Kaffee, Baumwolle, Kautschuk: kaum eine Ware, die nicht quer über die Weltmeere verschifft wird. Treibende Kraft dabei sind nicht die Abnehmer, sondern Zwischenhändler. Lea Haller legt nun erstmals eine detaillierte Geschichte des Transithandels vor, der einen gewaltigen Teil der globalen Wirtschaft ausmacht. Am Beispiel der Schweiz, über die heute ein Fünftel des weltweiten Rohstoffhandels abgewickelt wird, zeigt Haller, wie sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts zentrale Techniken und Institutionen der Globalisierung herausbildeten: von Terminbörsen über internationale Schiedsgerichte bis hin zu Steuerprivilegien für multinationale Konzerne. Das Ergebnis ist nichts Geringeres als eine Geschichte der Entstehung des Weltmarktes.
Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, D, I ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensentin Katja Scherer lernt aus Lea Hallers Geschichte des Schweizer Transithandels, dass die Globalisierung kein Automatismus ist, sondern von international agierenden Geschäftsleuten vorangetrieben wird. Die Autorin zeigt ihr, wie Schweizer Kaufleute erst als Söldner, dann im Luxus- und Sklavenhandel ihr Kapital mehrten, um sich schließlich auf den Transithandel zu verlegen, bei dem Waren auf der ganzen Welt ein- und verkauft werden, ohne Schweizer Boden zu berühren. Das Buch ist nicht gerade einfach geschrieben, warnt die Rezensentin allerdings vor, großes Interesse und solides Vorwissen seien für die Lektüre durchaus förderlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2019Plündern ist kein Zukunftsmodell
Lea Haller zeigt am Beispiel der Schweiz die Entwicklung des globalen Handelssystems
Über ein Fünftel des weltweiten Rohstoffhandels wird heute laut Schätzungen über die Schweiz abgewickelt, bei Getreide, Zucker und Rohöl liegt der Anteil sogar um die vierzig, bei Kaffee und Gold über fünfzig Prozent. Die Alpenrepublik, in der 0,1 Prozent der Weltbevölkerung leben, erreicht nur ein Bruchteil dieser Waren. In der Regel bringen Hochseefrachter die Rohstoffe direkt zu den Endabnehmern, und die Verschiebungen gigantischer Geldsummen, die den Warenstrom begleiten, bleiben unsichtbar. Unbedeutend jedoch sind sie nicht: Mit 23 Milliarden Euro trägt der Transithandel mehr zur Wertschöpfung in der Schweiz bei als der für das Image so prägende Tourismus
Die Frage, wie es dazu kam, dass ein Binnenstaat, der nie Kolonien besaß und dessen wichtigster Hafen am Oberrhein liegt, zum Drehkreuz des globalen Handels wurde, motiviert Lea Hallers Buch "Transithandel". Autarkie, schreibt Haller, sei für ein kleines Land ohne bedeutende Rohstoffe, von dessen Territorium sich nur acht Prozent als Siedlungsfläche eigneten, nie eine Option gewesen. Früh importierten die Eidgenossen Getreide und Salz. Zu den Exportprodukten zählten neben Kühen und Käse vor allem Söldner, "der einzige Rohstoff, der in der armen Gegend im Überfluss vorhanden war".
Ein Panorama der Weltwirtschaft
Militärunternehmer organisierten die Vermittlung junger Bauernsöhne an fremde europäische Mächte. Oft sicherten sie sich dabei lukrative Gegengeschäfte, etwa günstigere Preisen für Importprodukte oder Zollfreiheit, und erlangten so Privilegien im Handel. Außerdem wurden Schweizer Kaufleute und Kantone in der frühen Neuzeit zu bedeutenden Kapitalgebern. 1648, nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, waren in Europa einzig die Eidgenossen noch in der Lage, Kredite zu vergeben. So etablierte sich die Schweiz früh als internationaler Finanzplatz.
Ein Stand erfahrener Kaufleute und die Verfügbarkeit großer Kapitalsummen waren wichtige Voraussetzungen für den Aufbau eines weltumspannenden Handelsimperiums in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Einen Impuls gab die 1857 gegründete Schweizerische Export-Gesellschaft, die junge Kaufleute ausbildete und ihnen Kapital zur Verfügung stellte, um sich im Ausland niederzulassen. Binnen weniger Jahre entstanden so Handelshäuser in aller Welt, vom brasilianischen Natal über Bagdad und Kalkutta bis Schanghai.
