Als Navid Kermani im Sommer 2010 kurz vor Abschluss seines monumentalen Romans „Dein Name“ stand, übernahm er die berühmte Frankfurter Poetikdozentur. In fünf Vorlesungen nahm er ein großes und gebannt lauschendes Publikum mit auf eine ganz persönliche Reise durch die Geschichte der Literatur in Deutschland und gleichzeitig durch die Arbeit eines ebenso sprachsensiblen wie theoriebewussten Autors. Kermani beschreibt die Grundlagen nicht nur seines eigenen Schreibens, sondern des künstlerischen Akts als solchen, der zugleich Setzung und Auslöschung des Ichs ist. Dabei geht er zurück auf die großen mystischen Traditionen der Weltreligionen und entwickelt eine furiose Interpretation zweier deutscher Klassiker, die zu etwas ganz anderem werden: zu aufregenden Zeitgenossen.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Hannelore Schlaffer findet es eigentlich unangemessen, Autoren auch noch jene Aufgaben zuzuschanzen, die früher Literaturkritiker und -wissenschaftler ausfüllen sollten: das theoretische Reflektieren auf die spezifische Poetik eines Autors oder Werks. Kermani schafft in seiner Frankfurter Poetikvorlesungaber den Balanceakt, sich nicht an das theoretische Ergründen seines eigenen Schaffens zu verlieren, er bleibt Autor, er bleibt Künstler, verspricht Schlaffer. In seinen Vorlesungen, die unter dem Titel "Über den Zufall" erschienen sind, stellt er sich in die Tradition von Hölderlin und Jean Paul. Den zentralen Kern eines Romans sieht Kermani in seiner Welthaltigkeit, berichtet die Rezensentin. Die Gemeinsamkeiten von Hölderlin und Jean Paul sieht er in der Art, wie sie sich an die Wirklichkeit annähern, der Wirklichkeit "in ihrer Unordnung, der Gleichzeitigkeit und Gleichgültigkeit der Wahrnehmung", zitiert ihn Schlaffer. Auch Jean Paul dachte als Autor über Autor-sein nach - und mit Phrasen wie "ich reflektiere auf das Reflektieren auf die Reflexion einer Reflexion über eine Bürste" - selbstironisch wiederum über sein Nachdenken über sein Autor-sein, weiß Hannelore Schlaffer.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2012Die Schnäppchen aus dem Leben
Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani erklärt in seinen Poetikvorlesungen Hölderlin und Jean Paul zu seinen Vorbildern
„Schon wieder ein Migrationsroman“, soll eine Literaturkritikerin ausgerufen haben, als Navid Kermani, der deutsch-iranische Schriftsteller, in seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung 2010 von seinem Roman „Dein Name“ berichtete, der damals noch nicht erschienen war. Da kein Autor sich gerne sagen lässt, dass er einem Trend, einer Mode gehorche, reagierte auch Kermani mit Unbehagen. Nun ist die Vorlesung, in der er von dem Vorfall berichtet, als Buch erschienen, und man muss feststellen, dass die Kritikerin in einem noch viel weiteren Sinne recht hatte, als Kermani es wahrhaben wollte.
Er selbst stellt seinen jüngsten Roman, wenngleich in weit gewichtigerem Sinne als der Trend es vorschreibt, unter das Zeichen der Migration. In der Vorlesung, die die Niederschrift des Werkes zeitlich begleitete, unternimmt Kermani eine ideelle Migrationsreise; dabei situiert er sich und seinen Roman zwischen christlichem Pietismus und islamischem Sufismus. Die Gegensätze, die zwischen den Kulturen, Religionen und poetologischen Modellen herrschen, glättet der Vortragende, indem er Jean Paul und Hölderlin zu Vorläufern seines eigenen Schaffens beruft.
