Das philosophische Enfant terrible Harry G. Frankfurt ist zurück, und zwar mit einem Paukenschlag. Nach seinem Welterfolg Bullshit widmet er sich in bewährt streitbarer Manier einer hochaktuellen Debatte: ökonomische Ungleichheit. Während man sich allenthalben einig ist, dass die ungleiche Verteilung von Gütern und Reichtum das große Problem unserer Zeit sei, postuliert Frankfurt die radikale Gegenthese: Ungleichheit ist moralisch irrelevant. Mit schwindelerregenden Gedankenexperimenten wirft Frankfurt ein vollkommen neues Licht auf Begriffe wie Genügsamkeit, Glück und Gerechtigkeit – und beantwortet nebenbei die heikle Frage, warum wir nicht alle gleich viel haben müssen.
In zwei Essays stellt Harry G. Frankfurt eine Debatte auf den Prüfstand, die bisher niemand hinterfragt hat, und bringt vermeintlich unumstößliche Gewissheiten ins Wanken. So rigoros wie wegweisend, so überraschend wie überfällig.
In zwei Essays stellt Harry G. Frankfurt eine Debatte auf den Prüfstand, die bisher niemand hinterfragt hat, und bringt vermeintlich unumstößliche Gewissheiten ins Wanken. So rigoros wie wegweisend, so überraschend wie überfällig.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Zunächst begrüßt Jens-Christian Rabe noch, dass sich Harry G. Frankfurt nicht bloß als ideengeschichtlich bewanderter "Quasi-Journalist" in die Tagespolitik einmischt. Dann aber geht der Kritiker mit dem Autor hart ins Gericht: Dass Frankfurt bei der Untermauerung seiner These, "ökonomische Ungleichheit als solche sei moralisch nicht verwerflich", Stimmen von bekannten "moralinen Egalitaristen" ausspart, findet der Rezensent ärgerlich. Wenn der Philosoph dann weiter ausführt, dass nicht die Ungleichheit an sich, sondern nur deren Folgen problematisch seien, erkennt Rabe auf "philosophische Schattenboxerei"; Frankfurts einfacher "Genug-für-alle-Gedanke" erscheint dem Kritiker schließlich wie "neunmalkluger Gratis-Antimoralismus". Auch wenn der Rezensent dem Buch einige kluge kritische Gedanken, etwa an dem in der linken Wirtschaftswissenschaft geschätzten "Gesetz des abnehmenden Grenznutzens" entnimmt, muss er gestehen, dass der Philosoph seiner eigenen Definition von "Bullshit" ziemlich nahe kommt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2016Die große Ungleichmacherei
Der Philosoph Harry G. Frankfurt möchte, dass jeder weiß, was ihm guttut, und hält die Gleichheit für ein gefährliches Ideal
Die Bettler sitzen den ganzen Tag dort, wo Leute ihr Geld für Dinge, die sie brauchen oder nur haben wollen, ausgeben möchten, ohne dass sie dabei von Mitmenschen gestört werden, die nichts anderes machen, als von ihnen das zu fordern, was einer nach Ansicht derer, die es haben, sich verdienen muss: Geld und ein gutes Leben. Jemand sei zufrieden, meint der Philosoph Harry G. Frankfurt, wenn er sich über seine Lebensumstände nicht ärgert, wenn er nicht versucht, sie zu verbessern. Kann einer sein Leben und damit sich selbst einfach ändern? Den Beruf wechseln? Bei gleichem Lohn weniger arbeiten? Noch einmal von vorne anfangen? Gleichheit als solche, worin immer sie sich durchsetzen soll, meint Harry G. Frankfurt, sei nicht erstrebenswert.
Das Herz für Fremde ist nicht besonders groß, es geben nicht immer dieselben jeden Tag einem Bettler Geld. Wie lange hält das gute Gefühl an, etwas geschenkt zu haben, wie oft überwiegt es die Skepsis vor der Not? Wenn es einem schlechter geht als anderen, sagt Frankfurt, bedeutet das nicht, dass es einem schlechtgeht. In Notlagen, wie sie wegen der Flüchtlinge entstanden sind, verschieben sich die Parameter der Güte und des Mitgefühls, das lehrt ein Blick auf die vielen ehrenamtlichen Helfer, die Deutschstunden geben, Patenschaften übernehmen, Kleidersammlungen organisieren und Essen austeilen. Aus moralischer Perspektive, bestätigt Harry G. Frankfurt den großen Einsatz beschränkter Mittel, sei nicht entscheidend, dass jeder dasselbe hat, sondern dass jeder genug hat. Wachsen aber nicht die individuellen Bedürfnisse mit den allgemeinen Möglichkeiten?
