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Erstmals aus dem Nachlass veröffentlicht: der Urtext eines wichtigen Essays von Sigmund Freud. Sigmund Freud beendete im Januar 1936 einen Essay für die geplante Festschrift zum 70. Geburtstag von Romain Rolland. Dieser Essay wurde ein Jahr danach im »Psychoanalytischen Almanach« veröffentlicht. Von diesem Text existiert eine zweite, ihrem Umfang nach erweiterte, bisher unveröffentlichte Fassung, die unter dem Titel »Unglaube auf der Akropolis« aus dem Nachlass gehoben, nun erstmals veröffentlicht wird. Darin erinnert sich Freud an die im Spätsommer 1904 mit seinem Bruder Alexander in Athen…mehr

Produktbeschreibung
Erstmals aus dem Nachlass veröffentlicht: der Urtext eines wichtigen Essays von Sigmund Freud. Sigmund Freud beendete im Januar 1936 einen Essay für die geplante Festschrift zum 70. Geburtstag von Romain Rolland. Dieser Essay wurde ein Jahr danach im »Psychoanalytischen Almanach« veröffentlicht. Von diesem Text existiert eine zweite, ihrem Umfang nach erweiterte, bisher unveröffentlichte Fassung, die unter dem Titel »Unglaube auf der Akropolis« aus dem Nachlass gehoben, nun erstmals veröffentlicht wird. Darin erinnert sich Freud an die im Spätsommer 1904 mit seinem Bruder Alexander in Athen besuchte Akropolis und an die ihm nicht erklärlichen Entfremdungsgefühle, die ihn mitten in den bewunderten Ruinen überfallen hatten. Am Ziel seiner Reise mochte er nicht so recht glauben, es wirklich bis zur Akropolis geschafft zu haben - als einer, dessen Vater mit ehrlicher Arbeit es nie so weit gebracht hatte wie seine von Triest nach Griechenland aufgebrochenen Söhne.
Autorenporträt
Sigmund Freud (1856-1939) ist als Kulturtheoretiker, Religionskritiker und Begründer der Psychoanalyse einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Alexandre Métraux, (geb. 1945), studierte und promovierte in Basel und ist Mitglied der Archives Herni Poincaré an der Université de Lorraine (Campus Nancy). Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Wissenschaftsgeschichte, die Geschichte wissenschaftlicher Medien und Instrumente sowie Theorien des Sammelns und der Sammlungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2021

Im Zug nach Leipzig erwachte die ödipale Libido
Varianten, die nach Deutungen verlangen: Alexandre Métraux präsentiert einen bisher ungedruckten Text von Sigmund Freud

Eine aufregende Nachricht: ein neuer Text von Sigmund Freud, vermutlich aus den Dreißigerjahren, ist erschienen. Alexandre Métraux hat ihn in einem hübschen, schmalen Band herausgegeben, der den gleichen Titel trägt wie der Neuling: "Unglaube auf der Akropolis". Der Text umfasst zehn Druckseiten, ebenso viele wie ein anderer bekannter Text sehr ähnlichen Inhalts, den Métraux ebenfalls abgedruckt hat, nämlich die 1936 erschienene "Erinnerungsstörung auf der Akropolis". In beiden Texten analysiert Freud einen Moment der Selbstentfremdung, den er 1904 erlebt hatte, als er mit seinem Bruder auf der Akropolis stand.

Es ist keine Frage, dass wir Varianten vor uns haben: Die bekannte Fassung ist in der Form eines Briefes formuliert, plaudernd, intim, charmant und eingängig, die neue eher trocken und schwerfällig; außerdem enthält sie Überlegungen zur Erklärung der Erinnerungsstörung, die in der bekannten Fassung ebenso fehlen wie ein Absatz über die Eisenbahnfahrt des kleinen Sigmund nach Leipzig. Man hatte wohl bisher die Unterschiede zwischen den Varianten unterschätzt und deshalb keinen Blick auf den "Unglauben" geworfen, der kaum beachtet im Archiv der Österreichischen Nationalbibliothek lag.

Ins Zentrum seines achtzigseitigen Nachworts stellt Métraux die Frage, welcher Text als Urfassung anzusehen ist und welcher als Bearbeitung. Gleich zu Beginn teilt er mit, dass er die Frage nicht schlüssig beantworten kann, erzählt dann aber doch die Geschichte beider Texte, soweit sie bisher bekannt ist. Er präsentiert eine Fülle von Quellen, hauptsächlich Briefe, die alle bereits veröffentlicht wurden, die meisten in Henri und Madeleine Vermorels 1993 erschienenem Standardwerk über die Beziehung zwischen Freud und Romain Rolland, dem französischen Schriftsteller und Pazifisten, der uns aus Freuds Erörterung des "ozeanischen Gefühls" einer grenzenlosen All-Verbundenheit vertraut ist, das Freud von sich selbst nicht zu kennen behauptete. Einer Festschrift zum siebzigsten Geburtstag Rollands stellte Freud die "Erinnerungsstörung" zur Verfügung, während er den "Unglauben" nie publizierte. Er spendete das Manuskript 1937 einer Gruppe von Rolland-Anhängern, die mit dem Erlös des Verkaufs von Autographen bekannter Persönlichkeiten die Opfer des Spanischen Bürgerkriegs unterstützen wollte.