Hölderlin, „dieser frühausgeflippte Sonderling“, wird zum „Sufi der deutschen Literatur“ erklärt. Die Auflösung der Subjektivität vereine diesen Ekstatiker mit Jean Paul, beider Dichtung greife „das Motiv der Seelenreise durch Himmel (Hölderlin) oder Erde (Jean Paul) zu sich selbst auf“, wie es westlichen und östlichen Religionen wesentlich ist. Freilich geht es dem Schriftsteller und habilitierten Orientalisten Kermani, der vom Pult Adornos herab seinem Frankfurter Publikum eine Theorie des eigenen Schaffens entwickeln sollte, im weitesten Sinne um eine Poetik des Romans, und nur als Aperçu gründlicher Überlegungen erlaubt er es sich, die Harmonie zwischen Orient und Okzident herzustellen.
Die Welthaltigkeit, die für die Gattung des Romans kennzeichnend ist, drängt die Frage auf, wie Wirklichkeit dort in Erscheinung trete: Gerade „in ihrer Unordnung, der Gleichzeitigkeit und Gleichgültigkeit der Wahrnehmung gleichen sich Jean Pauls Romane der Struktur der Wirklichkeit an“, behauptet Kermani, und diese Erzähltechnik verbinde ihn mit dem Dichter aus dem klassisch-romantischen Zeitalter der deutschen Literatur.
„Über den Zufall“ lautet der Titel der vorliegenden fünf Vorlesungen, denn der Zufall inspiriere den Romanschriftsteller. Ein Roman soll angefüllt sein mit den „Schnäppchen“ des Lebens. Deshalb sei ihm, dem Romanschriftsteller Kermani, Hölderlin erst zugänglich geworden durch Dietrich Sattlers Leseausgabe, die die hohe Dichtung mit Zeugnissen des Lebens vermischt: „Mit den Dokumenten und Briefen . . . wird nicht Hölderlins Leben, wie es Biographen gern hätten, sondern wird sein Werk als Roman lesbar.“
Wer Kermanis inzwischen erschienenen Roman kennt, weiß, welches Recht dem Zufall dort eingeräumt wird. Jede Wendung des Körpers, jede Laune des Computers gelten gleich viel und jedenfalls genug, um die Erzählung vom Leben des persischen Großvaters zu unterbrechen, der noch hoffte, seine Lebensgeschichte in der geschlossenen Form einer konventionellen Autobiografie bewahren und überliefern zu können.
Die „Schnäppchen“, jener aufdringliche Wust an Realitätsmomenten, machen es dem Romanschreiber schwer, sich selbst zu begreifen. Kermani ist „Enkel, Sohn, Vater, Mann, Liebhaber oder Freund, hin und wieder Romanschriftsteller, regelmäßig Berichterstatter, dann wieder Orientalist . . . an einigen Stellen Navid Kermani und seit diesem Semester auch Poetologe“. Konsistenz erlangen Roman wie Vorlesung erst durch die repetitiven Elemente, die immer wiederkehrende Präsentationen des Redners und Schriftstellers in verschiedenen Lebensrollen ebenso wie in „dem Roman, den ich schreibe“.
Das Nachdenken des Autors über den Autor nähert Kermani Jean Paul an, der unentwegt in schalkhafter Rückbesinnung sein Tun als Autor umkreist: So „kommentiert der Romanschriftsteller das eigene Romanschreiben und stellt es somit in seiner Romanhaftigkeit heraus“, stellt Kermani fest. Allerdings hat Jean Paul auch die Parodie solch metatheoretischer Ansprüche in den „Flegeljahren“ geliefert.
Dem Kenner Kermani wird diese Selbstironie vertraut sein, obgleich er darauf in der Vorlesung nicht eingeht. Jean Paul spottet über seine eigene Methode: „ich bin tiefsinnig . . . wenn ich sage: Ich rezensiere die Rezension einer Rezension vom Rezensieren des Rezensierens oder ich reflektiere auf das Reflektieren auf die Reflexion einer Reflexion über eine Bürste“. Jean Paul, der eine „Vorschule der Ästhetik“ schrieb und darin sein Schreiben durchsichtig zu machen suchte, stellt eine Ausnahme unter den klassischen deutschen Autoren dar. Goethe sagte nur wenig über sein Werk, Kleist, Brentano, Büchner fast nichts.
