Revolutionary practitioner, theorist, factional chief, sparkling writer, 'ladies' man' (e.g., his affair with Frieda Kahlo), icon of the Revolution, anti-Jewish Jew, philosopher of everyday life, grand seigneur of his household, father and hunted victim, Trotsky lived a brilliant life in extraordinary times. Robert Service draws on hitherto unexamined archives and on his profound understanding of Russian history to draw a portrait of the man and his legacy, revealing that though his followers have represented Trotsky as a pure revolutionary soul and a powerful intellect unjustly hounded into exile by Stalin and his henchmen. The reality is very different, as this masterful and compelling biography reveals.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2012Der ewige Revolutionär
Robert Service beschreibt das Wirken des Agitators Trotzki
"Trotzki war der größte Allround-Aktivist des revolutionären Russland." An persönlicher, nicht politischer Sympathie für seinen Titelhelden lässt es Robert Service nicht fehlen. Und doch gehört dieser Tausendsassa, noch dazu einer der begabtesten Redner der revolutionären Garde, zu den großen Verlierern der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber er bildet doch gleichzeitig die Ausnahme von der Regel, wonach die Sieger die Geschichte bestimmen, sie oft auch schreiben. Lew Trotzki (eigentlich Bronstein) kommt zugute, dass er gegen Josef Stalin verlor. Und der hat bekanntlich seinen festen Platz unter den Großverbrechern des Jahrhunderts.
Der Sowjetkommunismus, dem Trotzki 1917 zur Macht verhalf, ist zwar untergegangen. Aber der bürokratische Charakter des Systems hat für Historiker den unschätzbaren Vorteil, dass die Bewegung reichlich Papier hinterlassen hat, von dem vieles zugänglich bleibt, auch wenn Putins Russland mit Archivalien längst nicht mehr so großzügig ist wie unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Falle Trotzkis kommt hinzu, dass er sein letztes Lebensjahrzehnt außerhalb der Sowjetunion verbringen musste. Und auch da blieb sich der ewige Revolutionär treu. Er versuchte, eine neue Internationale zu gründen. So etwas geht dann natürlich nicht ohne Protokolle und Ähnliches. Die Quellenlage ist insgesamt also nicht schlecht.
Die Faszination durch die Figur Trotzki ist auch mehr als 70 Jahre nach seinem gewaltsamen Ende im mexikanischen Exil ungebrochen. Das ist einmal sicher darauf zurückzuführen, dass er ein begnadeter Propagandist auch in eigener Sache war. Hinzu kommt ein Aspekt, den sein großer Gegner Stalin in die Welt gesetzt hat. Der erklärte im Zuge seines großen Terrors Trotzki zu einem geradezu übermenschlichen Wesen, das zahl- und beispiellose Verschwörungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ins Werk gesetzt habe. So trug Stalin ungewollt dazu bei, dass Lew Trotzki vielen Nachgeborenen als eine positive Figur erscheint. Bei Lichte besehen verliert vieles schnell an Romantik. Und Robert Service leuchtet genau die schmutzigen Ecken des Revolutionärs aus. Andererseits kann sich der nüchterne Historiker der Faszination dieses Mannes nicht ganz entziehen.
Eine der großen Qualitäten dieses Buches ist, dass der Autor der Versuchung widersteht, die Zeit vor 1917 quasi zu einem kurzen Vorwort der eigentlichen Geschichte zu degradieren. Das Leben Bronsteins/Trotzkis vor der Oktoberrevolution nimmt mehr als 200 Buchseiten ein. So erhält der Leser ein umfassendes Bild des Menschen Trotzki, der vom Politiker zwar kaum zu trennen ist, der aber mehr Facetten hat als dieser. In den ersten Kapiteln gerät das Buch ein wenig zu einer Geschichte des Judentums im Zarenreich. Anschaulich wird geschildert, welchen Beschränkungen diese Volksgruppe ausgesetzt war. Der Autor psychologisiert aber glücklicherweise nicht herum und erklärt etwaige unangenehme Charakterzüge des Titelhelden nicht mit traumatischen Erfahrungen eines benachteiligten Juden.