All diese Dinge erzählt Métraux, streckenweise sehr spannend. Öfter geht allerdings die Frage nach der Chronologie verloren, und der Leser wird mit einer Sammlung von Quellen alleingelassen, wohl in der Hoffnung, der Zusammenhang würde sich von selbst herstellen. Das hat wohl mit Métraux' Methode der "Wortwörtlichkeit" zu tun. Der Autor stellt engagiert dar, dass er die "Inwendigkeit" ablehnt, die Suche nach "inneren" Zusammenhängen oder den Motiven eines Autors. Man stimmt ihm gern zu, wenn er ein uferloses, blindes Deuten kritisiert, das sich gerade im Gefolge der Psychoanalyse entwickelt hat. Aber wie weit kommt er damit?

Was die Chronologie betrifft, entscheidet sich Métraux gegen Ende des Buches doch, und zwar für die plausible These, der neue "Unglaube" sei der Urtext. Für ausschlaggebend hält er die Beobachtung, dass Freud hier den Namen seines früheren Mentors und Kollegen Josef Breuer nennt, während er in der "Erinnerungsstörung" seine Tochter Anna erwähnt. Als Begründung gibt er an, dass Freud den Beitrag für Rolland zur gleichen Zeit fertigstellte, in der Anna an ihrem Buch über das Ich und die Abwehrmechanismen arbeitete. Da habe sich Freud "mental" für Anna entschieden.

Das mag "wortwörtlich" zutreffen, überzeugt aber nicht. Denn Métraux behauptet, Anna habe Deutungen geben können, die Freud selbst "nicht zu erbringen vermochte". Wie Breuer der "stellvertretende Erklärer" des Urtexts sei, komme Anna die Rolle der "Aufklärerin" im späteren Text zu. In der Tat eine interessante These, nur wird sie von Métraux mit keinem Wort belegt. Sie dürfte auch schwer zu erweisen sein, weil Freuds Entdeckung einer mit unterschiedlichen Mechanismen arbeitenden Abwehr unverträglicher Inhalte aus einer Zeit stammt, in der Anna noch gar nicht geboren war.

Ein über die Worte hinausreichender Vergleich beider Texte wäre vermutlich lohnend gewesen. Métraux hätte dann diskutieren müssen, warum sich nur in der verworfenen Fassung ein Unterkapitel über die "synthetische Funktion des Ichs" befindet, ein Konzept, das Freud in keiner von ihm selbst autorisierten Publikation benutzte. Ebenso hätte die Streichung der Fahrt nach Leipzig erörtert werden müssen, auf der Freud als Dreijähriger die unbekleidete Mutter sah, was seine "Libido gegen matrem" weckte. Von hier aus hätte sich, diese Spekulation sei erlaubt, ein Weg zum Abwehrmechanismus der Verleugnung des anatomischen Geschlechtsunterschieds ergeben, mit dem der kleine Junge, wie Freud meinte, auf die Penislosigkeit der Frau reagiert, um später nach entsprechenden Drohungen von einer potentiell traumatischen Kastrationsangst erfasst zu werden. Folgte man diesem Deutungsansatz, ergäbe sich, dass die auf die Mutter bezogenen Aspekte des ödipalen Geschehens in der publizierten Analyse der Verleugnung des Realitätscharakters der Wahrnehmungen auf der Akropolis fehlen und anstelle dessen die Pietät gegenüber dem Vater als Auslöser des Entfremdungsgefühls genannt wird: Aus Rücksicht auf den Vater habe er sich, so Freud, nicht dem ödipalen Triumph hingeben können, es weitergebracht zu haben als er.

Die Forschung ist nun zur Klärung der Chronologie der Texte und der Motive aufgerufen, die Freud dazu bewogen haben könnten, den einen Text zu publizieren und den anderen einem ungewissen Schicksal auszuliefern. Man wird dann auch Gelegenheit haben, den neuen Text um die Stellen zu vervollständigen, an denen Métraux Freuds Handschrift nicht entziffern konnte, und nachzuprüfen, ob die bisweilen zweifelhaft erscheinende Transkription korrekt ist. Bis dahin haben wir das Vergnügen, einen noch unberührten Text von Freud lesen und mit eigenen Deutungen versehen zu können. ULRIKE MAY

Sigmund Freud: "Unglaube auf der Akropolis". Ein Urtext und seine Geschichte. Hrsg. v. Alexandre Métraux.

Wallstein Verlag, Göttingen 2021. 120 S., Abb., geb., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Ulrike May hat das Vergnügen, einen noch unbekannten Text von Sigmund Freud über einen 1904 von Freud selbst erlebten "Moment der Selbstentfremdung" lesen zu dürfen. Aufregend findet sie schon den Fund in der Österreichischen Nationalbibliothek an sich. Was der Herausgeber Alexandre Metraux daraus macht, indem er die zehn Druckseiten neben einen bekannten Text sehr ähnlichen Inhalts setzt und allerhand erläuternde Quellen auffährt, gibt der Forschung neue Nahrung, meint May. Motivfragen, die Frage der Chronologie der beiden Texte und jene, warum Freud den einen publizierte, den anderen nicht, werden die Wissenschaft beschäftigen, ahnt sie, zumal der Herausgeber sich bei seinem Vergleich auf die Worte in den beiden Texten beschränkt.

© Perlentaucher Medien GmbH
»wir (haben) das Vergnügen, einen noch unberührten Text von Freud zu lesen und mit eigenen Deutungen versehen zu können« (Ulrike May, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.08.2021) »(Métraux) schreibt ansprechend und mitreißend und bleibt bei seinem vielfältigen Abwägen und Argumentieren immer klar.« (literaturkritik.de, Martin Lowsky, 08.04.2021)