Eine junge Frau ist gestorben. Ihre Kinder, zwei kleine Jungen, und ihr Mann sind noch betäubt vom Schock, haben haufenweise Beileidsbekundungen und Lasagne zum Aufwärmen entgegengenommen, die notwendigen Dinge organisiert, und nun setzt die unerträgliche Leere ein. Da klingelt es an der Tür. Totenschwarz und gefiedert bricht es herein, packt den Vater und verkündet: "Ich gehe erst wieder, wenn du mich nicht mehr brauchst." Die überlebensgroße Krähe nistet sich rücksichtslos in der Familie ein, meldet sich mit drastischem Witz zu Wort und wird dabei zu einer Art subversivem Therapeuten, eine herrlich anarchische Mary Poppins. Max Porter ist ein bildmächtiges, wildes Buch über die Trauer gelungen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2015Heilsame
Hackfresse
Max Porter entdeckt
den Galgenvogelhumor
der Krähe
VON JUTTA PERSON
Es ist, als ob sein Schwarz alle anderen Schwärzen auffressen könnte: Wie ein Trauerstaubsauger geht der angebliche Unglücksvogel vor, der ungefragt ins Haus eindringt. Ein Mann hat seine Frau verloren und steht allein mit zwei kleinen Söhnen da, viel mehr erfährt man nicht über den tödlichen Unfall in Max Porters Verlustprotokoll „Trauer ist das Ding mit Federn“. Porter, geboren 1981, arbeitet seit drei Jahren beim Londoner Magazin Granta; sein literarisches Debüt besteht aus nur 125 Seiten, die sich auf drei Rollen verteilen: „Dad“, „Jungs“ (beide als eine Stimme) und „Krähe“ – eben jenes bizarre, lautmalerisch um sich hackende Wesen, das den Mann zu Boden wirft und ihm klarmacht: „Ich gehe erst wieder, wenn du mich nicht mehr brauchst.“
Krähe ist keine Sie, sondern ein Er, und wäre er ein Mensch, müsste man wohl sagen: ein krakeeliger, sarkastischer Typ, der seine Proll-Rolle mit Verve und Liebe zum verrülpsten Detail ausfüllt. „Flusen, Flack, Gack-Pack-Sack, die ganze Bude ein Trauerfall, jeder Zentimeter tote Mum, jeder Buntstift, Trecker, Mantel, Gummistiefel mit Trauerstaub bedeckt“, hält er fest. Mit Galgenvogelhumor macht der Kräh sich daran, Vater und Söhne vor den Dämonen zu beschützen; sich selbst nennt er „Scherz, Symptom, Erfindung, Schrecken, Krücke, Spielzeug, Phantom, Gag, Analytiker, Babysitter“. Der Trauer begegnet er nicht einfühlend, sondern austreibend (was nicht heißt, dass ihr kein Platz gelassen würde, denn vorhanden ist sie sowieso), und deshalb unterscheidet sich dieses Protokoll markant von herkömmlichen Trauertexten. Hier schleudert jemand Silben wie schwarze Farbbeutel gegen etwas Dunkles, das dadurch aus der Deckung gezwungen wird. Das ist auch ein Verdienst der Übersetzer Uda Strätling und Matthias Göritz, die dem Kräh einen kollernden Expressionismus andichten – von „klacke-di-klack“ bis zu „hopp/guck/hopp/stopp“.
Max Porter setzt seinen Trauer-Koller aus Alltagsszenen, aber auch aus Mythen- und Fabel-Versatzstücken zusammen; archaische Vater-Mutter-Kind-Muster, die immer neu verhandeln, wie jemand durchgestrichen oder ersetzt wird (meistens die Mutter). Gleichzeitig ist sein Text auch eine Hommage an einen anderen Krähendichter, den Lyriker Ted Hughes – den man aber nicht kennen muss, um sich von Porters Stimmen einnehmen zu lassen. Der Vater der beiden Jungen, so viel wird nämlich doch erklärt, arbeitet an einem Buch über Ted Hughes: „Crow“ hieß dessen Lyrikband von 1970, wilde Naturgedichte und Huldigungen an einen Müllvogel, der gleich auch noch der englischen Lyriktradition den Garaus machen sollte. Dass Ted Hughes mit der Dichterin und Romanautorin Sylvia Plath verheiratet war, die sich 1963 das Leben nahm, spielte nicht nur für den „Crow“-Band eine Rolle; die Plath-Gemeinde las die Gedichte von Ted Hughes insgesamt als martialische Naturkraftprotzereien, die literarisch bestätigten, was im Leben passiert war: die weibliche Schaffenskraft war von männlichen Bedeutungsschwertransportern in den Graben gedrängt worden.