Das Geld ist, das merkt jeder, der es nicht im Überfluss besitzt, rasch weg und reicht nie für all das, was einem in die Augen fällt. Frankfurt findet, dass das Glück nicht davon abhängt, dass jeder gleich viel Geld hat. Jeder sollte lieber realistisch einzuschätzen lernen, "wie sehr sein Lebensweg seinen individuellen Fähigkeiten entspricht, seine besonderen Bedürfnisse befriedigt, seine besten Potentiale zur Entfaltung bringt und ihm das bietet, was ihm wichtig ist". Ein solcher Weg zu sich selbst kann sich hinziehen. Wie eine Krankenschwester in der Zwischenzeit mit den eigenen unerfüllten Wünschen und dem erhaltenen Lohn auf zufriedenstellende Weise klarkommen soll, sagt Harry G. Frankfurt nicht. Wer andererseits zu dieser erlösenden Selbsterkenntnis nicht fähig ist und seine Lage nicht ändern kann, der muss sich keine Sorgen machen, dass er mit sich gescheitert sei: "Wenn jemand seine Absichten und Wünsche seinen Lebensumständen angepasst hat, ist das kein Beweis dafür, dass etwas schiefgelaufen ist in seinem Leben." Aber vielleicht ist es ein Beweis dafür, dass er das Wünschen nie gelernt oder aufgegeben hat?
Manche erwarten von einem Armen, dem sie einen Euro in die Hand drücken, dass er das Geld nicht versäuft, als hätten sie in seine Zukunft investiert und dürften mit dem Recht eines Aktionärs davon ausgehen, dass er sich jetzt Gedanken darüber macht, wie er seine Potentiale zur Entfaltung bringt. Wir geben so viel Geld, wie nötig ist, um unser Gewissen zu beruhigen, indem wir uns sagen, dass a) wir nicht die Einzigen seien, die Geld geben können, b) jeder letztendlich selbst versuchen müsse, wieder auf die Beine zu kommen, c) nicht allen Notleidenden geholfen werden könne und d) Leben eben auch Schicksal sei. Wir akzeptieren die Ungleichheit, dass nicht alle ein gleich gutes Leben haben, als Grundlage unserer gelegentlichen und kostengünstigen Korrektur eines extremen Mangels an Geld und Glück.
Gibt es jemanden, für den Gleichheit an sich (alle haben gleich viele Schuhe, gleich viel Hunger, gleich viel Freude) wünschenswert ist? Harry G. Frankfurt redet über Gleichheit und Ungleichheit nicht in Hinblick auf etwas, das den beiden Wörtern als Staat, Wirtschaftsweise, Lebenshaltung vorausgeht, zum Beispiel dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die ungleiche Verteilung von Geld und Besitz als Ausdruck von unter den Menschen ungleich vorhandenen (Begabung, Fähigkeiten, Eignung) oder ungleich geförderten (Wissen, Bildung, Leistungswille) Ressourcen gilt.
Die potentiellen Gewinner eines Wettbewerbs um den Zugang zu Glück und Geld haben die Zuversicht, die potentiellen Verlierer die Hoffnung, dass sich der Einsatz aller erlaubten Mittel auszahlen wird, so dass keiner auf der Straße sitzen und betteln muss. Das Ideal der Gleichheit (alle bekommen gleich viel Geld), sagt Harry G. Frankfurt, mache die Gleichheitsfanatiker blind für die Aufgabe, für sich, die anderen und die Gesellschaft herauszufinden, "was wirklich von grundlegendem moralischem und sozialem Wert ist". Doch erschwert nicht die ökonomische Ungleichheit (nicht alle Güter sind für alle da) herauszufinden, welchen sozialen und moralischen Nutzen für alle Gleichheit haben könnte?
Wer eine soziale Ordnung (wahlweise System, Struktur, Verhältnisse) voraussetzt, welche die Ungleichheit der Chancen und Mittel zum Wohlbefinden schafft und fördert, aber die extremen Folgen dieser Ungerechtigkeit nicht akzeptieren möchte, der wird mit Harry G. Frankfurt Verbesserungen in diesem oder jenem Bereich fordern und sich dafür einsetzen, dass die "Superreichen" etwas abgeben und die Armen nicht mehr arm sind. Entscheidend sei, meint der Philosoph, dass die, die weniger haben, zu wenig haben, nicht, dass sie weniger haben als andere. Was uns verstöre, sei die Tatsache, dass sie so arm sind. Wenn wir aber alle arm wären, würde uns dann ein Armer verstören?
Harry G. Frankfurt sagt, es sei sinnvoller, über Suffizienz zu reden, darüber, ob einer genug hat, um ein Leben zu führen, mit dem er zufrieden ist, was eben nicht bedeuten muss, dass alle gleich viel vom selben haben oder haben wollen. Müsste dann aber nicht einer von den Dingen, die er nicht kennt, wenigstens gekostet haben, um zu wissen, ob er zufriedener wäre, wenn er diese Dinge besäße, die mitunter objektiv seinem Leben guttun, wie bessere Nahrungsmittel, bessere medizinische Versorgung und bessere Bildung?
Falsch sei die Annahme, sagt Harry G. Frankfurt, "dass jemand, der über ein geringes Einkommen verfügt, mehr wesentliche unbefriedigte Wünsche hat als jemand Bessergestelltes". Jeder weiß aber aus Erfahrung, dass mit den ökonomischen Mitteln auch die Wünsche wachsen, weshalb wir lieber unseren Besitz vermehren, statt etwas davon abzugeben. Braucht einer Häuser, Grundstücke, Aktien und viel Geld auf dem Konto, um glücklich zu werden? Die Erfahrung derer, die all das haben, spricht gegen die Annahme, dass diese Dingen Lasten seien, die mit sich herumzuschleppen ein Opfer bedeutet. Ökonomische Ungleichheit ist für Harry G. Frankfurt vor allem ein Ausdruck von unterschiedlichen individuellen Vorlieben und Präferenzen, die im Leben geltend gemacht werden. Eine Voraussetzung dafür sei, dass jeder materiell genug habe. Um das Geld kommt keiner herum, auch wenn er davon nicht so viel haben möchte wie andere. Wo seine Bescheidenheit anfängt, wird er am besten herausfinden können, wenn er nicht aus Not bescheiden sein muss. Doch wo hört die Not des unerfüllten Suchens und Verlangens auf? Und wo beginnt der Überfluss?
