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Er war Tausendsassa und Impresario, ein Netzwerker mit großem literarischen Anspruch und sehr viel mehr als nur Franz Kafkas Eckermann: Das frühe Werk von Max Brod ist jetzt in neuen Ausgaben wiederzuentdecken.
Von Wolfgang Schneider
Der beste Freund und Förderer Franz Kafkas gewesen zu sein, der Nachlassretter des Genies, das bedeutet Anspruch auf literaturgeschichtliche Unsterblichkeit. Nur eben nicht für die eigenen Bücher. Max Brod, der 1939 im letzten Moment vor den Nazis aus Prag flüchtete und nach Palästina emigrierte, ist der Autor eines ebenso umfangreichen wie heutzutage kaum noch gelesenen Gesamtwerks, verfasst in deutscher Sprache. Allein in bisher publizierter Form umfasst es etwa achtzig Bände.
Nun liegt der Verdacht nahe, dass Kafkas engster Vertrauter im nächtlichen Reich des Schreibens einiges von literarischen Subtilitäten verstanden haben muss und selbst kein schlechter Schriftsteller gewesen sein kann. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass eine neue Edition seiner ausgewählten Werke Brod aus dem Riesenschatten Kafkas herausholt.
Den Auftakt macht der Roman "Arnold Beer - Das Schicksal eines Juden". Er beschreibt die jungen Jahre eines Mannes ohne Eigenschaften in Prag vor dem Ersten Weltkrieg. Dabei ist dieser Arnold Beer eigentlich wie Musils Ulrich ein Mann mit zu vielen Eigenschaften, ein hyperaktives Temperament und Alleskönner. Schon seine Mutter musste ihm als Kind immer zurufen: "Kleine Schritte, Arnold, kleine Schritte!" Er verfolgt künstlerische, wissenschaftliche, sportliche Interessen, schmiedet unermüdlich Projekte, absolviert die Liebe in Form von Affären. Aber alles sind bloß "fortreißende Strudeleien".
Reizvoll sind die Beschreibungen zeitgenössischer Passionen, etwa fünf wunderbare Seiten über Fußball, damals noch ein verrufener, als wüst, gefährlich und allzu proletarisch geltender Sport. Prags Bürgerjugend frönte ihm heimlich in den Abendstunden in den Parks; da wurde mit verbeulten Bällen gespielt, bis die "Sehnen brummten" oder der grimmige Parkwächter das labbrige Leder konfiszierte. Eine unerhörte Attraktion waren die Flugpioniere in ihren fliegenden Kisten, die manchmal auch bloß ungeschickte Sprünge machten oder ganz am Boden blieben. Arnold Beer organisiert eine Flugschau vor den Toren Prags; die große Flugschau in Brescia, zu der Brod und Kafka gemeinsam reisten, ist das Vorbild. Das Spektakel gerät zum Desaster, worauf Arnold fluchtartig Prag verlässt und seine kranke Großmutter in einem böhmischen Dorf besucht. Die alte Frau lebt in einfachsten Verhältnissen, sie spricht einen stark mit Jiddisch durchsetzten Dialekt; in ihren Äußerungen schimmert die uralte jüdische Tradition durch. Diese Begegnung wird für Arnold zum Erweckungserlebnis. Etwas zu plakativ wird das dandyhafte, ästhetizistische Lebensgefühl durch das Erlebnis jüdischer Verwurzelung überwunden.
Die Problematik des westlichen assimilierten und säkularisierten Judentums hat Brod stark beschäftigt. Die Prager Christen, die sich von ihrem Glauben entfernten, blieben immer noch Deutsche oder Tschechen, aber was waren die Juden? Brod beschäftigte sich mit Martin Buber, mit dem Ostjudentum, sympathisierte mit dem Zionismus, und die unruhige Suche schlägt sich in seinem Roman nieder. Die Hauptfigur hat viel von einem Selbstporträt; auch Brod war ein Tausendsassa und eine Impresario-Natur. Er hat nicht nur für Freund Franz getrommelt, sondern war überhaupt ein höchst umtriebiger Netzwerker, Anreger, Mentor und führte Briefwechsel mit vielen bedeutenden Autoren, Künstlern und Komponisten Europas, größtenteils leider noch unveröffentlicht wie jene sehnsüchtig erwarteten Tagebücher, in denen die frühen Jahre mit Kafka dokumentiert werden wie in wohl keiner anderen Quelle.
