Walter Kempowski macht auch dann aus seinem Herzen keine Mördergrube, wenn er über seine Schriftstellerkollegen schreibt. Er lässt recht unverhüllt erkennen, wem seine Sympathie gilt und wem nicht. Nichts liegt ihm ferner als eine »objektive« Würdigung. Ihn interessieren Macken und Marotten, Haar- und Barttracht, Eß- und Trinkgewohnheiten, Kleidervorlieben, Missgeschicke und Todesarten. Die Porträts sind mit sicherer Hand hingeworfene Skizzen, »Schnappschüsse« aus dem ganz persönlichen Blickwinkel des Autors. Das macht sie so lebendig, amüsant und anregend. Das Buch enthält ein Vorwort von Kempowskis langjährigem Lektor Karl Heinz Bittel.
Anregende und amüsante Streifzüge durch die Welt der Literaten.
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Walter Kempowski blickt auf die Autorenkollegen
Von Kai Sina
Eine geradezu kindliche Angst vor den Großen und Größten der Literatur, gepaart mit einem bodenlosen Minderwertigkeitsgefühl - das ist eines der Grundmotive in den Tagebüchern Walter Kempowskis. Gegen die raumgreifende Körperlichkeit eines Günter Grass etwa, seinem Lieblingsfeind, erscheint Kempowski die eigene zartgebaute Physis mehr als läppisch: "Es fehlt mir das Faszinosum. Wenn ich den Raum betrete, reden die Leute einfach weiter. Kein Mensch dreht sich nach mir um." Bei einer Begegnung mit Thomas Bernhard wird Kempowski gar zu einem eingeschüchterten Schuljungen, der den Mut nicht findet, den Polemiker um einen Eintrag in sein "Poesie-Album" zu bitten. Und jeder Versuch, die engen Regeln der Bürgerwelt einmal lustvoll zu übertreten, wirkt mit Blick auf den überspannten Habitus eines Wolf Wondratschek von vornherein nur lächerlich: "Wondratschek ließ sich mal in einem Puff interviewen. Der boxte ja auch."
Vor dem Hintergrund dieser Angst ist der "Umgang mit Größen" zu lesen, wie er in den knapp hundert kurzen Autorenporträts greifbar wird, die Kempowski zwischen 1997 und 1999 für die "Welt am Sonntag" schrieb und die nun, leicht überarbeitet, in Buchform vorliegen (herausgegeben von Karl Heinz Bittel, Kempowskis langjährigem Lektor beim Knaus Verlag). Auch in diesen Artikeln, die sich ausschließlich Dichtern von Rang und Namen widmen, herrschen beständig Furcht und Zittern. Vor lauter Hemmung, Susan Sontag persönlich um ein Autogramm zu bitten, muss Kempowski seine Assistentin schicken: "Ich selbst hätte mich nicht getraut, wie sie da auf dem Teppich saß." Uwe Johnson beschreibt Kempowski verängstigt als "grob, saugrob", man müsse stets auf der Hut sein, "sonst haut er dir noch einen an den Ballon". Die "zurückhaltende Gewalttätigkeit" eines Arno Schmidt erfuhr Kempowski dagegen am eigenen Leib: "Gott, wie hat er mich abfahren lassen, und ich wollte ihm doch nur etwas Freundliches sagen."
Auf diese "Größen" reagieren Kempowskis Miniaturen mit gezielter Respektlosigkeit; der Kleinmut wird in ihnen zum Stilprinzip. Der Nationaldichter Thomas Mann etwa schrumpft hier zum "Mann mit der Warze". Daraus ergibt sich dann auch eine drängende Anschlussfrage: "Warum hat er sie nicht wegmachen lassen?" Hierzu schweigt die Philologie. Und fröhlich reitet Kempowski weiter auf äußerlichen Mängeln und eigenwilligen Marotten der Geistesgrößen rum: Der späte Böll habe sich "zum Seehund verändert durch einen grauen Schnauzbart". Max Frisch "hatte einen leichten Sprachfehler, was nicht auffiel, wenn er an seiner Pfeife sog". Und Hesses ausgeprägte Humorlosigkeit sei unverkennbar in einem kleidungstechnischen Detail zu erkennen: "den Hemdkragen überm Jacket!"
So zerstäubt die "Größe" in diesen Schilderungen unversehens; auch die Allergrößten sind nur Mängelwesen, denen sich "unsereiner" getrost zurechnen darf - und heißt er auch "bloß Walter". Die Verkleinerung der Größten dient Kempowski offenbar zur Schmälerung seiner eigenen Angst, der Kleinste zu sein - ein Prinzip, das durchaus an den Scheinriesen aus "Jim Knopf" erinnert, der nur aus der Ferne seine Riesenhaftigkeit entfaltet: Genau wie Jim bei Michael Ende können wir Leser mit Kempowski lernen, "nie wieder" vor irgendwem "Angst zu haben", bevor man ihn nicht "aus der Nähe" betrachtet hat.
Aber dieser Gedanke lässt noch tieferen Aufschluss über das Selbst- und Weltverständnis des humoristischen Melancholikers aus der Norddeutschen Tiefebene zu. Von Beginn an hebt Kempowski in Gesprächen und Essays die Gleichheit der Menschen als Mängelwesen hervor und greift dabei immer wieder auf ein religiös gefärbtes Vokabular zurück: Vom "erbarmungswürdigen Menschlichen, das uns allen gemeinsam ist", spricht Kempowski bereits in den frühen Siebzigern; ähnlich begründet er das Nebeneinander von Tätern und Opfern im "Echolot", seiner riesenhaften Tagebuchcollage des Zweiten Weltkrieges, als Akt der "Barmherzigkeit" angesichts der Unzulänglichkeit aller Menschen. Der "Umgang mit Größen", in denen sich die Vorstellung vom Dichter als Stimme einer höheren Wahrheit in Luft auflöst, lässt sich somit als Umsetzung einer alten biblischen Weisheit entziffern: "Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt." Dadurch, dass Kempowskis zwiespältiger, ja abgründiger Humor auch vor der eigenen Person nicht haltmacht, gewinnt er schließlich, was er an sich selbst so schmerzlich vermisst: Größe.
Walter Kempowski: "Umgang mit Größen". Meine Lieblingsdichter - und andere.
Hrsg. von Karl Heinz Bittel. Knaus Verlag, München 2011. 288 S., geb., 19,99 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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