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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Eine Ärztin appelliert an die Welt, das Interesse an der Oppositionsbewegung gegen die Mullahs in Iran nicht zu verlieren.
Es ist herausfordernd, über die Revolte in Iran, während sie noch im Geschehen ist, ein Buch zu verfassen. Gilda Sahebi ist es gleichwohl gelungen. "Unser Schwert ist Liebe" muss die Journalistin mit zitternden Händen geschrieben haben. Das lässt sich erahnen. Trotz der nicht abreißenden Nachrichten über Folter und Tod, mit denen sie sich in den vergangenen Monaten konfrontiert fand, zeigt sie sich distanziert genug, um sachlich einzuordnen, und involviert genug, um nachhaltig aufzurütteln.
In "Unser Schwert ist Liebe" leitet Sahebi die Leser zunächst versiert durch den Strom der Ereignisse zwischen September und Dezember 2022, der für sie bereits jetzt "feministische Weltgeschichte" ausmacht. Dabei stellt sie die wichtigsten Akteurinnen und Akteursgruppen vor, die - im Unterschied zu früheren Phasen des Widerstands gegen das Mullahregime - über ethnische und Klassengrenzen hinweg zusammenstehen. Sprachlich eindrucksvoll zeichnet sie den frechen und bunten Protest der Frauen, Künstler, Musiker, Jugendlichen und Schülerinnen nach und macht die Bedeutung der Massendemonstrationen und großen Streiks Ende des Jahres verständlich.
Den hoffnungsvollen Bildern stellt sie Beispiele von verzweifeltem Widerstand, von Repression und Brutalität gegenüber, die das Blut in den Adern gefrieren lassen. Wie die Häftlinge, die gegen die Hinrichtung ihrer Mitgefangenen protestieren und dann selbst im Schussfeuer landen. Oder, wieder und wieder, sexualisierte Gewalt gegen Protestierende. Oder das Kind, das aus Protest gegen die Inhaftierung des Vaters die Schule schwänzt und mehrere Tage friedlich demonstriert, bis die Revolutionsgarden es so verprügeln, dass es aufgeben muss.
Kenntnisreich stellt die Autorin das aktuelle Geschehen in den Kontext von Unterdrückung und Widerstand in der Islamischen Republik seit 1979. Massenhinrichtungen, denen auch Kinder zum Opfer fielen, folgten beispielsweise schon kurz nach der Machtübernahme.
Auf die feministische Bewegung, Frauenrechte und den systematischen Einsatz sexualisierter Gewalt gegen Frauen geht Sahebi vertieft ein. In jeweils eigenen Kapiteln untersucht die Autorin, die selbst Ärztin und Journalistin ist, die Rolle dieser beiden Berufsgruppen für den Widerstand gegen das Regime. Abschließend setzt sie sich mit dem westlichen Diskurs und der Berichterstattung über Iran auseinander. Sie beschreibt auch, wie ihr die eigene Perspektive aus dem Exil viele Zugänge ermöglicht und sie gleichzeitig unter besondere Beobachtung stellt.
Immer wieder macht Sahebi deutlich, dass weder Grausamkeit noch Widerstand neu sind. Neu ist hingegen das Interesse der westlichen Medien und Öffentlichkeit. Dieses aufrechtzuerhalten ist ein offenes Ziel des Buches. Sahebi nutzt die aktuelle Aufmerksamkeit, um auf vergangene Verbrechen aufmerksam zu machen. Auch falls dieser Aufstand - zunächst - scheitern sollte, muss das Regime international diskreditiert bleiben, das ist ihre klare Botschaft.
Unterbrochen werden die atemlosen politischen Analysen der Autorin durch eigene Kindheitserinnerungen an Iran, die in einem langsamen Tempo erzählt werden. Ein Interview mit einer bekannten Menschenrechtsanwältin aus Iran, die auch ausführlich vorgestellt wird, sowie autobiographische Erzählungen von Aktivistinnen aus Deutschland und Iran sind weitere Mosaikstücke des Buches.
Diese Einschübe brechen mit dem Stil der Kapitel zu den sich überschlagenden Ereignissen oder zu teils schwer erträglichen Verbrechen des Regimes. Der Wechsel ist manches Mal gewöhnungsbedürftig, aber er gibt den Lesern kurz Zeit zum Durchatmen. Auch wenn deutliche Bruchlinien erkennbar sind, setzen sich die einzelnen Kapitel und Artikel zu einem Ganzen zusammen. Autorin und Lektorin haben so sauber gearbeitet, dass das Buch fast nie Wiederholungen aufweist, obwohl es, klar markiert, verschiedene bereits veröffentlichte Texte wiederverwendet. Sowohl die Hektik, die das Buch an einzelnen Stellen aufweist, als auch der Facettenreichtum der Erzählperspektiven und -stile erscheinen angemessen mit Blick auf die Komplexität und Aktualität der Ereignisse.
Inhaltlich ist die Brutalität der Mullahs und ihres Systems ein dominanter Strang des Buchs. Der andere ist Mut. Die Ehrfurcht vor den Protestierenden überträgt sich auf die Leser. Mit großer Erzählkunst, in der manchmal die Poesie der persischen Sprache aufscheint, bringt Sahebi den Lesern die Helden und Heldinnen des Widerstands über deren Einzelschicksale näher. "Unser Schwert ist Liebe" erfüllt damit einen Auftrag, den Sahebi an sich selbst stellt: diese Geschichten vor dem Vergessen zu bewahren. Gleichzeitig will sie gezielt über Verbrechen bis in die "quälenden Details" berichten und trägt mit der Dokumentation aus dem Ausland zur Menschenrechtsarbeit der iranischen Bewegung bei.
Wer Gilda Sahebi auf Twitter folgt, weiß, wie sich die Revolte inzwischen verändert hat. Die Massenproteste sind vorbei. Und doch geht es weiter. "Unser Schwert ist Liebe" ist in gewisser Weise das Buch zum Social-Media-Account der Journalistin. Beide sind sehr zu empfehlen, um die Ereignisse in Iran zu verfolgen, ihre Bedeutung zu begreifen und sich immer wieder von der Hoffnung anstecken zu lassen. MONIKA REMÉ
Gilda Sahebi: "Unser Schwert ist Liebe". Die feministische Revolte im Iran.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023. 256 S., 24,- Euro.
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