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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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Geisterkunde: Ein eleganter Magister wird historisch-kritisch ediert
Über die Fähigkeiten des schwedischen Theosophen und intimen Kenners des Geisterreiches Emmanuel Swedenborg kursierten im Europa der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts eindrucksvolle Geschichten. In Königsberg kaufte sich ein noch recht junger, aber bereits hervorstechender Privatdozent der dortigen Universität daraufhin die acht Bände der "Arcana Coelestia", die Swedenborg wenige Jahre zuvor, 1756 war der letzte Band erschienen, in London herausgebracht hatte.
Was er sich von der Lektüre eigentlich erwartet hatte, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Aber sein Urteil über sie fiel entschieden aus: "Acht Quartbände voll Unsinn." Für die der auch außerhalb der Universität mit Interesse verfolgte "elegante Magister" freilich eine Menge Geld hingelegt hatte. Und folgt man seiner eigenen Darstellung in Briefen, so war der Ärger über diese sehr teure Erwerbung sogar auch einer der Beweggründe, sich in einer Schrift über Swedenborg zu äußern. Zumal man ihn dazu gedrängt hatte, ein Urteil in dieser Angelegenheit abzugeben, nachdem er zuvor sein Interesse an den Swedenborgschen Nachrichten aus der Geisterwelt bekundet hatte, für deren Gediegenheit gern in Anschlag gebracht wurde, dass die kontaktierten Geister von Verstorbenen den Lebenden akkurate Hinweise gaben, etwa auf den Ort von gesuchten Hinterlassenschaften des Toten, die dann genau dort gefunden wurden.
Die Schrift des Königsberger Dozenten erschien im Herbst 1765, vorausdatiert auf das folgende Jahr; ohne Angabe des Verfassers zwar, aber jeder wusste, dass Immanuel Kant ihr Autor war. Nicht so klar war dagegen, was Kant nun eigentlich mit dieser Schrift, den "Träumen eines Geistersehers, erläutert durch die Träume der Metaphysik", genau bezweckte. Selbst sehr geübte Leser unter seinen Zeitgenossen gerieten da in mehr oder minder deutlich geäußerte Verlegenheit. Und um es gleich vorwegzunehmen: Auch eine auf allen Touren laufende Kant-Philologie sollte nichts daran ändern, dass Interpretationen dieser schmalen Schrift immer noch aufs Schönste divergieren.
Man kann sich davon einen Eindruck verschaffen in der ausführlichen und grundgelehrten Einleitung, die der neuen, mit historisch-kritischem Anspruch auftretenden Edition der "Träume" voransteht. Zwar ist offensichtlich, dass Kant in ihnen die gängige Schulmetaphysik gnadenlos aufs Korn nimmt und darauf hinweist, dass deren Leitsätze in der Behandlung von Geist und Seele - das Terrain der "rationalen Psychologie" - sich als Unterbau der Geisterwelt à la Swedenborg, dieses "ärgsten Schwärmers", gebrauchen lassen, was für den Autor eben nicht als Empfehlung gelten kann. Aber bei der Frage, welche Rolle nun genau die Verwendung Swedenborgs dabei spielt, wenn Kant die Schulmetaphysik mit Verve verspottet, um dann im letzten Teil der eher zusammengeschustert wirkenden Schrift Antworten auf deren Sündenfälle anklingen zu lassen, die erst die "Kritiken" entfalten werden - bei dieser Frage herrscht beständige Uneinigkeit. Dass die Lektüre Swedenborgs bloß akzidentell gewesen sei, markiert dabei die eine Extremposition, während die ihr entgegengesetzte in der Beschäftigung mit dem Theosophen wesentliche Antriebe für Motive der kritischen Philosophie finden möchte - und dazwischen gibt es noch manche Variante.
Sich zwischen ihnen zurechtzufinden mag nur für die akademische Befassung von Bedeutung sein. Aber der Grund für diese Schwierigkeit verdient auch davon abgesehen Beachtung. Denn es ist nicht zuletzt der ungewohnt ironisch-spottende Ton, den Kant hier anschlägt, der die Divergenzen der Lesarten befördert. Man bewundert den literarischen Schliff und weiß dabei oft nicht so recht, wie es der von den Herausgebern zitierte Ernst Cassirer einmal formulierte, "was war hier das wahre Gesicht des Autors, was die Maske, die er vorgenommen hatte?". Dort, wo er geradezu bebt vor Hohn über die Ambitionen der Schulmetaphysik, meint man diese Frage aber doch beantworten zu können.
In den ausführlichen Erläuterungen der neuen Edition werden die Stellen aus den "Arcana" übersetzt, auf die Kant Bezug nimmt, hinzu kommt ein stattlicher Anhang mit relevanten Äußerungen Kants in Briefen und Werken sowie ausgewählten Äußerungen von Zeitgenossen zu den "Träumen". Der Preis für die "acht Quartbände", rechnen die kein Detail übersehenden Herausgeber übrigens vor, lag bei deutlich über einem Monatsgehalt, wie es Kant erst vier Jahre später als frisch ernannter Professor beziehen sollte. Bücher haben eben Folgen in mehr als einem Sinn. HELMUT MAYER
Immanuel Kant: "Träume eines Geistersehers, erläutert durch die Träume der Metaphysik".
Hrsg. mit Einleitung und Erläuterungen von Lothar Kreimendahl und Michael Oberhausen. Felix Meiner Verlag, Hamburg 2022. 287 S., geb., 89,- Euro.
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