Heutzutage aber wird durch Poetikdozenturen, Auftritte in Literaturhäusern, Interviews in Rundfunk und Zeitungen jedem namhaften Autor Auskunft über Grund, Sinn und Zweck seines Werks abverlangt. Um sich dem Publikum verständlich, ja vielleicht sogar glaubwürdig zu machen, muss er Aufgaben übernehmen, die bislang Literaturkritikern und Literaturwissenschaftlern zukamen. Die Institutionen der Literaturförderung bringen den Geförderten in einen Widerspruch. Der Dichter soll sich mitten im Prozess des Dichtens zum Denker entwickeln. Die Verbindung von Intuition und Reflexion, von Inspiration und analytischer Distanz ist ein Balanceakt, der wenigen gelingt. Kermani ist als Orientalist gut vorbereitet auf diese Doppelrolle, und er bleibt bei allem theoretischen Anspruch als Vortragender doch der Fachmann, der Dichten als Handwerk und Kunst als Kunststück zu beschreiben weiß.
HANNELORE SCHLAFFER
Navid Kermani: Über den Zufall. Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe. Carl Hanser Verlag, München 2012. 224 Seiten, 17,90 Euro.
Heutzutage muss jeder namhafte
Autor Auskunft über Sinn
und Zweck seines Werks geben
Zwischen Sufismus und Hölderlin: Navid Kermani.
FOTO: INGO WAGNER/DPA
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Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani erklärt in seinen Poetikvorlesungen Hölderlin und Jean Paul zu seinen Vorbildern
„Schon wieder ein Migrationsroman“, soll eine Literaturkritikerin ausgerufen haben, als Navid Kermani, der deutsch-iranische Schriftsteller, in seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung 2010 von seinem Roman „Dein Name“ berichtete, der damals noch nicht erschienen war. Da kein Autor sich gerne sagen lässt, dass er einem Trend, einer Mode gehorche, reagierte auch Kermani mit Unbehagen. Nun ist die Vorlesung, in der er von dem Vorfall berichtet, als Buch erschienen, und man muss feststellen, dass die Kritikerin in einem noch viel weiteren Sinne recht hatte, als Kermani es wahrhaben wollte.
Er selbst stellt seinen jüngsten Roman, wenngleich in weit gewichtigerem Sinne als der Trend es vorschreibt, unter das Zeichen der Migration. In der Vorlesung, die die Niederschrift des Werkes zeitlich begleitete, unternimmt Kermani eine ideelle Migrationsreise; dabei situiert er sich und seinen Roman zwischen christlichem Pietismus und islamischem Sufismus. Die Gegensätze, die zwischen den Kulturen, Religionen und poetologischen Modellen herrschen, glättet der Vortragende, indem er Jean Paul und Hölderlin zu Vorläufern seines eigenen Schaffens beruft.
Hölderlin, „dieser frühausgeflippte Sonderling“, wird zum „Sufi der deutschen Literatur“ erklärt. Die Auflösung der Subjektivität vereine diesen Ekstatiker mit Jean Paul, beider Dichtung greife „das Motiv der Seelenreise durch Himmel (Hölderlin) oder Erde (Jean Paul) zu sich selbst auf“, wie es westlichen und östlichen Religionen wesentlich ist. Freilich geht es dem Schriftsteller und habilitierten Orientalisten Kermani, der vom Pult Adornos herab seinem Frankfurter Publikum eine Theorie des eigenen Schaffens entwickeln sollte, im weitesten Sinne um eine Poetik des Romans, und nur als Aperçu gründlicher Überlegungen erlaubt er es sich, die Harmonie zwischen Orient und Okzident herzustellen.
Die Welthaltigkeit, die für die Gattung des Romans kennzeichnend ist, drängt die Frage auf, wie Wirklichkeit dort in Erscheinung trete: Gerade „in ihrer Unordnung, der Gleichzeitigkeit und Gleichgültigkeit der Wahrnehmung gleichen sich Jean Pauls Romane der Struktur der Wirklichkeit an“, behauptet Kermani, und diese Erzähltechnik verbinde ihn mit dem Dichter aus dem klassisch-romantischen Zeitalter der deutschen Literatur.
