Diese Ausgabe beinhaltet alle Einleitungen Schleiermachers zu seinen Übersetzungen der Dialoge Platons, außerdem Auszüge aus den Nachschriften der Vorlesungen Schleiermachers über Platon und Sokrates von 1819-1823. Es handelt sich um eigenständige und seinerzeit bahnbrechende Interpretationen zu Aufbau, Form und Datierung der Dialoge, in denen Schleiermacher auch den zusammen mit Friedrich Schlegel entdeckten philosophischen Grund darlegt, warum Platon für die schriftliche Entfaltung seiner Philosophie die literarische Form des Dialogs wählte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.06.1996Bekanntschaft mit diesem Weisen gehört zu den ersten Bedürfnissen
Ein Platon für zwei Jahrhunderte: Schleiermachers epochemachendes Bild des Philosophen in den Einleitungen zu seiner Übersetzung
Als Friedrich Schleiermacher im Jahre 1803 das Erscheinen der von ihm vorbereiteten Übersetzung der Werke Platons ankündigte, bekannte er: "Zu lebhaft ist meine Überzeugung, daß gerade jetzt nähere Bekanntschaft mit dem Sinne und Geist jenes großen Weisen zu den ersten Bedürfnissen gehört und daß die Liebhaber wenigstens der Philosophie zum größten Teile nicht ausgerüstet sind, ihn in seiner eigenen Sprache zu vernehmen." Schleiermacher war im Jahr zuvor mit dem Vorwurf, "vertrauteren Umgang mit Personen von verdächtigen Grundsätzen und Sitten" zu haben, von seiner Kirche nach Stolp in Pommern relegiert worden. Sein Freund Friedrich Schlegel, der Urheber der Idee einer vollständigen deutschen Platon-Übersetzung, hatte seinen Plan zunächst als Gemeinschaftsarbeit mit Schleiermacher verwirklichen wollen, zog sich jedoch nach kurzer Zeit von dem Unternehmen zurück. Schleiermacher nahm sich der Aufgabe nunmehr allein an und stellte der Öffentlichkeit im Laufe von mehr als zwei Jahrzehnten nacheinander seine Übersetzungen der meisten Werke Platons vor.
Zwar waren auch schon vor Schleiermacher Platonische Werke ins Deutsche übersetzt worden, aber erst auf der Grundlage seiner Arbeit sind Platons Texte im deutschen Sprachbereich heimisch geworden. Seine Übersetzung, aus guten Gründen bis heute immer wieder nachgedruckt, ist durch spätere Übertragungen vielleicht ergänzt, aber niemals übertroffen worden. Denn ihr ist es gelungen, Platon gerade insofern gerecht zu werden, als er in der Gestaltung der Dialoge die Umgangssprache in ihrer unaufhebbaren Mehrdeutigkeit und Unexaktheit zur Darstellung des philosophischen Gedankens befähigt hat. Es ist eine Sprache, die nicht darauf angewiesen ist, von den sowohl begrenzten als auch begrenzenden Möglichkeiten einer Fachterminologie Gebrauch zu machen.
Schleiermachers Name steht aber auch für eine bestimmte Deutung von Platons Philosophie. Es charakterisiert diese Interpretation, daß sich Schleiermacher gegenüber einer langen, vom Neuplatonismus bis an die Schwelle seiner Zeit lebendigen Tradition abgrenzt und den Kern der Platonischen Philosophie nicht in einer hinter dem geschriebenen Werk stehenden, nur mündlich mitgeteilten Lehre, sondern in diesem Werk selbst findet. Es ist eine Deutung, die in den Anmerkungen, vor allem aber in den Einleitungen greifbar wird, die Schleiermacher seinen Übersetzungen beigegeben hat. Die Einleitungen zu den einzelnen Dialogen wie auch zu dem ganzen Werk, lange Zeit nur schwer zugänglich, liegen nunmehr in einer von Peter M. Steiner betreuten und durch Beiträge von Andreas Arndt und Jörg Janzen ergänzten Studienausgabe vor.
