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Tambudzai lebt arbeitslos in einem heruntergekommenen Hostel in der Innenstadt von Harare und macht sich Sorgen um ihre Zukunft. Bei jedem Versuch, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, wird sie mit neuen Demütigungen konfrontiert. Der schmerzhafte Kontrast zwischen der Zukunft, die sie sich ausgemalt und für die sie hart gearbeitet hatte, und ihrer aussichtslosen (Alltags-)Realität, führt sie in die Verzweiflung und an einen Wendepunkt. Als sie schließlich einen vielversprechenden Job angeboten bekommt, ahnt sie noch nicht, dass dieser sie letztlich um die Würde ihrer Familie und ihrer…mehr

Produktbeschreibung
Tambudzai lebt arbeitslos in einem heruntergekommenen Hostel in der Innenstadt von Harare und macht sich Sorgen um ihre Zukunft. Bei jedem Versuch, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, wird sie mit neuen Demütigungen konfrontiert. Der schmerzhafte Kontrast zwischen der Zukunft, die sie sich ausgemalt und für die sie hart gearbeitet hatte, und ihrer aussichtslosen (Alltags-)Realität, führt sie in die Verzweiflung und an einen Wendepunkt. Als sie schließlich einen vielversprechenden Job angeboten bekommt, ahnt sie noch nicht, dass dieser sie letztlich um die Würde ihrer Familie und ihrer Gemeinschaft bringen wird … Tsitsi Dangarembga geht in diesem spannenden und psychologisch aufgeladenen Roman der Frage nach, was es heißt, in einer postkolonialen Gesellschaft als Schwarze gebildete Frau zu überleben – in einem Land, das jede Hoffnung verloren hat und politisch wie wirtschaftlich am Boden liegt. "Wenn du willst, dass das Leiden endet, dann musst du handeln." Tsitsi Dangarembga
Autorenporträt
Tsitsi Dangarembga ist Filmemacherin, Dramaturgin und Schriftstellerin. 1988 veröffentlichte sie ihren Roman "Nervous Conditions", der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Das Buch gilt als der erste afrikanische Frauenroman. 1992 gründete sie ihre eigene Produktionsfirma Nyerai Films. Tsitsi Dangarembga setzt sich intensiv für die Förderung filmschaffender Frauen in Simbabwe und anderen afrikanischen Ländern ein. Sie ist Gründerin der Organisation Women Filmmakers of Simbabwe und Direktorin des International Images Film Festival for Women in Harare. Seit 2009 steht Tsitsi Dangarembga dem Institute of Creative Arts for Progress in Africa Trust vor. 2021 erhielt sie den PEN Pinter Prize, den PEN International Award for Freedom of Expression sowie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensentin Miryam Schellbach zeigt sich beeindruckt von Tsitsi Dangarembga ihrer Trilogie, die von Anette Gruber ins Deutsche übersetzt wurde. Die simbabwische Schriftstellerin und Friedenspreisträgerin erzählt in diesem Band wieder von Simbabwe im Postkolonialismus und der dort herrschenden Gewalt, doch diesmal können sich die Leser*innen durch die Erzählstimme der zweiten Person noch besser mit der nicht immer einfachen Heldin Tambudzai identifizieren, erklärt die Rezensentin. Der Sozialrealismus der Autorin scheint der Kritikerin mitunter schmerzhaft, gelegentlich machen ihr Dangarembgas Analysen auch bewusst, dass sich der Text nicht nur an die weiße Leserschaft richtet. Eine starke Erzählung, die mit Blick auf den englischen Originaltitel (Unmournable Bodies) von all den Erinnerungen an jene Menschen erzählt, um die nicht getrauert wurde, schließt die Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2021

Die Schmerzensreiche
In „Überleben“ erzählt Friedenspreisträgerin Tsitsi Dangarembga von einer postkolonialen
Nation und einer jungen Frau am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie
VON MIRYAM SCHELLBACH
Als Tsitsi Dangarembga in der Frankfurter Paulskirche ans Podium trat, um den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegenzunehmen, sagte sie, Simbabwe, der Staat, aus dem sie komme, habe niemals Frieden gekannt. Zu allen Zeiten wurden „schwarze Körper“, fügte sie hinzu, „unterschiedlichen Formen der Gewalt unterzogen“. Während der britischen Kolonisierung ab 1823, in der Phase ab 1965, als die von Allmachtsfantasien getriebenen Weißen ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erklärten und den Siedlerstaat Rhodesien gründeten. Und auch seit der Unabhängigkeit Simbabwes 1980, eines Landes, das, in Dangarembgas Worten, entstanden war „durch einen brutalen Freiheitskampf, in dem von beiden Seiten Gräueltaten verübt wurden“.
