Für alle, die sich fragen, wie eine internetgeschädigte Susan Sontag geschrieben hätte - Jia Tolentino ist die Stimme ihrer Generation. Sie setzt sich schonungslos mit den Konflikten, Widersprüchen und Veränderungen auseinander, die uns und unsere Zeit prägen. In ihrer rasanten Essaysammlung, die von Schärfe, Witz und Furchtlosigkeit getragen wird, geht sie den Kräften nach, die unseren Blick verzerren, und stellt dabei ihre unvergleichliche stilistische Brillanz und kritische Begabung unter Beweis. Ein unvergesslicher Trip durch die Selbsttäuschungen des Internetzeitalters und die Schwierigkeiten, sich in einer Kultur, die sich um das »Ich« dreht, klar zu sehen. Tolentino schreibt über den Albtraum des sozialen Internets, über den Betrug als Ethos der Millennials, über den bittersüßen Traum von der Selbstoptimierung. Ein intellektuell ungezügelter Ritt durch den Zeitgeist und schon jetzt ein Klassiker des bisher furchtbarsten Jahrzehnts. »Ein brillantes, herausforderndes Buch ... Es hat mir Hoffnung gegeben.« Zadie Smith »Klug, ehrlich, unterhaltsam - I love it.« Olivia Wenzel »>Trick Mirror< ist ein unglaublich elektrisierendes Buch, voll weitsichtiger Beobachtungen und brillanter Reflexionen. Jeder der darin versammelten Essays kommt der Gegenwart so nahe, dass man ihn immer wieder lesen möchte. Meine Verehrung für Jia Tolentino kennt eigentlich keine Grenzen.« Daniel Schreiber »Jia Tolentino ist die beste junge Essayistin der USA.« Rebecca Solnit »In ihren klugen Essays verknüpft Jia Tolentino einen zutiefst persönlichen Blick mit kulturkritischer Reflexion. Sie gehört zu den großen Essayistinnen unserer Gegenwart.« Berit Glanz »Die Susan Sontag der Millennials, eine brillante Stimme der Kulturkritik... Ihr Stil ist ein Traum.« The Washington Post »Ein ganz grandioses Buch - jedem zu empfehlen! Nach der Lektüre habe ich einmal mehr verstanden, was bei meinen Konzerten in mir vorgeht, und warum es passiert.« Igor Levit »Ich vergöttere Jia Tolentino, die zweifelsohne die schärfste, pointierteste lebende Kulturkritikerin ist. Jia ist ein echtes Genie, so verdammt witzig, dass es absurd ist, und mit der unübertroffenen Fähigkeit gesegnet, an den Störgeräuschen vorbei mitten ins Herz einer Sache zu navigieren.« Samantha Irby »Jia Tolentino lesen ist wie eine Unterhaltung mit einer sehr klugen Freundin. Erst lacht man, dann erkennt man sich in ihren Erzählungen wieder und am Ende weiß man, dass alles anders ist als es scheint.« Emilia von Senger »Sie schreibt mit einer unnachahmlichen Mischung aus Kraft, Poesie und vom Internet geschliffenem Humor. Sie ist die einzige Autorin, die ich kenne, die Meme-Speech in ihre Prosa einflechten kann, ohne das Gesicht zu verlieren.« New York Times »Jia Tolentinos großartige Essays sind persönliche Reisen in die albtraumhafte Kultur des sogenannten Westens.« Juan S. Guse »Es ist nicht hyperbolisch zu behaupten, dass die >New Yorker<-Journalistin Jia Tolentino die Joan Didion unserer Zeit sein könnte... Sie ist Expertin für den Sweet Spot, an dem sich zeitgenössische Politik und Jugendkultur treffen, um rumzumachen.« Vulture »Als eine der scharfsinnigsten Beobachterinnen unserer Zeit demaskiert Jia Tolentino in ihrer Essay-Sammlung nicht nur sich selbst, sondern eine ganze Gesellschaft. Dabei wechselt sie so dermaßen geschickt zwischen Persönlichem und Politischen, dass ihre Systemkritik zur reinsten Wonne wird.« Nike van Dinther »Jia Tolentino legt den Finger in die Wunde, welche das ursprüngliche Freiheitsversprechen des Internets aufgerissen hat. Sie spürt gekonnt der Frage nach, wie ein authentisches Selbst heutzutage eigentlich gelebt werden kann - oder ob es uns schon längst zwischen Selbstoptimierung und Klicks verloren ging.« Anne Wizorek
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2021Wenn die Arbeit am Körper zum Kunstprojekt wird
Die Erscheinung muss veredelt werden: Jia Tolentino erörtert in pointierten Essays, wie sich Millennials online und analog in Szene setzen.
