Über kaum ein anderes Land wird in Deutschland so viel geredet und gestritten: Zu Israel hat jeder eine Meinung. Warum ist das so? Wieso hat der Nahostkonflikt eine solche Bedeutung? Und warum ist die Debatte so emotional - und oft so vergiftet? Als Meron Mendel vor zwanzig Jahren nach Deutschland kam, stellte er überrascht fest, welche Bedeutung sein Heimatland Israel hier im öffentlichen Diskurs hatte. Schon damals konnten nahezu alle, mit denen er sprach, klare Positionen zu Israel und seiner Politik formulieren. Heute werden die Debatten noch heftiger geführt. Zuletzt haben sich Skandale aneinandergereiht - vom öffentlichen Streit um den antiisraelischen Philosophen Achille Mbembe im Jahr 2020 bis zur Documenta-Debatte von 2022. Einerseits wird eine Art "Freundschaftspflicht" aufgrund der NS-Vergangenheit und dem andauernden Antisemitismus in Deutschland proklamiert. Andererseits stellt sich die Frage, wie Deutschland auf den sich verschärfenden Rechtskurs der Regierung in Jerusalem reagieren soll. Meron Mendel schildert in diesem Buch, wie das Verhältnis zu Israel und zum Nahostkonflikt in Deutschland verhandelt wird, in der Politik und in den Medien, unter Linken, unter Migranten und unter Juden. Deutschlands Verhältnis zu Israel steht vor großen Herausforderungen: Meron Mendel zeigt, wie wir ihnen mit Mut und Offenheit begegnen können.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Günther Nonnenmacher empfiehlt das Buch von Meron Mendel als "analytischen Steifzug durch die deutsch-israelischen Beziehungen". Mit "autobiografischem Einschlag" und kritischem Blick auf seine Heimat Israel äußert sich der Autor zum Konflikt mit den Palästinensern, zur Likud-Partie, zur deutschen Linken und zum BDS, erklärt Nonnenmacher. Die heikle Kunst der Positionierung zum Thema Israel gelingt dem Autor dabei überzeugend, findet der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2023Wie die Kunst des Seiltanzes
Vor dem Hintergrund gescheiterter Friedensanstrengungen: Meron Mendel sondiert deutsche Debatten über Israel
Die fünfzehnte Documenta in Kassel wird wohl nicht als Welt-Kunstausstellung im öffentlichen Gedächtnis bleiben, sondern als Anlass einer neuerlichen Antisemitismusdebatte in Deutschland. Als die Documenta-Leitung einsah, dass die Sache für sie immer bedenklicher wurde, rief sie Meron Mendel als Mediator zu Hilfe. Der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und überdies regelmäßiger Beiträger in diesem Feuilleton merkte jedoch bald, dass die künstlerischen Kuratoren der Documenta, das indonesische Kollektiv Ruangrupa, zu einer echten Diskussion gar nicht bereit waren, und zog sich aus dem Geschehen zurück.
Auf den 1976 bei Tel Aviv geborenen Mendel war man gekommen, weil er sich mit dem Thema Antisemitismus als Betroffener, Wissenschaftler und Pädagoge befasst hatte. Sein jetzt erschienenes Buch "Über Israel reden: Eine deutsche Debatte" ist ein analytischer Streifzug durch die deutsch-israelischen Beziehungen und hat zudem einen stark autobiographischen Einschlag.
Mendel ist nicht nur Deutschland, sondern vor allem auch seinem Geburtsland gegenüber kritisch. Im Prolog und im Nachwort seines Buchs erklärt er, warum das so ist: Israel werde immer mehr zu einer "defekten Demokratie". Und er benennt ohne Umschweife einen wichtigen Grund dafür: das Scheitern aller Versuche, eine Friedensregelung zu finden und damit die Perpetuierung der Besatzung des Westjordanlandes. "Die Rede von der 'humanen Besatzung' - so die Rhetorik der israelischen Politiker meiner Jugendzeit - gehört bis heute zur großen Lebenslüge vieler Israelis." Seine Erfahrungen als junger Soldat in Ramallah oder Hebron hätten ihm gezeigt, "dass es so etwas nicht geben kann, denn jedes Besatzungsregime funktioniert nur über die Gewalt der Besatzer und die Angst der einheimischen Bevölkerung."
