Die Welt der nordamerikanischen Plattensammler ist bizarr und wirkt in Zeiten von Musikstreaming und Plattformökonomie fast schon antiquiert. Doch es waren jene Sammler der 78er-Schellackplatten, die Vorgänger der Vinyls, die den Kanon US-amerikanischer Musik prägten und noch heute für deren Erhalt und immer wieder neue Entdeckungen sorgen. Einfühlsam beleuchtet Amanda Petrusich diese ferngerückte Welt mit ihren Sammlern, Händlern und Musikern. Zwischen Flohmarktkisten lässt sie sich von einem Sammler in die Kunst des Aufspürens seltener Platten einführen und taucht selbst ab in eine rauschhafte Suche nach alten 78ern. Kenntnisreich schlüsselt sie die tontechnischen Erfindungen und Anfänge der Musikindustrie in den »race records« auf, aber im Kern dreht sich doch alles um die Wurzeln der nordamerikanischen Musik, einzelne Songs und die frühen schwarzen Blues-Musiker:innen, die Schlüsselfiguren für deren Entwicklung waren. Dabei spricht aus jeder Zeile der ebenso versierten wie leidenschaftlichen Kritikerin und Autorin eine tiefe Liebe zur Musik, die förmlich dazu auffordert, selbst zurück zu den Ursprüngen des Musikhörens zu finden, die Töne auf den Trägern wieder greifen zu können und jedes Knistern als Indiz für die Geschichte hinter dem Song wahrzunehmen. So ist ihr Buch auch eine Hommage an die Leidenschaft des Sammelns und eine Suche nach der Seele Nordamerikas.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Fasziniert erkundet Rezensent Olaf Velte gemeinsam mit Amanda Petrusich die Welt der Schellack-Schallplatten-Sammler. Die Journalistin widmet sich, erfahren wir, der Szene jener Enthusiasten, die zerbrechliche 10-Zoll-Scheiben sammeln, auf der in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts populäre Musik diverser Genres gepresst wurden. Die Sammler sind auch Forscher, was laut Velte Petrusichs Recherche zugute kommt, aber auch etwas Problematisches hat, insbesondere wenn urbane weiße Spezialisten sich schwarze Musikkultur aneignen und dabei auch umdefinieren. Petrusich ist ihrem Thema durchaus ebenfalls verfallen, meint der Rezensent, auf emotionale Formulierungen verweisend. Schnell, dynamisch und selbstironisch ist das geschrieben, heißt es weiter, eine große Spannbreite der Sammelleidenschaft tut sich auf. Auch fragt sich die Autorin laut Velte gelegentlich, ob das nerdige Katalogisieren die richtige Haltung ist zu dieser Musik. Sollte man nicht eher "tanzen, heulen, sich besaufen"?
© Perlentaucher Medien GmbH
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