Von Melanie Mühl
Ihren Instagram-Account staffiert die Autorin Jia Tolentino am liebsten mit vermeintlich intimen Einblicken in ihr Familienleben aus, wofür sie zuverlässig Tausende von Herzchen einheimst. Mal lichtet sie ihre wenige Monate alte Tochter in einem kuscheligen Teddy-Anzug ab, mal zeigt sie, wie der Vater den Familienzuwachs küsst. Selbstverständlich bekommt auch der Hund einen Platz im Selbstvermarktungskosmos der von der "Washington Post" als "Susan Sontag der Millennials" gefeierten Autorin, deren Essayband "Trick Mirror. Über das inszenierte Ich" es sofort nach Erscheinen auf die "New York Times"-Bestsellerliste schaffte. Was nach Schnappschüssen aussieht und Authentizität suggerieren soll, ist bis ins Detail kuratiert. Performance auf höchstem Niveau. Nur: Wie passt diese mediale Inszenierung, die bares Geld bringt, zu Jia Tolentinos nun auch hierzulande erschienenem Buch, in dem sie dem Internet geradezu monsterhafte Züge bescheinigt? Es handle sich um eine Erfindung, die in die Gehirne seiner Nutzer eindringt, sie neu verdrahtet und "in einen Zustand primitiver Überwahrnehmung und Ablenkung zurückversetzt". Ein toxisches Instrument, das die schlechtesten Seiten und Optimierungsbestrebungen in uns hervorbringt. "Nun bin ich dreißig, und ein Großteil meines Lebens lässt sich nicht mehr trennen vom Internet und seinem Wirrwarr unablässigen erzwungenen Verbundenseins - dieser fieberhaften elektronischen, unerträglichen Hölle."
Jia Tolentino, Jahrgang 1988, "verhökert" ihre Persönlichkeit trotzdem weiter im Netz, denn sie weiß, wie man aus diesem vermeintlichen Widerspruch Kapital schlägt: indem man ihn selbst und die eigene Verwirrung zum Thema macht. Die (Selbst-)Täuschung, der Trickspiegel, dessen zurückgeworfenes Bild stets etwas Schimärenhaftes hat, zieht sich leitmotivisch durch die Essaysammlung, in der es gleich zu Beginn leicht vernebelnd heißt: "Das Schreiben bringt mich entweder dazu, meine Selbsttäuschungen abzuschütteln oder sie weiterzuentwickeln."
Dass Jia Tolentino, Tochter streng religiöser philippinischer Einwanderer, mit sechzehn Jahren, einem Alter also, in dem andere mit Selbstzweifeln zu kämpfen haben, für eine Reality-TV-Show namens "Girls v. Boys" in Puerto Rico vor der Kamera stand - das Kapitel dazu heißt "Mein Reality-TV-Ich" -, scheint der logische Startschuss einer Karriere im Scheinwerferlicht sozialer Medien zu sein. "Der Anpassungsprozess meines äußeren Ichs verlief so instinktiv, so automatisch, dass ich ihn nicht mehr bewusst wahrnehmen konnte. Das Reality-Fernsehen machte mich frei von der Selbstwahrnehmung und band mich zugleich an sie, indem es die Selbstwahrnehmung untrennbar mit allem anderen vereinte", schreibt Tolentino, die inzwischen feste Autorin beim "New Yorker" ist. Diese Erfahrung bezeichnet sie als eine nützliche, wenn auch fragwürdige Vorbereitung auf ein Leben in den Fängen des Internets.