Die untergegangene Welt des Prager Judentums wird in Brods frühen Erzählwerken wieder lebendig, auch die zweisprachige deutsch-tschechische Kultur, die meist eine Kultur des Aneinandervorbeilebens war. Im Kurzroman "Ein tschechisches Dienstmädchen" verliebt sich ein junger Büroangestellter in ein tschechisches Mädchen, das ihm so schön wie fremd erscheint. Der leidenschaftlich lodernde Monolog Williams beschäftigt sich mit den eigenen Gefühlen und dem kapriziösen Verhalten der Geliebten. Er idealisiert die slawische Landbevölkerung, die ein mühevolles Auskommen in der Stadt sucht, aber erkennt nicht die Tragödie, die sich anbahnt: Seine reizende Pepitschka ist auf der Flucht vor ihrem Ehemann, einem brutalen Flößer.
Das hat etwas von einer fatalen Schnitzlerschen Liebelei. Brod steht dem Wiener Schriftsteller in der feinnervigen, kennerischen Darstellung von Frauenseelen kaum nach, wie insbesondere der psychologische Konversationsroman "Jüdinnen" beweist, den Brod als stärkstes seiner frühen Werke empfand. Im Badeort Teplitz lernen sich Hugo, ein siebzehnjähriger Realgymnasiast, und die neun Jahre ältere Irene kennen und beinahe lieben. Aber wie passt das zusammen - der junge Schnösel, der um seine Versetzung bangt und am Weltschmerz laboriert ("Hugo schien es, als öffne sich ein unterdrücktes Gähnen unter allen Worten"), und die Frau, die sich nach den damaligen Heiratskonventionen beeilen muss, dem Schicksal einer "alten Jungfer" zu entgehen?
Irene ist eine Frau zwischen Tradition und Moderne, Ehesehnsucht und Emanzipation. Der heikle Wartezustand einer jungen Frau, deren Schicksal davon abhängt, ob sie im Zeitfenster weniger Jahre den richtigen Lebensversorger findet, ist selten so leichthändig dargestellt worden wie in diesem Badeort-Roman, in dem vordergründig Promenadenspaziergänge, Kegelabende und Tennispartien geschildert werden, im Hintergrund aber hektische Eheanbahnungsbemühungen vor sich gehen.
Zwar haben die Texte nach einem Jahrhundert Patina angesetzt; trotzdem erscheint Brods Prosa erstaunlich vital und beschreibungsstark, mit scharf gezeichneten Typen und gelegentlichen expressionistischen Schlaglichtern. Es gibt Momente, in denen - etwa in der grotesken Figurendarstellung und den lustvoll ausformulierten Physiognomien - die Stilverwandtschaft mit dem jungen Kafka zu erkennen ist. Wenn es etwa über den Gang eines Mannes heißt: "Seinem breiten Korpus schob sich der Kopf nur ungern nach, so dass er manchmal in der Luft zurückzubleiben schien", so könnte dieser Satz auch in der "Beschreibung eines Kampfes" stehen.