Ausführlich widmet er sich dem revolutionären Werdegang Trotzkis, der diesen erst im Laufe des Jahres 1917 an die Seite Lenins und in die bolschewistische Partei führte. Zwar hatte er sich schon Jahre zuvor von einigen Schriften des Revolutionsführers inspirieren lassen. Trotzki scheute sich aber nicht, zum Beispiel Lenins "Organisationsfetischismus" zu kritisieren. Allein diese Bemerkung zeigt die Distanz, die zwischen Trotzki und dem bestand, was nach 1917 in Russland und nach 1945 in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas praktiziert wurde. Denn Organisation, "die" Partei, das war doch der Kern aller Macht in den Ländern des dann so genannten real existierenden Sozialismus. Und Stalin war, wenn man so will, der erfolgreichste Bürokrat der jüngeren Weltgeschichte.
Trotzki, der Agitator, bewährte sich in der Revolution und im folgenden Bürgerkrieg - auch als Organisator des Militärs. Als es aber nach Lenins Tod darauf ankam, rächte sich Trotzkis Selbstgerechtigkeit, der nie sonderlichen Wert auf das Knüpfen von Allianzen gelegt hatte. Stalin verdrängte ihn zuerst von der Macht. Später ließ er ihn aus der Partei ausschließen, des Landes verweisen und schließlich umbringen.
Lenins Kommunistische Internationale, die dritte in der Zählung der internationalen Arbeiterbewegung, wurde formal 1943 aufgelöst. Trotzkis Vierte Internationale hingegen besteht auf ihre Weise immer noch. Zwar sind in ihr meist Gruppen zusammengeschlossen, die in ihren jeweiligen Ländern bestenfalls ein Randdasein fristen. Aber zum Beispiel in Frankreich sind die Gedanken des Revolutionärs immer noch relativ populär. So relativieren sich Sieg und Niederlage in der Weltgeschichte.
PETER STURM
Robert Service: Trotzki. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 730 S., 34,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Robert Service beschreibt das Wirken des Agitators Trotzki
"Trotzki war der größte Allround-Aktivist des revolutionären Russland." An persönlicher, nicht politischer Sympathie für seinen Titelhelden lässt es Robert Service nicht fehlen. Und doch gehört dieser Tausendsassa, noch dazu einer der begabtesten Redner der revolutionären Garde, zu den großen Verlierern der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Aber er bildet doch gleichzeitig die Ausnahme von der Regel, wonach die Sieger die Geschichte bestimmen, sie oft auch schreiben. Lew Trotzki (eigentlich Bronstein) kommt zugute, dass er gegen Josef Stalin verlor. Und der hat bekanntlich seinen festen Platz unter den Großverbrechern des Jahrhunderts.
Der Sowjetkommunismus, dem Trotzki 1917 zur Macht verhalf, ist zwar untergegangen. Aber der bürokratische Charakter des Systems hat für Historiker den unschätzbaren Vorteil, dass die Bewegung reichlich Papier hinterlassen hat, von dem vieles zugänglich bleibt, auch wenn Putins Russland mit Archivalien längst nicht mehr so großzügig ist wie unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Falle Trotzkis kommt hinzu, dass er sein letztes Lebensjahrzehnt außerhalb der Sowjetunion verbringen musste. Und auch da blieb sich der ewige Revolutionär treu. Er versuchte, eine neue Internationale zu gründen. So etwas geht dann natürlich nicht ohne Protokolle und Ähnliches. Die Quellenlage ist insgesamt also nicht schlecht.
