Aristoteles' Traktat De anima untersucht die Natur der Seele. Unter >Seele< ist dabei jedoch nicht das subjektive Zentrum unseres mentalen Lebens zu verstehen, sondern dasjenige Prinzip, dessen Vorhandensein lebendige von leblosen Körpern unterscheidet. Es umfasst alle Formen des Lebendigen, also pflanzliches, tierisches und menschliches Leben. Ziel der Schrift ist es, die Seele zu definieren, d.h. zu erklären, was es für diese Formen des Lebendigen jeweils heißt, lebendig zu sein. Diskutiert werden: der vegetative Selbsterhalt, Wahrnehmung, menschliches Denken sowie die Ortsbewegung der Lebewesen. De anima gehört zu den faszinierendsten, philosophisch lohnendsten, aber auch schwierigeren Schriften des Aristoteles. Die zweisprachige Studienausgabe bietet eine vollständige Neuübersetzung. Benutzt wird die Edition des griechischen Textes von Aurelius Förster (Budapest 1912), von der sich die heutzutage sehr verbreitete Ausgabe von W. D. Ross textkritisch hat leiten lassen (OCT 1956 und 1971). Sie ist auch durch die späteren Ausgaben von Siwek (Rom 1965) und Jannone (Paris 1966) nicht ersetzt. Eine Einleitung führt in die Grundlagen und Voraussetzungen der aristotelischen Seelenlehre ein und gibt einen Überblick über den Gedankengang der Schrift. Der Kommentarteil ist so knapp wie möglich gehalten. Im Anhang sind ein Glossar und ein Verzeichnis der Abweichungen von der Ausgabe von Ross beigefügt.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2017So liest man heute Aristoteles
Bewundernswert: Klaus Corcilius öffnet den Zugang zur Schrift "Über die Seele"
Die Seele hat in den letzten Jahren ein bemerkenswertes Comeback erlebt. Sie gilt nicht länger als ein veraltetes Konzept, das man nur aus religiösen oder philosophischen Zusammenhängen kennt, mit dem wir aber heutzutage nichts mehr anfangen können. Im Gegenteil, die Seele begegnet uns überall, ganze Abteilungen in Buchhandlungen sind ihr gewidmet, man liest von der Seele in Lifestyle-Zeitschriften und in der Werbung für Wellnessangebote. Dabei ist nicht immer ganz klar, was genau mit diesem Wort angedeutet wird. Möglicherweise macht das Vage, Unbestimmte sogar einen Teil seines Reizes aus. Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Wissenschaft der Seele, die Psychologie, und die medizinische Behandlung der Seele, die Psychiatrie, dem Begriff heutzutage eher zurückhaltend gegenüberstehen und lieber mit anderen Konzepten arbeiten.
Zu dieser etwas paradoxen Situation bietet die Antike, wo der Begriff "psyche" seinen Ursprung findet, eine einleuchtende und auch hilfreiche Parallele. Denn im ersten Buch seiner Abhandlung über die Seele, die jetzt in einer glänzenden neuen Übersetzung von Klaus Corcilius vorliegt, setzt Aristoteles sich mit der ganzen Bandbreite von Bedeutungen und Assoziationen auseinander, wie sie zu seiner Zeit mit dem Begriff Seele verbunden wurden und nicht nur in der Naturphilosophie und der Medizin, sondern auch in der Literatur, der Religion und der bildenden Kunst entwickelt und dargestellt wurden.
Diese umfassen einerseits den kognitiven und emotionalen Bereich, andererseits aber auch Funktionen und Tätigkeiten, die sich aus dem Verhältnis der Seele zum Körper ergeben wie das Vermögen, den Körper zu bewegen und zu steuern. Auch zur Frage, wie die Seele sich überhaupt zum Körper verhält und ob sie mit dem Körper vergeht oder ihn irgendwie überlebt, gab es ein breites Spektrum von Vorstellungen und Argumenten, nicht zuletzt auch bei seinem Lehrer Platon. Aristoteles nimmt zu den meisten dieser Auffassungen kritisch Stellung, bevor er in den nächsten zwei Büchern seine eigenen Ansichten über die Seele darlegt.