Gewalt und eine Rhetorik der Feindseligkeit, „die bis zum heutigen Tag die simbabwische Obrigkeit beherrscht“ und sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht, ist das Thema der Romantrilogie Dangarembgas, deren erster Band „Aufbrechen“ 1988 erschien. Der letzte Roman der Tambudzai-Reihe, der den Titel „Überleben“ trägt, war 2020 für den Booker-Preis nominiert, und im Jahr des Friedenspreises für Dangarembga hat Anette Grube ihn ins Deutsche übersetzt. Dangarembga, die auch zu den bekanntesten Filmregisseurinnen Simbabwes zählt, rückt Involvierte, Mittäter, Schuldige in den Fokus. Vielleicht weil in einem Land, dessen Vergangenheit von kolonialer Gewalt durchzogen ist, die Frage nach Schuld zu komplex ist, um sich auf die Entgegensetzung von Kollaboration und Widerstand reduzieren zu lassen.
Tambudzai Sigauke ist eine der Antiheldinnen, von denen Dangarembga erzählt. In die Sechzigerjahre, eine Zeit der ethnischen und politischen Auseinandersetzungen, hineingeboren, hat sie für moralische Selbststilisierung wenig übrig. Die ersten beiden Bände erzählte Dangarembga noch in der ersten Person, in „Überleben“ hat sie sich für die manipulativere Erzählstimme der zweiten Person entschieden: „Du gibst Chilisoße auf deine Eier und fragst dich, warum alles, vor allem wenn Weiße es sagen, auf das Dorf und deine Mutter hinausläuft“. Wir sind alle Tambudzai, sind junge Frauen aus Simbabwe ohne Aufstiegschancen und in einer ewigen Gewaltschleife gefangen, lautet der Appell dieser erzählerischen Entscheidung, wenn das inflationäre Du als Ansprache an den Leser verstanden wird. Als Selbstgespräch korrespondiert die Erzählhaltung aber vor allem mit Tambudzais psychischer Wirrnis, der Anstrengung, die Erinnerungen an den blutigen Freiheitskampf zu verdrängen: Bilder von „knusprig verbrannten Männern, schwarz und klein wie Babys“, wie es einmal heißt.
„Überleben“ beginnt mit einer öffentlichen Erniedrigung. Diese Szene kündigt einen ganzen Reigen kleiner und größter Übergriffe an. Tambudzai, die in einem Mädchenpensionat in der Hauptstadt Harare wohnt, dem sie als „Mittelalte“ allmählich entwachsen ist, wird Zeugin, wie ihre Zimmernachbarin Gertrude zur Zielscheibe eines misogynen Ausbruchs wird: „Du weichst nicht zurück, wie ein Gedanke in deinem Kopf es wünscht. Stattdessen gehorchst du dem anderen Gedanken, drängst nach vorn. Du willst die Form des Schmerzes sehen, seine Arterien und Venen nachfahren, das Muster der Kapillaren aus dem Körper reißen.“
Tambudzai hilft ihrer am Boden liegenden Mitbewohnerin nicht. Es ist ein für Dangarembgas Erzählweise typisches Moment der moralischen Offenheit, dass Tambudzai sogar selbst nach einem Stein greift, dann aber nicht zum Wurf auf die Schwächere ausholt, weil der Furor des Mobs jäh von einem Passanten unterbrochen wird. Die Protagonistin dieses Romans ist, zeigt sich, zu allem bereit. So stark ist sie in eine von Krieg gebeutelte Gesellschaft eingeflochten. Dangarembgas Sozialrealismus ist schmerzhaft.
Sie hat einmal darauf hingewiesen, dass ihre Hauptfigur als Symbol für die junge Nation Simbabwe gelesen werden kann. Interessanter ist die etwas einfachere Deutung: „Überleben“ gibt einen Eindruck davon, wie es einer jungen Frau auf dem Arbeitsmarkt Simbabwes ergehen kann, wenn sie gut ausgebildet und schwarz ist. Über eine Regierungsquote für afrikanische Schüler, gemeint sind Schwarze, bekommt Tambudzai, Tochter einer mittellosen Witwe aus einem Shona-Dorf in den Eastern Highlands Simbabwes, ein Stipendium für ein christliches College. Mit dem Abitur am „Young Ladies’ College of the Sacred Heart“ und einem Abschluss in Public Relations an der Universität Harare hat sie einen überdurchschnittlich hohen Abschluss für eine Frau in Simbabwe. Es ist aber, sagt sich Tambudzai, eine „wertlose Bildung, die deine Bettelarmut noch intensiviert und sie dadurch nur umso lächerlicher macht“. Mit einer Qualifikation wie ihrer hätten die meisten längst das Land Richtung Südafrika, Botswana oder Europa verlassen, rät ihr jemand.