Die Idee von Gleichheit an sich, die Harry G. Frankfurt nicht gefällt, ist ein Ideal, weil sie der Wirklichkeit der Ungleichheit hinterherhinkt. Ideale können Menschen vor der Willkür und Macht situativer Lagebeurteilungen durch den realistischen Verstand schützen. Alle Menschen zum Beispiel hätten etwas davon, wenn sie bei Kräften wären. Dass nicht alle gleich viele Bücher haben müssen, wenn nicht alle gerne lesen, versteht sich von selbst; so wie nicht alle Bücher, die allen gleich viel sagen möchten, allen gleich viel sagen, womit sie die tägliche Erfahrung von Ungleichheit bestätigen, mit der wir uns ungleich schneller abfinden als mit den ungleichen Forderungen der Gleichheit.
EBERHARD RATHGEB.
Harry G. Frankfurt: "Ungleichheit. Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen". Übersetzt von Michael Adrian. Suhrkamp, 107 Seiten, 10 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Philosoph Harry G. Frankfurt möchte, dass jeder weiß, was ihm guttut, und hält die Gleichheit für ein gefährliches Ideal
Die Bettler sitzen den ganzen Tag dort, wo Leute ihr Geld für Dinge, die sie brauchen oder nur haben wollen, ausgeben möchten, ohne dass sie dabei von Mitmenschen gestört werden, die nichts anderes machen, als von ihnen das zu fordern, was einer nach Ansicht derer, die es haben, sich verdienen muss: Geld und ein gutes Leben. Jemand sei zufrieden, meint der Philosoph Harry G. Frankfurt, wenn er sich über seine Lebensumstände nicht ärgert, wenn er nicht versucht, sie zu verbessern. Kann einer sein Leben und damit sich selbst einfach ändern? Den Beruf wechseln? Bei gleichem Lohn weniger arbeiten? Noch einmal von vorne anfangen? Gleichheit als solche, worin immer sie sich durchsetzen soll, meint Harry G. Frankfurt, sei nicht erstrebenswert.
Das Herz für Fremde ist nicht besonders groß, es geben nicht immer dieselben jeden Tag einem Bettler Geld. Wie lange hält das gute Gefühl an, etwas geschenkt zu haben, wie oft überwiegt es die Skepsis vor der Not? Wenn es einem schlechter geht als anderen, sagt Frankfurt, bedeutet das nicht, dass es einem schlechtgeht. In Notlagen, wie sie wegen der Flüchtlinge entstanden sind, verschieben sich die Parameter der Güte und des Mitgefühls, das lehrt ein Blick auf die vielen ehrenamtlichen Helfer, die Deutschstunden geben, Patenschaften übernehmen, Kleidersammlungen organisieren und Essen austeilen. Aus moralischer Perspektive, bestätigt Harry G. Frankfurt den großen Einsatz beschränkter Mittel, sei nicht entscheidend, dass jeder dasselbe hat, sondern dass jeder genug hat. Wachsen aber nicht die individuellen Bedürfnisse mit den allgemeinen Möglichkeiten?
Das Geld ist, das merkt jeder, der es nicht im Überfluss besitzt, rasch weg und reicht nie für all das, was einem in die Augen fällt. Frankfurt findet, dass das Glück nicht davon abhängt, dass jeder gleich viel Geld hat. Jeder sollte lieber realistisch einzuschätzen lernen, "wie sehr sein Lebensweg seinen individuellen Fähigkeiten entspricht, seine besonderen Bedürfnisse befriedigt, seine besten Potentiale zur Entfaltung bringt und ihm das bietet, was ihm wichtig ist". Ein solcher Weg zu sich selbst kann sich hinziehen. Wie eine Krankenschwester in der Zwischenzeit mit den eigenen unerfüllten Wünschen und dem erhaltenen Lohn auf zufriedenstellende Weise klarkommen soll, sagt Harry G. Frankfurt nicht. Wer andererseits zu dieser erlösenden Selbsterkenntnis nicht fähig ist und seine Lage nicht ändern kann, der muss sich keine Sorgen machen, dass er mit sich gescheitert sei: "Wenn jemand seine Absichten und Wünsche seinen Lebensumständen angepasst hat, ist das kein Beweis dafür, dass etwas schiefgelaufen ist in seinem Leben." Aber vielleicht ist es ein Beweis dafür, dass er das Wünschen nie gelernt oder aufgegeben hat?