Darüber hinaus aber verfolgt er auf einer Art Meta-Ebene die Frage, ob die Seele überhaupt Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung sein kann und wie eine solche wissenschaftliche Auseinandersetzung aussehen könnte, zum Beispiel, ob es eine richtige Definition der Seele gibt. Was hier auffällt, wie Corcilius in seiner Einführung betont, ist einerseits die stark naturwissenschaftliche, biologische Orientierung von Aristoteles' Ausführungen über die Seele und der enge Zusammenhang zu seinen zoologischen Werken, andererseits die Erkenntnis, dass damit nicht alle Aspekte des Seelischen erfasst werden können. Der Philosoph stellt seine Untersuchung nachdrücklich in den Rahmen der Erforschung der Natur in ihrer ganzen Vielfalt, in der die Seele als den Körper gestaltendes und zum Funktionieren befähigendes Lebensprinzip sozusagen die Einheit schafft, indem sie den zentralen erklärenden Faktor in der Frage nach dem Wesen und Verhalten aller Lebewesen darstellt.
Aus dieser grundsätzlich biologischen Orientierung erklärt sich einerseits die im Vergleich zu Vorgängern auffällige Breite der aristotelischen Seelenauffassung, die auch grundlegende Lebensfunktionen wie Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung umfasst und sich daher auch auf die Tiere und die Pflanzen ausdehnt, andererseits aber auch seine eher abstrakte und unpersönliche Vorstellung des menschlichen Bewusstseins und Denkens. "Aristoteles hat keine Philosophie des Geistes", heißt es provokant in Corcilius' Einleitung.
Aristoteles' "De Anima" gehört zu den faszinierendsten, aber auch schwierigsten Schriften des Philosophen. Eine gute, dem heutigen Sprachgebrauch angemessene deutsche Übersetzung war lange Zeit ein Desideratum. Corcilius, der in Tübingen antike Philosophie lehrt, füllt diese Lücke in bewundernswerter Weise. Die Übersetzung, die synoptisch neben dem mit kritischem Apparat versehenen griechischen Text abgedruckt wird, ist sehr sorgfältig, gleichzeitig aber klar und gut lesbar. Außerdem bietet die Ausgabe umfangreiche und sehr hilfreiche Erläuterungen, allerdings nicht in der Form eines laufenden Kommentars zum Text, sondern in einer ausführlichen Einleitung und in einem philosophischen Glossar, das die wesentlichen Begriffe und inhaltlichen Themen klar und überzeugend auslegt. In dieser Weise schafft Corcilius es, sowohl Experten als auch Studierende und andere Interessenten in die Lage zu versetzen, sich selbständig mit dem aristotelischen Text auseinanderzusetzen.
PHILIP VAN DER EIJK
Aristoteles:
"Über die Seele". De anima. Griechisch-Deutsch.
Übersetzt und herausgegeben von Klaus Corcilius. Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2017.
260 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bewundernswert: Klaus Corcilius öffnet den Zugang zur Schrift "Über die Seele"
Die Seele hat in den letzten Jahren ein bemerkenswertes Comeback erlebt. Sie gilt nicht länger als ein veraltetes Konzept, das man nur aus religiösen oder philosophischen Zusammenhängen kennt, mit dem wir aber heutzutage nichts mehr anfangen können. Im Gegenteil, die Seele begegnet uns überall, ganze Abteilungen in Buchhandlungen sind ihr gewidmet, man liest von der Seele in Lifestyle-Zeitschriften und in der Werbung für Wellnessangebote. Dabei ist nicht immer ganz klar, was genau mit diesem Wort angedeutet wird. Möglicherweise macht das Vage, Unbestimmte sogar einen Teil seines Reizes aus. Das ist vielleicht auch der Grund, warum die Wissenschaft der Seele, die Psychologie, und die medizinische Behandlung der Seele, die Psychiatrie, dem Begriff heutzutage eher zurückhaltend gegenüberstehen und lieber mit anderen Konzepten arbeiten.