Ihre Essays über diese Fänge tragen Titel wie "Die Geschichte einer Generation in sieben Betrugsmaschen", "Pure Heldinnen", "Der Kult um die schwierige Frau" und "Ekstase", ein Text, in dem Tolentino aus ihrer Jugend in einer Megakirche im texanischen Houston erzählt und zu dem Schluss kommt, dass Religion und Ecstasy zwei Wege sind, die in die übermenschliche Welt des Rausches und der Vergebung führen. Die Kirche erschien ihr dabei nie viel tugendhafter als Drogen, und Drogen wiederum erschienen ihr nie viel sündhafter als die Kirche.
Der Arbeit am Selbst, die Frauen dazu treibt, sich in Fitnessstudios und beim ästhetischen Dermatologen oder plastischen Chirurgen zu optimieren, um den eigenen Marktwert in die Höhe zu treiben, unterwirft sich auch Tolentino. Gleichzeitig kritisiert sie den Instandhaltungswahnsinn, der viel Zeit und Geld verschlingt, jedoch niemals nach harter Arbeit aussehen darf - und distanziert sich intellektuell von ihm. Im Kapitel "Optimierung ohne Ende" konterkariert Tolentino ihre klugen Überlegungen durch die Diktion, schildert sie doch eine skurrile Yoga-Stunde, bei der ihrer Nachbarin ein "Muschifurz" nach dem nächsten entfährt.
Erst belustigt, dann angeekelt von derart wenig Selbstkontrolle schließt Tolentino fürs Erste das Kapitel Yoga und probiert Barre, ein vom Ballett inspiriertes Ganzkörper-Workout. "Barre ist ergebnisorientiert und auf gutes Aussehen fixiert - es ist so kultig wie CrossFit oder Bootcamp-Kurse, aber das wichtigste Ziel ist Schönheit, nicht Stärke." Ein über dieses schweißtreibende Workout im "Observer" erschienener Artikel trug die Überschrift: "Battle of the Butts". Barres Nähe zum Ballett nährt bei den Körperveredlerinnen die Illusion, dass ihrem Streben nach dem perfekten Body ein ernsthaftes, künstlerisches Ziel zugrunde liegt - womit wir laut Tolentino wieder bei der Selbsttäuschung wären und bereit, vierzig Dollar pro Trainingsstunde zu investieren.
Es ist erstaunlich, wie raffiniert Tolentino stets gerade genug von sich preisgibt, um die Leser auf ihre Seite zu ziehen, ohne dabei die Hosen runterzulassen. Kein Satz in diesem Buch muss ihr in fünf Jahren peinlich sein. Ihre kritische Selbstbefragung driftet nur einmal, nämlich in dem Kapitel "Ja, ich will (dich fürchten)" über die Hochzeits-Industrie in Rechtfertigung ab. Tolentino, seit langer Zeit mit ihrem Freund zusammen, war in den vergangenen neun Jahren auf sage und schreibe 46 Hochzeiten eingeladen. Sie selbst will nicht heiraten, bemerkt aber, dass sie Freunde und Bekannte immer häufiger nach dem Warum fragen. Antworten finden sie reichlich. "Ich frage mich, ob Frauen heute so bereitwillig die ungleiche Einschränkung ihrer Unabhängigkeit in Kauf nehmen würden, wenn ihr Ego nicht zuerst über die Maßen aufgeblasen würde." Als würde jede Frau bei der Hochzeit ihre Identität ablegen und in die Rolle der ambitionslosen Ehefrau schlüpfen. Ganz unrecht hat sie trotzdem nicht.
Jia Tolentinos Essays sind scharfsinnig, pointiert, mitunter amüsant, und manchmal schwirrt einem so sehr der Kopf, als hätte man eine Pille eingeworfen. Sie zerlegt das von (Selbst-)Betrug geprägte Social-Media-Zeitalter in all seine hässlichen Einzelheiten. Ihr Buch ähnelt ihrem Instagram-Account: Hier wie dort bewegt sie sich auf der sicheren Seite. Sie ist eine Trickschreiberin, die einen kunstvoll verführt - und man lässt es gern mit sich geschehen.
Jia Tolentino: "Trick Mirror".
Über das inszenierte Ich.
Aus dem Englischen von Margarita Ruppel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 368 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Erscheinung muss veredelt werden: Jia Tolentino erörtert in pointierten Essays, wie sich Millennials online und analog in Szene setzen.
