Der Erzähler gibt sein Zwiegespräch mit einem wegen seiner Anmut bewunderten Tänzer wieder, den er mehrere Male beim Besuch eines Marionettentheaters gesehen hat. Der Angesprochene schildert ihm, wie sehr er die "natürliche Grazie" der Bewegungen der Puppen bewundert und welche Lehre er für sich daraus zieht: Es gebe eine natürliche Anmut, die sich in völliger Abwesenheit von Bewusstsein manifestiere. Der Erzähler gibt nun seinerseits ein Beispiel: Ein ihm bekannter Knabe habe in einem Augenblick der Figur des Dornausziehers geglichen, aber unter der Kontrolle seines Verstandes die Bewegung in ihrer Schönheit nicht mehr nachahmen können. Der sechzehnjährige Knabe habe diese spontane Anmut vergeblich in seinem Spiegelbild wiederzuentdecken versucht und sie durch diese Bemühung gänzlich verloren. Der Tänzer schildert daraufhin einen Bären, der Fechtstöße sämtlich pariert, ohne wie ein menschlicher Fechter auf Finten zu reagieren.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2011Kleist-Type
Typographische Kunstwerke oder Malerbücher sind meist teure Sammlerstücke. Für einen größeren Kreis Bibliophiler veranstaltet jetzt Klaus Detjen ein graphisches Experiment. Darin verbindet er die Essays "Über das Marionettentheater" und "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" mit vier Briefen Kleists und einer Reflexion über "Grazie" von László F. Földényi. So will er die Sprünge und Brüche in Kleists Texten visualisieren. Auf den rechten Buchseiten läuft oben der Marionettentext in roten Lettern unterschiedlicher Größe, gesetzt aus zwei Schriftarten des sechzehnten Jahrhunderts. Die übrigen Texte beanspruchen in modernen Fonts die untere, zweispaltige Seitenhälfte. Dazwischen bilden die drei Anfangskapitel des Ersten Buches Moses als typographisches Scharnier eine Trennlinie in Kapitälchen. Auf den Falträndern der japanischen Doppelblattbindung und auf den linken Seiten lernen die Buchstaben und Wörter das Laufen. Wie in einem Daumenkino fügen sich auf dem Schnitt raffiniert geteilte rote Buchstaben zu der Wortfolge: "jede bewegung sagte er hätte einen schwerpunkt". Und aus den Wörtern formen sich links die Sätze Kleists: "JEDE ERSTE BEWEGUNG, ALLES UNWILLKÜRLICHE, IST SCHÖN; UND SCHIEF UND VERSCHROBEN ALLES, SOBALD ES SICH SELBST BEGREIFT. O DER VERSTAND! DER UNGLÜCKSELIGE VERSTAND! DENN NICHT WIR WISSEN, ES IST ALLERERST EIN GEWISSER ZUSTAND UNSRER, WELCHER WEISS." Die Grazie des Dornausziehers im "Marionettentheater" besteht für Földényi in "unbewusster Vollkommenheit", die dem Gesprächspartner des Herrn C. abgeht. Er ist eher von "Verwirrung, Zögerlichkeit, Zerstreutheit, Anspannung" geprägt. Beide Zustände - Ruhe und Unruhe, Harmonie und Zufälligkeit - meint man in Detjens typographischer Komposition zu entdecken. (Heinrich von Kleist: "Über das Marionettentheater". Typographische Bibliothek, Bd. 8. Hrsg. und gestaltet von Klaus Detjen. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 80 S., br., 29,- [Euro].)
kos
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Typographische Kunstwerke oder Malerbücher sind meist teure Sammlerstücke. Für einen größeren Kreis Bibliophiler veranstaltet jetzt Klaus Detjen ein graphisches Experiment. Darin verbindet er die Essays "Über das Marionettentheater" und "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" mit vier Briefen Kleists und einer Reflexion über "Grazie" von László F. Földényi. So will er die Sprünge und Brüche in Kleists Texten visualisieren. Auf den rechten Buchseiten läuft oben der Marionettentext in roten Lettern unterschiedlicher Größe, gesetzt aus zwei Schriftarten des sechzehnten Jahrhunderts. Die übrigen Texte beanspruchen in modernen Fonts die untere, zweispaltige Seitenhälfte. Dazwischen bilden die drei Anfangskapitel des Ersten Buches Moses als typographisches Scharnier eine Trennlinie in Kapitälchen. Auf den Falträndern der japanischen Doppelblattbindung und auf den linken Seiten lernen die Buchstaben und Wörter das Laufen. Wie in einem Daumenkino fügen sich auf dem Schnitt raffiniert geteilte rote Buchstaben zu der Wortfolge: "jede bewegung sagte er hätte einen schwerpunkt". Und aus den Wörtern formen sich links die Sätze Kleists: "JEDE ERSTE BEWEGUNG, ALLES UNWILLKÜRLICHE, IST SCHÖN; UND SCHIEF UND VERSCHROBEN ALLES, SOBALD ES SICH SELBST BEGREIFT. O DER VERSTAND! DER UNGLÜCKSELIGE VERSTAND! DENN NICHT WIR WISSEN, ES IST ALLERERST EIN GEWISSER ZUSTAND UNSRER, WELCHER WEISS." Die Grazie des Dornausziehers im "Marionettentheater" besteht für Földényi in "unbewusster Vollkommenheit", die dem Gesprächspartner des Herrn C. abgeht. Er ist eher von "Verwirrung, Zögerlichkeit, Zerstreutheit, Anspannung" geprägt. Beide Zustände - Ruhe und Unruhe, Harmonie und Zufälligkeit - meint man in Detjens typographischer Komposition zu entdecken. (Heinrich von Kleist: "Über das Marionettentheater". Typographische Bibliothek, Bd. 8. Hrsg. und gestaltet von Klaus Detjen. Wallstein Verlag, Göttingen 2011. 80 S., br., 29,- [Euro].)
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