Manche erwarten von einem Armen, dem sie einen Euro in die Hand drücken, dass er das Geld nicht versäuft, als hätten sie in seine Zukunft investiert und dürften mit dem Recht eines Aktionärs davon ausgehen, dass er sich jetzt Gedanken darüber macht, wie er seine Potentiale zur Entfaltung bringt. Wir geben so viel Geld, wie nötig ist, um unser Gewissen zu beruhigen, indem wir uns sagen, dass a) wir nicht die Einzigen seien, die Geld geben können, b) jeder letztendlich selbst versuchen müsse, wieder auf die Beine zu kommen, c) nicht allen Notleidenden geholfen werden könne und d) Leben eben auch Schicksal sei. Wir akzeptieren die Ungleichheit, dass nicht alle ein gleich gutes Leben haben, als Grundlage unserer gelegentlichen und kostengünstigen Korrektur eines extremen Mangels an Geld und Glück.
Gibt es jemanden, für den Gleichheit an sich (alle haben gleich viele Schuhe, gleich viel Hunger, gleich viel Freude) wünschenswert ist? Harry G. Frankfurt redet über Gleichheit und Ungleichheit nicht in Hinblick auf etwas, das den beiden Wörtern als Staat, Wirtschaftsweise, Lebenshaltung vorausgeht, zum Beispiel dass wir in einer Gesellschaft leben, in der die ungleiche Verteilung von Geld und Besitz als Ausdruck von unter den Menschen ungleich vorhandenen (Begabung, Fähigkeiten, Eignung) oder ungleich geförderten (Wissen, Bildung, Leistungswille) Ressourcen gilt.
Die potentiellen Gewinner eines Wettbewerbs um den Zugang zu Glück und Geld haben die Zuversicht, die potentiellen Verlierer die Hoffnung, dass sich der Einsatz aller erlaubten Mittel auszahlen wird, so dass keiner auf der Straße sitzen und betteln muss. Das Ideal der Gleichheit (alle bekommen gleich viel Geld), sagt Harry G. Frankfurt, mache die Gleichheitsfanatiker blind für die Aufgabe, für sich, die anderen und die Gesellschaft herauszufinden, "was wirklich von grundlegendem moralischem und sozialem Wert ist". Doch erschwert nicht die ökonomische Ungleichheit (nicht alle Güter sind für alle da) herauszufinden, welchen sozialen und moralischen Nutzen für alle Gleichheit haben könnte?
Wer eine soziale Ordnung (wahlweise System, Struktur, Verhältnisse) voraussetzt, welche die Ungleichheit der Chancen und Mittel zum Wohlbefinden schafft und fördert, aber die extremen Folgen dieser Ungerechtigkeit nicht akzeptieren möchte, der wird mit Harry G. Frankfurt Verbesserungen in diesem oder jenem Bereich fordern und sich dafür einsetzen, dass die "Superreichen" etwas abgeben und die Armen nicht mehr arm sind. Entscheidend sei, meint der Philosoph, dass die, die weniger haben, zu wenig haben, nicht, dass sie weniger haben als andere. Was uns verstöre, sei die Tatsache, dass sie so arm sind. Wenn wir aber alle arm wären, würde uns dann ein Armer verstören?
Harry G. Frankfurt sagt, es sei sinnvoller, über Suffizienz zu reden, darüber, ob einer genug hat, um ein Leben zu führen, mit dem er zufrieden ist, was eben nicht bedeuten muss, dass alle gleich viel vom selben haben oder haben wollen. Müsste dann aber nicht einer von den Dingen, die er nicht kennt, wenigstens gekostet haben, um zu wissen, ob er zufriedener wäre, wenn er diese Dinge besäße, die mitunter objektiv seinem Leben guttun, wie bessere Nahrungsmittel, bessere medizinische Versorgung und bessere Bildung?
Falsch sei die Annahme, sagt Harry G. Frankfurt, "dass jemand, der über ein geringes Einkommen verfügt, mehr wesentliche unbefriedigte Wünsche hat als jemand Bessergestelltes". Jeder weiß aber aus Erfahrung, dass mit den ökonomischen Mitteln auch die Wünsche wachsen, weshalb wir lieber unseren Besitz vermehren, statt etwas davon abzugeben. Braucht einer Häuser, Grundstücke, Aktien und viel Geld auf dem Konto, um glücklich zu werden? Die Erfahrung derer, die all das haben, spricht gegen die Annahme, dass diese Dingen Lasten seien, die mit sich herumzuschleppen ein Opfer bedeutet. Ökonomische Ungleichheit ist für Harry G. Frankfurt vor allem ein Ausdruck von unterschiedlichen individuellen Vorlieben und Präferenzen, die im Leben geltend gemacht werden. Eine Voraussetzung dafür sei, dass jeder materiell genug habe. Um das Geld kommt keiner herum, auch wenn er davon nicht so viel haben möchte wie andere. Wo seine Bescheidenheit anfängt, wird er am besten herausfinden können, wenn er nicht aus Not bescheiden sein muss. Doch wo hört die Not des unerfüllten Suchens und Verlangens auf? Und wo beginnt der Überfluss?
Die Idee von Gleichheit an sich, die Harry G. Frankfurt nicht gefällt, ist ein Ideal, weil sie der Wirklichkeit der Ungleichheit hinterherhinkt. Ideale können Menschen vor der Willkür und Macht situativer Lagebeurteilungen durch den realistischen Verstand schützen. Alle Menschen zum Beispiel hätten etwas davon, wenn sie bei Kräften wären. Dass nicht alle gleich viele Bücher haben müssen, wenn nicht alle gerne lesen, versteht sich von selbst; so wie nicht alle Bücher, die allen gleich viel sagen möchten, allen gleich viel sagen, womit sie die tägliche Erfahrung von Ungleichheit bestätigen, mit der wir uns ungleich schneller abfinden als mit den ungleichen Forderungen der Gleichheit.
