Gerechtfertigt zu sein, sagt Martin Walser, war einmal das Wichtigste. Staaten legitimieren sich durch Gesetze, Regierungen durch Wahlen. Aber der Einzelne? Zum Beispiel Josef K. im Proceß von Franz Kafka. Für Martin Walser ist das Buch der «Roman einer Gewissenserforschung, einer Suche nach Rechtfertigung», so wie Josef K. für ihn der letzte Romanheld ist, der das Fehlen von Rechtfertigung als Drama erlebt und daran zugrunde geht. Demgegenüber leben wir seit langem ohne das Bedürfnis nach Rechtfertigung, ja ohne auch nur die Frage danach. Rechtfertigung wird ersetzt durch Rechthaben. Dass uns recht zu haben genügt, nennt Martin Walser eine Verarmung. Um deutlich zu machen, was uns abhandengekommen ist, geht er zurück in die Vergangenheit: von Kafka zu Augustinus; zu Luther, Calvin und Max Weber; zu Nietzsche und Karl Barth, in deren Gegenüberstellung das Buch seinen Höhepunkt hat. «Einschlafen», sagt er, «könnte ich ohne sie. Aber um aufzuwachen aus dieser und jener Verschlafenheit, brauche ich beide.» Über Rechtfertigung ist Gewissenserkundung und Suche, Annäherung an Vorbilder und Vordenker, um über «verführerische Sprachbewegungen» zu den entscheidenden Fragen des Lebens, Glaubens und Schreibens vorzudringen. Oder zumindest zu einer Ahnung von dem, was fehlt.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der Theologe Jan-Heiner Tück kennt Martin Walsers Glaubensnöte schon. Wenn der Schriftsteller in diesem Essay erneut seinen Phantomschmerz den Glauben betreffend schreibend umkreist, hört Tück dennoch genau hin. Walser fragt nach der Rechtfertigung des Menschen und derjenigen Gottes, und Tück kann seine Sympathie für diese Art Selbsterkundung nicht verhehlen. Aber auch sein Unbehagen nicht, wenn Walser ihm eher in literarischer Hinsicht fasziniert zu sein scheint von Karl Barths "Römerbrief" und seiner dualistisch scheinenden Erwählungstheorie. Laut Tück jedoch geht Barth weiter hin zu einer Universalisierung, die Walser übersieht. Den Autor lädt er ein, mit ihm im theologischen Seminar zu klaren Begriffen zu gelangen, anstelle emphatisch Transzendenz zu beschwören.
© Perlentaucher Medien GmbH
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