Die Faszination durch die Figur Trotzki ist auch mehr als 70 Jahre nach seinem gewaltsamen Ende im mexikanischen Exil ungebrochen. Das ist einmal sicher darauf zurückzuführen, dass er ein begnadeter Propagandist auch in eigener Sache war. Hinzu kommt ein Aspekt, den sein großer Gegner Stalin in die Welt gesetzt hat. Der erklärte im Zuge seines großen Terrors Trotzki zu einem geradezu übermenschlichen Wesen, das zahl- und beispiellose Verschwörungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens ins Werk gesetzt habe. So trug Stalin ungewollt dazu bei, dass Lew Trotzki vielen Nachgeborenen als eine positive Figur erscheint. Bei Lichte besehen verliert vieles schnell an Romantik. Und Robert Service leuchtet genau die schmutzigen Ecken des Revolutionärs aus. Andererseits kann sich der nüchterne Historiker der Faszination dieses Mannes nicht ganz entziehen.
Eine der großen Qualitäten dieses Buches ist, dass der Autor der Versuchung widersteht, die Zeit vor 1917 quasi zu einem kurzen Vorwort der eigentlichen Geschichte zu degradieren. Das Leben Bronsteins/Trotzkis vor der Oktoberrevolution nimmt mehr als 200 Buchseiten ein. So erhält der Leser ein umfassendes Bild des Menschen Trotzki, der vom Politiker zwar kaum zu trennen ist, der aber mehr Facetten hat als dieser. In den ersten Kapiteln gerät das Buch ein wenig zu einer Geschichte des Judentums im Zarenreich. Anschaulich wird geschildert, welchen Beschränkungen diese Volksgruppe ausgesetzt war. Der Autor psychologisiert aber glücklicherweise nicht herum und erklärt etwaige unangenehme Charakterzüge des Titelhelden nicht mit traumatischen Erfahrungen eines benachteiligten Juden.
Ausführlich widmet er sich dem revolutionären Werdegang Trotzkis, der diesen erst im Laufe des Jahres 1917 an die Seite Lenins und in die bolschewistische Partei führte. Zwar hatte er sich schon Jahre zuvor von einigen Schriften des Revolutionsführers inspirieren lassen. Trotzki scheute sich aber nicht, zum Beispiel Lenins "Organisationsfetischismus" zu kritisieren. Allein diese Bemerkung zeigt die Distanz, die zwischen Trotzki und dem bestand, was nach 1917 in Russland und nach 1945 in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas praktiziert wurde. Denn Organisation, "die" Partei, das war doch der Kern aller Macht in den Ländern des dann so genannten real existierenden Sozialismus. Und Stalin war, wenn man so will, der erfolgreichste Bürokrat der jüngeren Weltgeschichte.
Trotzki, der Agitator, bewährte sich in der Revolution und im folgenden Bürgerkrieg - auch als Organisator des Militärs. Als es aber nach Lenins Tod darauf ankam, rächte sich Trotzkis Selbstgerechtigkeit, der nie sonderlichen Wert auf das Knüpfen von Allianzen gelegt hatte. Stalin verdrängte ihn zuerst von der Macht. Später ließ er ihn aus der Partei ausschließen, des Landes verweisen und schließlich umbringen.
Lenins Kommunistische Internationale, die dritte in der Zählung der internationalen Arbeiterbewegung, wurde formal 1943 aufgelöst. Trotzkis Vierte Internationale hingegen besteht auf ihre Weise immer noch. Zwar sind in ihr meist Gruppen zusammengeschlossen, die in ihren jeweiligen Ländern bestenfalls ein Randdasein fristen. Aber zum Beispiel in Frankreich sind die Gedanken des Revolutionärs immer noch relativ populär. So relativieren sich Sieg und Niederlage in der Weltgeschichte.
