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Daniela Danz kriegt die Kurve nicht zwischen Poesie und Kitsch
Die Grenze zwischen poetischer Betrachtungsweise und gepflegter Langeweile ist manchmal so fließend, daß man ihr Überschreiten zu spät bemerkt. Dementsprechend gefährlich ist es, sich durch einen weitgehend handlungslosen Roman absichtlich direkt an diese Grenze zu manövrieren. Daniela Danz hat das mit "Türmer" getan, und eine Weile lang balanciert sie mit grazil gesetzten Worten auf der poetischen Seite entlang. In der ersten von zwei Geschichten erzählt sie aus der Sicht eines Jungen zu Beginn des Ersten Weltkrieges, dessen Vater als Türmer arbeitet.
"Sie werden leben wie die Vögel", sagt die Witwe des Vorgängers, als die Familie den Turm bezieht. Der Vater ist eigentlich Künstler und hadert mit der Entscheidung für diesen Beruf, Sohn Jan macht sich die ungewöhnliche Wohnung und den Dachstuhl der Kirche auf kindliche Art zu eigen. Durch eine Luke beobachtet er die Bewegungen der Stadt, zu der er nur noch selten hinabsteigt; er erschafft sich eine imaginäre Freundin und wird früh der Gehilfe des Vaters. Andererseits hat er so gar nichts Kindliches, liegt stundenlang im Staub und denkt über die Spuren nach, die darin hinterlassen wurden. Im Turm fühlt er sich ebenso eingesperrt wie die Erwachsenen: "Der Turm ist ein Käfig. Er ist in den Himmel gebaut und nimmt sich ein Stück Raum, ein Stück für mich, ein Stück, in dem meine Zeit vergeht."
Bereits das verrät, daß Daniela Danz gar nicht richtig versucht, die kindliche Perspektive einzunehmen. Weder dieser Sprachduktus noch diese Gedankengänge könnten von einem kleinen Jungen stammen, ebensowenig wie die Struktur der kurzen Kapitel, in denen jeweils ein Detail seiner Welt abgehandelt wird: "Zimmer", "Schwüle", "Schatten" heißen sie und beschäftigen sich mit nicht selten belanglosen Überlegungen. Geradezu verquast ist das Kapitel über die Johannisnacht. Die sei "die Waagschneide eines Jahres, deshalb kann die Liebe nicht gelingen, in der Mitte ist sie nicht möglich, dort ist man nur allein" - poetischer Klang ohne Aussage.
In der ersten Geschichte bricht der Krieg aus, und die Entscheidung für den Frontdienst wird mit der Entscheidung für ein Verstehenwollen der späteren kollektiven Volkserinnerungen gleichgesetzt. Damit rettet sich Daniela Danz über die Brücke der konkreten Geschehnisse aus dem Land der Langeweile. Die zweite Geschichte über einen Belgrad-Reisenden im Jahr 2000 fängt dann allerdings schon wieder im Handlungsvakuum an: Michael Thurner ist ohne Ziel und ohne Grund nach Jugoslawien geflogen und hat sich im Flugzeug die Lebensgeschichte seines Sitznachbarn ausgeliehen, falls ihn jemand fragen sollte. Er verliebt sich ein bißchen in die Besitzerin seiner Pension, aber auch doch wieder nicht. Er fährt mit einem Fremden nach Kroatien, um ein Bett zu transportieren, und macht sich so seine Gedanken über die verfeindeten Volksgruppen, lernt aber nichts dazu.
Die zwei Geschichten in einem Band laden naturgemäß zur Motivsuche ein. Die Väter beider Protagonisten sind eigentlich Maler, und der Türmer taucht auch in der Belgrad-Geschichte auf: Als Junge findet der Erzähler das "Türmerlied" aus "Faust II" im Schreibtisch des Vaters und wundert sich über die altertümliche Schreibweise von "Tuermer". Diese Episode nimmt drei Seiten der ohnehin kurzen Geschichte ein, doch immerhin kann man nicht behaupten, sie würde den Lauf der Handlung bremsen - die steht bereits nach wenigen Kapiteln stocksteif und still.
JULIA BÄHR
Daniela Danz: "Türmer". Roman. Wallstein Verlag, Göttingen 2006. 154 S., geb., 16,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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