Zu dieser etwas paradoxen Situation bietet die Antike, wo der Begriff "psyche" seinen Ursprung findet, eine einleuchtende und auch hilfreiche Parallele. Denn im ersten Buch seiner Abhandlung über die Seele, die jetzt in einer glänzenden neuen Übersetzung von Klaus Corcilius vorliegt, setzt Aristoteles sich mit der ganzen Bandbreite von Bedeutungen und Assoziationen auseinander, wie sie zu seiner Zeit mit dem Begriff Seele verbunden wurden und nicht nur in der Naturphilosophie und der Medizin, sondern auch in der Literatur, der Religion und der bildenden Kunst entwickelt und dargestellt wurden.
Diese umfassen einerseits den kognitiven und emotionalen Bereich, andererseits aber auch Funktionen und Tätigkeiten, die sich aus dem Verhältnis der Seele zum Körper ergeben wie das Vermögen, den Körper zu bewegen und zu steuern. Auch zur Frage, wie die Seele sich überhaupt zum Körper verhält und ob sie mit dem Körper vergeht oder ihn irgendwie überlebt, gab es ein breites Spektrum von Vorstellungen und Argumenten, nicht zuletzt auch bei seinem Lehrer Platon. Aristoteles nimmt zu den meisten dieser Auffassungen kritisch Stellung, bevor er in den nächsten zwei Büchern seine eigenen Ansichten über die Seele darlegt.
Darüber hinaus aber verfolgt er auf einer Art Meta-Ebene die Frage, ob die Seele überhaupt Gegenstand wissenschaftlicher Erforschung sein kann und wie eine solche wissenschaftliche Auseinandersetzung aussehen könnte, zum Beispiel, ob es eine richtige Definition der Seele gibt. Was hier auffällt, wie Corcilius in seiner Einführung betont, ist einerseits die stark naturwissenschaftliche, biologische Orientierung von Aristoteles' Ausführungen über die Seele und der enge Zusammenhang zu seinen zoologischen Werken, andererseits die Erkenntnis, dass damit nicht alle Aspekte des Seelischen erfasst werden können. Der Philosoph stellt seine Untersuchung nachdrücklich in den Rahmen der Erforschung der Natur in ihrer ganzen Vielfalt, in der die Seele als den Körper gestaltendes und zum Funktionieren befähigendes Lebensprinzip sozusagen die Einheit schafft, indem sie den zentralen erklärenden Faktor in der Frage nach dem Wesen und Verhalten aller Lebewesen darstellt.
Aus dieser grundsätzlich biologischen Orientierung erklärt sich einerseits die im Vergleich zu Vorgängern auffällige Breite der aristotelischen Seelenauffassung, die auch grundlegende Lebensfunktionen wie Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung umfasst und sich daher auch auf die Tiere und die Pflanzen ausdehnt, andererseits aber auch seine eher abstrakte und unpersönliche Vorstellung des menschlichen Bewusstseins und Denkens. "Aristoteles hat keine Philosophie des Geistes", heißt es provokant in Corcilius' Einleitung.
Aristoteles' "De Anima" gehört zu den faszinierendsten, aber auch schwierigsten Schriften des Philosophen. Eine gute, dem heutigen Sprachgebrauch angemessene deutsche Übersetzung war lange Zeit ein Desideratum. Corcilius, der in Tübingen antike Philosophie lehrt, füllt diese Lücke in bewundernswerter Weise. Die Übersetzung, die synoptisch neben dem mit kritischem Apparat versehenen griechischen Text abgedruckt wird, ist sehr sorgfältig, gleichzeitig aber klar und gut lesbar. Außerdem bietet die Ausgabe umfangreiche und sehr hilfreiche Erläuterungen, allerdings nicht in der Form eines laufenden Kommentars zum Text, sondern in einer ausführlichen Einleitung und in einem philosophischen Glossar, das die wesentlichen Begriffe und inhaltlichen Themen klar und überzeugend auslegt. In dieser Weise schafft Corcilius es, sowohl Experten als auch Studierende und andere Interessenten in die Lage zu versetzen, sich selbständig mit dem aristotelischen Text auseinanderzusetzen.
PHILIP VAN DER EIJK
Aristoteles:
"Über die Seele". De anima. Griechisch-Deutsch.
Übersetzt und herausgegeben von Klaus Corcilius. Felix Meiner Verlag, Hamburg, 2017.
260 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Hervorragende Übersetzung.« Berliner Zeitung, 03.06.2017