Da viele junge Männer kaum attraktive Berufsperspektiven hatten, waren sie bereit, sich langfristig im Ausland niederzulassen. Die dauerhafte Anwesenheit ermöglichte es ihnen, enge Kontakte zu lokalen Geschäftspartnern aufzubauen. Und auch die unverbrüchliche Neutralität der Eidgenossenschaft spielte eine Rolle. Zwar konnten Schweizer Händler, anders als etwa britische oder deutsche Kaufleute, im Notfall nicht auf eine Militärmacht zählen. Dafür aber waren sie frei, mit allen Seiten Geschäfte zu machen, und etablierten sich gerade in Krisenzeiten als zuverlässige Mittler. Weil der Heimatmarkt in der Schweiz klein war, traten sie bald vor allem als Zwischenhändler auf - und wurden so im rasant wachsenden Welthandel des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts zu wichtigen Akteuren.
Haller schaut vor allem auf die Schweiz, doch da die Schweizer Kaufleute in einem Weltmarkt operierten, entwirft sie zugleich ein Panorama der Entwicklung der Weltwirtschaft über die vergangenen hundertfünfzig Jahre. Indem sie vorführt, wie sich technologische Neuerungen und politische Umbrüche auf die Geschäfte auswirkten, macht sie ein Stück weit verständlich, wie der globale Kapitalismus seine heutige Form annahm. Mit der Errichtung des weltweiten Telegrafennetzes in den 1860er Jahren etwa konnten Warenpreise aus aller Welt nahezu in Echtzeit abgerufen werden. Schon 1867 übermittelte der erste Ticker, mit 210 Anschlägen pro Minute, ununterbrochen die Börsenkurse in Handelskontore in aller Welt.
Die Preistransparenz bedingte eine Umstellung des Handels: Statt in Vorleistung zu gehen, bestellten Kunden ihre Waren zunehmend zum Tagespreis, bezahlten aber erst nach deren Eintreffen am Bestimmungsort. Die Kaufleute benötigten in der Folge nicht nur deutlich mehr Kapital, um die Waren vorzufinanzieren, sondern trugen auch das Transportrisiko. Zudem führte die Preistransparenz zu einem Boom der Termingeschäfte, bei denen ein Kauf zu einem festen Preis in der Zukunft vereinbart wird. Diese Geschäfte können Geschäftsleuten zur Absicherung dienen, sind aber bis heute auch bei Spekulanten beliebt.
Lea Haller hat ein überzeugendes Buch geschrieben. Da der Zwischenhandel in der Wirtschaftsgeschichte bisher kaum Beachtung gefunden hat, schließt sie eine Forschungslücke. Indem sie sich einem Thema, das die Darlegung komplexer Sachverhalte und allerhand Zahlen erfordert, auch durch die Geschichten einzelner Unternehmen und Geschäftsleute nähert, macht sie es einer breiteren Leserschaft zugänglich. Dass der globale Handel zu einem massiven Wohlstandsgewinn geführt hat, stellt die Autorin dabei nicht in Abrede. Dennoch schließt sie mit drastischen Worten: "Die Plünderung, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zu Reichtum geführt haben mag, ist in einer globalisierten Welt gegenseitiger Abhängigkeiten kein zukunftsträchtiges Wirtschaftsmodell."
Die Big Player auf den Rohstoffmärkten
Im Rückblick werden die umtriebigen Schweizer Kaufleute bei Haller zum Beispiel einer Elite, die sich über lange Zeit über Landesgrenzen hinweg zu organisieren wusste. Hallers Sorge ist, dass der ökonomische und der politische Raum zunehmend auseinanderfallen und einzelne Staaten der Macht globaler Unternehmen und mobiler Kapitalisten wenig entgegenzusetzen haben. "Heute sucht sich eine globalisierte Elite ihre Staatsangehörigkeit und die Verschiebebahnhöfe für ihr Kapital weitgehend frei aus, während die gesellschaftlichen Umverteilungsmechanismen noch immer an den Nationalstaat gebunden sind."
