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Außenklo, früher: Jochen Schmidts elegisches "Triumphgemüse"
Dem dreißigjährigen Jochen Schmidt eilt ein stürmischer Ruf voraus: Er sei ein "junger Wilder" aus dem "literarischen Underground Berlins". Doch sehr wild wirkt Schmidt eigentlich nicht, eher verschmitzt und freundlich, und entsprechend viel Sympathie schlägt ihm jetzt im Literaturbetrieb entgegen. So werden regelmäßig die skurrilen Titel seiner Erzählungen bestaunt, "Triumphgemüse" zum Beispiel. Darauf muß man erst mal kommen. Oder der Titel jener Geschichte, mit der Schmidt - wie zuvor Julia Franck oder die wirklich wilde Karen Duve - beim "Open mike" der Berliner Literaturwerkstatt einen Preis gewonnen hat: "Harnusch mäht, als wär's ein Tanz." Eine Vokalmelodie in A-Dur, zu singen, wenn in Friedrichshain die Nacht beginnt.
Dort, in den Friedrichshainer Nächten, trifft sich die "Chaussee der Enthusiasten", ein kleiner Literatenzirkel, dessen bekanntester "Aktivist" Schmidt ist. Im Keller einer Kneipe, wo Ulbricht-Porträts und FDJ-Wimpel mit viel Ironie an der Wand hängen, trägt man sich zum Bier das Geschriebene vor. Man fürchtet nichts mehr als kulturbeflissene Sterilität und weist es deshalb weit von sich, "Literatur" oder "Kunst" im Sinn zu haben. Diese Selbstdarstellung ist natürlich abwegig, denn kaum ein anderer Debütant der letzten Jahre hat so viel Literatur im Sinn wie Jochen Schmidt.
In "Triumphgemüse" bekennt er sich zu vielen Vorbildern und probiert mit Virtuosität fremde Tonfälle aus, ohne daß die eigene Stimme darüber verlorenginge. Einige Seiten klingen nach Kafka, andere nach Thomas Bernhard, dessen Stil hier ebenso gelungen in eine hellere Lage transponiert wird wie bei Hans-Ulrich Treichel. Immerzu Literatur im Sinn hat auch Schmidts schreibender Protagonist Jürgen Reip, dem in mehreren Erzählungen der Veröffentlichungswunsch stark zusetzt und der keine Gelegenheit ausläßt, ein paar gute Worte über Thomas Mann und Heiner Müller loszuwerden. Oder grimmig witzelnde über die - natürlich zu Unrecht - erfolgreiche Konkurrenz. Neben einem gewissen "Stoffel" mit seiner dürftigen Terrorprosa trifft das vor allem die Verfasserin von "Datsche, demnächst". Auch wenn die große Judith-Hermann-Verzauberung des Jahres 1998 nicht restlos durch literarische Qualität zu erklären ist - die Autorin hat immerhin scheinbar aus dem Nichts einen Stil gefunden, während Schmidt nach jahrelangen literarischen Exerzitien über das Stadium vielversprechender, artistischer Versuche nur selten hinauskommt.
"Triumphgemüse" hat etwas von einer umgestülpten Schreibtischschublade; man könnte auch von einer belletristischen Wundertüte reden, in die alles gesteckt wurde, bis sie voll war. Zum Besten gehören jene Oderbruch-Erzählungen, die mit Wehmut eine Landschaft des Stillstands beschwören und knorrige, aus der Zeit gefallene Charaktere beschreiben, wie den alten Herrn Tatziet, der die Welt nicht mehr versteht und einen grantelnden Monolog über miserablen Bohnenkaffee hält. Oder den Sensenbauer Harnusch mit seiner ganz besonderen Art zu mähen: "Der tanzte mit seinen kurzen Beinen über die Wiese, und jede Bewegung war so leicht und elegant, wie einstudiert, daß man sich hätte verlieben können in den Anblick." Sprachwitz und Elegie mischen sich glücklich in diesen Stücken, die zusammen mit zwölf Kurzprosa-Etüden über Berufe jedoch nur etwa ein Viertel des Buches ausmachen.