Zwischen postexpressionistischem Liebespathos und neusachlicher Reisebeschreibung steht der Roman "Die Frau, nach der man sich sehnt", der 1929 mit Marlene Dietrich verfilmt wurde - ihr letzter Stummfilm und der erste, in dem sie die Rolle der femme fatale vollgültig ausfüllte. Auch wenn Brod hier sublime Beschreibungen von (mehr oder weniger) zarten Gefühlen und anmutigen Frauenreizen liefert, mit besonderer Bevorzugung der Achselhöhlen, ist der Roman mit 330 Seiten Liebeswahn doch überdimensioniert und im Aufbau beinahe so konfus wie der Seelenzustand Erwin Mayreders, den der Rahmenerzähler eines Abends in den Pariser "Wurzlokalen" trifft. Während die Girls 280 Beine werfen und weißgepuderte Brüste im Licht schimmern, macht Mayreder durch abgeklärte Bemerkungen auf sich aufmerksam und stellt schließlich der konfektionierten Erotik des Varietés seine eigene Erzählung eines liebesversehrten Lebens gegenüber. Es handelt sich um Kolportage mit literarischem Mehrwert, wenn Brod Stakkato-Stil mit feinsinnigen psychologischen Betrachtungen wechseln lässt, den "Duftsprühpunkten des Daseins" nachschnuppert oder die rauschhaft glücklichen Tage von Berlin beschreibt: "Denn die geraden Chausseen entlang reißt frischer, kalter Wind, das ist schon der Duft der Ostsee, der die ganze Stadt durchbricht. Berlin liegt an der Ostsee, die spiegelglatten Gras- und Kornebenen Pommerns bis an den Strand hin hemmen die Brise nicht."
Eine ganz andere Tonlage schlägt das erfolgreichste erzählerische Werk von Max Brod an, "Tycho Brahes Weg zu Gott", erschienen 1916, ein historischer Roman. Der dänische, zuletzt am Prager Hof Rudolfs II. wirkende Astronom Tycho Brahe lädt im Jahr 1600 den jungen Johannes Kepler nach Schloss Benatek ein. Statt der erhofften Zusammenarbeit entwickelt sich eine spannungsvolle Konfrontation der beiden Wissenschaftler; Weltbilder und Charaktergegensätze prallen aufeinander. Tycho Brahe, der geniale Sternenbeobachter, hängt noch dem ptolemäischen Weltbild an und kann bei allem Respekt vor den Forschungen des Kopernikus diesem nicht so weit folgen wie der (als kühler Nerd dargestellte) Rationalist Kepler, der keinen Sinn hat für die theologischen Kollateralschäden beim Paradigmenwechsel, die dem gottesfürchtigen Tycho Brahe so zusetzen.
Familiäre Intrigen bestimmen die Handlung, dennoch ist Brods Roman mit seiner Konzentration auf die beiden großen Geister und ihr einsames Ringen - Stefan Zweig rühmt im Vorwort die "symbolischen Typen der Weltbetrachtung" - deutlich anders gelagert als heutige historische Romane, die prominente Gestalten entfernter Jahrhunderte meist als Vorwand für drastisch ausgemalte Alltagsgeschichte, verschwörungstheoretische Inszenierungen oder kriminalistische Konstruktionen nehmen. "Tycho Brahe" ist das erzählerisch disziplinierteste von Brods frühen Werken, verfasst in geschmeidiger Prosa, die sich angenehm abhebt vom Orgelton, in dem Zweig selbst derartige "Sternstunden der Menschheit" zu schildern pflegte. Und schon die Widmung des Romans liest sich wie ein Stück Literaturgeschichte: "Meinem Freunde Franz Kafka".
Max Brod: "Arnold Beer - Das Schicksal eines Juden". Roman und andere Prosa aus den Jahren 1909-1913.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 347 S., geb., 29,95 [Euro].
Max Brod: "Jüdinnen". Roman und andere Prosa aus den Jahren 1906-1916.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 344 S., geb., 29,95 [Euro].
Max Brod: "Die Frau nach der man sich sehnt". Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 342 S., geb., 29,95 [Euro].
Max Brod: "Tycho Brahes Weg zu Gott". Roman.
Mit einem Vorwort von Stefan Zweig. Wallstein Verlag, Göttingen 2013. 328 S., geb., 29,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
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