PETER STURM
Robert Service: Trotzki. Eine Biographie. Suhrkamp Verlag, Berlin 2012. 730 S., 34,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.07.2012Das Feindbild:
Leo Trotzki
Robert Service meint, Lenins Widersacher „erledigen“ zu
müssen. Das war nicht nötig und ist nicht gelungen
VON HERMANN THEISSEN
Im Winter 1923/24, als Lenin wegen seiner Krankheit außer Gefecht gesetzt war, initiierte Trotzki einen offenen Brief an das Politbüro und forderte darin die Demokratisierung der Partei und eine Beschneidung der ausufernden Bürokratie. Zwar wurden er und seine prominenten Mitunterzeichner deswegen von Stalin und seinen Leuten im Zentralkomitee gerügt, aber das hielt Trotzki nicht davon ab, seine Thesen zu verschärfen und in der programmatischen Kampfschrift „Der neue Kurs“ allgemein zugänglich zu machen.
Die Konfrontation, die nach Lenins Tod am 21. Januar 1924 unausweichlich wurde, war damit auch inhaltlich unterfüttert. Doch statt sich darauf zu konzentrieren, „über Stalin und Bucharin zu siegen“, sei Trotzki an die Schwarzmeerküste gereist, nur weil er eine Krankheit auskurieren und einen biographischen Text über Lenin schreiben wollte, schreibt Robert Service. Dass Trotzki so erschöpft war, dass er die Auseinandersetzung ohne die Auszeit gar nicht hätte führen können, lässt sein Biograph nicht gelten. Auch dass Trotzkis Lenin-Text präventiv gegen Stalins absehbaren Versuch gerichtet war, ihn als Antileninisten zu diskreditieren, ist dem Autor kaum der Erwähnung wert. Für Service beweist die Episode einmal mehr, dass Trotzki im Machtkampf mit Stalin lediglich daran gescheitert sei, dass es ihm „an dem entscheidenden Wunsch mangelte, Führer zu sein“.
Hätte Trotzki sich auf den Machtkampf konzentriert, wäre er nicht seinen Schreib- und anderen Obsessionen nachgegangen, hätte er Anhänger gebunden statt sie vor den Kopf zu stoßen, dann hätte er die Auseinandersetzung mit Stalin gewinnen können. Das ist für einen Historiker ziemlich viel Konjunktiv, aber Service braucht den für seine zentrale These, dass Trotzki sich ganz und gar „im Rahmen des kommunistischen Autoritarismus“ bewegt habe und deshalb die Annahme völlig absurd sei, „dass die UdSSR unter trotzkistischer Herrschaft nicht zu einer totalitären Despotie verkommen wäre“.
Diese Annahme hatte der jüdisch-polnisch-britische Autor Isaac Deutscher genährt, der in seiner zwischen 1954 und 1963 erschienenen dreibändigen Trotzki- Biographie erstmals für ein größeres Publikum Licht in die stalinistischen Fälschungen von Trotzkis Wirken und Denken gebracht hatte. Service räumt zwar ein, dass Deutscher Trotzkis „Fehler und Schwächen“ nicht verschwiegen habe, da dessen Biographie „aber im Ganzen positiv“ sei, ist damit seine Auseinandersetzung mit diesem gewichtigen Werk erledigt. Ganz ähnlich tut er den französischen Historiker Pierre Broué ab, der 1988 für seine vielbeachtete Studie über Trotzki erstmals den erst 1980 geöffneten größeren Teil des Trotzki Nachlasses an der Harvard Universität erschlossen hatte. Andere Arbeiten ignoriert Service völlig und kündigt stattdessen vollmundig an, sein Buch sei „die erste vollständige Biographie Trotzkis von einem nichttrotzkistischen Autor, der kein Trotzkist ist“.
Diese Ankündigung ist auch deshalb erstaunlich, weil Services flüchtige Auswertung der Quellen wissenschaftlichen Standards nicht standhält. Nachdem das Original seiner Biographie in Großbritannien und in den USA erschienen war, verfasste der amerikanische Historiker David North eine quellen- und ideologiekritische Auseinandersetzung mit Services Studie, deren deutsche Übersetzung unter dem Titel „Verteidigung Leo Trotzkis“ im Mehring Verlag erschienen ist. North ist glühender Trotzkist und Chefredakteur der „World Socialist Web Site“, aber er ist auch einer der besten Kenner von Trotzkis umfangreichem Nachlass. In seiner Streitschrift wies er Service viele faktische Fehler nach.