Ob sich, wie Haller schreibt, die Armut in Detroit heute von der Armut in Ouagadougou "kaum mehr" unterscheidet, steht zu bezweifeln. Doch gerade mit Blick auf den Rohstoffabbau trifft sie einen wunden Punkt: Die Konzentration der Macht in den Händen weniger Großunternehmen, die Anfälligkeit vieler Exportstaaten für Korruption und die massiven ökologischen Folgen lassen manche Geschäfte tatsächlich wie Plünderungen erscheinen. Striktere, überstaatliche Regulierungen sind hier unabdingbar.
FRIEDEMANN BIEBER
Lea Haller:
"Transithandel". Geld- und Warenströme im globalen Kapitalismus.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 511 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lea Haller zeigt am Beispiel der Schweiz die Entwicklung des globalen Handelssystems
Über ein Fünftel des weltweiten Rohstoffhandels wird heute laut Schätzungen über die Schweiz abgewickelt, bei Getreide, Zucker und Rohöl liegt der Anteil sogar um die vierzig, bei Kaffee und Gold über fünfzig Prozent. Die Alpenrepublik, in der 0,1 Prozent der Weltbevölkerung leben, erreicht nur ein Bruchteil dieser Waren. In der Regel bringen Hochseefrachter die Rohstoffe direkt zu den Endabnehmern, und die Verschiebungen gigantischer Geldsummen, die den Warenstrom begleiten, bleiben unsichtbar. Unbedeutend jedoch sind sie nicht: Mit 23 Milliarden Euro trägt der Transithandel mehr zur Wertschöpfung in der Schweiz bei als der für das Image so prägende Tourismus
Die Frage, wie es dazu kam, dass ein Binnenstaat, der nie Kolonien besaß und dessen wichtigster Hafen am Oberrhein liegt, zum Drehkreuz des globalen Handels wurde, motiviert Lea Hallers Buch "Transithandel". Autarkie, schreibt Haller, sei für ein kleines Land ohne bedeutende Rohstoffe, von dessen Territorium sich nur acht Prozent als Siedlungsfläche eigneten, nie eine Option gewesen. Früh importierten die Eidgenossen Getreide und Salz. Zu den Exportprodukten zählten neben Kühen und Käse vor allem Söldner, "der einzige Rohstoff, der in der armen Gegend im Überfluss vorhanden war".
Ein Panorama der Weltwirtschaft
Militärunternehmer organisierten die Vermittlung junger Bauernsöhne an fremde europäische Mächte. Oft sicherten sie sich dabei lukrative Gegengeschäfte, etwa günstigere Preisen für Importprodukte oder Zollfreiheit, und erlangten so Privilegien im Handel. Außerdem wurden Schweizer Kaufleute und Kantone in der frühen Neuzeit zu bedeutenden Kapitalgebern. 1648, nach Ende des Dreißigjährigen Krieges, waren in Europa einzig die Eidgenossen noch in der Lage, Kredite zu vergeben. So etablierte sich die Schweiz früh als internationaler Finanzplatz.
Ein Stand erfahrener Kaufleute und die Verfügbarkeit großer Kapitalsummen waren wichtige Voraussetzungen für den Aufbau eines weltumspannenden Handelsimperiums in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Einen Impuls gab die 1857 gegründete Schweizerische Export-Gesellschaft, die junge Kaufleute ausbildete und ihnen Kapital zur Verfügung stellte, um sich im Ausland niederzulassen. Binnen weniger Jahre entstanden so Handelshäuser in aller Welt, vom brasilianischen Natal über Bagdad und Kalkutta bis Schanghai.
Da viele junge Männer kaum attraktive Berufsperspektiven hatten, waren sie bereit, sich langfristig im Ausland niederzulassen. Die dauerhafte Anwesenheit ermöglichte es ihnen, enge Kontakte zu lokalen Geschäftspartnern aufzubauen. Und auch die unverbrüchliche Neutralität der Eidgenossenschaft spielte eine Rolle. Zwar konnten Schweizer Händler, anders als etwa britische oder deutsche Kaufleute, im Notfall nicht auf eine Militärmacht zählen. Dafür aber waren sie frei, mit allen Seiten Geschäfte zu machen, und etablierten sich gerade in Krisenzeiten als zuverlässige Mittler. Weil der Heimatmarkt in der Schweiz klein war, traten sie bald vor allem als Zwischenhändler auf - und wurden so im rasant wachsenden Welthandel des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts zu wichtigen Akteuren.
