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Sie nennen es Emanzipation - doch es ist nur die Verwandlung der Frauen in Karrieremonster. Laurie Penny, die amerikanische Feministin, will da nicht mehr mitmachen
Eine Bäcker-Kette, die Milchkaffees und Sandwiches verkauft, kleidet ihre Mitarbeiter in orangefarbene Schürzen, und an jedem Wochentag sehe ich am Bahnhof Friedrichstraße eine blasse, blonde Frau mit immer gereizt trockener Haut in einer orangefarbenen Schürze Milchkaffee in orangefarbene Becher füllen, Sandwiches in orangefarbene Tüten verpacken und dabei lächeln. Sie lächelt und findet jedes Mal freundliche Worte, was mir, einer Mittelstandsfrau mit einem Job, den ich mir, natürlich ausgehend von der Frage, was ich will, was mir Spaß macht, ausgesucht habe, ein vollkommenes Rätsel ist. Woher nimmt diese Frau die Kraft zu lächeln? Wofür lächelt sie und für wen und für wie viel Geld? Fragt sie sich, was sie eigentlich will, oder hat sie dafür nicht die Zeit und das Geld? Ist es anmaßendes Steady-Improvement-Denken, zu glauben, dass diese Frau etwas anderes wollen sollte?
Obwohl ich seit jeher in die Lage versetzt war, mich fragen zu dürfen, was ich eigentlich will, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, dass ich zufriedener wäre als jene Frau. Zum einen, weil ich nicht weiß, wie zufrieden sie ist. Zum anderen, weil mir die Ordnung, dem ein Leben in meinem sozialen Milieu folgt, weiterhin ein vollkommenes Rätsel ist. Damit meine ich: arbeiten, das heißt: die meiste Zeit arbeiten und das eigene Leben um die Arbeit herum organisieren. Geld bekommen, Geld ausgeben, das Geld zur Belohnung in die Pflege des eigenen Körpers, in ansehnliche Kleidung, in Schönheits-Kapital, in kulturelles Kapital investieren und noch mehr arbeiten, um das ausgegebene Geld (meistens zu viel) wieder zu erwirtschaften. Alles ist Arbeit, was daran liegt, das alles ökonomischen Kriterien unterworfen ist. Der Körper, der Sex, die Liebe, die Wohnung, der Job, der Urlaub.
Jene relative Unzufriedenheit und Erschöpfung junger Frauen und Männer aus Westeuropa und Amerika, die eigentlich alles haben können (Bildung, die Aussicht auf einen inzwischen nicht mehr so sicheren Job, eine Ehe, Kinder) ist es, die die englische Feministin Laurie Penny in ihrem neuen Buch "Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution" beschreibt und nach deren Ursachen sucht. Sie findet sie in der Verfasstheit der "neoliberalen" Ordnung, einer Ordnung, die nach den Gesetzen des Marktes funktioniert und die Männern beibringt, Macht zu wollen, und Frauen die Gefallsucht lehrt, sie findet sie in den genderspezifischen Rollenangeboten.
Penny will diese Ordnung zerstören, und es gehört zu den Charakteristika eben dieser Ordnung, dass auch die radikalste Kritik an ihr erlaubt ist (Pennys Buch wird bejubelt, im "Spiegel", in der "Zeit" und hier), dass man sie sich entspannt und wohlwollend anhört und dass jene Kritik schließlich verschlungen wird, um dem System dabei zu helfen, sich zu verbessern. Und genauso macht- und letztlich folgenlos wird dieser Text sein, wenn er sagt, dass das Buch von Laurie Penny zu den gegenwärtig wichtigsten gehört und dass es jeder junge Mensch aus Amerika und Westeuropa lesen sollte, damit er anfängt, sich Gedanken darüber zu machen, wie eine Revolution aussehen könnte (wofür er wahrscheinlich zu erschöpft und zu gut versorgt ist).
Laurie Penny schreibt: "Eine der grausamsten Streiche, die man der Generation meiner Mutter spielte, war wohl die Mär, dass das Recht, jeden schlecht bezahlten Knochenjob zu übernehmen, den sonst Männer verrichten, die einzige und ultimative Errungenschaft der Frauenbewegung sei." Und ja, die meisten Männer führen kein besonders angenehmes Leben, warum also sollte man als Frau scharf darauf sein, es genauso zu machen, könnte man sich fragen, wäre da nicht die hierzulande absolut elitär geführte Frauen-in-Vorstände-gläserne-Decken-Diskussion in großen deutschen Zeitungen und Magazinen. Es geht in dieser Diskussion um die Anliegen deutscher (und wenn es um die Kind-Karriere-Sache geht, vorwiegend heterosexueller) Mittelstandsfrauen, die fordern, an der Macht beteiligt zu werden und sie behalten zu dürfen, auch wenn sie Kinder bekommen. Es liegt in der Natur der Sache, dass es diese Mittelstandsfrauen sind, für deren Rechte gekämpft wird; denn sie sind es auch, die die Artikel, Radio-Beiträge und Fernsehbeiträge produzieren, die Kampagnen machen oder Netzwerke gründen. Sie sind es, die in Deutschland reden dürfen, weil sie über den Status und die Techniken verfügen, die dazu nötig sind. Arme, Nicht-Akademiker und Dicke trifft man auch einfach nicht so oft in Redaktionen.
