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Von einem akuten Forschungsbedarf sprechen Naturwissenschaftler angesichts der rege debattierten Frage, ob der Mensch frei sei oder nicht. Aber ist es mit einem gutgemeinten "Dann mal fix losgeforscht" getan? Geht es beim augenblicklichen Stand der Debatte nicht wieder vorrangig darum, sich über Fragen der Reichweite von Argumenten klarzuwerden? Läuft man sonst nicht Gefahr, an den Phänomenen, die man zu erforschen vorgibt, vorbeizuforschen? Wichtig ist, die verschiedenen Perspektiven - philosophische, neurowissenschaftliche, psychotherapeutische - miteinander in Beziehung zu setzen, um unterlaufene Einseitigkeiten zu korrigieren. Wie sich ein solches Vorhaben umsetzen ließe, versucht ein von Emmanuel J. Bauer herausgegebener Sammelband zu zeigen ("Freiheit in philosophischer, neurowissenschaftlicher und psychotherapeutischer Perspektive". Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2007. 262 S., br., 29,90 [Euro]).
Die Zusammenschau der unterschiedlichen Argumente, die Bauers Buch vornimmt, führt wie von selbst deren jeweilige Leistungen und Grenzen vor Augen. Man begreift, dass es sehr sinnvoll sein kann, sich nicht gleich an der Rasterung der Positionen zu orientieren, sondern das Problem der Willensfreiheit wieder allgemeiner und grundsätzlicher ins Visier zu nehmen. Genau dies leisten auf höchst differenzierte Weise auch zwei philosophische Monographien zur Freiheit - die eine aus der Feder von Gottfried Seebaß, die andere von Thomas Buchheim. Seebaß erinnert zu Recht daran, dass die zur Positionsbestimmung zugespitzte Frage, ob Determiniertheit mit Freiheit zusammengeht ("Kompatibilismus") oder nicht ("Inkompatibilismus"), nur von sehr beschränkter Aussagekraft ist: Es ist eher die Regel denn die Ausnahme, dass die Beteiligten verschiedene Begriffe von Determiniertheit haben, ebenso wie vom Willen und von relevanter Freiheit.
Drei Bände räumt sich Seebaß für eine Klärung dieser Begriffe ein. Davon sollte man sich nicht gleich abschrecken lassen. Es zeigt eher Sinn für Dosierung als Hang zur Überforderung. Der nun erschienene erste Band ist leserfreundlich unterteilt in einen Haupttext von der Länge eines stattlichen Essays, kleiner gedruckte Passagen und ausführliche Anmerkungen ("Willensfreiheit und Determinismus". Band 1: Die Bedeutung des Willensfreiheitsproblems. Akademie Verlag, Berlin 2007. 236 S., geb., 39,80 [Euro]). Seebaß orientiert sich am engen Zusammenhang von freier Willensentscheidung und Verantwortung, um zu zeigen, dass Willensfreiheit nur eine Facette in einem ganzen Bündel von Voraussetzungen für die Zurechenbarkeit von bestimmten Handlungen sein kann. Dieser Eingrenzung lässt er einen lesenswerten geistesgeschichtlichen Abriss folgen, der sich gegen Versuche wendet, das Problem als überalterten historischen Bestand beiseitezusetzen. Man darf gespannt sein, was Seebaß im nächsten Band aus diesem Auftakt macht, der einstweilen durchaus für sich stehen kann.
Thomas Buchheim dagegen absolviert seinen Versuch, Freiheit auf den Begriff zu bringen, in einem Durchgang ("Unser Verlangen nach Freiheit. Kein Traum, sondern Drama mit Zukunft". Felix Meiner Verlag, Hamburg 2006. 209 S., br., 14,80 [Euro]). Auf den richtigen Begriff bringen, das meint hier vor allem, einer eingeschliffenen Neigung gegenzusteuern, die sowohl beim Common sense wie in den Überlegungen von Wissenschaftlern und Philosophen zu beobachten ist: sich die Welt in einer horizontalen Schichtung aufgebaut zu denken. Wer dieser Neigung folgt, gesteht eine fundamentale, in physikalischer Sprache zu beschreibende Ebene zu, auf welche übergreifende Phänomene wie "Leben", "Geist" und "Bewusstsein" dann irgendwie aufgesetzt werden.
Buchheim ist nicht der Erste, dem auffällt, dass ein solcher auf den ersten Blick unverdächtig scheinender Zug tatsächlich fatal ist: Hat man ihn einmal gemacht, wird man Probleme mit dieser vermeintlich fundamentalen Physik kaum mehr los. Aber diese Verlegenheit einzusehen und sie mit Blick auf eine Beschreibung von Freiheit konsequent zu vermeiden, das ist immer noch zweierlei. Zumal man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten darf, es also durchaus begreiflich bleiben muss, dass sich die Ereignisse in physikalischer und allgemeiner in naturwissenschaftlicher Perspektive so ordentlich gesetzesförmig verhalten.
Buchheim weiß seine Schritte klug und umsichtig zu setzen. Physisches nicht mit Physikalischem zu verwechseln ist die Grundlektion, um dann schrittweise einen Begriff von Freiheit herauszuarbeiten, den ein lebendiges, zum Selbstverhältnis fähiges und sozial bestimmtes Wesen in seinen Handlungen verwirklichen kann: Freiheit, die auf keine strikte Opposition zu Natürlichem angewiesen ist und auch nicht in Gefahr kommen lässt, auf einen freien Willen als unbedingten Ausgangspunkt unserer Handlungen zu verfallen. Man kann Buchheims Verfahren als philosophische Absicherung oder Rückgewinnung von Phänomenen ansehen, die gerade im Zeichen der neurowissenschaftlichen Problematisierung des freien Willens entstellt werden - oft bis hin zur vollkommenen Zusammenhanglosigkeit mit unseren lebensweltlich eingespielten Begriffen von freiem Handeln und seinen Abstufungen. Was Buchheim höchst gewinnbringend dagegensetzt, ist ein Verfahren mit hohen Einsätzen, um Schwundstufen der Freiheit zuvorzukommen. Schließlich gilt es nicht dem Labor, sondern dem Leben gerecht zu werden.
HELMUT MAYER
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
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