Erst in ihrer Gesamtheit machen diese Einleitungen deutlich, mit welcher Konsequenz sich Schleiermacher um ein ganzheitliches Verständnis von Platons Denken und Werk bemüht hat. Ein solches Verständnis erforderte es, auch die Form des Dialoges ernst zu nehmen, insofern auch sie Medium des philosophischen Gedankens sein kann. Der Dialog ist aber andererseits kein Selbstzweck. Seine Inhalte haben nicht die Funktion, lediglich Gelegenheit zu einem Gespräch zu geben, das seiner Natur nach an kein natürliches Ziel kommen kann. Denn der Dialog hat vor allem die Aufgabe, an die Selbsttätigkeit des Lesers zu appellieren und ihm die Möglichkeit zu eröffnen, zu einem selbsterarbeiteten, authentischen Wissen zu gelangen.
Nicht nur die Einleitungen, sondern auch die der Studienausgabe beigegebenen Texte über Sokrates und Platon aus den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen zeigen, wie sehr sich Schleiermacher selbst in seinem Platon-Werk auf das Leitbild einer systematischen Einheit verpflichtet hatte. Den Bezugspunkt dieser Einheit findet er aber nicht in einer ungeschriebenen Prinzipienlehre, auch nicht in der Ideenlehre, die in seiner Platon-Deutung ohnehin nur insofern bedeutsam ist, als sie den Anlaß zur Entwicklung der Dialektik gegeben hat. Er sucht diese Einheit vielmehr in der Ausfaltung eines Denkens, das sich in der natürlichen Ordnung der Dialoge spiegelt, die für ihn zwar nicht im Detail, wohl aber in den Grundzügen der chronologischen Ordnung ihrer Entstehung entspricht. Über Schleiermachers Datierung des "Parmenides" und des "Phaidros" - in dem er die ganze Philosophie Platons wie in einem Keim enthalten sieht - als der frühesten Werke ist die Forschung inzwischen hinweggegangen. Trotzdem bleiben die Motive bedenkenswert, die zu diesen Datierungen geführt haben.
Schleiermachers systematisch ausgerichtete Tendenz wird vor allem in der zentralen Position faßbar, die er der "Politeia", dem "Timaios" und dem "Kritias" einräumt. In diesen darstellenden Werken tritt die Bedeutung der Dialogform zurück. Die "Politeia" bildet gleichsam den Schlußstein und die Zusammenfassung alles Vorhergehenden. Als ein Werk, das in der literarischen Fiktion von Sokrates erzählt wird, setzt es zugleich aber auch einen neuen Anfang, der zum "Timaios" überleitet und auf diese Weise das Ganze im Zusammenhang der Philosophie vorbereitet, das sich, durch die Dialektik vermittelt, nur im Zusammenhang von theoretischer und praktischer Philosophie, von Naturphilosophie und Ethik darstellen kann.
Die Platon-Deutung Schleiermachers läßt sich gewiß nicht mit der Interpretation zur Deckung bringen, die heute von den Angehörigen der Tübinger Schule vertreten wird und wiederum die ungeschriebene Lehre in den Mittelpunkt stellt. Denn für Schleiermachers Platon bleiben nun einmal alle antiken Nachrichten über die mündlich vermittelte Lehre ohne Belang. Andererseits entsprechen aber seine Einleitungen auch nicht der Platon-Auffassung, an der sich Autoren wie Konrad Gaiser, Hans J. Krämer und Thomas A. Szlezák als an ihrer Gegenposition orientieren. Das wird in einem Exkurs des Herausgebers ("Zur Kontroverse um Schleiermachers Platon") deutlich gezeigt.
Der "Schleiermacherianismus", wie Krämer ihn genannt hat, erscheint hier als ein Kunstprodukt, dem man schwerlich vorwerfen kann, die Platon-Forschung mehr als ein Jahrhundert lang von der Verfolgung ihrer eigentlichen Ziele abgelenkt zu haben. Wie die in der vorliegenden Ausgabe zugänglich gemachten Texte zeigen, wäre es jedenfalls eine extreme Verkürzung, wollte man Schleiermacher auf einen romantischen Infinitismus festlegen, dem die bloße Bewegung des Gedankens wichtiger ist als jedes Resultat. Für Schleiermacher kam es darauf an, mit allen Konsequenzen dem Grundsatz gerecht zu werden, "daß die Platonischen Dialoge Philosophie sind" - wie der Herausgeber das Prinzip dieser Platon-Deutung in einer einfachen, aber treffenden Formel zusammenfaßt.
