Burkhard Hofmann ist ärztlicher Psychotherapeut in Hamburg mit langjähriger Berufserfahrung. Als neugieriger, aufgeschlossener Therapeut hat er seinen Wirkungskreis geografisch erweitert bis hinunter in die Golfregion. Ein Teil seiner Patienten kommt aus der arabischen Welt und ist vom Islam
geprägt. Psychische Probleme kennen weder Länder- noch Kulturgrenzen. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein…mehrBurkhard Hofmann ist ärztlicher Psychotherapeut in Hamburg mit langjähriger Berufserfahrung. Als neugieriger, aufgeschlossener Therapeut hat er seinen Wirkungskreis geografisch erweitert bis hinunter in die Golfregion. Ein Teil seiner Patienten kommt aus der arabischen Welt und ist vom Islam geprägt. Psychische Probleme kennen weder Länder- noch Kulturgrenzen. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein in der westlichen Welt sozialisierter Therapeut in einer muslimischen Welt zurecht kommt, in der eine Trennung zwischen Kirche und Staat nicht existiert. Der Autor berichtet über seine Erfahrungen und erstellt ein Psychogramm der arabischen Psyche.
Bereits der erste Fall macht deutlich, wo die Unterschiede zur westlichen Welt liegen. Wenn sich eine Frau scheiden lassen will, steht das im krassen Gegensatz zur Verpflichtung zu ewiger Treue gegenüber der Familie und der tradierten Kultur. Die von klein auf anerzogenen strengen Regeln im Islam bewirken, dass Menschen Schuldgefühle entwickeln, wenn sie dagegen verstoßen. "Man bewegt sich eben nur in bekanntem Gelände. Es fehlt der Drang, Grenzen zu überschreiten." (25) Insofern ist es schon erstaunlich, dass Menschen mit muslimischer Prägung einen westlichen Therapeuten aufsuchen. Eine Scheidung im Islam ist möglich, aber es Bedarf vieler Verhandlungstage vor Gericht und massiver Zugeständnisse der Frau.
Hofmann stellt Fälle aus seiner Praxis vor. Es handelt sich um überwiegend gut betuchte Muslime der gehobenen Mittelschicht, die seine Praxis aufsuchen bzw. die er in ihrem Heimatland besucht. Den Behandlungsmöglichkeiten eines westlichen Therapeuten sind Grenzen gesetzt, denn das Psychische wird von vielen Muslimen immer noch als die primäre Domäne des Religiösen angesehen. Abweichungen werden unter den Verdacht der Sünde gestellt. (253) Insofern verwundert es den Leser, welche Mengen an Psychopharmaka, Schlaftabletten und Beruhigungsmittel am Golf in Umlauf sind. Hier vertraut man offensichtlich der westlichen Medizin.
Psychische Probleme erwachsen aus einer religiös geprägten Kultur, die keinen Zweifel und keinen Widerspruch duldet. Das verhindert die Abnabelung von der Familie, führt zu Unsicherheiten im Umgang mit der Sexualität und zu einem mittelalterlichen Frauenbild. Positiv gesehen fühlen sich die Gläubigen in ihrem Glauben geborgen, der ihnen hilft, Krisen zu überwinden und Sinn zu sehen, wo westlich geprägte Menschen sinnloses Leid erblicken. "Der Glaube bleibt ebenso unumstößlich wie die allerorts vorhandenen autoritären Staatsstrukturen." (128) Für Zweifel bleibt kein Platz, denn Zweifel führen je nach Ventil zu Angst oder Aggression.
Angst ist das zentrale Thema in Hofmanns Fallbeschreibungen. Stockschläge, wie bei den Beduinen erfahren, sind kein wirksames Mittel gegen Depressionen. (262) Kritik am Koran ist verbotenes Terrain. Menschen aus der gehobenen arabischen Mittelschicht werden bei ihrem Studium in Paris oder London mit völlig anderen Lebensentwürfen konfrontiert, die Zweifel säen können. Hofmanns Analysen der Psyche zeichnen ein Bild, welches tiefer geht als das, was allgemein in den Medien über den Islam zu lesen oder zu hören ist. Er plausibilisiert Verhaltensweisen, die oftmals nur oberflächlichen betrachtet werden. Dennoch gilt: "Wir [im Westen] sollten nicht versuchen, uns kompatibler zu geben, als wir sein können und vielleicht auch wollen. Das Verleugnen des Trennenden hilft nicht bei der Wirklichkeitsbewältigung." (283)