Auf diese Kritik bezogen sich 14 deutschsprachige Wissenschaftler und Publizisten (unter ihnen Hermann Weber der Nestor der deutschen Stalinismusforschung, der Soziologe Oskar Negt sowie der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Peter Steinbach) und rieten dem Suhrkamp Verlag dringlich, auf die angekündigte Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Services „Schmähschrift“ zu verzichten. Die Intervention der Wissenschaftler führte dazu, dass der Suhrkamp Verlag Services Biographie mit Verspätung und erst nach Korrektur der peinlichsten sachlichen Fehler auf den Markt brachte.
Im Hintergrund dieser Debatte entfachten David North und seine deutschen Gesinnungsgenossen eine abstruse verschwörungstheoretische Kampagne, in der sie Services Trotzki-Buch als „Präventivbiographie“ entlarvten, die kritische Geister gegen eine bevorstehende Trotzki-Renaissance immunisieren sollte. Wahrscheinlich sind es derartige Wirr- und Hitzköpfigkeiten, die Robert Service (laut dem Londoner Evening Standard ) veranlassten bei einer Präsentation seines Buches zu erklären: „Noch ist Leben in dem alten Kerl Trotzki – aber wenn der Eispickel nicht gereicht hat, ihn endgültig zu erledigen, habe ich das nun hoffentlich geschafft.“
Nach Lektüre der nun erschienenen deutschen Übersetzung muss man sagen: Nein, der Oxford-Historiker, der zugleich bei der Hoover Institution in Stanford, einer Denkfabrik der amerikanischen Konservativen, tätig ist, hat es nicht geschafft. Das liegt zum einen an der allzu durchsichtigen Absicht des eifernden Antitrotzkisten, der kein gutes Haar an Trotzki lässt.
In seiner Bereitschaft zu Terror und Gewalt, schreibt Service, habe Trotzki sich von den anderen Führern der Bolschewisten nicht unterschieden, er sei egozentrisch und arrogant gewesen, habe seine jüdische Herkunft heruntergespielt und auch nicht zugeben wollen, dass er aus einem vergleichsweise wohlhabenden Elternhaus gekommen sei. Er sei zwar ein brillanter Schreiber gewesen, seine Schriften hätten aber häufig auf Legendenbildung gezielt und seien der Wahrheitsfindung kaum dienlich. Seine erste Ehefrau habe er „schäbig" behandelt und seinen vier Kindern sei er kein guter Vater gewesen. Das ist alles sicherlich nicht ganz falsch, trägt aber recht wenig zur Beantwortung der Frage bei, ob sich die Sowjetunion mit Trotzki als Nachfolger Lenins anders entwickelt hätte als sie es unter Stalin getan hat. Hier wäre es unabdingbar, die Entwicklung von Trotzkis Denken und Handeln abzugleichen mit seinen historischen Erfahrungen und mit den sozioökonomischen Bedingungen, in denen es sich entwickelte. Das aber sind Zusammenhänge, die Service ignoriert. Ihn interessiert der Vordergrund, Hintergründe leuchtet er nicht aus. Auch das ist ihm vorzuhalten.
Vor allem seine Darstellung der Zeit vor der Oktoberrevolution verzichtet auf jegliche Analyse der ökonomischen und sozialen Bedingungen. Weil ihn nicht interessiert, wie sich das revolutionäre Klima im zaristischen Russland aufheizte, musste Service schon in seiner Lenin-Biographie (deutsch 2001) nach 600 Seiten anekdotenreicher Erzählung kapitulierend einräumen: „Lenin kam wie der Blitz aus heiterem Himmel.“ Mit gleichem Unverständnis stellt er fest, dass Trotzki, der sich in vorrevolutionärer Zeit gegen Lenins diktatorisches Parteiverständnis positioniert hatte, während der Revolution und im Bürgerkrieg seine Haltung den historischen Erfahrungen anpasste.
