Viele denken bei Knigge an kleinliche Benimmregeln, welche Gabel man für welche Speisen nutzt oder ob zuerst die Dame begrüßt wird und erst dann der höhergestellte Herr? Mit solchen Nebensächlichkeiten und Moden hat das Buch von Knigge nichts zu tun. Es ist mehr zu verstehen als ein psychologisches Benimmwerk und als Buch voller zeitloser Lebensweisheiten. Wir lernen über den Umgang mit Familie, Freunden, Bekanntschaften, dem anderen Geschlecht und - bemerkenswert! - mit uns selbst. "Die Pflichten gegen uns selbst sind die wichtigsten und ersten, und also der Umgang mit unsrer eigenen Person gewiß weder der unnützeste noch uninteressanteste." [Kapitel "Über den Umgang mit sich selbst"] Der Titel ist Programm; Knigge konzentriert sich auf den Umgang mit Menschen. Eine Lebensphilosophie zum Gebrauch für die unmittelbare gesellschaftliche Praxis, ganz in der der Tradition der Aufklärung stehend. Knigges Sammeln von Erfahrungen und Beobachtungen lassen die Texte nicht als moraline Regeln, sondern als Vorschläge verkleidet daherkommen. Das Buch ist mehr ein früher Lebensratgeber als Benimmführer. In der 3. Auflage von 1790 hat es seine endgültige Form bekommen. Die lebendige und lebensnahe Sprache machen das Alter der Schriften schnell vergessen. Menschen sind Menschen geblieben, die Themen sind brandaktuell und werden es immer bleiben. "Allein in den jetzigen Zeiten, wo der Luxus so übertrieben wird; wo die Bedürfnisse, auch des mäßigsten Mannes, der in der Welt leben und eine Familie unterhalten muß, so groß sind; wo der Preis der nötigen Lebensmittel täglich steigt; wo die Macht des Geldes soviel entscheidet; wo der Reiche ein so beträchtliches Übergewicht über den Armen hat; endlich, wo von der einen Seite Betrug und Falschheit und von der andern Mißtrauen und Mangel an brüderlichen Gesinnungen in allen Ständen sich ausbreiten ..." [Kapitel: "Über den Umgang mit Leuten von verschiedenen Gemütsarten, Temperamenten und Stimmung des Geistes und Herzens"]