Von Melanie Mühl
Ihren Instagram-Account staffiert die Autorin Jia Tolentino am liebsten mit vermeintlich intimen Einblicken in ihr Familienleben aus, wofür sie zuverlässig Tausende von Herzchen einheimst. Mal lichtet sie ihre wenige Monate alte Tochter in einem kuscheligen Teddy-Anzug ab, mal zeigt sie, wie der Vater den Familienzuwachs küsst. Selbstverständlich bekommt auch der Hund einen Platz im Selbstvermarktungskosmos der von der "Washington Post" als "Susan Sontag der Millennials" gefeierten Autorin, deren Essayband "Trick Mirror. Über das inszenierte Ich" es sofort nach Erscheinen auf die "New York Times"-Bestsellerliste schaffte. Was nach Schnappschüssen aussieht und Authentizität suggerieren soll, ist bis ins Detail kuratiert. Performance auf höchstem Niveau. Nur: Wie passt diese mediale Inszenierung, die bares Geld bringt, zu Jia Tolentinos nun auch hierzulande erschienenem Buch, in dem sie dem Internet geradezu monsterhafte Züge bescheinigt? Es handle sich um eine Erfindung, die in die Gehirne seiner Nutzer eindringt, sie neu verdrahtet und "in einen Zustand primitiver Überwahrnehmung und Ablenkung zurückversetzt". Ein toxisches Instrument, das die schlechtesten Seiten und Optimierungsbestrebungen in uns hervorbringt. "Nun bin ich dreißig, und ein Großteil meines Lebens lässt sich nicht mehr trennen vom Internet und seinem Wirrwarr unablässigen erzwungenen Verbundenseins - dieser fieberhaften elektronischen, unerträglichen Hölle."
Jia Tolentino, Jahrgang 1988, "verhökert" ihre Persönlichkeit trotzdem weiter im Netz, denn sie weiß, wie man aus diesem vermeintlichen Widerspruch Kapital schlägt: indem man ihn selbst und die eigene Verwirrung zum Thema macht. Die (Selbst-)Täuschung, der Trickspiegel, dessen zurückgeworfenes Bild stets etwas Schimärenhaftes hat, zieht sich leitmotivisch durch die Essaysammlung, in der es gleich zu Beginn leicht vernebelnd heißt: "Das Schreiben bringt mich entweder dazu, meine Selbsttäuschungen abzuschütteln oder sie weiterzuentwickeln."
Dass Jia Tolentino, Tochter streng religiöser philippinischer Einwanderer, mit sechzehn Jahren, einem Alter also, in dem andere mit Selbstzweifeln zu kämpfen haben, für eine Reality-TV-Show namens "Girls v. Boys" in Puerto Rico vor der Kamera stand - das Kapitel dazu heißt "Mein Reality-TV-Ich" -, scheint der logische Startschuss einer Karriere im Scheinwerferlicht sozialer Medien zu sein. "Der Anpassungsprozess meines äußeren Ichs verlief so instinktiv, so automatisch, dass ich ihn nicht mehr bewusst wahrnehmen konnte. Das Reality-Fernsehen machte mich frei von der Selbstwahrnehmung und band mich zugleich an sie, indem es die Selbstwahrnehmung untrennbar mit allem anderen vereinte", schreibt Tolentino, die inzwischen feste Autorin beim "New Yorker" ist. Diese Erfahrung bezeichnet sie als eine nützliche, wenn auch fragwürdige Vorbereitung auf ein Leben in den Fängen des Internets.
Ihre Essays über diese Fänge tragen Titel wie "Die Geschichte einer Generation in sieben Betrugsmaschen", "Pure Heldinnen", "Der Kult um die schwierige Frau" und "Ekstase", ein Text, in dem Tolentino aus ihrer Jugend in einer Megakirche im texanischen Houston erzählt und zu dem Schluss kommt, dass Religion und Ecstasy zwei Wege sind, die in die übermenschliche Welt des Rausches und der Vergebung führen. Die Kirche erschien ihr dabei nie viel tugendhafter als Drogen, und Drogen wiederum erschienen ihr nie viel sündhafter als die Kirche.
