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Peter Burke über Spiele der Renaissance
Der Mensch war immer schon ein homo ludens. Doch was für den britischen Kulturhistoriker Peter Burke gerade die italienische Renaissance für den natürlichen Spieltrieb so interessant macht, sind die Debatten, die damals über ihn ausgetragen wurden. Denn religiöse und weltliche Moralisten verurteilten nicht nur das Glücksspiel, sondern bisweilen auch Gesellschaftsspiele, sportliche Wettkämpfe und sogar Theateraufführungen und hohe Literatur, wie etwa Ariosts "Rasenden Roland". Während Moralisten sich um Sitte und Anstand sorgten durch zu viel Müßiggang, sexuelle und politische Anspielungen, befürworteten andere Leibesübungen und die "Entspannung des Geistes" durch Glücksspiele oder "ehrbares Scherzen". Freilich könnte man dem entgegenhalten, dass Spiel und Unterhaltung vermutlich in jeder Epoche und Kultur ähnlich kontrovers diskutiert wurden, doch ist es das Verdienst von Burke, dies für die italienische Renaissance in allen Facetten bündig darzustellen.
Burke bedient sich dabei einer von dem niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga abgeleiteten, stark inklusiven Auffassung von Spiel, die eben auch Unterhaltung durch Literatur wie den "Rasenden Roland", klassische Theaterstücke und Gemälde etwa von Tintoretto einschließt, weil sie die Grenzen zwischen Spiel und Kultur als durchlässig erachtet. Dadurch betreibt Burke zum einen die Aufwertung des Spiels und dessen kulturhistorischer Bedeutung, und zum anderen gelingt ihm ein bisweilen erfrischender Blick auf die spielerischen Aspekte von kanonischen Werken der Hochkultur. So bezeichnet Burke etwa Giulio Romanos Palazzo del Te in Mantua als "architektonischen Scherz", weil er mit optischen Tricks den Eindruck erzeugt, dass bestimmte Bauelemente gleich auf die Betrachter herabfallen würden. Auch die hyperrealistischen Fliegen, die immer wieder in Renaissancebildern auftauchen, unterhalten für Burke die Betrachter durch den Überraschungseffekt (meraviglia), der sich aus der plötzlichen Erkenntnis ihrer Fiktionalität ergibt.
Burke umschifft so die kunsthistorischen Diskurse, die sich etwa um die Fliege seit der Antike spinnen. Im Wettstreit der Künste war gerade in der Renaissance die täuschend echte Darstellung des Insekts ein Topos für die angebliche Überlegenheit der Malerei. Mit seiner Betonung des Spielerischen verschiebt Burke jedoch das Augenmerk auf die populäre, unterhaltsame Dimension des Trompe-l'OEil. Gleichzeitig verkehrt er den Ansatz der aus der kulturhistorischen Schule hervorgegangenen Popular Culture Studies. Denn während Letztere ja gerade die tiefere Bedeutung von Populärkultur ergründen wollen, de-intellektualisiert Burke sie gewissermaßen.
Gerade im Hinblick auf die Renaissance erstaunt Burkes Bestreben ein wenig, weil gerade die Humanisten das serio ludere, also das ernsthafte Spielen, priesen und damit die Vielschichtigkeit ihrer Aktivitäten hervorhoben. Die Kunst liegt demnach darin, komplexe und gewichtige Angelegenheiten mit sprezzatura, also in spielerischem und leichtem Gewand, zu präsentieren. In einer Fallstudie, leider seiner einzigen, verdeutlicht Burke genau das, nämlich die ernsthafte Dimension der Scherze im Sacro Bosco, dem manieristischen Garten bei Bomarzo in der Nähe von Viterbo. Die in der Anlage versteckten riesigen Skulpturen von Tieren, Monstern und Drachen besitzen sicherlich Unterhaltungswert. Gleichzeitig wirken sie jedoch bedrohlich. Zusammen mit den kryptischen, assoziationsreichen Inschriften, die immer wieder auf Verderblichkeit und die Vergeblichkeit allen Tuns verweisen, verleiten die Monster des Sacro Bosco also auch zu ernsthaftem Nachsinnen.
Während das serio ludere der Humanisten auf die moralische Rechtfertigung des Spielens zielte, bezeichnet das "deep play" des Kulturanthropologen Clifford Geertz dessen gesellschaftspolitische Dimension. Aufgrund der "temporären Gleichheit der Teilnehmer" (Burke) haben gerade Gesellschaftsspiele egalitäres Potential. So wurden etwa mit der Erfindung der Druckerpresse Kartenspiele äußerst populär. Weil viele von ihnen Glück mit Geschicklichkeit kombinieren, stand dabei bisweilen viel mehr auf dem Spiel als Gewinn oder Niederlage, nämlich die Gefahr von Gesichtsverlust und Hierarchiekonflikten. So gesehen verwundert es kaum, dass Obrigkeiten sich bemühten, dergleichen Vergnügungen zu reglementieren, denn wie das von Michael Bachtin beschriebene karnevaleske Treiben besitzen Spiele bisweilen subversive Kraft.
Obwohl Burke all diese Aspekte anspricht, vertieft er sie aufgrund des Überblickscharakters seines Buches nur selten. Das ist auch deshalb etwas enttäuschend, weil der deutsche Titel ja nicht nur Tumult und Spiel, sondern auch Theater, Calcio und Karneval verspricht, wobei erwähnt werden muss, dass das Buch im Original ehrlicherweise schlicht "Play in Renaissance Italy" heißt. BENJAMIN PAUL
Peter Burke: "Tumult und Spiele". Theater, Calcio und Karneval im Italien der Renaissance.
Aus dem Englischen von Matthias Wolf.
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2023. 160 S., Abb., br., 23,- Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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