Mendel engagiert sich in Friedensprojekten, hat sich einer abermaligen Einberufung zum Militär entzogen, zählt zur Linken und bekennt sich als Angehöriger des "Tel-Aviv-Staates", benannt nach der weltläufigen, liberalen, hedonistischen Mittelmeerstadt, die das Gegenbild zum orthodoxen, von Strenggläubigen und Siedlern geprägten Jerusalem ist. Er bedauert, dass Israel nach 1967 "falsch abgebogen" sei. Aber eine Lösung für den Konflikt mit den Palästinensern hat auch er nicht - vielleicht gibt es den großen Wurf ("Zweistaatenlösung") auch gar nicht mehr, und man kann nur hoffen, dass kleinere, meist private Friedensprojekte doch Wirkung haben. Die neue israelische Regierung von Netanjahus Likud mit religiösen und politischen Extremisten hält Mendel für gefährlich und eine nationale Katastrophe.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt Mendel nun in Deutschland; er verfolgt die Diskussionen über das Verhältnis der Deutschen zu Israel ebenso wie die antisemitischen Strömungen und Aufwallungen hierzulande. Ein langes Kapitel widmet er den Spaltungen und Verwerfungen, die es bei diesem Thema unter deutschen Linken gibt. Dafür gibt es in Israel keine Entsprechung, da eine klar gezogene Linie die Anhänger eines irgendwie zu organisierenden Friedens mit den Palästinensern von jenen Israelis abgrenzt, die deren Heimatrechte im Westjordanland ablehnen. In Deutschland hat sich inzwischen der rechtsextreme Antisemitismus als die größere Gefahr vor den linken geschoben; aber Mendel erwähnt doch interessante Anekdoten, etwa Jürgen Trittins freundlichen Abgesang auf den "Kommunarden" und Antisemiten Dieter Kunzelmann.
Ein anderes langes Kapitel widmet Mendel dem Komplex BDS. Der Bundestag hat die lose organisierte Bewegung, die zum Boykott, zum Desinvestieren und zu Sanktionen gegen Israel aufruft, in einer Resolution als antisemitisch eingestuft. Mendel kommt im Ergebnis zu keinem anderen Urteil. Doch er billigt den Palästinensern etwa zu, dass sie das Recht hätten, ihre Interessen auch im öffentlichen Diskurs (oder in Verhandlungen) kämpferisch und hart zu vertreten. So sei die Forderung nach Rückkehr der vertriebenen Palästinenser nicht per se schon antisemitisch, auch wenn damit das Ende des "jüdischen Staates" Israel besiegelt wäre.
Für deutsche Leser, die sich im ideologischen und diplomatischen Labyrinth des Nahostkonflikts kaum zurechtfinden, dürften Mendels Anmerkungen zu zwei Themen insbesondere von Interesse sein: zur "Wiedergutmachung" seit den frühen Fünfzigerjahren und zu der Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Knesset 2008, die Sicherheit Israels sei für sie "als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben."
Was die sogenannte Wiedergutmachung seit 1952, kurz nach Gründung des westdeutschen Staates, angeht, ist offensichtlich, dass sie mehr realpolitische Hintergründe als moralische Bedeutung hatte: Ben Gurion brauchte Geld und Waffen, um den von Feinden umzingelten Staat Israel abzusichern, Adenauer sah das Abkommen zu Recht als Wiedereintrittskarte Deutschlands in den Kreis der zivilisierten Staaten. Dass mit der Wiedergutmachung anfangs kein echtes Schuldbekenntnis verbunden war, stimmt ebenso wie der Vorwurf, dass die NS-Vergangenheit lange nicht aufgearbeitet wurde - jedenfalls bis zu den Auschwitz-Prozessen der Sechzigerjahre. In Gesellschaft, Wissenschaft und Schule nimmt das Thema jedoch seither einen eminenten Platz ein. Zum Problem ist inzwischen eher geworden, dass die Schuldbekenntnisse und Gedenkveranstaltungen riskieren, leer laufende Rituale zu werden. Darüber gibt es eine lebhafte Debatte, zu der, um nur drei Namen zu nennen, Dan Diner, Peter Longerich und Michael Wolffsohn Wichtiges beigetragen haben.