„Über den Zufall“ lautet der Titel der vorliegenden fünf Vorlesungen, denn der Zufall inspiriere den Romanschriftsteller. Ein Roman soll angefüllt sein mit den „Schnäppchen“ des Lebens. Deshalb sei ihm, dem Romanschriftsteller Kermani, Hölderlin erst zugänglich geworden durch Dietrich Sattlers Leseausgabe, die die hohe Dichtung mit Zeugnissen des Lebens vermischt: „Mit den Dokumenten und Briefen . . . wird nicht Hölderlins Leben, wie es Biographen gern hätten, sondern wird sein Werk als Roman lesbar.“
Wer Kermanis inzwischen erschienenen Roman kennt, weiß, welches Recht dem Zufall dort eingeräumt wird. Jede Wendung des Körpers, jede Laune des Computers gelten gleich viel und jedenfalls genug, um die Erzählung vom Leben des persischen Großvaters zu unterbrechen, der noch hoffte, seine Lebensgeschichte in der geschlossenen Form einer konventionellen Autobiografie bewahren und überliefern zu können.
Die „Schnäppchen“, jener aufdringliche Wust an Realitätsmomenten, machen es dem Romanschreiber schwer, sich selbst zu begreifen. Kermani ist „Enkel, Sohn, Vater, Mann, Liebhaber oder Freund, hin und wieder Romanschriftsteller, regelmäßig Berichterstatter, dann wieder Orientalist . . . an einigen Stellen Navid Kermani und seit diesem Semester auch Poetologe“. Konsistenz erlangen Roman wie Vorlesung erst durch die repetitiven Elemente, die immer wiederkehrende Präsentationen des Redners und Schriftstellers in verschiedenen Lebensrollen ebenso wie in „dem Roman, den ich schreibe“.
Das Nachdenken des Autors über den Autor nähert Kermani Jean Paul an, der unentwegt in schalkhafter Rückbesinnung sein Tun als Autor umkreist: So „kommentiert der Romanschriftsteller das eigene Romanschreiben und stellt es somit in seiner Romanhaftigkeit heraus“, stellt Kermani fest. Allerdings hat Jean Paul auch die Parodie solch metatheoretischer Ansprüche in den „Flegeljahren“ geliefert.
Dem Kenner Kermani wird diese Selbstironie vertraut sein, obgleich er darauf in der Vorlesung nicht eingeht. Jean Paul spottet über seine eigene Methode: „ich bin tiefsinnig . . . wenn ich sage: Ich rezensiere die Rezension einer Rezension vom Rezensieren des Rezensierens oder ich reflektiere auf das Reflektieren auf die Reflexion einer Reflexion über eine Bürste“. Jean Paul, der eine „Vorschule der Ästhetik“ schrieb und darin sein Schreiben durchsichtig zu machen suchte, stellt eine Ausnahme unter den klassischen deutschen Autoren dar. Goethe sagte nur wenig über sein Werk, Kleist, Brentano, Büchner fast nichts.
Heutzutage aber wird durch Poetikdozenturen, Auftritte in Literaturhäusern, Interviews in Rundfunk und Zeitungen jedem namhaften Autor Auskunft über Grund, Sinn und Zweck seines Werks abverlangt. Um sich dem Publikum verständlich, ja vielleicht sogar glaubwürdig zu machen, muss er Aufgaben übernehmen, die bislang Literaturkritikern und Literaturwissenschaftlern zukamen. Die Institutionen der Literaturförderung bringen den Geförderten in einen Widerspruch. Der Dichter soll sich mitten im Prozess des Dichtens zum Denker entwickeln. Die Verbindung von Intuition und Reflexion, von Inspiration und analytischer Distanz ist ein Balanceakt, der wenigen gelingt. Kermani ist als Orientalist gut vorbereitet auf diese Doppelrolle, und er bleibt bei allem theoretischen Anspruch als Vortragender doch der Fachmann, der Dichten als Handwerk und Kunst als Kunststück zu beschreiben weiß.
HANNELORE SCHLAFFER
Navid Kermani: Über den Zufall. Jean Paul, Hölderlin und der Roman, den ich schreibe. Carl Hanser Verlag, München 2012. 224 Seiten, 17,90 Euro.
Heutzutage muss jeder namhafte
Autor Auskunft über Sinn
und Zweck seines Werks geben
Zwischen Sufismus und Hölderlin: Navid Kermani.
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