Haller schaut vor allem auf die Schweiz, doch da die Schweizer Kaufleute in einem Weltmarkt operierten, entwirft sie zugleich ein Panorama der Entwicklung der Weltwirtschaft über die vergangenen hundertfünfzig Jahre. Indem sie vorführt, wie sich technologische Neuerungen und politische Umbrüche auf die Geschäfte auswirkten, macht sie ein Stück weit verständlich, wie der globale Kapitalismus seine heutige Form annahm. Mit der Errichtung des weltweiten Telegrafennetzes in den 1860er Jahren etwa konnten Warenpreise aus aller Welt nahezu in Echtzeit abgerufen werden. Schon 1867 übermittelte der erste Ticker, mit 210 Anschlägen pro Minute, ununterbrochen die Börsenkurse in Handelskontore in aller Welt.
Die Preistransparenz bedingte eine Umstellung des Handels: Statt in Vorleistung zu gehen, bestellten Kunden ihre Waren zunehmend zum Tagespreis, bezahlten aber erst nach deren Eintreffen am Bestimmungsort. Die Kaufleute benötigten in der Folge nicht nur deutlich mehr Kapital, um die Waren vorzufinanzieren, sondern trugen auch das Transportrisiko. Zudem führte die Preistransparenz zu einem Boom der Termingeschäfte, bei denen ein Kauf zu einem festen Preis in der Zukunft vereinbart wird. Diese Geschäfte können Geschäftsleuten zur Absicherung dienen, sind aber bis heute auch bei Spekulanten beliebt.
Lea Haller hat ein überzeugendes Buch geschrieben. Da der Zwischenhandel in der Wirtschaftsgeschichte bisher kaum Beachtung gefunden hat, schließt sie eine Forschungslücke. Indem sie sich einem Thema, das die Darlegung komplexer Sachverhalte und allerhand Zahlen erfordert, auch durch die Geschichten einzelner Unternehmen und Geschäftsleute nähert, macht sie es einer breiteren Leserschaft zugänglich. Dass der globale Handel zu einem massiven Wohlstandsgewinn geführt hat, stellt die Autorin dabei nicht in Abrede. Dennoch schließt sie mit drastischen Worten: "Die Plünderung, die im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit zu Reichtum geführt haben mag, ist in einer globalisierten Welt gegenseitiger Abhängigkeiten kein zukunftsträchtiges Wirtschaftsmodell."
Die Big Player auf den Rohstoffmärkten
Im Rückblick werden die umtriebigen Schweizer Kaufleute bei Haller zum Beispiel einer Elite, die sich über lange Zeit über Landesgrenzen hinweg zu organisieren wusste. Hallers Sorge ist, dass der ökonomische und der politische Raum zunehmend auseinanderfallen und einzelne Staaten der Macht globaler Unternehmen und mobiler Kapitalisten wenig entgegenzusetzen haben. "Heute sucht sich eine globalisierte Elite ihre Staatsangehörigkeit und die Verschiebebahnhöfe für ihr Kapital weitgehend frei aus, während die gesellschaftlichen Umverteilungsmechanismen noch immer an den Nationalstaat gebunden sind."
Ob sich, wie Haller schreibt, die Armut in Detroit heute von der Armut in Ouagadougou "kaum mehr" unterscheidet, steht zu bezweifeln. Doch gerade mit Blick auf den Rohstoffabbau trifft sie einen wunden Punkt: Die Konzentration der Macht in den Händen weniger Großunternehmen, die Anfälligkeit vieler Exportstaaten für Korruption und die massiven ökologischen Folgen lassen manche Geschäfte tatsächlich wie Plünderungen erscheinen. Striktere, überstaatliche Regulierungen sind hier unabdingbar.
FRIEDEMANN BIEBER
Lea Haller:
"Transithandel". Geld- und Warenströme im globalen Kapitalismus.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 511 S., br., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Detailliert zeichnet [Haller] nach, wie die Schweiz seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem 'Globlal Hub' wurde ... Sie beleuchtet darüber hinaus auch die Veränderungen des Welthandels im Zuge technologischer Entwicklungen und politischer Krisen. Und sie erzählt die Geschichte einer kapitalistischen Wirtschaft, in der Verkäufer und Käufer nicht auf wundersame Weise im wertfreien Raum eines sich selbstregulierenden Marktes zueinanderfinden, sondern erst durch Vermittlung überhaupt erst in Erscheinung treten.« Thomas Speckmann Der Tagesspiegel 20190807