Der Arbeit am Selbst, die Frauen dazu treibt, sich in Fitnessstudios und beim ästhetischen Dermatologen oder plastischen Chirurgen zu optimieren, um den eigenen Marktwert in die Höhe zu treiben, unterwirft sich auch Tolentino. Gleichzeitig kritisiert sie den Instandhaltungswahnsinn, der viel Zeit und Geld verschlingt, jedoch niemals nach harter Arbeit aussehen darf - und distanziert sich intellektuell von ihm. Im Kapitel "Optimierung ohne Ende" konterkariert Tolentino ihre klugen Überlegungen durch die Diktion, schildert sie doch eine skurrile Yoga-Stunde, bei der ihrer Nachbarin ein "Muschifurz" nach dem nächsten entfährt.
Erst belustigt, dann angeekelt von derart wenig Selbstkontrolle schließt Tolentino fürs Erste das Kapitel Yoga und probiert Barre, ein vom Ballett inspiriertes Ganzkörper-Workout. "Barre ist ergebnisorientiert und auf gutes Aussehen fixiert - es ist so kultig wie CrossFit oder Bootcamp-Kurse, aber das wichtigste Ziel ist Schönheit, nicht Stärke." Ein über dieses schweißtreibende Workout im "Observer" erschienener Artikel trug die Überschrift: "Battle of the Butts". Barres Nähe zum Ballett nährt bei den Körperveredlerinnen die Illusion, dass ihrem Streben nach dem perfekten Body ein ernsthaftes, künstlerisches Ziel zugrunde liegt - womit wir laut Tolentino wieder bei der Selbsttäuschung wären und bereit, vierzig Dollar pro Trainingsstunde zu investieren.
Es ist erstaunlich, wie raffiniert Tolentino stets gerade genug von sich preisgibt, um die Leser auf ihre Seite zu ziehen, ohne dabei die Hosen runterzulassen. Kein Satz in diesem Buch muss ihr in fünf Jahren peinlich sein. Ihre kritische Selbstbefragung driftet nur einmal, nämlich in dem Kapitel "Ja, ich will (dich fürchten)" über die Hochzeits-Industrie in Rechtfertigung ab. Tolentino, seit langer Zeit mit ihrem Freund zusammen, war in den vergangenen neun Jahren auf sage und schreibe 46 Hochzeiten eingeladen. Sie selbst will nicht heiraten, bemerkt aber, dass sie Freunde und Bekannte immer häufiger nach dem Warum fragen. Antworten finden sie reichlich. "Ich frage mich, ob Frauen heute so bereitwillig die ungleiche Einschränkung ihrer Unabhängigkeit in Kauf nehmen würden, wenn ihr Ego nicht zuerst über die Maßen aufgeblasen würde." Als würde jede Frau bei der Hochzeit ihre Identität ablegen und in die Rolle der ambitionslosen Ehefrau schlüpfen. Ganz unrecht hat sie trotzdem nicht.
Jia Tolentinos Essays sind scharfsinnig, pointiert, mitunter amüsant, und manchmal schwirrt einem so sehr der Kopf, als hätte man eine Pille eingeworfen. Sie zerlegt das von (Selbst-)Betrug geprägte Social-Media-Zeitalter in all seine hässlichen Einzelheiten. Ihr Buch ähnelt ihrem Instagram-Account: Hier wie dort bewegt sie sich auf der sicheren Seite. Sie ist eine Trickschreiberin, die einen kunstvoll verführt - und man lässt es gern mit sich geschehen.
Jia Tolentino: "Trick Mirror".
Über das inszenierte Ich.
Aus dem Englischen von Margarita Ruppel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021. 368 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Brillant findet Rezensentin Vera Linß die Essays der "New-Yorker"-Autorin Jia Tolentino, die wir uns als typische Millenial vorstellen müssen, wie Linß meint, gebildet und technikaffin. Dass Tolentino die Welt ohne Internet nicht kennt, prädestiniert sie in den Augen der Rezensentin aber auch dafür, dessen Fallstricke zu erkunden. Absolut einleuchtend findet die Rezensentin, was Tolentino über die Kluft von Schein und Sein schreibt, die Irrwege des Feminismus oder die Verzerrungen des Ichs schreibt, das permanent angestachelt werde, sich selbst zu überschätzen, sich aufzublähen und maximal zu polariseren.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Tolentino ist eine originelle, lebenskluge Beobachterin unserer Gegenwart. David Hugendick Zeit online 20211205