Steiner war gut beraten, keine historisch-kritische Ausgabe, sondern lediglich eine Studienausgabe vorzulegen, wie sie gerade für die gegenwärtige Platon-Diskussion fruchtbar werden kann. Daß er auf eine Neuausgabe von Schleiermachers Anmerkungen - vorerst? - verzichtet, ist eine pragmatische, akzeptable Entscheidung, zumal diese Anmerkungen in ihrem ganzen Umfang ohnehin einen eigenen Band erfordert hätten.
Allerdings wäre es zweckmäßig gewesen, den Platon-Forscher Schleiermacher auch in Dokumenten und Briefen etwas ausführlicher zu Wort kommen zu lassen. Für den Benutzer einer Studienausgabe wäre es auch von Nutzen, würde ihm der Herausgeber mit einschlägigen Nachweisen dort Hilfestellung geben, wo sich Schleiermacher in seinen Texten auf andere Autoren bezieht. Störend wirken nicht so sehr die gelegentlich vorkommenden Druckfehler, wohl aber die Resultate eines Textverarbeitungsprogramms, das Silbentrennungsstriche dort nicht tilgt, sondern als Bindestriche übernimmt, wo das zunächst getrennte Wort wieder in die Zeilenmitte zu stehen kommt. Wo ein Textprogramm derartige Grenzen zeigt, läßt sich auf die Revision eines Lektors nicht gut verzichten.
Die vorliegende Studienausgabe kann vor allem dort eine differenzierende Sichtweise ermöglichen, wo man Schleiermacher und "Schleiermacherianismus" nicht mit hinreichender Klarheit unterscheidet. Gewiß wird auch sie den Streit um den Vorrang des geschriebenen oder des ungeschriebenen Platon nicht endgültig beilegen können. Doch ist es fraglich, ob dieser Streit überhaupt entscheidungsfähig ist. Es könnte sein, daß erst die mündlich und die schriftlich überlieferte Sphäre zusammen das Ganze der Platonischen Philosophie repräsentieren, auf eine Weise freilich, die es ausschließt, dieses Ganze in einer dieser Sphären unverkürzt vor Augen stellen zu können. WOLFGANG WIELAND
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: "Über die Philosophie Platons". Geschichte der Philosophie. Vorlesung über Sokrates und Platon (zwischen 1819 und 1823). Die Einleitungen zur Übersetzung des Platon (1804-1828). Hrsg. u. eingel. v. Peter M. Steiner. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1996. 397 S., geb., 128,- DM.
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Ein Platon für zwei Jahrhunderte: Schleiermachers epochemachendes Bild des Philosophen in den Einleitungen zu seiner Übersetzung
Als Friedrich Schleiermacher im Jahre 1803 das Erscheinen der von ihm vorbereiteten Übersetzung der Werke Platons ankündigte, bekannte er: "Zu lebhaft ist meine Überzeugung, daß gerade jetzt nähere Bekanntschaft mit dem Sinne und Geist jenes großen Weisen zu den ersten Bedürfnissen gehört und daß die Liebhaber wenigstens der Philosophie zum größten Teile nicht ausgerüstet sind, ihn in seiner eigenen Sprache zu vernehmen." Schleiermacher war im Jahr zuvor mit dem Vorwurf, "vertrauteren Umgang mit Personen von verdächtigen Grundsätzen und Sitten" zu haben, von seiner Kirche nach Stolp in Pommern relegiert worden. Sein Freund Friedrich Schlegel, der Urheber der Idee einer vollständigen deutschen Platon-Übersetzung, hatte seinen Plan zunächst als Gemeinschaftsarbeit mit Schleiermacher verwirklichen wollen, zog sich jedoch nach kurzer Zeit von dem Unternehmen zurück. Schleiermacher nahm sich der Aufgabe nunmehr allein an und stellte der Öffentlichkeit im Laufe von mehr als zwei Jahrzehnten nacheinander seine Übersetzungen der meisten Werke Platons vor.
