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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Nona Fernández erzählt im Roman "Twilight Zone" von der diktatorischen Vergangenheit in Chile
Die jüngere Literatur Chiles hat sich wirkungsvoll mit dem Schicksal derjenigen Menschen auseinandergesetzt, die während der Zeit der Militärdiktatur (1973 bis 1990) gewaltsam verschwunden sind, die sogenannten desaparecidos. Literarisch besonders beeindruckend geschah das im Roman "Die Erfindung der Kindheit" (2012) des 1975 geborenen Autors Alejandro Zambra: Darin wird geschildert, wie die unheimlichen Vorkommnisse jener Jahre und ihre Durchdringung des Alltagslebens aus der Perspektive derer erlebt wurden, die damals Kinder waren. Das ist auch ein zentrales Motiv in Nona Fernández' "Twilight Zone", der im spanischen Original 2016 erschien: "Ich begriff nicht, und ich begreife immer noch nicht, was alles um mich herum geschah, als ich ein Kind war."
Fernández wurde 1971 geboren, und als Jugendliche entwickelte sie ein politisches Bewusstsein angesichts der repressiven Umstände der Diktatur Augusto Pinochets. Die jüngere Geschichte Chiles hat die Autorin immer wieder in Drehbüchern und literarischen Texten verarbeitet, etwa in dem Theaterstück "Mädchenschule" (2015), das auch in Deutschland aufgeführt wurde. Ihr neues Werk, "Twilight Zone", nähert sich der gewaltvollen Vergangenheit ihres Landes durch einen Roman, der autobiographische Erinnerung, essayistisch-spekulative Passagen und lyrische Elemente miteinander verbindet.
Gleich auf der ersten Seite wird ein historisches Datum genannt: Am 27. August 1984 entschied sich ein Angehöriger der chilenischen Streitkräfte, Andrés Valenzuela Morales, sein Gewissen zu erleichtern, und gegenüber der regierungskritischen Wochenzeitung "Cauce" bekannte er seine Mitschuld an Verschleppungen und Folterungen von Oppositionellen. Fernández' autofiktionaler Text wird aus der Perspektive einer Journalistin und Dokumentarfilmerin erzählt, die große Ähnlichkeit mit der Autorin hat.
Diese Erzählerin geht von ihren eigenen Erinnerungen an dieses Ereignis aus, als der Bericht ("Ich habe gefoltert") damals an ihrer Schule zirkulierte, von ihrer eigenen späteren Arbeit als Dokumentarfilmerin, von Archivdokumenten, von Besuchen in Chiles Museum des Erinnerns und der Menschenrechte, bei einer Gedenkveranstaltung und an Orten des Terrors, von ihrer familiären Gegenwart, und sie verwebt all dies mit einer imaginativen Projektion, wie das Leben dieses Mannes ausgesehen haben mag, der nach Frankreich ins Exil gegangen war und später in Chile vor Gericht aussagte.
Die erklärte Absicht der Erzählerin, sich imaginativ in die Situation des Täters hineinzuversetzen, "sich einen Schnauzbart anzumalen", an seine Person fiktiv das Wort zu richten, das ist einerseits ungewöhnlich und originell, andererseits führt es wiederholt zu etwas leerlaufenden ethischen Reflexionen auf der Metaebene: "Was hätte ich getan, wenn ich wie Sie mit achtzehn Jahren zum Wehrdienst angetreten wäre und mein Vorgesetzter mich auf eine Gruppe politischer Gefangener hätte aufpassen lassen? Hätte ich den Befehl befolgt?" Fernández benutzt die Möglichkeiten der literarischen Fiktion, um sowohl die Geschichte dieses realen Täters als auch die Schicksale realer Opfer in Erinnerung zu rufen. Meist werden die Geschehnisse aber nicht direkt repräsentiert, sondern sie erscheinen stets gebrochen durch persönliche Erinnerung, Recherche und mediale Vermittlung. Während der Siebzigerjahre verfolgte das jüngere Ich der Erzählerin fasziniert die amerikanische Mystery-Fernsehserie "Twilight Zone" am Schwarz-Weiß-Gerät.
Das wird zu einer starken Metapher für den Roman insgesamt: Das kindliche Erleben driftet ab in die sich in den einzelnen Folgen öffnenden Parallelwelten, aber "die unbekannte Dimension" (so der Originaltitel: "La dimensión desconocida") meint auch das, was sich im Land jenseits der kindlichen Wahrnehmung abspielt. Die größte Nähe zum reuigen Täter wird im dritten großen Abschnitt des Romans, "Geisterzone" überschrieben, hergestellt: Hier wird durchaus spannend erzählt, wie dem nunmehr als Verräter geltenden Andrés die Flucht außer Landes gelingt. Die Erzählerin, geprägt durch ihre frühen Lektüren von Gespenstergeschichten, imaginiert ihn von Geistern verfolgt; dabei bleibt er auf Distanz, immer wieder heißt es über ihn: "Der Mann, der gefoltert hat". Nur in eingeschobenen lyrischen Passagen spricht Andrés in der ersten Person: "Ich weiß, früher oder später werden sie kommen. / Egal, wo ich mich verstecke."
Die unheimliche Parallelität von Alltag und Gewalt wird am sinnfälligsten im letzten Abschnitt des Romans. Hier erinnert sich die Erzählerin an ihre Mitschülerin Estrella, die in der politisch aufgeheizten Zeit der Achtzigerjahre immer von einem Chauffeur ihres bei der Polizei arbeitenden Vaters mit einem roten Chevy vor den Schultoren abgeholt wurde, auf dessen Rücksitz aus blauem Kunstleder auch die Erzählerin bei Ausflügen Platz nahm. Durch einen Bericht im Fernsehen wird sie später erfahren, dass das Auto des Vaters bei Hinrichtungen militanter Kommunisten Verwendung fand.
Durch seinen hybriden, essayistischen, manchmal etwas redundanten Stil ist "Twilight Zone" weniger literarisch verdichtet als Zambras Werk, doch durch seine palimpsestartigen Zeitschichten bringt es das Nachwirken der gewaltvollen Vergangenheit über die Generationen hinweg, die tiefe Prägung aller Mitglieder der Gesellschaft, eindringlich zur Anschauung. Durch ihre virtuose Verbindung von historischer Realität und literarischer Imagination konfrontiert Nona Fernández die Leser nicht nur mit einem dunklen Kapitel der Geschichte Chiles, sie öffnet das Thema auch für generelle Fragen des Umgangs mit historischen und kollektiven Traumata. JOBST WELGE
Nona Fernández: "Twilight Zone". Roman.
Aus dem chilenischen Spanisch von Friederike von Criegern. Culturbooks, Hamburg 2024. 240 S., geb., 24,- Euro.
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