"Feminismus, der sich verkauft, ist ein Feminismus, der so gut wie allen gefällt und niemandem weh tut, ein Feminismus, der beruhigt, der sich an die Mittelschicht richtet und für sie spricht, der auf sozialen Aufstieg ausgerichtet ist, der von Schulen, Shopping und zuckerfreien Snacks faselt und sich nicht etwa mit armen Frauen, queeren Frauen, hässlichen Frauen, transsexuellen Frauen, Sexarbeiterinnen, alleinstehenden Müttern oder anderen befasst, die nicht ins Schema passen." Und auch wenn die am vorvergangenen Freitag für etwa hundert börsennotierte Unternehmen beschlossene Quote eine Signalwirkung haben soll, wie man immer wieder hört, und auch wenn es Frauen gibt, die es traumhaft fänden, endlich ein Boss zu sein - die "neoliberale" Ordnung, die Ordnung also, die dem Markt gehorcht, wird dadurch nicht hinterfragt, sie wird modifiziert, sie wird bestätigt. Die perfekte Frau, die sich innerhalb jener Ordnung bewegt, ist selbstverständlich in einer leitenden Position, sie hat Kinder, sie ist schlank, sie ist gesund, sie ist eine Heldin. Sie ist eine moderne Ikone.
"Die ,Karrierefrau' ist allerorten das neue Idealbild für junge Mädchen: Sie ist der wandelnde Vorzeigelebenslauf, sie wertet mit Make-up und Schönheitsoperationen ihr ,erotisches Kapital' auf, um ihr Einkommen oder das ihres Chefs zu maximieren. Sie ist immer schön, ausnahmslos weiß und fast völlig fiktional. Dennoch hat ihre Freiheit Vorfahrt, denn rund um den Erdball kürzen die Staaten Leistungen und Hilfen für arme Frauen und setzen alles daran, ,mehr Frauen in die Vorstände' zu bekommen." Penny will einen anderen Feminismus. Einen Feminismus, der sich nicht ausschließlich für das Idealbild der Karrieretraumfrau einsetzt, ein Feminismus für Homosexuelle, Hässliche, Arme, Schwarze, Männer.
Natürlich denkt man sofort reflexhaft: Aha, und die will sich jetzt also hinstellen und für die arme, homosexuelle, alleinerziehende Frau kämpfen, die nicht für sich alleine sprechen kann und insofern ja schon wieder bevormundet wird. Der Gedanke ist nachvollziehbar, aber auch sehr bequem, denn er erlaubt es einem, sich nur für sich selbst zu interessieren, und er bewahrt einen vor Peinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass die arme, homosexuelle, alleinerziehende Frau gehört wird, wenn sie sich irgendwo hinstellt, um mitzuteilen, dass die Geschichte, nach der jede Frau eine Heldin, eine Karrierefrau also, sein kann, ein perfides Märchen ist, ist extrem gering. Und: letztlich sind beide, die diskriminierte Minderheiten-Frau und die Karriere-Frau Opfer desselben Systems.
Der Fetisch, der um die schlanke Karrierefrau mit Option auf Reproduktion entstanden ist und der sowohl von der deutschen Politik als auch den Zeitungen, die über sie berichten, mit erfunden und immer weiter fortgeschrieben wird, sagt den Menschen in diesem Land extrem deutlich, was gerade angesagt ist. Wobei man sich als Adressatin, die unter dem Druck schön, schlank, pflegeleicht, berufstätig, verpartnert und reproduktionsfähig zu sein, regelmäßig durchdreht, schon fragen muss: Für wen mache ich diesen Blödsinn eigentlich? What is the fucking point? Ist dieses Ideal mein Wunsch, oder habe ich mir den Wunsch aus Konformitätsgründen angeeignet? Also kurz: Was will ich eigentlich? Und natürlich lässt sich diese Frage nicht sicher beantworten, man wird beim Nachdenken darüber nur noch verrückter. Was wiederum daran liegt, dass es eine angstbesetzte Frage ist, deren falsche Beantwortung mit sozialer Ächtung bestraft wird.
Wie, du hast keinen Mann? Immer noch keine Kinder? Deinen Körper nicht im Griff? Bist alleinerziehend? Verdammt, was hast du nur falsch gemacht?