Was Angela Merkels inzwischen von vielen deutschen Politikern wiederholte Satz bedeutet, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, ist weniger klar. Markus Kaim hat darauf hingewiesen, dass damit im Grunde nur "alle bereits existierenden Grundentscheidungen der deutschen Israelpolitik zum wiederholten Male bekräftigt und programmatisch überwölbt wurden". Außerdem habe die Bundeskanzlerin "auf eine Frage geantwortet, die sich für die deutsche Außenpolitik nicht wirklich stellt. Niemand wird primär Deutschland konsultieren, wenn Israels Sicherheit unmittelbar durch einen Aggressor bedroht sein sollte." Von kaum zu überwindenden militärischen Problemen ganz abgesehen, ist die Formulierung so vage gehalten, dass sie sich kaum als Beistandsverpflichtung interpretieren lässt. Es sei denn, man verstünde sie im Sinn einer Hilfe, wie sie der Ukraine zuteil wird.
Auf die von ihm selbst gestellte Frage, ob man in Deutschland mehr Rücksicht auf Israel nehmen müsse als in anderen westlichen Demokratien, gibt Mendel keine eindeutige Antwort. Er stellt lediglich fest, dass "in der deutschen Öffentlichkeit Positionen zu Israel zu beziehen" ihm "manchmal wie die Kunst des Seiltanzes" vorkomme. So vollführt er denn in seinem Nachwort, das von seiner Ablehnung der neuen israelischen Regierung geprägt ist, ein besonders akrobatisches Manöver. Er fordert von der deutschen Politik "eine klare Absage an den Rechtsextremismus, auch wenn er im israelischen Kabinett auftritt. Das wäre auch ein Ausdruck dafür, dass Deutschland eine Lehre aus der Geschichte gezogen hat."
Es ist keine Frage, dass die rechtspopulistische und -extremistische israelische Regierung wenig Sympathie in Deutschland (und nicht nur hier) genießt. Doch auf die fast verzweifelte Frage Mendels, wie "Deutschland als Verbündeter Israels die einzige Demokratie in Nahost vor sich selbst retten" könne, wird er in Berlin keine Antwort erhalten. Starken politisch-diplomatischen Einfluss auf Israel haben nur die USA. Doch letztlich kann die Lösung nicht von außen kommen. So schwer es sein mag: Die israelische Demokratie retten können letztlich nur die Israelis selbst. GÜNTHER NONNENMACHER
Meron Mendel: "Über Israel reden". Eine deutsche Debatte.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023. 224 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Vor dem Hintergrund gescheiterter Friedensanstrengungen: Meron Mendel sondiert deutsche Debatten über Israel
Die fünfzehnte Documenta in Kassel wird wohl nicht als Welt-Kunstausstellung im öffentlichen Gedächtnis bleiben, sondern als Anlass einer neuerlichen Antisemitismusdebatte in Deutschland. Als die Documenta-Leitung einsah, dass die Sache für sie immer bedenklicher wurde, rief sie Meron Mendel als Mediator zu Hilfe. Der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Professor für Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences und überdies regelmäßiger Beiträger in diesem Feuilleton merkte jedoch bald, dass die künstlerischen Kuratoren der Documenta, das indonesische Kollektiv Ruangrupa, zu einer echten Diskussion gar nicht bereit waren, und zog sich aus dem Geschehen zurück.
Auf den 1976 bei Tel Aviv geborenen Mendel war man gekommen, weil er sich mit dem Thema Antisemitismus als Betroffener, Wissenschaftler und Pädagoge befasst hatte. Sein jetzt erschienenes Buch "Über Israel reden: Eine deutsche Debatte" ist ein analytischer Streifzug durch die deutsch-israelischen Beziehungen und hat zudem einen stark autobiographischen Einschlag.
Mendel ist nicht nur Deutschland, sondern vor allem auch seinem Geburtsland gegenüber kritisch. Im Prolog und im Nachwort seines Buchs erklärt er, warum das so ist: Israel werde immer mehr zu einer "defekten Demokratie". Und er benennt ohne Umschweife einen wichtigen Grund dafür: das Scheitern aller Versuche, eine Friedensregelung zu finden und damit die Perpetuierung der Besatzung des Westjordanlandes. "Die Rede von der 'humanen Besatzung' - so die Rhetorik der israelischen Politiker meiner Jugendzeit - gehört bis heute zur großen Lebenslüge vieler Israelis." Seine Erfahrungen als junger Soldat in Ramallah oder Hebron hätten ihm gezeigt, "dass es so etwas nicht geben kann, denn jedes Besatzungsregime funktioniert nur über die Gewalt der Besatzer und die Angst der einheimischen Bevölkerung."