Zwar waren auch schon vor Schleiermacher Platonische Werke ins Deutsche übersetzt worden, aber erst auf der Grundlage seiner Arbeit sind Platons Texte im deutschen Sprachbereich heimisch geworden. Seine Übersetzung, aus guten Gründen bis heute immer wieder nachgedruckt, ist durch spätere Übertragungen vielleicht ergänzt, aber niemals übertroffen worden. Denn ihr ist es gelungen, Platon gerade insofern gerecht zu werden, als er in der Gestaltung der Dialoge die Umgangssprache in ihrer unaufhebbaren Mehrdeutigkeit und Unexaktheit zur Darstellung des philosophischen Gedankens befähigt hat. Es ist eine Sprache, die nicht darauf angewiesen ist, von den sowohl begrenzten als auch begrenzenden Möglichkeiten einer Fachterminologie Gebrauch zu machen.
Schleiermachers Name steht aber auch für eine bestimmte Deutung von Platons Philosophie. Es charakterisiert diese Interpretation, daß sich Schleiermacher gegenüber einer langen, vom Neuplatonismus bis an die Schwelle seiner Zeit lebendigen Tradition abgrenzt und den Kern der Platonischen Philosophie nicht in einer hinter dem geschriebenen Werk stehenden, nur mündlich mitgeteilten Lehre, sondern in diesem Werk selbst findet. Es ist eine Deutung, die in den Anmerkungen, vor allem aber in den Einleitungen greifbar wird, die Schleiermacher seinen Übersetzungen beigegeben hat. Die Einleitungen zu den einzelnen Dialogen wie auch zu dem ganzen Werk, lange Zeit nur schwer zugänglich, liegen nunmehr in einer von Peter M. Steiner betreuten und durch Beiträge von Andreas Arndt und Jörg Janzen ergänzten Studienausgabe vor.
Erst in ihrer Gesamtheit machen diese Einleitungen deutlich, mit welcher Konsequenz sich Schleiermacher um ein ganzheitliches Verständnis von Platons Denken und Werk bemüht hat. Ein solches Verständnis erforderte es, auch die Form des Dialoges ernst zu nehmen, insofern auch sie Medium des philosophischen Gedankens sein kann. Der Dialog ist aber andererseits kein Selbstzweck. Seine Inhalte haben nicht die Funktion, lediglich Gelegenheit zu einem Gespräch zu geben, das seiner Natur nach an kein natürliches Ziel kommen kann. Denn der Dialog hat vor allem die Aufgabe, an die Selbsttätigkeit des Lesers zu appellieren und ihm die Möglichkeit zu eröffnen, zu einem selbsterarbeiteten, authentischen Wissen zu gelangen.
Nicht nur die Einleitungen, sondern auch die der Studienausgabe beigegebenen Texte über Sokrates und Platon aus den philosophiegeschichtlichen Vorlesungen zeigen, wie sehr sich Schleiermacher selbst in seinem Platon-Werk auf das Leitbild einer systematischen Einheit verpflichtet hatte. Den Bezugspunkt dieser Einheit findet er aber nicht in einer ungeschriebenen Prinzipienlehre, auch nicht in der Ideenlehre, die in seiner Platon-Deutung ohnehin nur insofern bedeutsam ist, als sie den Anlaß zur Entwicklung der Dialektik gegeben hat. Er sucht diese Einheit vielmehr in der Ausfaltung eines Denkens, das sich in der natürlichen Ordnung der Dialoge spiegelt, die für ihn zwar nicht im Detail, wohl aber in den Grundzügen der chronologischen Ordnung ihrer Entstehung entspricht. Über Schleiermachers Datierung des "Parmenides" und des "Phaidros" - in dem er die ganze Philosophie Platons wie in einem Keim enthalten sieht - als der frühesten Werke ist die Forschung inzwischen hinweggegangen. Trotzdem bleiben die Motive bedenkenswert, die zu diesen Datierungen geführt haben.
Schleiermachers systematisch ausgerichtete Tendenz wird vor allem in der zentralen Position faßbar, die er der "Politeia", dem "Timaios" und dem "Kritias" einräumt. In diesen darstellenden Werken tritt die Bedeutung der Dialogform zurück. Die "Politeia" bildet gleichsam den Schlußstein und die Zusammenfassung alles Vorhergehenden. Als ein Werk, das in der literarischen Fiktion von Sokrates erzählt wird, setzt es zugleich aber auch einen neuen Anfang, der zum "Timaios" überleitet und auf diese Weise das Ganze im Zusammenhang der Philosophie vorbereitet, das sich, durch die Dialektik vermittelt, nur im Zusammenhang von theoretischer und praktischer Philosophie, von Naturphilosophie und Ethik darstellen kann.