Weil er so zentrale Fragen wie die nach der Wirkung der Entgrenzung von Gewalt im 1. Weltkrieg, während der Revolution und im Bürgerkrieg gar nicht erst in den Blick nimmt, kann Service behaupten, Trotzkis Bekenntnisse zur Demokratie seien stets lediglich taktischer Natur gewesen. Wer so ahistorisch denkt und schreibt, kann zwar unbeschwert schreiben, mit Trotzki statt Stalin hätte die Geschichte der Sowjetunion keinen wesentlich anderen Verlauf genommen, aber Evidenz gewinnt eine derart von den historischen Bedingtheiten abgekoppelte Argumentation nicht. Es mag ja sein und vieles spricht sogar dafür, dass auch unter Trotzki die UdSSR „zu einer totalitären Despotie verkommen wäre“, aber die Analyse, die diese These plausibel macht, muss erst noch geschrieben werden.
Der Autor ist Redakteur für „Zeitgeschichte und Zeitkritik“ beim Deutschlandfunk.
Robert Service: Trotzki. Eine Biographie. Suhrkamp, Verlag, Berlin 2012. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. 730 Seiten, 34, 95 Euro.
Vierzehn deutsch-sprachige
Wissenschaftler rieten ab von der
Publikation dieser Biographie
Service behauptet, Trotzkis
Bekenntnisse zur Demokratie
seien nur taktisch gewesen
Wäre die russische Revolution unter Trotzkis Führung anders verlaufen? Hätte sie eine Form von Demokratie ermöglicht? Hätte der „Bolschewik“ auf diesem Bild von Boris Mikhailovich Koustodiev von 1920 anders ausgesehen, wenn Trotzki ihn geführt hätte?
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Leo Trotzki
Robert Service meint, Lenins Widersacher „erledigen“ zu
müssen. Das war nicht nötig und ist nicht gelungen
VON HERMANN THEISSEN
Im Winter 1923/24, als Lenin wegen seiner Krankheit außer Gefecht gesetzt war, initiierte Trotzki einen offenen Brief an das Politbüro und forderte darin die Demokratisierung der Partei und eine Beschneidung der ausufernden Bürokratie. Zwar wurden er und seine prominenten Mitunterzeichner deswegen von Stalin und seinen Leuten im Zentralkomitee gerügt, aber das hielt Trotzki nicht davon ab, seine Thesen zu verschärfen und in der programmatischen Kampfschrift „Der neue Kurs“ allgemein zugänglich zu machen.
Die Konfrontation, die nach Lenins Tod am 21. Januar 1924 unausweichlich wurde, war damit auch inhaltlich unterfüttert. Doch statt sich darauf zu konzentrieren, „über Stalin und Bucharin zu siegen“, sei Trotzki an die Schwarzmeerküste gereist, nur weil er eine Krankheit auskurieren und einen biographischen Text über Lenin schreiben wollte, schreibt Robert Service. Dass Trotzki so erschöpft war, dass er die Auseinandersetzung ohne die Auszeit gar nicht hätte führen können, lässt sein Biograph nicht gelten. Auch dass Trotzkis Lenin-Text präventiv gegen Stalins absehbaren Versuch gerichtet war, ihn als Antileninisten zu diskreditieren, ist dem Autor kaum der Erwähnung wert. Für Service beweist die Episode einmal mehr, dass Trotzki im Machtkampf mit Stalin lediglich daran gescheitert sei, dass es ihm „an dem entscheidenden Wunsch mangelte, Führer zu sein“.
