1918, der Erste Weltkrieg steht vor dem Ende, gewaltige Umbrüche zeichnen sich für das Ruhrgebiet und die Menschen dort ab. Sie arbeiten für die Berg- und Stahlwerke, kämpfen gegen schlechte Löhne und Ausbeutung. Als der Kaiser kommt, um sie in ihren Anstrengungen für den Krieg zu bestärken, versucht man die Unruhestifter von ihm fernzuhalten. Doch der hohe Besuch geht gründlich schief, und bald geschieht ein Mord. Für den darin verstrickten Gewerkschafter Adam Griguszies bricht ein wechselvolles Jahrzehnt an: Die Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern, Angestellten und einem Geheimbund der Unternehmer, der »Union der festen Hand«, ebnen den Weg für den Nationalsozialismus. Der Industrieroman »Union der festen Hand« ist ein bedeutendes Werk der Neuen Sachlichkeit und eines der wenigen literarischen Porträts des Ruhrgebiets. Zugleich ist es ein großer Schlüsselroman über eine der bekanntesten Industriellendynastien Deutschlands, mit kritischem Witz verfasst von einem intimen Kenner des zynischen Machtgefüges rund um Kohle und Stahl, das erschreckend heutig ist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Erik Reger, eigentlich Hermann Dannenberger, hat von 1920 bis 1927 bei der Krupp AG als Pressereferent gearbeitet. In seinem Roman "Union der festen Hand" verarbeitet er seine Beobachtungen aus dieser Zeit, erzählt Rezensent Thomas Combrink. Es ist ein lesenswerter Buch, versichert er, aber einfach sei es nicht: Die Sprache schildert er als oft sehr spröde, Organisationsstrukturen werden bis ins kleinste aufgefächert und eigentlich setzt die Lektüre "Kenntnisse der Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre voraus", erklärt er. Dennoch scheint er die Schilderung der zwanziger Jahre im Ruhrgebiet mit den Klassenkämpfen und dem Aufstieg der Nationalsozialisten mit Gewinn gelesen zu haben: Als Zeit- und Sittengemälde in Form eines Industrieromans.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2023Stahlhart und dennoch wandelbar
Erik Regers hellsichtiger Roman aus den Dreißigerjahren über die Schwerindustrie im Ruhrgebiet wird neu aufgelegt
Seinem zuerst 1931 publizierten Roman "Union der festen Hand" hat Erik Reger eine "Gebrauchsanweisung" vorangestellt. Dort betont er, "dass in diesem Buche nicht die Wirklichkeit von Personen oder Begebenheiten wiedergegeben ist, sondern die Wirklichkeit einer Sache und eines geistigen Zustandes dargestellt wird". Damit ist einerseits die Zeit der Weimarer Republik gemeint und andererseits die Arbeitswelt der Friedrich Krupp AG in Essen zwischen 1918 und 1928. Reger, der eigentlich Hermann Dannenberger hieß und von 1893 bis 1954 lebte, war von 1920 bis 1927 bei Krupp als Pressereferent tätig. Er hat allerdings die realen Namen verschlüsselt. Aus Krupp ist Risch-Zander geworden, die Villa Hügel wurde zur Zandershöhe, Essen wird lediglich als Stadt, als "Hauptplatz des großen Kohlenreviers", bezeichnet.
Obwohl Reger betont, dass es in seinem Roman weniger um einzelne Menschen und mehr um eine historische Entwicklung geht, sind auch die Lebensläufe der Randfiguren von Bedeutung. So klaut der Bürodiener Johann Bermel auf dem Betriebsgelände Ziegelsteine für seinen Garten. Nach einem Aufenthalt im Gefängnis arbeitet er für die Werksfeuerwehr. Bei der Jahrhundertfeier von Risch-Zander, die im Roman im Jahr 1928 stattfindet, fehlt es ihm scheinbar an Disziplin, er wird entlassen und erhängt sich am Fensterkreuz.