Der Vater in Max Porters Trauerbuch gibt sich als Hughes-Fan zu erkennen; aus einer Rezension seines Buches zitiert er: „Der rigorose Verzicht auf jede kritische Auseinandersetzung mit Hughes oder seinen Gedichten wird gewiss den Beifall der eingefleischten Fans finden.“ Aber ihn interessiert weniger die ewige Ted-versus-Sylvia-Frage als vielmehr die chaotische Kraft, die in der Krähe steckt. Der Müllschlucker sei ein „nicht totzukriegender Trickster“, lässt Porter seinen Dad sagen – ein Aas und Aasfresser, gleichzeitig Symptom und „Heilmaßnahme“.
Dass Tiere als Agenten der Trauerbewältigung gerade ein literarisches Hoch verzeichnen, zeigte sich zuletzt in Helen McDonalds Trauertagebuch „H wie Habicht“: Die Autorin zähmt einen Habicht, um den Tod des Vaters zu überwinden. Im Gegensatz zu ihrem Bericht geht es bei Max Porter weder um das Anderssein des Tieres noch um Naturbeobachtung: Seine Krähe ist ein Symbolwesen, ein von den Menschen mit Abscheu und Faszination überfrachteter „schwarzer Fleck“. Dass Porters schmales Buch ein literarischer Glücksfall ist, geht vor allem auf die Federnkappe seines randalierenden Komikers.
Max Porter: Trauer ist das Ding mit Federn. Aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2015. 125 Seiten, 16,90 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Tiere als Helfer bei der
Trauerarbeit haben gerade
einen Lauf in der Literatur
Die Komik geht
auf die Federnkappe des Unglücksvogels in der Proll-Rolle.
Foto: Ralf Hirschberger/dpa
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Max Porter entdeckt
den Galgenvogelhumor
der Krähe
VON JUTTA PERSON
Es ist, als ob sein Schwarz alle anderen Schwärzen auffressen könnte: Wie ein Trauerstaubsauger geht der angebliche Unglücksvogel vor, der ungefragt ins Haus eindringt. Ein Mann hat seine Frau verloren und steht allein mit zwei kleinen Söhnen da, viel mehr erfährt man nicht über den tödlichen Unfall in Max Porters Verlustprotokoll „Trauer ist das Ding mit Federn“. Porter, geboren 1981, arbeitet seit drei Jahren beim Londoner Magazin Granta; sein literarisches Debüt besteht aus nur 125 Seiten, die sich auf drei Rollen verteilen: „Dad“, „Jungs“ (beide als eine Stimme) und „Krähe“ – eben jenes bizarre, lautmalerisch um sich hackende Wesen, das den Mann zu Boden wirft und ihm klarmacht: „Ich gehe erst wieder, wenn du mich nicht mehr brauchst.“
Krähe ist keine Sie, sondern ein Er, und wäre er ein Mensch, müsste man wohl sagen: ein krakeeliger, sarkastischer Typ, der seine Proll-Rolle mit Verve und Liebe zum verrülpsten Detail ausfüllt. „Flusen, Flack, Gack-Pack-Sack, die ganze Bude ein Trauerfall, jeder Zentimeter tote Mum, jeder Buntstift, Trecker, Mantel, Gummistiefel mit Trauerstaub bedeckt“, hält er fest. Mit Galgenvogelhumor macht der Kräh sich daran, Vater und Söhne vor den Dämonen zu beschützen; sich selbst nennt er „Scherz, Symptom, Erfindung, Schrecken, Krücke, Spielzeug, Phantom, Gag, Analytiker, Babysitter“. Der Trauer begegnet er nicht einfühlend, sondern austreibend (was nicht heißt, dass ihr kein Platz gelassen würde, denn vorhanden ist sie sowieso), und deshalb unterscheidet sich dieses Protokoll markant von herkömmlichen Trauertexten. Hier schleudert jemand Silben wie schwarze Farbbeutel gegen etwas Dunkles, das dadurch aus der Deckung gezwungen wird. Das ist auch ein Verdienst der Übersetzer Uda Strätling und Matthias Göritz, die dem Kräh einen kollernden Expressionismus andichten – von „klacke-di-klack“ bis zu „hopp/guck/hopp/stopp“.