Die Platon-Deutung Schleiermachers läßt sich gewiß nicht mit der Interpretation zur Deckung bringen, die heute von den Angehörigen der Tübinger Schule vertreten wird und wiederum die ungeschriebene Lehre in den Mittelpunkt stellt. Denn für Schleiermachers Platon bleiben nun einmal alle antiken Nachrichten über die mündlich vermittelte Lehre ohne Belang. Andererseits entsprechen aber seine Einleitungen auch nicht der Platon-Auffassung, an der sich Autoren wie Konrad Gaiser, Hans J. Krämer und Thomas A. Szlezák als an ihrer Gegenposition orientieren. Das wird in einem Exkurs des Herausgebers ("Zur Kontroverse um Schleiermachers Platon") deutlich gezeigt.
Der "Schleiermacherianismus", wie Krämer ihn genannt hat, erscheint hier als ein Kunstprodukt, dem man schwerlich vorwerfen kann, die Platon-Forschung mehr als ein Jahrhundert lang von der Verfolgung ihrer eigentlichen Ziele abgelenkt zu haben. Wie die in der vorliegenden Ausgabe zugänglich gemachten Texte zeigen, wäre es jedenfalls eine extreme Verkürzung, wollte man Schleiermacher auf einen romantischen Infinitismus festlegen, dem die bloße Bewegung des Gedankens wichtiger ist als jedes Resultat. Für Schleiermacher kam es darauf an, mit allen Konsequenzen dem Grundsatz gerecht zu werden, "daß die Platonischen Dialoge Philosophie sind" - wie der Herausgeber das Prinzip dieser Platon-Deutung in einer einfachen, aber treffenden Formel zusammenfaßt.
Steiner war gut beraten, keine historisch-kritische Ausgabe, sondern lediglich eine Studienausgabe vorzulegen, wie sie gerade für die gegenwärtige Platon-Diskussion fruchtbar werden kann. Daß er auf eine Neuausgabe von Schleiermachers Anmerkungen - vorerst? - verzichtet, ist eine pragmatische, akzeptable Entscheidung, zumal diese Anmerkungen in ihrem ganzen Umfang ohnehin einen eigenen Band erfordert hätten.
Allerdings wäre es zweckmäßig gewesen, den Platon-Forscher Schleiermacher auch in Dokumenten und Briefen etwas ausführlicher zu Wort kommen zu lassen. Für den Benutzer einer Studienausgabe wäre es auch von Nutzen, würde ihm der Herausgeber mit einschlägigen Nachweisen dort Hilfestellung geben, wo sich Schleiermacher in seinen Texten auf andere Autoren bezieht. Störend wirken nicht so sehr die gelegentlich vorkommenden Druckfehler, wohl aber die Resultate eines Textverarbeitungsprogramms, das Silbentrennungsstriche dort nicht tilgt, sondern als Bindestriche übernimmt, wo das zunächst getrennte Wort wieder in die Zeilenmitte zu stehen kommt. Wo ein Textprogramm derartige Grenzen zeigt, läßt sich auf die Revision eines Lektors nicht gut verzichten.
Die vorliegende Studienausgabe kann vor allem dort eine differenzierende Sichtweise ermöglichen, wo man Schleiermacher und "Schleiermacherianismus" nicht mit hinreichender Klarheit unterscheidet. Gewiß wird auch sie den Streit um den Vorrang des geschriebenen oder des ungeschriebenen Platon nicht endgültig beilegen können. Doch ist es fraglich, ob dieser Streit überhaupt entscheidungsfähig ist. Es könnte sein, daß erst die mündlich und die schriftlich überlieferte Sphäre zusammen das Ganze der Platonischen Philosophie repräsentieren, auf eine Weise freilich, die es ausschließt, dieses Ganze in einer dieser Sphären unverkürzt vor Augen stellen zu können. WOLFGANG WIELAND
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: "Über die Philosophie Platons". Geschichte der Philosophie. Vorlesung über Sokrates und Platon (zwischen 1819 und 1823). Die Einleitungen zur Übersetzung des Platon (1804-1828). Hrsg. u. eingel. v. Peter M. Steiner. Felix Meiner Verlag, Hamburg 1996. 397 S., geb., 128,- DM.
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