EBERHARD RATHGEB.
Harry G. Frankfurt: "Ungleichheit. Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen". Übersetzt von Michael Adrian. Suhrkamp, 107 Seiten, 10 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.09.2016Schattenboxkabinettstückchen
Der amerikanische Stardenker Harry G. Frankfurt mischt sich mit „Ungleichheit“ philosophisch in die Tagespolitik
Dieses kleine Buch über das große Thema Ungleichheit ist ein so interessantes wie tückisches Buch. Man kann an ihm sehr gut sehen, was passiert, wenn sich Philosophen ins politisch-soziologische Kommentar-Tagesgeschäft tatsächlich philosophisch einmischen, und nicht bloß – wie im Normalfall – als ideengeschichtlich kundigere und bestenfalls etwas nachdenklichere Quasi-Journalisten. Weder Philosophie noch Politik sehen danach allerdings unbedingt besser aus.
Autor ist der 86-jährige amerikanische Philosoph und Philosophie-Professor Harry G. Frankfurt, der als Descartes-Interpret und mit Arbeiten zur Willensfreiheit in seinem Fach bekannt und 2005 mit einem kleinen Band namens „On Bullshit“ auch noch weltberühmt wurde. Der neue kleine Frankfurt „Ungleichheit – Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen“, sind – streng genommen – zwei alte Essays: „Ökonomische Gleichheit als moralisches Ideal“ aus dem 1987 und „Gleichheit und Achtung“ aus dem Jahr 1997. Das Thema ist natürlich so aktuell und viel diskutiert wie lange nicht. Worauf Frankfurt in seinem neuen Buch jedoch hinausmöchte,
ist keine nüchterne politiktheoretische Diskussion darüber, wie viel ökonomische Ungleichheit die Demokratie verträgt. Er möchte vielmehr über die – seiner Ansicht nach offenbar epidemische – unzulässige Moralisierung des Themas Ungleichheit sprechen, also die voreilige Bewertung von Tatsachen als gut oder böse. Zügig steuert er deshalb auf die These zu, dass „ökonomische Ungleichheit als solche moralisch nicht verwerflich“ sei.
Das ist nicht falsch. Und dass hier in wenigen Sätzen eine in ihrem Kern eher „harte“ zeitgenössische Debatte in eine rein moralische umgedeutet wird, wäre hinzunehmen, wenn man nun wenigstens ein paar prominente, notorisch unverbesserliche moraline Egalitaristen vorgeführt bekäme und ihre die Diskussion prägenden Einlassungen, in denen sie die Ungleichheit als an sich moralisch falsch brandmarken. Das ist aber nicht wirklich der Fall.
Einzig in ein paar Fußnoten geht es gegen Einlassungen von politischen Philosophen wie Thomas Nagel oder Ronald Dworkin. Deren Ansichten lassen sich allerdings nur unter Schmerzen als glasklare Plädoyers für die Gleichheit als Wert an sich lesen. Tatsächlich wissen auch sie ganz genau, dass reine Wahrheiten in sozialen Zusammenhängen sehr, sehr, sehr rar sind, was man ja nicht zuletzt daran erkennen kann, dass es vieler Kämpfe bedurfte, bis sich politische Leitwerte wie die Gleichheit dauerhaft etablierten.
Man ist damit aber immerhin dort, wo mit Frankfurts Argumentation steht und fällt: beim „An sich“. Man muss ihm also glauben, dass seine Gegner allesamt so dumm sind, die Ungleichheit „an sich“ für problematisch zu halten – und nicht etwa vor allem ihre unseligen Folgen, etwa ein krasses Machtungleichgewicht, Wettbewerbsvorteile, Armut. Diese Folgen findet jedoch auch Frankfurt nicht gut: „Aus moralischer Perspektive ist es nicht wichtig, dass jeder dasselbe hat. Was moralisch zählt, ist, dass jeder genug hat.“
Was aber nun bei der Lektüre solcher Einlassungen zählt, ist, dass wir es mit etwas zu tun haben, das man vielleicht philosophische Schattenboxerei nennen kann, den Kampf mit einem Gegner, den es gar nicht gibt, bei dem man sich aber irre clever vorkommt. Es ist eine echte Unsitte der laufenden – und grundsätzlich begrüßenswerten – Popularisierung der Philosophie, dass die jeweiligen Gegner zu Pappkameraden, statt so stark wie möglich gemacht werden. Der umtriebige junge deutsche Philosoph Markus Gabriel etwa geht in seinem „Neuen Realismus“ gegen die alten konstruktivistischen Theoretiker der Postmoderne leider ganz ähnlich vor.
Völlig absurd wird es bei Frankfurt dann, wenn er sich auch noch dazu versteigt, den schlichten Genug-für-alle-Gedanken zum „Suffizienzprinzip“ zu nobilitieren. Und ökonomische Gleichheit am Ende in dem Fall doch wieder moralisch für wichtig zu halten, in dem sie Ausdruck der persönlichen „Achtung“ des Einzelnen ist, die wiederum das allgemeine Unparteilichkeitsgebot fordere. Als ob es nicht genau das ist, worum es den bösen Egalitaristen geht. Mit dieser Art von neunmalklugem Gratis-Antimoralismus macht sich Philosophie lächerlich.