Max Porter setzt seinen Trauer-Koller aus Alltagsszenen, aber auch aus Mythen- und Fabel-Versatzstücken zusammen; archaische Vater-Mutter-Kind-Muster, die immer neu verhandeln, wie jemand durchgestrichen oder ersetzt wird (meistens die Mutter). Gleichzeitig ist sein Text auch eine Hommage an einen anderen Krähendichter, den Lyriker Ted Hughes – den man aber nicht kennen muss, um sich von Porters Stimmen einnehmen zu lassen. Der Vater der beiden Jungen, so viel wird nämlich doch erklärt, arbeitet an einem Buch über Ted Hughes: „Crow“ hieß dessen Lyrikband von 1970, wilde Naturgedichte und Huldigungen an einen Müllvogel, der gleich auch noch der englischen Lyriktradition den Garaus machen sollte. Dass Ted Hughes mit der Dichterin und Romanautorin Sylvia Plath verheiratet war, die sich 1963 das Leben nahm, spielte nicht nur für den „Crow“-Band eine Rolle; die Plath-Gemeinde las die Gedichte von Ted Hughes insgesamt als martialische Naturkraftprotzereien, die literarisch bestätigten, was im Leben passiert war: die weibliche Schaffenskraft war von männlichen Bedeutungsschwertransportern in den Graben gedrängt worden.
Der Vater in Max Porters Trauerbuch gibt sich als Hughes-Fan zu erkennen; aus einer Rezension seines Buches zitiert er: „Der rigorose Verzicht auf jede kritische Auseinandersetzung mit Hughes oder seinen Gedichten wird gewiss den Beifall der eingefleischten Fans finden.“ Aber ihn interessiert weniger die ewige Ted-versus-Sylvia-Frage als vielmehr die chaotische Kraft, die in der Krähe steckt. Der Müllschlucker sei ein „nicht totzukriegender Trickster“, lässt Porter seinen Dad sagen – ein Aas und Aasfresser, gleichzeitig Symptom und „Heilmaßnahme“.
Dass Tiere als Agenten der Trauerbewältigung gerade ein literarisches Hoch verzeichnen, zeigte sich zuletzt in Helen McDonalds Trauertagebuch „H wie Habicht“: Die Autorin zähmt einen Habicht, um den Tod des Vaters zu überwinden. Im Gegensatz zu ihrem Bericht geht es bei Max Porter weder um das Anderssein des Tieres noch um Naturbeobachtung: Seine Krähe ist ein Symbolwesen, ein von den Menschen mit Abscheu und Faszination überfrachteter „schwarzer Fleck“. Dass Porters schmales Buch ein literarischer Glücksfall ist, geht vor allem auf die Federnkappe seines randalierenden Komikers.
Max Porter: Trauer ist das Ding mit Federn. Aus dem Englischen von Uda Strätling und Matthias Göritz. Hanser Berlin Verlag, Berlin 2015. 125 Seiten, 16,90 Euro. E-Book 12,99 Euro.
Tiere als Helfer bei der
Trauerarbeit haben gerade
einen Lauf in der Literatur
Die Komik geht
auf die Federnkappe des Unglücksvogels in der Proll-Rolle.
Foto: Ralf Hirschberger/dpa
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Auch wenn Judith von Sternburg in Max Porters kleinem, merkwürdigem Buch keinen Ratgeber für Trauernde erkennen möchte, der Trauernde, meint sie, wird sich hier gut zurechtfinden. Allerdings muss er den "bisweilen erheblichen" Expressionismus goutieren, mit dem der Autor mal hoch, mal derb im Ton, von Witwern und Krähen erzählt, meint Sternburg. Und er muss die vielen literaturhistorischen Anspielungen wenn nicht verstehen so doch als etwas anderes denn als Bildungshuberei nehmen können. Dann, so Sternburg, lässt der Band ihn nicht mehr los.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein Roman, der mit herzzerreißender Genauigkeit erzählt, wie mit dem Verlust eines nahen Menschen gleichzeitig etwas Neues im Leben Einzug halten kann. Eine berührende Geschichte.« Andrea Bindmann, Rheinische Post, 24.10.2023 Andrea Bindmann Rheinische Post 20231024