Tambudzai aber bleibt. Ihren Job als Werbetexterin kündigt sie, weil die weißen Chefs sich rücksichtslos an ihren Ideen bedienen. Dann wird sie Lehrerin, erträgt aber die Schülerinnen und Schüler nicht, weil ihr die kriegsunerfahrenen Kinder unkritisch, narzisstisch, verwöhnt vorkommen. Sie empfindet Groll auf deren ungebrochenes Weltbild, auf die Sorglosigkeit. Die Schüler nennen ihre Lehrerin „Tambudzai, die Schmerzensreiche“, ihres ostentativen Unglücks wegen. Tambudzai schlägt zu. Sie verliert ihren Job, als sie eine Schülerin so lange mit einem Stahlwinkel prügelt, bis diese auf einem Ohr taub wird.
Ein neuer Versuch. Tambudzai wird Mitarbeiterin in einem Öko-Start-up, das unter dem Banner der Nachhaltigkeit europäischen Touristen eine authentische Afrika-Erfahrung verspricht. „Wir können“, sagt ihr die weiße Chefin, „die Leute sensibilisieren und etwas gegen den Klimawandel tun und gleichzeitig Geld verdienen.“ Gegen diesen Pioniergeist kann sich Tambudzai nicht verwehren. Sie möchte unbedingt Fuß fassen, Karriere machen. Und verrät dafür ihr Herkunftsdorf. Als ihr ein Projekt mit dem euphemistischen Namen „Village Eco Transit“ angeboten wird, kehrt sie als Dorftourmanagerin mit Dollarscheinen in der Tasche in das Dorf ihrer Kindheit zurück. Die Rückkehr der gemachten Frau im lilafarbenen SUV inszeniert Dangarembga in einem neokolonialen Bild. „Du hast oft von diesem Augenblick geträumt. Du bist vorbereitet. Eine Megapackung Süßigkeiten liegt neben dir auf dem Beifahrersitz. (…). Jetzt nimmst du eine Handvoll. Sahne-, Schoko- und Fruchtbonbons fliegen durch das Fenster, und hinter deinem Wagen bricht der Kampf erneut aus.“
Die folgende Szene offenbart eine quälende Wahrheit. Der koloniale Blick auf eine Gesellschaft konfrontiert ihre Mitglieder auch lange nach der Dekolonisierung noch mit dem, was sich die ehemaligen Kolonialmächte als das Wilde imaginiert hatten. Tambudzai hat nicht nur Bonbons im Gepäck, sondern bunt bedruckte Röcke, Beinrasseln und Sambia-Tücher. Sie will den Europäern die authentische „Busch-Erfahrung“ verschaffen, auch gegen den Willen ihrer Verwandten, gar der eigenen Mutter, die für das Spektakel als Schauspielerinnen engagiert sind. Die Szene eskaliert.
„Weil sie um die wenigen Ressourcen kämpfen müssen, die ihnen bleiben, treten Frauen miteinander in Konkurrenz“, hat Tsitsi Dangarembga in einem BBC-Interview zur Rolle der Frau in Simbabwe gesagt. Eine politische oder soziologische Analyse der postkolonialen Aufstiegsgesellschaft im Ringen um eine ökonomische Freiheit, die der Kolonialismus in seinem Nachwirken auch heute noch versagt, ist ihr Buch aber nicht. Stark wird diese Erzählung, weil Tambudzais Misanthropie, ihr beruflicher Selbstboykott, ihre Bereitschaft, die eigene Mutter als primitive Wilde zu vermarkten, eine postkoloniale Struktur erkennen lassen, ohne sie erklären zu müssen. In ihrer Freiheit zu zeigen, statt zu analysieren, wird auch deutlich, dass Dangarembga nicht primär für ein weißes Publikum schreibt.
Es ist nicht möglich, jede Untat, die sich auf der Welt ereignet, wahrzunehmen. „Aber wir sollten uns wenigstens einen Moment Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass der Mainstream so schnell darüber entscheidet, dass so manch gewaltvoller Tod bedeutungsvoller ist als ein anderer“, mahnte der Schriftsteller Teju Cole vor einiger Zeit im New Yorker. Sein Beitrag trägt den Titel „Unmournable Bodies“ – Körper, um die wir nicht trauern. Tsitsi Dangarembga hat sich mit ihrem Roman, der mit einem Nicken in Richtung Teju Coles im englischen Original „This Mournable Body“ heißt, dieser Hierarchie der Trauer entzogen. Sie erzählt von denen, die ihr Leben lang heimgesucht werden von der Erinnerung an Körper, um die nicht getrauert wurde.
An ihrer Freiheit, nicht zu
erklären, sieht man, dass sie
nicht primär für Weiße schreibt
Tsitsi Dangarembga:
Überleben. Roman.
Aus dem Englischen von
Anette Gruber.
Orlanda, Berlin 2021.
376 Seiten, 24 Euro.

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