Die redliche und nötige Arbeit am Begriff gerät zu selbstgerechter Begriffshuberei, wenn man den Gegner dümmer macht, als er ist. Es mag den einen oder anderen strammen Moralisten geben unter den Freunden der Gleichheit. An der Debatte aber waren und sind ein paar zu viele Ökonomen beteiligt, die des blinden Moralismus eher unverdächtig sind. Der Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher etwa bemerkt in seinem neuen Buch „Verteilungskampf – Warum Deutschland immer ungleicher wird“: „Aus ökonomischer Perspektive ist Ungleichheit in Einkommen oder Vermögen erst einmal weder gut noch schlecht.“
Nicht verschwiegen sei allerdings auch, dass das Büchlein – wie so viele philosophische Bücher – in seiner Kritik an herrschendem Denken stärker ist als bei seinen konstruktiven Einlassungen. Frankfurts Einwände etwa gegen das in der linken Wirtschaftswissenschaft geschätzte „Gesetz des abnehmenden Grenznutzens“, nach dem die gleiche Verteilung von Geld einen höheren gesamtgesellschaftlichen Nutzen hat als eine ungleiche, ist schlagend: Manche Menschen könnten schließlich aus vollerem Herzen genießen als andere. Zudem sei Geld als Tauschmittel „grenzenlos vielseitig“, weshalb sich aus der Tatsache, dass der moderne Mensch dazu neige, das Interesse an dem zu verlieren, was er konsumiert, eben nicht schließen lasse, dass er irgendwann zwangsläufig auch das Interesse am Konsum selbst verliert. Und sehr gewitzt ist Frankfurts Formulierung der Antwort auf die Frage, was es nun heißt, dass jemand genug hat: Er befinde sich dann in Umständen, „unter denen mehr Geld ihn nicht in die Lage versetzen wird, erheblich weniger unglücklich zu sein“.
Womit man dann direkt beim Unschmeichelhaften des Büchleins für die Politik wäre: Der ewige materielle Vergleich bringt die oft so verhängnisvolle psychosoziale Dynamik des Kapitalismus erst in Gang: den ewigen Durst nach mehr. Zufriedenheit, also das Nicht-mehr-Wollen-als-man-eben-hat kann unter bestimmten Bedingungen ein fast subversiver Akt sein.
Genau hier, bei Frankfurts Rat, die eigenen Lebensumstände nicht mit denen anderer zu vergleichen, sondern sich zu fragen, ob einen das eigene Leben glücklich und zufrieden macht, gibt es aber auch wieder ein Problem für die Philosophie. Sie ist plötzlich ideologisch ambivalent bis zynisch: „Wenn es einem schlechter geht als anderen, heißt das nicht unbedingt, dass es einem schlecht geht.“ Es gebe immerhin, so Frankfurt, „keine notwendige Verbindung zwischen einem Leben am unteren Rand der Gesellschaft und einem Leben in einer Form von Armut, die einen Menschen ernstlich und auf moralisch verwerfliche Weise daran hindere“, ein gutes Leben zu führen.
Tatsächlich ist der ewige Vergleich und der damit verbundene pauschale Drang zu schlichter Gleichheit bestimmt kein allzu gutes Rezept für individuelles Glück. Er kann Menschen durchaus davon ablenken, „sich über ihre authentischen Ambitionen klar zu werden, nämlich jene, die sich dem spezifischen Charakter ihres eigenen Lebens verdanken, und nicht jene, die ihnen von den Umständen aufgedrängt werden, in denen andere zufälligerweise leben“. Aber ein politisches Problem so einfach zu einem privaten zu machen ist schon allein deshalb schwierig, weil damit statt des kritischen Beobachters plötzlich der duldsame Untertan zum idealen Bürger wird. Denn damit ist man wirklich geradewegs auf der dunklen Seite des amerikanischen Traums, nach dem es ja jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen können soll, der es nur ernsthaft genug versucht. Wer das glaubt, der glaubt später, wenn der Plan nicht aufging, auch brav, dass er es einfach nur nicht hart genug versucht hat. Und die Politik ist fein raus.
Am Ende muss man deshalb leider sagen, dass Frankfurt mit dem neuen Bändchen seiner eigenen Definition von Bullshit gefährlich nahekommt. Altes Problem übrigens der sogenannten analytischen angelsächsischen Philosophie: Es wird so getan, als werde extrem scharf gedacht, aber dann wird doch recht wenig wirklich erkannt. Man kann etwas sagen, das nicht ganz falsch ist, und trotzdem ziemlich danebenliegen.
JENS-CHRISTIAN RABE
Harry G. Frankfurt: Ungleichheit – Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 109 Seiten, 10 Euro. E-Book 9,99 Euro.