Hätte Trotzki sich auf den Machtkampf konzentriert, wäre er nicht seinen Schreib- und anderen Obsessionen nachgegangen, hätte er Anhänger gebunden statt sie vor den Kopf zu stoßen, dann hätte er die Auseinandersetzung mit Stalin gewinnen können. Das ist für einen Historiker ziemlich viel Konjunktiv, aber Service braucht den für seine zentrale These, dass Trotzki sich ganz und gar „im Rahmen des kommunistischen Autoritarismus“ bewegt habe und deshalb die Annahme völlig absurd sei, „dass die UdSSR unter trotzkistischer Herrschaft nicht zu einer totalitären Despotie verkommen wäre“.
Diese Annahme hatte der jüdisch-polnisch-britische Autor Isaac Deutscher genährt, der in seiner zwischen 1954 und 1963 erschienenen dreibändigen Trotzki- Biographie erstmals für ein größeres Publikum Licht in die stalinistischen Fälschungen von Trotzkis Wirken und Denken gebracht hatte. Service räumt zwar ein, dass Deutscher Trotzkis „Fehler und Schwächen“ nicht verschwiegen habe, da dessen Biographie „aber im Ganzen positiv“ sei, ist damit seine Auseinandersetzung mit diesem gewichtigen Werk erledigt. Ganz ähnlich tut er den französischen Historiker Pierre Broué ab, der 1988 für seine vielbeachtete Studie über Trotzki erstmals den erst 1980 geöffneten größeren Teil des Trotzki Nachlasses an der Harvard Universität erschlossen hatte. Andere Arbeiten ignoriert Service völlig und kündigt stattdessen vollmundig an, sein Buch sei „die erste vollständige Biographie Trotzkis von einem nichttrotzkistischen Autor, der kein Trotzkist ist“.
Diese Ankündigung ist auch deshalb erstaunlich, weil Services flüchtige Auswertung der Quellen wissenschaftlichen Standards nicht standhält. Nachdem das Original seiner Biographie in Großbritannien und in den USA erschienen war, verfasste der amerikanische Historiker David North eine quellen- und ideologiekritische Auseinandersetzung mit Services Studie, deren deutsche Übersetzung unter dem Titel „Verteidigung Leo Trotzkis“ im Mehring Verlag erschienen ist. North ist glühender Trotzkist und Chefredakteur der „World Socialist Web Site“, aber er ist auch einer der besten Kenner von Trotzkis umfangreichem Nachlass. In seiner Streitschrift wies er Service viele faktische Fehler nach.
Auf diese Kritik bezogen sich 14 deutschsprachige Wissenschaftler und Publizisten (unter ihnen Hermann Weber der Nestor der deutschen Stalinismusforschung, der Soziologe Oskar Negt sowie der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Peter Steinbach) und rieten dem Suhrkamp Verlag dringlich, auf die angekündigte Veröffentlichung der deutschen Übersetzung von Services „Schmähschrift“ zu verzichten. Die Intervention der Wissenschaftler führte dazu, dass der Suhrkamp Verlag Services Biographie mit Verspätung und erst nach Korrektur der peinlichsten sachlichen Fehler auf den Markt brachte.
Im Hintergrund dieser Debatte entfachten David North und seine deutschen Gesinnungsgenossen eine abstruse verschwörungstheoretische Kampagne, in der sie Services Trotzki-Buch als „Präventivbiographie“ entlarvten, die kritische Geister gegen eine bevorstehende Trotzki-Renaissance immunisieren sollte. Wahrscheinlich sind es derartige Wirr- und Hitzköpfigkeiten, die Robert Service (laut dem Londoner Evening Standard ) veranlassten bei einer Präsentation seines Buches zu erklären: „Noch ist Leben in dem alten Kerl Trotzki – aber wenn der Eispickel nicht gereicht hat, ihn endgültig zu erledigen, habe ich das nun hoffentlich geschafft.“
Nach Lektüre der nun erschienenen deutschen Übersetzung muss man sagen: Nein, der Oxford-Historiker, der zugleich bei der Hoover Institution in Stanford, einer Denkfabrik der amerikanischen Konservativen, tätig ist, hat es nicht geschafft. Das liegt zum einen an der allzu durchsichtigen Absicht des eifernden Antitrotzkisten, der kein gutes Haar an Trotzki lässt.
