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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Jugendliche aus Guatemala auf dem Weg in die USA
Das Glück liegt etwa 2200 Kilometer entfernt. Das meinen zumindest viele Tausende in Guatemala, Honduras, Nicaragua oder El Salvador. Etwa 300 000 Menschen aus den Armenvierteln Mittelamerikas überwinden auf abenteuerlichen Wegen Jahr für Jahr die Südgrenze Mexikos, durchqueren dieses riesige Land, um endlich ihr elendes Dasein abzuschütteln und im vermeintlichen Paradies, den Vereinigten Staaten, ein neues Leben zu beginnen. Doch nur die wenigsten schaffen die weite und brandgefährliche Reise. Die meisten werden von Polizisten und Soldaten eingefangen und zurückgeschickt. Das ist noch die menschlichere Variante. Viele andere werden von Banden ausgeraubt, verprügelt, erpresst oder gar gefoltert und ermordet.
Der Jugendbuchautor und promovierte Historiker Dirk Reinhardt, bekannt geworden vor allem durch seinen Roman über die NS-Widerstandsgruppe Edelweißpiraten , hat sich an ein schwieriges, hochaktuelles Thema gewagt. Doch die Wahrnehmung darüber in Deutschland ist sehr begrenzt. Hier wird zwar hitzig über Migranten aus dem Nahen Osten und dem Balkan diskutiert, die unglaublichen, von Korruption und Verbrechen geprägten Zustände in Mexiko mit seinen gewaltigen Flüchtlingsströmen berühren hierzulande aber kaum jemanden.
Reinhardt, der vor Ort recherchiert hat, schätzt, dass pro Jahr allein 50 000 Jugendliche, meist auf Güterzügen, versuchen, sich in die USA durchzuschlagen. Viele suchen ihre Väter oder Mütter, die schon Jahre zuvor das Abenteuer auf sich genommen haben, und zu ihren Kindern bestenfalls noch Kontakt mit Geldschecks halten. Seine „Train Kids“, zwischen elf und 16 Jahre alt, haben also durchaus reale Vorbilder. Ihrem Mut, ihrem Zusammenhalt und ihrem eisernen Willen, das nahezu Unmögliche zu versuchen, ist dieser realitätsnahe Roman gewidmet.
Eigentlich geht es auf den gut 300 Seiten „nur“ um eine Eisenbahnfahrt vom guatemaltekischen Grenzfluss Rio Suchiate bis zum Rio Bravo, der in den USA Rio Grande heißt. Doch wie in einem spannenden Road Movie, in dem es ja auch oft um gefährliche Ziele geht, die in der Ferne liegen, ist die Lektüre von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd. Miguel, Fernando, Emilio, Angel und das Mädchen Jaz, als Junge verkleidet, müssen ständig kämpfen, gegen glühende Hitze, eiskalte Nächte und auf die Waggons peitschende Bäume. Sie erleiden schlimme Verletzungen, müssen den Polizeirazzien ausweichen und sich mit üblen Verbrechern und Mörderbanden wie den „Zetas“ herumschlagen. Sie erleben eigennützige wie auch menschenfreundliche Helfer, die entlang der Bahnstrecke einige Migranten-Herbergen unterhalten. Und nicht zuletzt kommen sich noch der Erzähler Miguel und Jaz etwas näher.
Doch ihre Wege trennen sich wieder, und nicht alle Jugendlichen halten bis zum Ende durch. Doch auch die werden es immer wieder versuchen, das zeigt die Erfahrung. Zu aussichtslos ist das Leben im verwahrlosten Vorhof der USA. Selten ist der etwas abgegriffene Spruch „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ so treffend wie für die tapferen „Train Kids“. (ab 13 Jahre)
RALF HUSEMANN
Dirk Reinhardt : Train Kids. Gerstenberg 2015. 320 Seiten, 14,95 Euro.
Foto: getty images
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