Ökonomische Ungleichheit
als solche ist moralisch
keineswegs verwerflich
Wer es nicht schafft, hat es nur
nicht hart genug versucht – so
privatisiert man politische Fragen
Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt, Jahrgang 1929, wurde mit dem Essay „On Bullshit“ weltweit bekannt. Foto: Bettina Strauss
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Der amerikanische Stardenker Harry G. Frankfurt mischt sich mit „Ungleichheit“ philosophisch in die Tagespolitik
Dieses kleine Buch über das große Thema Ungleichheit ist ein so interessantes wie tückisches Buch. Man kann an ihm sehr gut sehen, was passiert, wenn sich Philosophen ins politisch-soziologische Kommentar-Tagesgeschäft tatsächlich philosophisch einmischen, und nicht bloß – wie im Normalfall – als ideengeschichtlich kundigere und bestenfalls etwas nachdenklichere Quasi-Journalisten. Weder Philosophie noch Politik sehen danach allerdings unbedingt besser aus.
Autor ist der 86-jährige amerikanische Philosoph und Philosophie-Professor Harry G. Frankfurt, der als Descartes-Interpret und mit Arbeiten zur Willensfreiheit in seinem Fach bekannt und 2005 mit einem kleinen Band namens „On Bullshit“ auch noch weltberühmt wurde. Der neue kleine Frankfurt „Ungleichheit – Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen“, sind – streng genommen – zwei alte Essays: „Ökonomische Gleichheit als moralisches Ideal“ aus dem 1987 und „Gleichheit und Achtung“ aus dem Jahr 1997. Das Thema ist natürlich so aktuell und viel diskutiert wie lange nicht. Worauf Frankfurt in seinem neuen Buch jedoch hinausmöchte,
ist keine nüchterne politiktheoretische Diskussion darüber, wie viel ökonomische Ungleichheit die Demokratie verträgt. Er möchte vielmehr über die – seiner Ansicht nach offenbar epidemische – unzulässige Moralisierung des Themas Ungleichheit sprechen, also die voreilige Bewertung von Tatsachen als gut oder böse. Zügig steuert er deshalb auf die These zu, dass „ökonomische Ungleichheit als solche moralisch nicht verwerflich“ sei.
Das ist nicht falsch. Und dass hier in wenigen Sätzen eine in ihrem Kern eher „harte“ zeitgenössische Debatte in eine rein moralische umgedeutet wird, wäre hinzunehmen, wenn man nun wenigstens ein paar prominente, notorisch unverbesserliche moraline Egalitaristen vorgeführt bekäme und ihre die Diskussion prägenden Einlassungen, in denen sie die Ungleichheit als an sich moralisch falsch brandmarken. Das ist aber nicht wirklich der Fall.
Einzig in ein paar Fußnoten geht es gegen Einlassungen von politischen Philosophen wie Thomas Nagel oder Ronald Dworkin. Deren Ansichten lassen sich allerdings nur unter Schmerzen als glasklare Plädoyers für die Gleichheit als Wert an sich lesen. Tatsächlich wissen auch sie ganz genau, dass reine Wahrheiten in sozialen Zusammenhängen sehr, sehr, sehr rar sind, was man ja nicht zuletzt daran erkennen kann, dass es vieler Kämpfe bedurfte, bis sich politische Leitwerte wie die Gleichheit dauerhaft etablierten.
Man ist damit aber immerhin dort, wo mit Frankfurts Argumentation steht und fällt: beim „An sich“. Man muss ihm also glauben, dass seine Gegner allesamt so dumm sind, die Ungleichheit „an sich“ für problematisch zu halten – und nicht etwa vor allem ihre unseligen Folgen, etwa ein krasses Machtungleichgewicht, Wettbewerbsvorteile, Armut. Diese Folgen findet jedoch auch Frankfurt nicht gut: „Aus moralischer Perspektive ist es nicht wichtig, dass jeder dasselbe hat. Was moralisch zählt, ist, dass jeder genug hat.“
Was aber nun bei der Lektüre solcher Einlassungen zählt, ist, dass wir es mit etwas zu tun haben, das man vielleicht philosophische Schattenboxerei nennen kann, den Kampf mit einem Gegner, den es gar nicht gibt, bei dem man sich aber irre clever vorkommt. Es ist eine echte Unsitte der laufenden – und grundsätzlich begrüßenswerten – Popularisierung der Philosophie, dass die jeweiligen Gegner zu Pappkameraden, statt so stark wie möglich gemacht werden. Der umtriebige junge deutsche Philosoph Markus Gabriel etwa geht in seinem „Neuen Realismus“ gegen die alten konstruktivistischen Theoretiker der Postmoderne leider ganz ähnlich vor.
Völlig absurd wird es bei Frankfurt dann, wenn er sich auch noch dazu versteigt, den schlichten Genug-für-alle-Gedanken zum „Suffizienzprinzip“ zu nobilitieren. Und ökonomische Gleichheit am Ende in dem Fall doch wieder moralisch für wichtig zu halten, in dem sie Ausdruck der persönlichen „Achtung“ des Einzelnen ist, die wiederum das allgemeine Unparteilichkeitsgebot fordere. Als ob es nicht genau das ist, worum es den bösen Egalitaristen geht. Mit dieser Art von neunmalklugem Gratis-Antimoralismus macht sich Philosophie lächerlich.