Die übrigen Erzählungen um den Jungschriftsteller Jürgen Reip spielen größtenteils im Berliner Osten. Als eigenständige Texte kann man sie kaum bezeichnen; es sind Studien oder allenfalls Kapitel eines nicht ausgeführten Romans. Das Profil der Hauptfigur erschließt sich aus einer Überschrift: "Die Nacht, als ich mal wieder nicht Hemingway war". Jürgen leidet an jähen Einbrüchen des Selbstwertgefühls, er ist noch ganz ohne Lebenstrophäen und für Frauen weitgehend unsichtbar, ein hochreflektierter Verlierertyp. In einer Geschichte geht er ins Theater und ärgert sich über das Publikum, jene "Jungen und Kreativen", die sich wie eine Plage im Berliner Osten eingenistet haben, in einer anderen bemüht er sich vergeblich, einer hübschen Kellnerin näherzukommen, in der letzten macht er eine Moskau-Reise.
Diese längste Erzählung des Buches, die zum Schluß in wahrhaft schaurige Dialoge mit einem bulgarischen Mädchen zerfällt, könnte auch "Auf der Suche nach dem verlorenen Osten" heißen, nicht nur wegen der eingestreuten Lenin-Anekdoten. Jürgen genießt es, in Moskau von schlechtgelaunten Verkäuferinnen bedient zu werden. Das sei erfrischend nach zehn Jahren der "käuflichen Freundlichkeit". Am Gagarin-Denkmal und der Stalingotik kann er sich "nicht sattsehen". Solche Stimmungen kennzeichnen das ganze Buch. Früher hätte man sich einen Defa-Film freiwillig nicht angeschaut, jetzt verpaßt man keinen im Regionalfernsehen. Oder man entdeckt auf dem Dachboden alte DDR-Zeitungen und "liest sich fest". Die Handwerker, denen man eines Morgens auf dem Weg zum Außenklo im Treppenhaus begegnet, werden wie Eindringlinge betrachtet. Bei der Renovierung wird zwar eine blendend weiße Fassade erzielt, aber der gute alte, wie die Menschen im Oderbruch knorrig gewachsene Hinterhofkirschbaum, dessen Laub im Sommer so herrlich in die Fenster wuchs, muß dran glauben, wird mit der Motorsäge abgewickelt. Das sind die seelischen Verluste der neuen Zeit. Die Figuren dieses Buches sind beherrscht von einer vagen Unzufriedenheit und Sehnsucht, die sich erst einmal auf die DDR-Vergangenheit richtet, nicht weil sie besser, sondern weil sie anders war und mit den Jugenderinnerungen verknüpft ist. Der weichzeichnende Grauschleier des Unwiederbringlichen liegt über ihr. Moskau scheint in diesem Buch immer noch näher als Westdeutschland. Die Ostalgie, die im Westen vielen auf die Nerven geht und deshalb im Osten erst recht gepflegt wird, kann literarisch so produktiv sein wie jede andere Sentimentalität. In "Triumphgemüse" ist sie zumindest ausgiebig dokumentiert.
WOLFGANG SCHNEIDER
Jochen Schmidt: "Triumphgemüse". Geschichten. Verlag C.H. Beck Verlag, München 2000. 248 S., geb., 34,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
„Triumphgemüse” – Jochen Schmidts literarische Kurzstücke virtuoser Unterforderung
„In unserem gewöhnlichen, unter den gewöhnlichen noch gewöhnlich zu nennenden Dorf, steht eine ungewöhnlich schöne Kirche. Wenn man an ihr vorübergeht, zieht sie in ihrer Gewöhnlichkeit die Blicke auf sich, die sie gar nicht gesucht haben, und es bestätigt sich immer wieder der Eindruck ihrer außergewöhnlichen Gewöhnlichkeit. ” So reitet der 30-jährige Jochen Schmidt seine Wortspiele zu Tode. Dass eine gewöhnliche Dorfkirche außergewöhnlich erscheint, ist als Bild so falsch wie aussagelos, erstens. Zweitens fällt dem Autor zu dieser Kirche nichts Erzählenswertes ein. Seine Sätze laufen originalitätssüchtig ins Leere – eine virtuose Unterforderung.
Dabei hat man durchaus das Gefühl: Jochen Schmidt kann etwas, oder zumindest, er könnte etwas. Viel versprechen die Titel dieser 21 kleinen Erzählungen, Kurzbetrachtungen, Stil-Experimente. „Harnusch mäht als wärs ein Tanz”, heißt eine Geschichte, „Herr Tatziet versteht die Welt nicht mehr, und niemand will ihn verstehen”, eine andere.