Mit "Union der festen Hand" hat Erik Reger einen Industrieroman geschrieben. Das Buch setzt Kenntnisse der Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre voraus oder die Bereitschaft, den Text mehrfach zu lesen. Die umfangreichen Schilderungen wirtschaftlicher Verhältnisse wirken spröde. Dagegen stehen Passagen mit hoher literarischer Anschaulichkeit. Über die Raupen in den Vorgärten der Villen heißt es: "Dabei quollen die Augen zu dicken, spähenden Punkten auf, und die Fühler streckten sich misstrauisch und wachsam nach den Seiten hin; wenn nur das Blatt erzitterte, bäumte sich schon der Vorderleib mit den strohgelben Bauchringen und klappte so geschwind nach unten, als sei mitten im Körper ein federndes Scharnier." Auch bei den wirtschaftlichen Sachverhalten entwickelt Reger seine eigene Sprache aus Information, Ironie, Polemik, Vergleich oder Metapher, aber das Buch erfordert hohe Konzentration bei der Lektüre durch die oft komplizierten Zusammenhänge. Details, die in einem Nebensatz erwähnt werden, können fünfzig Seiten später relevant sein.
"Union der festen Hand" bezeichnet einen Interessenverband von Industriellen. Reger beschreibt die unterschiedlichen Vereinigungen, in die sich Arbeiter, Angestellte und Unternehmer aufteilen. Auch den Aufbau des Stahlwerks Risch-Zander fächert er bis in die kleinsten Strukturen auf, er nennt den Werkverein, die Feuerwehr, die Polizei und die Kaufläden des Betriebes. Das Buch trägt den Untertitel "Roman einer Entwicklung"; in den zehn Jahren zwischen 1918 und 1928 sind die Protagonisten und Institutionen ständigen Verwandlungen unterworfen. Der Autor hat Ovids "Metamorphosen" auf das Ruhrgebiet der Weimarer Republik übertragen. Sein Roman zählt zu den markanten Werken der Neuen Sachlichkeit, doch der Gestaltungswille, den Reger an den Tag legt bei der Kombination von wirtschaftlichen, poetischen, psychologischen, historischen und soziologischen Perspektiven, geht über den Bereich der dokumentarischen Literatur hinaus.
Als der deutsche Kaiser 1918 das Werk Risch-Zander besucht, die "Waffenschmiede des Reiches", konfrontiert ihn Adam Griguszies, Kranführer und Mitglied im Spartakusbund, mit seiner politischen Haltung. Er ruft das Wort "Hunger". Griguszies ist später bei den Arbeiter- und Soldatenräten, er wird Mitglied der Kommunistischen Partei, dann gehört er zum Betriebsrat von Risch-Zander. Seine Frau drängt ihn dazu, den polnischen Namen in Grieghöfer zu ändern. Er wird bei Risch-Zander entlassen, arbeitslos, "verrichtete Notstandsarbeiten auf den städtischen Friedhöfen", heißt es am Schluss des Buches. Andreas Rossmann betont in seinem Nachwort, dass aus dem "Gegenwartsroman von 1931" ein historischer Text geworden sei. Vieles, was den Lesern vor mehr als neunzig Jahren aus der Tagespresse geläufig war, muss heute kommentiert werden. Die Entwicklungen bei Risch-Zander sind geprägt durch die Revolution, die Reparationszahlungen nach dem Versailler Vertrag, die Inflation und die Arbeitslosigkeit.
"Union der festen Hand" ist ein lesenswertes Buch. Regers Roman besitzt einen entlarvenden Charakter. Die Motive der Unternehmer, Angestellten und Arbeiter werden dargestellt. Es ist ein Buch der Klassenkämpfe, ein stillgestellter Bürgerkrieg, den der Autor aus der Vogelperspektive, mit Einfühlung und Distanz zu allen Seiten, mit Sachlichkeit und Ironie beschreibt. Der Roman enthält eine Fülle an Details, an Beobachtungen, an Erkenntnissen. Er wirkt wie ein Katalog an Erfahrungen, in dem der Autor unmittelbare Erlebnisse des Alltags wie die Armut der Arbeiter, konkrete Vorgänge der Produktion in Eisengießereien, Geschossdrehereien und Walzwerken oder abstrakte Zusammenhänge der Politik und des Finanzwesens miteinander verbindet. Auf literarische Art vermittelt das Buch die Atmosphäre der Weimarer Republik.
