offene Hafen" für etwa achtzehntausend deutsche und österreichische Juden. Flüchtlinge, die eine Schiffspassage erwarben, fanden ohne Visum und Bürgschaft Refugium in der "Stadt über dem Meer". Susanne Hornfecks auf Interviews und Biographien gestützter Roman erzählt vom Emigrantenalltag in dieser "Sackgasse der Weltgeschichte". Er beschreibt Schanghai als ebenso exotisches wie entbehrungsreiches Exil. Im Wechsel politischer Vorzeichen und Oberhoheiten schildert das Buch die Überlebensgeschichte der fiktiven Familie Finkelstein zwischen 1938 und 1947. Den jüdischen Konditormeister konnte seine deutsche Frau mit Vorlage von Auswanderungspapieren aus dem Konzentrationslager freikaufen, die neunjährige Inge komplettiert die Familie. In Schanghai findet der Vater Arbeit bei einem deutschen Kaffeehausbesitzer.
Im Zentrum des Buchs steht das Gefühlsleben der Tochter. In Schanghai navigiert Inge immer besser durch das "Meer der Wörter" und den "verkehrten Verkehr" und denkt dabei mit Heimweh, Abscheu und leitmotivischer Angst vor dem langen Arm der Gestapo an Deutschland zurück. Während den Eltern China ein Buch mit sieben Siegeln bleibt, wird sie zum "Kurier zwischen zwei Welten", zum "furchtlosen Erkunder, Unterhändler und Preisdrücker". Vereint im "Makel des Andersseins", freundet sich die blonde "Halbjüdin" mit dem "Halbdrachen" Sanmao, Sohn des Café-Besitzers und seiner chinesischen Frau Xiaochun, an.
Der Exilroman kreist um das Erwachsenwerden zwischen den Welten - der Zufluchtsort von Inge und Sanmao, ein zweisprachiger Gedenkstein in einem verwilderten Park, symbolisiert auch die im Totalitarismus verschüttete Geste des Kommunizierens. Und das Wachsen an kulturellen Unterschieden: "Die Straße war offensichtlich nicht nur zur Fortbewegung da, sie diente auch als Verkaufsfläche, Garküche, Wohnzimmer, Werkstatt, Spielplatz und Esslokal ... Hier lag alles so dicht beieinander ... Reichtum und Armut, Leckerbissen und Hungersnot, verlockende Düfte ... brodelnde Aktivität und lähmende Gebrechen."
Kontrapunktisch zu den strammen Parolen westlicher Ideologien vermittelt das Buch durch die Gespräche Inges mit Xiaochun, die sie "Tante" nennt, Einblicke in Chinas Schrift und Kulturweisheit: "Sie war völlig fasziniert von dieser Schrift, die ihre Lautgestalt nicht preisgab, nur den Sinngehalt. Mit ihr konnte man sich die Welt zusammensetzen wie aus einem Setzkasten." Die nicht judenfeindlichen Japaner, die seit 1941 ganz Schanghai kontrollierten, ordneten 1943 wohl auf Drängen des deutschen Bündnispartners den Umzug der nach 1937 angekommenen staatenlosen Flüchtlinge in ein Getto im Stadtteil Hongkou an, wo sie gemeinsam mit Chinesen lebten. Von 1944 an flogen die Amerikaner Luftangriffe auf Schanghai, die am 17. Juli 1945 auch Hongkou schwer trafen. Der zweite Romanteil spielt in der Lebenswelt des Gettos. Bilder menschlicher Extremsituationen und entfesselter Naturgewalt wechseln mit Momenten des Atemholens von den Weltenbränden. Noch in der Pattsituation der "gelähmten Stadt" erlebt Inge eine Art "Wehmutsglück", wenn sie beim der Barmherzigkeitsgöttin geweihten "Tempel unter dem Meer" aushilft und beim Fegen "Buddhas Ratschluss" spürt oder wenn aus einem der wenigen Freiluftcafés im Getto Tanzmusik herüberweht.
Hornfeck zeichnet ein gerade für junge Leser greifbares "Exil der kleinen Leute", in dem das Dokumentarische nur selten ins Melodramatische entgleitet. Raffiniert vereinen sich die Erzählfäden zu einer bewegenden Geschichte über Fremdheitserfahrung und Erwachsenwerden. Während es die Eltern 1947 nach Australien zieht, fasst Inge, befreit von Besatzung und Blockaden, nach neun Jahren in der Stadt zunächst den Entschluss zu bleiben: Sie ist angekommen im Freihafen der Phantasie als Gegenentwurf kurzsichtiger Heilsversprechen und Ideologien.
STEFFEN GNAM
Susanne Hornfeck: "Torte mit Stäbchen. Eine Jugend in Schanghai".
Deutscher Taschenbuch Verlag, Reihe Hanser, München 2012. 380 S., br., 12,95 [Euro]. Ab 14 J.
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