„Triumphgemüse” ist mit Recht die Titelgeschichte. Schmidt erzählt hier vergleichsweise konventionell und unaufwändig von einer Frau, die sich auf einem weltverlassenen Bauernhof mit ihrer Vergangenheit konfrontiert sieht.
Die längste Erzählung, fast eine Novelle, heißt „Chaussee Enthusiastow”. Jürgen, ein junger Mann, reist durch Russland, beobachtet Land und Leute und lernt eine schwarz gelockte Bulgarin kennen. Schmidt beschreibt die zaghaften Annäherungsversuche des Jungen. Was eine Liebesgeschichte werden könnte, bleibt jedoch verliebte Selbststilisierung, die ihr Gegenüber lediglich als Projektionsfläche für die eigenen Fantasien und Sehnsüchte verwendet. Eine alte Geschichte also, und doch ließe sich etwas daraus machen. Aber der Erzähler Schmidt findet nicht die richtige Einstellung zu seinen Figuren; er hält zu wenig und gleichzeitig zu viel Distanz zu ihnen. Was sich aus dem Geschehen selbst erzählt, und dabei Atmosphäre und Spannung erzeugen könnte, wird zerstört durch schlaumeierisches Kommentieren, und was ohnehin zwischen den Zeilen mitschwingt, wird vom Autor auserzählt.
VIOLA MILBERG
JOCHEN SCHMIDT: Triumphgemüse. Geschichten. C. H. Beck Verlag, München 2000. 248 Seiten, 34 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Außenklo, früher: Jochen Schmidts elegisches "Triumphgemüse"
Dem dreißigjährigen Jochen Schmidt eilt ein stürmischer Ruf voraus: Er sei ein "junger Wilder" aus dem "literarischen Underground Berlins". Doch sehr wild wirkt Schmidt eigentlich nicht, eher verschmitzt und freundlich, und entsprechend viel Sympathie schlägt ihm jetzt im Literaturbetrieb entgegen. So werden regelmäßig die skurrilen Titel seiner Erzählungen bestaunt, "Triumphgemüse" zum Beispiel. Darauf muß man erst mal kommen. Oder der Titel jener Geschichte, mit der Schmidt - wie zuvor Julia Franck oder die wirklich wilde Karen Duve - beim "Open mike" der Berliner Literaturwerkstatt einen Preis gewonnen hat: "Harnusch mäht, als wär's ein Tanz." Eine Vokalmelodie in A-Dur, zu singen, wenn in Friedrichshain die Nacht beginnt.
Dort, in den Friedrichshainer Nächten, trifft sich die "Chaussee der Enthusiasten", ein kleiner Literatenzirkel, dessen bekanntester "Aktivist" Schmidt ist. Im Keller einer Kneipe, wo Ulbricht-Porträts und FDJ-Wimpel mit viel Ironie an der Wand hängen, trägt man sich zum Bier das Geschriebene vor. Man fürchtet nichts mehr als kulturbeflissene Sterilität und weist es deshalb weit von sich, "Literatur" oder "Kunst" im Sinn zu haben. Diese Selbstdarstellung ist natürlich abwegig, denn kaum ein anderer Debütant der letzten Jahre hat so viel Literatur im Sinn wie Jochen Schmidt.
In "Triumphgemüse" bekennt er sich zu vielen Vorbildern und probiert mit Virtuosität fremde Tonfälle aus, ohne daß die eigene Stimme darüber verlorenginge. Einige Seiten klingen nach Kafka, andere nach Thomas Bernhard, dessen Stil hier ebenso gelungen in eine hellere Lage transponiert wird wie bei Hans-Ulrich Treichel. Immerzu Literatur im Sinn hat auch Schmidts schreibender Protagonist Jürgen Reip, dem in mehreren Erzählungen der Veröffentlichungswunsch stark zusetzt und der keine Gelegenheit ausläßt, ein paar gute Worte über Thomas Mann und Heiner Müller loszuwerden. Oder grimmig witzelnde über die - natürlich zu Unrecht - erfolgreiche Konkurrenz. Neben einem gewissen "Stoffel" mit seiner dürftigen Terrorprosa trifft das vor allem die Verfasserin von "Datsche, demnächst". Auch wenn die große Judith-Hermann-Verzauberung des Jahres 1998 nicht restlos durch literarische Qualität zu erklären ist - die Autorin hat immerhin scheinbar aus dem Nichts einen Stil gefunden, während Schmidt nach jahrelangen literarischen Exerzitien über das Stadium vielversprechender, artistischer Versuche nur selten hinauskommt.
