Von jedem noch so kleinen Italienklischee sollte man sich vor der Lektüre dieses preisgekrönten Beziehungsromans tunlichst verabschieden. Zwar spielt die Geschichte in Mailand und Rimini, zwei italienischen Städten also, die seit langem ausgewiesene Touristenmagnete sind. Doch wer sich die
Leichtigkeit des von Federico Fellini auf die Kinoleinwand gebannten "La Dolce Vita" erhofft, der wird…mehrVon jedem noch so kleinen Italienklischee sollte man sich vor der Lektüre dieses preisgekrönten Beziehungsromans tunlichst verabschieden. Zwar spielt die Geschichte in Mailand und Rimini, zwei italienischen Städten also, die seit langem ausgewiesene Touristenmagnete sind. Doch wer sich die Leichtigkeit des von Federico Fellini auf die Kinoleinwand gebannten "La Dolce Vita" erhofft, der wird schnell ernüchtert.
Nein, süß ist an dieser Story nichts, von den Creme-Schnitten abgesehen, die die Schwiegermutter des Protagonisten regelmäßig verzehrt. Vielmehr hadert jede der Figuren auf ihre ganz persönliche Art mit dem Schicksal, jeder scheint auf seine Art unglücklich oder zumindest unzufrieden zu sein. Und so fühlte ich mich bei der Lektüre oftmals in einen Claude-Chabrol-Film versetzt. Wie Chabrol zeichnet auch Missiroli ein Bild der brüchigen Bourgeoisie seines Landes: Die männliche Hauptrolle spielt Carlo, ein von Selbstzweifeln zerfressener Sohn aus reichem Hause. Zwar fühlt er sich als Literat berufen, hat aber noch nie einen Roman geschrieben. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er mehr schlecht als recht als Werbetexter und Teilzeitdozent, wobei er die Stelle an der Universität durch Beziehungen seines übermächtigen Vaters bekommen hat. Nun also versucht Carlo sein angeschlagenes Selbstwertgefühl durch Sex mit einer Studentin aufzupimpen und gibt dabei eine recht armselige Figur ab. Auch für seine Ehefrau Margherita klaffen der erträumte Lebensentwurf (Architektin) und ihr reales Berufsleben (Immobilienmaklerin) weit auseinander. Unzufrieden flüchten sich beide in träumerische Sehnsüchte und projizieren ihr Verlangen auf Dritte. Die Untreue beginnt im Kopf - wird sie umgesetzt werden?
Dramaturgisch geht Missiroli sehr geschickt vor: Der Roman fließt dahin, ohne Einteilung in Kapitel, die diesen Fluss unterbrechen könnten. Das vielschichtige Beziehungsgeflecht der Figuren spiegelt sich literarisch in abrupten Szenewechseln wieder, die anfangs noch durch Absätze erkennbar sind. Je weiter sich die Lebensläufe ineinander verschlingen, je mehr die Personen umeinander mäandern, desto unkenntlicher trennt der Autor die Szenen von einander. Bald wechselt die Perspektive auch innerhalb eines Absatzes, zum Ende des Romans sogar innerhalb eines Satzes.
Der Roman hat es mir nicht leicht gemacht, anfangs mochte ich die Geschichte gar nicht. Zu kaputt erschienen mir die Figuren, fast schon gewollt unglücklich und verkorkst. Aber dennoch entwickelt das Buch eine Eigendynamik, einen starken Sog. Und ich wurde daran erinnert, dass es keine Sympathieträger für einen guten Roman braucht, sondern vor allem eine gut erzählte Story. Und das kann Missiroli.