Für Laurie Penny ist die Angst der Frauen, nicht zu gefallen, das heißt Entscheidungen zu treffen, die nicht dem Ideal der heterosexuellen Karrierefrau zuträglich sind, der Klebstoff, der die Ordnung, die sie "neoliberal" nennt, zusammenhält. Beim Versuch, ihr zu entsprechen, schreibt sie, entwickeln junge Frauen (und zunehmend auch Männer), die bekannten psychischen Krankheitsbilder: Essstörungen, Ritzen, Brennen, extrem viel Sport, extrem viel Drogen, und auch ich habe inzwischen aufgehört zu zählen, wie viele junge Frauen ich kenne, die Essstörungen haben oder hatten und deren Körper voller selbst beigebrachter Narben sind. Es handelt sich dabei um Pathologien des modernen Kapitalismus. Der Druck ist zu groß, und es ist kein Zufall, dass es diese Probleme genau jetzt gibt, und es ist ebenso kein Zufall, dass das junge magersüchtige Elfen-Mädchen, die Vorstufe der späteren Karrierefrau, genauso fetischisiert wird wie eben diese Karrierefrau. Penny nennt diese spätkapitalistische Ikone "abgefucktes Mädchen" und sagt, dass sie inzwischen "fester Bestandteil des neoliberalen Wirklichkeitsmythos" sei. Oh yes. Man sieht dieses abgefuckte Mädchen von morgens bis abends in irgendwelchen Modestrecken. Die junge Frau, die Frau zwischen Magersucht und Karriere, ist ein Lustobjekt des öffentlichen Interesses. In Zeitungsartikeln wird sich, unter dem Vorwand auszuloten, was bloß nicht mit ihr stimmt, immer wieder über sie gebeugt, dabei geht es in Wahrheit um Voyeurismus, und vielleicht rastet auch deswegen gerade eine Handvoll Journalisten so zuverlässig aus und debattiert auf komplett schmerzfreie Weise über weiblichen narzisstischen Selfie-Journalismus. Weil es ein weibliches Ich ist, das aus ihm spricht, und weil das schon ein bisschen geil ist, sich also phantastisch verkauft.
Penny hat keine Antwort auf die Frage, wie alles anders werden kann, aber das ist auch nicht ihr Job. Sie formuliert nur mit absoluter Radikalität, dass es anders werden muss. Für Frauen, Männer, für alle. Und dabei gelingen der rasend klugen Penny dann Beobachtungen und Analysen, für die man sie küssen möchte: Die Ehe, schreibt sie, sei das Refugium des modernen Arbeitsmenschen und insbesondere das der Männer. Hier sollen sie, so das Versprechen, Schutz vor der Erbarmungslosigkeit des Marktes finden, wobei es vor allem die Frauen sind, die dafür sorgen, dass dieses Refugium schön kuschelig bleibt. Den Haushalt erledigen, weniger privilegierte Frauen damit beauftragen, den Haushalt zu putzen, dekorative Kissen kaufen, frustrierte Männer trösten, den frustrierten Männern Essen kochen, Kinder bekommen und sie versorgen. Frauen sind dazu bereit, diese unbezahlte Arbeit zu machen, weil sie von klein auf beigebracht kriegen, dass es ihr Job ist, zu gefallen und geliebt zu werden. Gelingt ihnen das nicht, gelten sie als gescheitert (und es ist tatsächlich so, dass die nackte Angst in den Augen einer Frau, die mit 35 noch keinen Mann hat, zu den intensivsten Dingen gehört, die man in dieser ansonsten so begradigten Welt beobachten kann). Die Ehe, so Penny, "nützt jedem Staat, dessen Wohlstand auf Eigentum gründet - das beweisen die intensiven Bemühungen der Staaten, dieses Arrangement im Steuersystem zu formalisieren und zu belohnen." Sie dient der Aufrechterhaltung der Arbeitswelt, und sie nimmt Staaten und Unternehmen Arbeit ab, und natürlich kann man nun sagen, dass irgendwelche linken Hippies diese Idee schon vor 40 Jahren hatten, aber das ist egal, das hält nur auf. Es geht um jetzt. Jetzt ist seit Jahren ein Backlash unter jungen Frauen zu beobachten, die bei Instagram und Facebook von morgens bis abends irgendwelche Cupcakes backen und sich zuallererst einen Mann und Kinder wünschen. Sie träumen von der rein fiktionalen Liebe, die sie im Fernsehen gesehen haben, und verhalten sich, wie sich das für Frauen gehört, die geliebt werden wollen. Denn draußen ist es einfach nicht besonders schön. Es ist kalt und hart. Es geht nicht darum, diese Frauen zu verurteilen, sie haben gute Gründe. Ich aber werde hier regelmäßig wahnsinnig, und Laurie Pennys Buch zeigt, dass es vielen so geht.
ANTONIA BAUM
Laurie Penny: "Unsagbare Dinge: Sex, Lügen und Revolution". Edition Nautilus, 288 Seiten, 16,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
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