Aus heutiger Perspektive ist die Beziehung zwischen Schwerindustrie und NSDAP wichtig, die im Text am Rande von Bedeutung ist. Dabei geht es um die Spenden des Industriellen Schellhase (Thyssen) an die Partei. Der Schlosser Walkowiak ermordet den Meister Kurbjuhn und später Friedrich Bilgenstock, den Redakteur des kommunistischen Blattes. Walkowiak wird Gauleiter im Kohlenrevier für die NSDAP, am Schluss flieht er mit Parteigeldern. Die Verbindung zwischen Kriminalität und nationalsozialistischer Gesinnung weist auf das kommende Unheil der Dreißiger- und Vierzigerjahre in Deutschland hin. THOMAS COMBRINK
Erik Reger: "Union der festen Hand". Roman einer Entwicklung.
Nachwort von Andreas Rossmann. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2022. 640 S., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erik Regers hellsichtiger Roman aus den Dreißigerjahren über die Schwerindustrie im Ruhrgebiet wird neu aufgelegt
Seinem zuerst 1931 publizierten Roman "Union der festen Hand" hat Erik Reger eine "Gebrauchsanweisung" vorangestellt. Dort betont er, "dass in diesem Buche nicht die Wirklichkeit von Personen oder Begebenheiten wiedergegeben ist, sondern die Wirklichkeit einer Sache und eines geistigen Zustandes dargestellt wird". Damit ist einerseits die Zeit der Weimarer Republik gemeint und andererseits die Arbeitswelt der Friedrich Krupp AG in Essen zwischen 1918 und 1928. Reger, der eigentlich Hermann Dannenberger hieß und von 1893 bis 1954 lebte, war von 1920 bis 1927 bei Krupp als Pressereferent tätig. Er hat allerdings die realen Namen verschlüsselt. Aus Krupp ist Risch-Zander geworden, die Villa Hügel wurde zur Zandershöhe, Essen wird lediglich als Stadt, als "Hauptplatz des großen Kohlenreviers", bezeichnet.
Obwohl Reger betont, dass es in seinem Roman weniger um einzelne Menschen und mehr um eine historische Entwicklung geht, sind auch die Lebensläufe der Randfiguren von Bedeutung. So klaut der Bürodiener Johann Bermel auf dem Betriebsgelände Ziegelsteine für seinen Garten. Nach einem Aufenthalt im Gefängnis arbeitet er für die Werksfeuerwehr. Bei der Jahrhundertfeier von Risch-Zander, die im Roman im Jahr 1928 stattfindet, fehlt es ihm scheinbar an Disziplin, er wird entlassen und erhängt sich am Fensterkreuz.
Mit "Union der festen Hand" hat Erik Reger einen Industrieroman geschrieben. Das Buch setzt Kenntnisse der Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre voraus oder die Bereitschaft, den Text mehrfach zu lesen. Die umfangreichen Schilderungen wirtschaftlicher Verhältnisse wirken spröde. Dagegen stehen Passagen mit hoher literarischer Anschaulichkeit. Über die Raupen in den Vorgärten der Villen heißt es: "Dabei quollen die Augen zu dicken, spähenden Punkten auf, und die Fühler streckten sich misstrauisch und wachsam nach den Seiten hin; wenn nur das Blatt erzitterte, bäumte sich schon der Vorderleib mit den strohgelben Bauchringen und klappte so geschwind nach unten, als sei mitten im Körper ein federndes Scharnier." Auch bei den wirtschaftlichen Sachverhalten entwickelt Reger seine eigene Sprache aus Information, Ironie, Polemik, Vergleich oder Metapher, aber das Buch erfordert hohe Konzentration bei der Lektüre durch die oft komplizierten Zusammenhänge. Details, die in einem Nebensatz erwähnt werden, können fünfzig Seiten später relevant sein.