Mendel engagiert sich in Friedensprojekten, hat sich einer abermaligen Einberufung zum Militär entzogen, zählt zur Linken und bekennt sich als Angehöriger des "Tel-Aviv-Staates", benannt nach der weltläufigen, liberalen, hedonistischen Mittelmeerstadt, die das Gegenbild zum orthodoxen, von Strenggläubigen und Siedlern geprägten Jerusalem ist. Er bedauert, dass Israel nach 1967 "falsch abgebogen" sei. Aber eine Lösung für den Konflikt mit den Palästinensern hat auch er nicht - vielleicht gibt es den großen Wurf ("Zweistaatenlösung") auch gar nicht mehr, und man kann nur hoffen, dass kleinere, meist private Friedensprojekte doch Wirkung haben. Die neue israelische Regierung von Netanjahus Likud mit religiösen und politischen Extremisten hält Mendel für gefährlich und eine nationale Katastrophe.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt Mendel nun in Deutschland; er verfolgt die Diskussionen über das Verhältnis der Deutschen zu Israel ebenso wie die antisemitischen Strömungen und Aufwallungen hierzulande. Ein langes Kapitel widmet er den Spaltungen und Verwerfungen, die es bei diesem Thema unter deutschen Linken gibt. Dafür gibt es in Israel keine Entsprechung, da eine klar gezogene Linie die Anhänger eines irgendwie zu organisierenden Friedens mit den Palästinensern von jenen Israelis abgrenzt, die deren Heimatrechte im Westjordanland ablehnen. In Deutschland hat sich inzwischen der rechtsextreme Antisemitismus als die größere Gefahr vor den linken geschoben; aber Mendel erwähnt doch interessante Anekdoten, etwa Jürgen Trittins freundlichen Abgesang auf den "Kommunarden" und Antisemiten Dieter Kunzelmann.
Ein anderes langes Kapitel widmet Mendel dem Komplex BDS. Der Bundestag hat die lose organisierte Bewegung, die zum Boykott, zum Desinvestieren und zu Sanktionen gegen Israel aufruft, in einer Resolution als antisemitisch eingestuft. Mendel kommt im Ergebnis zu keinem anderen Urteil. Doch er billigt den Palästinensern etwa zu, dass sie das Recht hätten, ihre Interessen auch im öffentlichen Diskurs (oder in Verhandlungen) kämpferisch und hart zu vertreten. So sei die Forderung nach Rückkehr der vertriebenen Palästinenser nicht per se schon antisemitisch, auch wenn damit das Ende des "jüdischen Staates" Israel besiegelt wäre.
Für deutsche Leser, die sich im ideologischen und diplomatischen Labyrinth des Nahostkonflikts kaum zurechtfinden, dürften Mendels Anmerkungen zu zwei Themen insbesondere von Interesse sein: zur "Wiedergutmachung" seit den frühen Fünfzigerjahren und zu der Aussage von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Knesset 2008, die Sicherheit Israels sei für sie "als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar. Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben."
Was die sogenannte Wiedergutmachung seit 1952, kurz nach Gründung des westdeutschen Staates, angeht, ist offensichtlich, dass sie mehr realpolitische Hintergründe als moralische Bedeutung hatte: Ben Gurion brauchte Geld und Waffen, um den von Feinden umzingelten Staat Israel abzusichern, Adenauer sah das Abkommen zu Recht als Wiedereintrittskarte Deutschlands in den Kreis der zivilisierten Staaten. Dass mit der Wiedergutmachung anfangs kein echtes Schuldbekenntnis verbunden war, stimmt ebenso wie der Vorwurf, dass die NS-Vergangenheit lange nicht aufgearbeitet wurde - jedenfalls bis zu den Auschwitz-Prozessen der Sechzigerjahre. In Gesellschaft, Wissenschaft und Schule nimmt das Thema jedoch seither einen eminenten Platz ein. Zum Problem ist inzwischen eher geworden, dass die Schuldbekenntnisse und Gedenkveranstaltungen riskieren, leer laufende Rituale zu werden. Darüber gibt es eine lebhafte Debatte, zu der, um nur drei Namen zu nennen, Dan Diner, Peter Longerich und Michael Wolffsohn Wichtiges beigetragen haben.