In seiner Bereitschaft zu Terror und Gewalt, schreibt Service, habe Trotzki sich von den anderen Führern der Bolschewisten nicht unterschieden, er sei egozentrisch und arrogant gewesen, habe seine jüdische Herkunft heruntergespielt und auch nicht zugeben wollen, dass er aus einem vergleichsweise wohlhabenden Elternhaus gekommen sei. Er sei zwar ein brillanter Schreiber gewesen, seine Schriften hätten aber häufig auf Legendenbildung gezielt und seien der Wahrheitsfindung kaum dienlich. Seine erste Ehefrau habe er „schäbig" behandelt und seinen vier Kindern sei er kein guter Vater gewesen. Das ist alles sicherlich nicht ganz falsch, trägt aber recht wenig zur Beantwortung der Frage bei, ob sich die Sowjetunion mit Trotzki als Nachfolger Lenins anders entwickelt hätte als sie es unter Stalin getan hat. Hier wäre es unabdingbar, die Entwicklung von Trotzkis Denken und Handeln abzugleichen mit seinen historischen Erfahrungen und mit den sozioökonomischen Bedingungen, in denen es sich entwickelte. Das aber sind Zusammenhänge, die Service ignoriert. Ihn interessiert der Vordergrund, Hintergründe leuchtet er nicht aus. Auch das ist ihm vorzuhalten.
Vor allem seine Darstellung der Zeit vor der Oktoberrevolution verzichtet auf jegliche Analyse der ökonomischen und sozialen Bedingungen. Weil ihn nicht interessiert, wie sich das revolutionäre Klima im zaristischen Russland aufheizte, musste Service schon in seiner Lenin-Biographie (deutsch 2001) nach 600 Seiten anekdotenreicher Erzählung kapitulierend einräumen: „Lenin kam wie der Blitz aus heiterem Himmel.“ Mit gleichem Unverständnis stellt er fest, dass Trotzki, der sich in vorrevolutionärer Zeit gegen Lenins diktatorisches Parteiverständnis positioniert hatte, während der Revolution und im Bürgerkrieg seine Haltung den historischen Erfahrungen anpasste.
Weil er so zentrale Fragen wie die nach der Wirkung der Entgrenzung von Gewalt im 1. Weltkrieg, während der Revolution und im Bürgerkrieg gar nicht erst in den Blick nimmt, kann Service behaupten, Trotzkis Bekenntnisse zur Demokratie seien stets lediglich taktischer Natur gewesen. Wer so ahistorisch denkt und schreibt, kann zwar unbeschwert schreiben, mit Trotzki statt Stalin hätte die Geschichte der Sowjetunion keinen wesentlich anderen Verlauf genommen, aber Evidenz gewinnt eine derart von den historischen Bedingtheiten abgekoppelte Argumentation nicht. Es mag ja sein und vieles spricht sogar dafür, dass auch unter Trotzki die UdSSR „zu einer totalitären Despotie verkommen wäre“, aber die Analyse, die diese These plausibel macht, muss erst noch geschrieben werden.
Der Autor ist Redakteur für „Zeitgeschichte und Zeitkritik“ beim Deutschlandfunk.
Robert Service: Trotzki. Eine Biographie. Suhrkamp, Verlag, Berlin 2012. Aus dem Englischen von Friedrich Griese. 730 Seiten, 34, 95 Euro.
Vierzehn deutsch-sprachige
Wissenschaftler rieten ab von der
Publikation dieser Biographie
Service behauptet, Trotzkis
Bekenntnisse zur Demokratie
seien nur taktisch gewesen
Wäre die russische Revolution unter Trotzkis Führung anders verlaufen? Hätte sie eine Form von Demokratie ermöglicht? Hätte der „Bolschewik“ auf diesem Bild von Boris Mikhailovich Koustodiev von 1920 anders ausgesehen, wenn Trotzki ihn geführt hätte?
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