"Union der festen Hand" bezeichnet einen Interessenverband von Industriellen. Reger beschreibt die unterschiedlichen Vereinigungen, in die sich Arbeiter, Angestellte und Unternehmer aufteilen. Auch den Aufbau des Stahlwerks Risch-Zander fächert er bis in die kleinsten Strukturen auf, er nennt den Werkverein, die Feuerwehr, die Polizei und die Kaufläden des Betriebes. Das Buch trägt den Untertitel "Roman einer Entwicklung"; in den zehn Jahren zwischen 1918 und 1928 sind die Protagonisten und Institutionen ständigen Verwandlungen unterworfen. Der Autor hat Ovids "Metamorphosen" auf das Ruhrgebiet der Weimarer Republik übertragen. Sein Roman zählt zu den markanten Werken der Neuen Sachlichkeit, doch der Gestaltungswille, den Reger an den Tag legt bei der Kombination von wirtschaftlichen, poetischen, psychologischen, historischen und soziologischen Perspektiven, geht über den Bereich der dokumentarischen Literatur hinaus.
Als der deutsche Kaiser 1918 das Werk Risch-Zander besucht, die "Waffenschmiede des Reiches", konfrontiert ihn Adam Griguszies, Kranführer und Mitglied im Spartakusbund, mit seiner politischen Haltung. Er ruft das Wort "Hunger". Griguszies ist später bei den Arbeiter- und Soldatenräten, er wird Mitglied der Kommunistischen Partei, dann gehört er zum Betriebsrat von Risch-Zander. Seine Frau drängt ihn dazu, den polnischen Namen in Grieghöfer zu ändern. Er wird bei Risch-Zander entlassen, arbeitslos, "verrichtete Notstandsarbeiten auf den städtischen Friedhöfen", heißt es am Schluss des Buches. Andreas Rossmann betont in seinem Nachwort, dass aus dem "Gegenwartsroman von 1931" ein historischer Text geworden sei. Vieles, was den Lesern vor mehr als neunzig Jahren aus der Tagespresse geläufig war, muss heute kommentiert werden. Die Entwicklungen bei Risch-Zander sind geprägt durch die Revolution, die Reparationszahlungen nach dem Versailler Vertrag, die Inflation und die Arbeitslosigkeit.
"Union der festen Hand" ist ein lesenswertes Buch. Regers Roman besitzt einen entlarvenden Charakter. Die Motive der Unternehmer, Angestellten und Arbeiter werden dargestellt. Es ist ein Buch der Klassenkämpfe, ein stillgestellter Bürgerkrieg, den der Autor aus der Vogelperspektive, mit Einfühlung und Distanz zu allen Seiten, mit Sachlichkeit und Ironie beschreibt. Der Roman enthält eine Fülle an Details, an Beobachtungen, an Erkenntnissen. Er wirkt wie ein Katalog an Erfahrungen, in dem der Autor unmittelbare Erlebnisse des Alltags wie die Armut der Arbeiter, konkrete Vorgänge der Produktion in Eisengießereien, Geschossdrehereien und Walzwerken oder abstrakte Zusammenhänge der Politik und des Finanzwesens miteinander verbindet. Auf literarische Art vermittelt das Buch die Atmosphäre der Weimarer Republik.
Aus heutiger Perspektive ist die Beziehung zwischen Schwerindustrie und NSDAP wichtig, die im Text am Rande von Bedeutung ist. Dabei geht es um die Spenden des Industriellen Schellhase (Thyssen) an die Partei. Der Schlosser Walkowiak ermordet den Meister Kurbjuhn und später Friedrich Bilgenstock, den Redakteur des kommunistischen Blattes. Walkowiak wird Gauleiter im Kohlenrevier für die NSDAP, am Schluss flieht er mit Parteigeldern. Die Verbindung zwischen Kriminalität und nationalsozialistischer Gesinnung weist auf das kommende Unheil der Dreißiger- und Vierzigerjahre in Deutschland hin. THOMAS COMBRINK
Erik Reger: "Union der festen Hand". Roman einer Entwicklung.
Nachwort von Andreas Rossmann. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2022. 640 S., geb., 32,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Wie kein anderer Roman der Zeit veranschaulicht 'Union der festen Hand', wie sich Industriemagnate und Nationalsozialisten aufeinander zubewegen.«