Die redliche und nötige Arbeit am Begriff gerät zu selbstgerechter Begriffshuberei, wenn man den Gegner dümmer macht, als er ist. Es mag den einen oder anderen strammen Moralisten geben unter den Freunden der Gleichheit. An der Debatte aber waren und sind ein paar zu viele Ökonomen beteiligt, die des blinden Moralismus eher unverdächtig sind. Der Präsident des deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher etwa bemerkt in seinem neuen Buch „Verteilungskampf – Warum Deutschland immer ungleicher wird“: „Aus ökonomischer Perspektive ist Ungleichheit in Einkommen oder Vermögen erst einmal weder gut noch schlecht.“
Nicht verschwiegen sei allerdings auch, dass das Büchlein – wie so viele philosophische Bücher – in seiner Kritik an herrschendem Denken stärker ist als bei seinen konstruktiven Einlassungen. Frankfurts Einwände etwa gegen das in der linken Wirtschaftswissenschaft geschätzte „Gesetz des abnehmenden Grenznutzens“, nach dem die gleiche Verteilung von Geld einen höheren gesamtgesellschaftlichen Nutzen hat als eine ungleiche, ist schlagend: Manche Menschen könnten schließlich aus vollerem Herzen genießen als andere. Zudem sei Geld als Tauschmittel „grenzenlos vielseitig“, weshalb sich aus der Tatsache, dass der moderne Mensch dazu neige, das Interesse an dem zu verlieren, was er konsumiert, eben nicht schließen lasse, dass er irgendwann zwangsläufig auch das Interesse am Konsum selbst verliert. Und sehr gewitzt ist Frankfurts Formulierung der Antwort auf die Frage, was es nun heißt, dass jemand genug hat: Er befinde sich dann in Umständen, „unter denen mehr Geld ihn nicht in die Lage versetzen wird, erheblich weniger unglücklich zu sein“.
Womit man dann direkt beim Unschmeichelhaften des Büchleins für die Politik wäre: Der ewige materielle Vergleich bringt die oft so verhängnisvolle psychosoziale Dynamik des Kapitalismus erst in Gang: den ewigen Durst nach mehr. Zufriedenheit, also das Nicht-mehr-Wollen-als-man-eben-hat kann unter bestimmten Bedingungen ein fast subversiver Akt sein.
Genau hier, bei Frankfurts Rat, die eigenen Lebensumstände nicht mit denen anderer zu vergleichen, sondern sich zu fragen, ob einen das eigene Leben glücklich und zufrieden macht, gibt es aber auch wieder ein Problem für die Philosophie. Sie ist plötzlich ideologisch ambivalent bis zynisch: „Wenn es einem schlechter geht als anderen, heißt das nicht unbedingt, dass es einem schlecht geht.“ Es gebe immerhin, so Frankfurt, „keine notwendige Verbindung zwischen einem Leben am unteren Rand der Gesellschaft und einem Leben in einer Form von Armut, die einen Menschen ernstlich und auf moralisch verwerfliche Weise daran hindere“, ein gutes Leben zu führen.
Tatsächlich ist der ewige Vergleich und der damit verbundene pauschale Drang zu schlichter Gleichheit bestimmt kein allzu gutes Rezept für individuelles Glück. Er kann Menschen durchaus davon ablenken, „sich über ihre authentischen Ambitionen klar zu werden, nämlich jene, die sich dem spezifischen Charakter ihres eigenen Lebens verdanken, und nicht jene, die ihnen von den Umständen aufgedrängt werden, in denen andere zufälligerweise leben“. Aber ein politisches Problem so einfach zu einem privaten zu machen ist schon allein deshalb schwierig, weil damit statt des kritischen Beobachters plötzlich der duldsame Untertan zum idealen Bürger wird. Denn damit ist man wirklich geradewegs auf der dunklen Seite des amerikanischen Traums, nach dem es ja jeder vom Tellerwäscher zum Millionär bringen können soll, der es nur ernsthaft genug versucht. Wer das glaubt, der glaubt später, wenn der Plan nicht aufging, auch brav, dass er es einfach nur nicht hart genug versucht hat. Und die Politik ist fein raus.
Am Ende muss man deshalb leider sagen, dass Frankfurt mit dem neuen Bändchen seiner eigenen Definition von Bullshit gefährlich nahekommt. Altes Problem übrigens der sogenannten analytischen angelsächsischen Philosophie: Es wird so getan, als werde extrem scharf gedacht, aber dann wird doch recht wenig wirklich erkannt. Man kann etwas sagen, das nicht ganz falsch ist, und trotzdem ziemlich danebenliegen.
JENS-CHRISTIAN RABE
Harry G. Frankfurt: Ungleichheit – Warum wir nicht alle gleich viel haben müssen. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 109 Seiten, 10 Euro. E-Book 9,99 Euro.
Ökonomische Ungleichheit
als solche ist moralisch
keineswegs verwerflich
Wer es nicht schafft, hat es nur
nicht hart genug versucht – so
privatisiert man politische Fragen
Der amerikanische Philosoph Harry G. Frankfurt, Jahrgang 1929, wurde mit dem Essay „On Bullshit“ weltweit bekannt. Foto: Bettina Strauss
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»In seinem neuen Werk mischt sich der Ethiker lustvoll in die durch Thomas Piketty angeregte Debatte um ökonomische Ungleichheit ein. Seine Entgegnung ist brillant und provokativ, seine These schnörkellos.« Urs Rauber NZZ am Sonntag 20160327