Was Angela Merkels inzwischen von vielen deutschen Politikern wiederholte Satz bedeutet, die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, ist weniger klar. Markus Kaim hat darauf hingewiesen, dass damit im Grunde nur "alle bereits existierenden Grundentscheidungen der deutschen Israelpolitik zum wiederholten Male bekräftigt und programmatisch überwölbt wurden". Außerdem habe die Bundeskanzlerin "auf eine Frage geantwortet, die sich für die deutsche Außenpolitik nicht wirklich stellt. Niemand wird primär Deutschland konsultieren, wenn Israels Sicherheit unmittelbar durch einen Aggressor bedroht sein sollte." Von kaum zu überwindenden militärischen Problemen ganz abgesehen, ist die Formulierung so vage gehalten, dass sie sich kaum als Beistandsverpflichtung interpretieren lässt. Es sei denn, man verstünde sie im Sinn einer Hilfe, wie sie der Ukraine zuteil wird.
Auf die von ihm selbst gestellte Frage, ob man in Deutschland mehr Rücksicht auf Israel nehmen müsse als in anderen westlichen Demokratien, gibt Mendel keine eindeutige Antwort. Er stellt lediglich fest, dass "in der deutschen Öffentlichkeit Positionen zu Israel zu beziehen" ihm "manchmal wie die Kunst des Seiltanzes" vorkomme. So vollführt er denn in seinem Nachwort, das von seiner Ablehnung der neuen israelischen Regierung geprägt ist, ein besonders akrobatisches Manöver. Er fordert von der deutschen Politik "eine klare Absage an den Rechtsextremismus, auch wenn er im israelischen Kabinett auftritt. Das wäre auch ein Ausdruck dafür, dass Deutschland eine Lehre aus der Geschichte gezogen hat."
Es ist keine Frage, dass die rechtspopulistische und -extremistische israelische Regierung wenig Sympathie in Deutschland (und nicht nur hier) genießt. Doch auf die fast verzweifelte Frage Mendels, wie "Deutschland als Verbündeter Israels die einzige Demokratie in Nahost vor sich selbst retten" könne, wird er in Berlin keine Antwort erhalten. Starken politisch-diplomatischen Einfluss auf Israel haben nur die USA. Doch letztlich kann die Lösung nicht von außen kommen. So schwer es sein mag: Die israelische Demokratie retten können letztlich nur die Israelis selbst. GÜNTHER NONNENMACHER
Meron Mendel: "Über Israel reden". Eine deutsche Debatte.
Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2023. 224 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Sein jetzt erschienenes Buch "Über Israel reden: Eine deutsche Debatte" ist ein analytischer Streifzug durch dir deutsch-israelischen Beziehungen und hat zudem einen stark autobiographischen Einschlag.« Günther Nonnenmacher FAZ 20230310
Rezensent Ronen Steinke lobt Meron Mendels kurzen Essay über die deutsche Israel-Debatte in den höchsten Tönen. Und das gerade weil das Buch weder jenen gefallen wird, die sich solidarisch mit Palästina erklären, um Israel "mal die Meinung zu geigen", noch jenen, die kompromisslose Solidarität mit Israel fordern, meint der Kritiker. Denn Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main, bemüht sich zwar um gegenseitiges Verständnis, nimmt aber auch kein Blatt vor den Mund: Es werde keine vernünftige Diskussion möglich sein, solange in Deutschland beide Seiten den Konflikt zwischen Israel und Palästinensern als "Projektionsfläche" für die Zurschaustellung ihrer eigenen "moralischen Überlegenheit" nutzen würden, schreibt Mendel. Zudem erzählt er, wie er schon als junger Israeli in den Neunzigern Produkte israelischer Siedler boykottierte, kritisiert aber zugleich die postkoloniale Forschung um Achille Mbembe und die Klage darüber, das Holocaust-Gedenken verhindere die Auseinandersetzung mit anderen Genoziden. Amüsiert liest Steinke auch, wenn Mendel schreibt, dass Israelis und Palästinenser gleichermaßen über die Deutschen, "eine Nation mit 80 Millionen Nahostexperten" schmunzeln würden. Ein wichtiges, "differenziertes" Buch, das der Kritiker gern auch der "tätowierten" Kreuzberger "Israel-Bubble" empfehlen würde, die sich heldenhaft vorkomme, wenn sie aus der Ferne israelische Politik kritisiere.
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