"Triumphgemüse" hat etwas von einer umgestülpten Schreibtischschublade; man könnte auch von einer belletristischen Wundertüte reden, in die alles gesteckt wurde, bis sie voll war. Zum Besten gehören jene Oderbruch-Erzählungen, die mit Wehmut eine Landschaft des Stillstands beschwören und knorrige, aus der Zeit gefallene Charaktere beschreiben, wie den alten Herrn Tatziet, der die Welt nicht mehr versteht und einen grantelnden Monolog über miserablen Bohnenkaffee hält. Oder den Sensenbauer Harnusch mit seiner ganz besonderen Art zu mähen: "Der tanzte mit seinen kurzen Beinen über die Wiese, und jede Bewegung war so leicht und elegant, wie einstudiert, daß man sich hätte verlieben können in den Anblick." Sprachwitz und Elegie mischen sich glücklich in diesen Stücken, die zusammen mit zwölf Kurzprosa-Etüden über Berufe jedoch nur etwa ein Viertel des Buches ausmachen.
Die übrigen Erzählungen um den Jungschriftsteller Jürgen Reip spielen größtenteils im Berliner Osten. Als eigenständige Texte kann man sie kaum bezeichnen; es sind Studien oder allenfalls Kapitel eines nicht ausgeführten Romans. Das Profil der Hauptfigur erschließt sich aus einer Überschrift: "Die Nacht, als ich mal wieder nicht Hemingway war". Jürgen leidet an jähen Einbrüchen des Selbstwertgefühls, er ist noch ganz ohne Lebenstrophäen und für Frauen weitgehend unsichtbar, ein hochreflektierter Verlierertyp. In einer Geschichte geht er ins Theater und ärgert sich über das Publikum, jene "Jungen und Kreativen", die sich wie eine Plage im Berliner Osten eingenistet haben, in einer anderen bemüht er sich vergeblich, einer hübschen Kellnerin näherzukommen, in der letzten macht er eine Moskau-Reise.
Diese längste Erzählung des Buches, die zum Schluß in wahrhaft schaurige Dialoge mit einem bulgarischen Mädchen zerfällt, könnte auch "Auf der Suche nach dem verlorenen Osten" heißen, nicht nur wegen der eingestreuten Lenin-Anekdoten. Jürgen genießt es, in Moskau von schlechtgelaunten Verkäuferinnen bedient zu werden. Das sei erfrischend nach zehn Jahren der "käuflichen Freundlichkeit". Am Gagarin-Denkmal und der Stalingotik kann er sich "nicht sattsehen". Solche Stimmungen kennzeichnen das ganze Buch. Früher hätte man sich einen Defa-Film freiwillig nicht angeschaut, jetzt verpaßt man keinen im Regionalfernsehen. Oder man entdeckt auf dem Dachboden alte DDR-Zeitungen und "liest sich fest". Die Handwerker, denen man eines Morgens auf dem Weg zum Außenklo im Treppenhaus begegnet, werden wie Eindringlinge betrachtet. Bei der Renovierung wird zwar eine blendend weiße Fassade erzielt, aber der gute alte, wie die Menschen im Oderbruch knorrig gewachsene Hinterhofkirschbaum, dessen Laub im Sommer so herrlich in die Fenster wuchs, muß dran glauben, wird mit der Motorsäge abgewickelt. Das sind die seelischen Verluste der neuen Zeit. Die Figuren dieses Buches sind beherrscht von einer vagen Unzufriedenheit und Sehnsucht, die sich erst einmal auf die DDR-Vergangenheit richtet, nicht weil sie besser, sondern weil sie anders war und mit den Jugenderinnerungen verknüpft ist. Der weichzeichnende Grauschleier des Unwiederbringlichen liegt über ihr. Moskau scheint in diesem Buch immer noch näher als Westdeutschland. Die Ostalgie, die im Westen vielen auf die Nerven geht und deshalb im Osten erst recht gepflegt wird, kann literarisch so produktiv sein wie jede andere Sentimentalität. In "Triumphgemüse" ist sie zumindest ausgiebig dokumentiert.
WOLFGANG SCHNEIDER
Jochen Schmidt: "Triumphgemüse". Geschichten. Verlag C.H. Beck Verlag, München 2000. 248 S., geb., 34,- DM.
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